Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

[XI.]

Die Schreckensnachricht, daß Frau von Rockhausen in eine Anstalt hatte gebracht werden müssen, bildete natürlich in den nächsten Tagen das einzige Gesprächs-Thema in der Stadt, ebenso die Nachricht, die der Major, der seine Frau zusammen mit den Ärzten in das Sanatorium begleitet hatte, mit zurückbrachte: daß der Zustand seiner Frau keineswegs für unheilbar erklärt worden sei.

Mit aufrichtiger Freude hörte man diese Botschaft, denn der Major, sowie Elsbeth waren überall ungemein beliebt. Und wenn Frau von Rockhausen nicht dieselben Sympathien genossen hatte, so lag das an ihrem Benehmen, für das man nun eine so traurige Erklärung gefunden hatte. Die allgemeine Teilnahme wandte sich ihr zu und man nahm sich vor, sie nach ihrer Genesung mit doppelter Herzlichkeit und Freundlichkeit zu behandeln.

Elsbeth war noch an demselben Abend, an dem ihre Mutter erkrankte, von Frau Rita zu Gillbergs gebracht worden und befand sich auch jetzt noch bei ihnen, obgleich ihr Vater schon lange von der Reise zurückgekehrt war. Er selbst hatte ihr zugeredet, noch etwas bei ihren Freunden zu bleiben, um die Erinnerung an die letzte Szene mit der Mutter nach Möglichkeit zu vergessen.

So war Elsbeth reichlich acht Tage bei Gillbergs geblieben, aber morgen wollte sie nun zu ihrem Vater zurück – – er mußte sich jetzt ja doppelt einsam und verlassen fühlen.

Wenngleich natürlich unter diesen traurigen Umständen von einem Fest nicht die Rede sein konnte, so hatten Gillbergs doch beschlossen, für diesen letzten Abend ein paar Gäste einzuladen. Schließlich hatten sie sich auf Elsbeths Bitten darauf beschränkt, außer ihrem Vater nur Bernburg und Dörmann aufzufordern. Und auch das hätte sie wohl kaum geduldet, wenn der Vater ihr nicht am Mittag die Nachricht gesandt hätte, daß die Ärzte mit dem Befinden ihrer Mutter viel zufriedener wären, als sie es nach so kurzer Zeit zu hoffen gewagt hätten; eine vollständige Genesung, die keinem Zweifel unterliege, sei nur noch eine Frage der Zeit.

Ein grenzenloses Glücksgefühl erfüllte Elsbeth. Und aus dieser Stimmung heraus war sie heute fast lustig und fröhlich.

Überhaupt war in der letzten Woche eine große Veränderung mit ihr vorgegangen. So entsetzlich sie unter der Krankheit der Mutter litt, so furchtbar die Erinnerung an die letzte Szene in ihr nachzitterte, – es war ihr doch ein großes Gefühl der Erleichterung, zu wissen, daß all diese entsetzlichen Szenen, die sie im Hause der Eltern früher erlebte, ihre Ursache und Veranlassung in der Krankheit der Mutter gehabt hatten. Alles, was sie durchgemacht, erschien ihr jetzt in einem ganz anderen, versöhnlichen Lichte. Sie hatte eine natürliche Erklärung für so vieles gefunden, was sie früher nicht begriffen hatte. Und das Gefühl des aufrichtigen Mitleides, das sie jetzt mit ihrer Mutter empfand, tötete alle anderen Gedanken, die sie vorher zuweilen gehegt hatte, wenn sie um ihre verlorene Jugend weinte, wenn sie die Mutter – trotz aller Liebe, die sie für sie empfand – doch zuweilen im stillen schalt, daß sie dem Vater das Leben so unnötig verbitterte.

Es kam ihr jetzt oft vor, als wäre sie selbst nach einer langen, schweren Krankheit zum erstenmal wieder aufgestanden und sähe nun die Welt im hellsten Sonnenschein vor sich liegen, – als rege sich neuer, frischer Lebensmut in ihren Adern.

Wie groß der Umschwung war und wie schnell sich der in ihr vollzogen hatte, merkte sie am deutlichsten, als Frau Thea, die sie mit Zärtlichkeiten und Aufmerksamkeiten überhäufte, sie gestern in scherzendem Tone darauf aufmerksam gemacht hatte, daß ein so schönes, junges Mädchen wie sie nun wirklich bald daran denken müsse, zu heiraten.

Da war es ihr zum erstenmal begegnet, daß sie nicht – wie sonst – zur Antwort gab: ich werde niemals heiraten. Und sie hatte gefühlt, wie sie errötete, weil sie sich dabei ertappte, daß sie jetzt über diesen Punkt anders dachte.

Thea hatte das anders aufgefaßt und schelmisch drohend den Finger erhoben: »Na, Elsbeth, hat Ihr kleines Herz schon Feuer gefangen?« war aber mit keiner weiteren neugierigen Frage in sie gedrungen. Trotzdem war Elsbeth lange verlegen und verwirrt geblieben.

Und in der Nacht hatte sie wach gelegen und darüber nachgedacht, warum sie jetzt über die Ehe anders urteile als früher. Und ihr war klar geworden, daß auch das seine Erklärung lediglich in der Erkrankung der Mutter fand, richtiger darin, daß sie schon seit vielen, vielen Jahren krank gewesen war, ehe ihr Leiden deutlich zu Tage trat. Da durfte sie ihr früheres Urteil nicht aufrecht erhalten, da konnte sie von der Ehe der Eltern nicht auf die Ehe im allgemeinen schließen. Und die frohe Zuversicht, daß das Verhältnis ihrer Eltern in Zukunft ein ganz anderes sein würde, sobald die Mutter genesen war, ließ sie die häßliche Vergangenheit vergessen, ließ sie froh in die Zukunft sehen.

Ihr selbst vielleicht noch unbewußt, kam noch eins hinzu, sie anders urteilen zu lassen. Am zweiten Tag, nachdem man ihre Mutter fortgeschickt hatte, war sie mit Frau Thea spazieren gegangen, zuerst hatte sie sich mit Händen und Füßen gesträubt, sie wollte zu Haus bleiben, sie wollte keine Menschen sehen, aber Frau Thea hatte ihr solange zugeredet, daß sie schließlich nachgegeben hatte, um die Freundin nicht zu erzürnen.

Da war ihnen Bernburg auf der Straße begegnet, sie hatte ihm angemerkt, daß er den Wunsch hatte, sie anzusprechen, ihr ein Wort des Trostes und der Teilnahme zu sagen, aber er mochte es wohl auf offener Straße nicht für passend und schicklich gehalten haben; er war nur mit einem stummen Gruß an ihr vorübergegangen. Aber wie er die Hand an die Mütze legte, hatte er sie mit einem Blick angesehen, der soviel Mitleid, so deutlich den Wunsch, ihr helfen zu können, so sehr die aufrichtigen Gefühle seiner herzlichen Zuneigung verriet, daß ein ihr sonst unbekanntes Gefühl der größten Glückseligkeit sie plötzlich erfüllte.

Ihr war mit einemmal, als wäre das Unglück, das sie betroffen hatte, doch nicht so groß, weil es ihr einen Freund brachte, wie Bernburg es ihr zu sein schien.

Und auch Frau Thea hatte den Blick gesehen und dann erklärt: »Ich kenne Bernburg wenig, er kommt nicht allzu oft zu uns, aber die Art, wie er Sie ansah, beweist mir, daß er ein sehr guter Mensch sein muß.«

Diese wenigen Worte machten Elsbeth froh, als hätte man ihr etwas Liebes gesagt.

In der Nacht hatte sie auch an das gedacht, was die Mutter zu ihr gesprochen hatte: Heirate Bernburg.

Sie hatte gefühlt, wie sie errötete, ihr Herz hatte unruhig geschlagen.

Der Gedanke, vielleicht doch noch einmal zu heiraten, kam ihr so völlig überraschend, daß sie ihn selbst noch nicht so recht in seiner ganzen Tragweite zu fassen mochte. Und sollte wirklich Bernburg – nein, er dachte nicht an sie, ebensowenig wie sie an ihn, er hatte sie ja auf dem Ball bei Frau v. Eckern gebeten, ihm eine Frau auszusuchen. Das sagt man doch keiner Dame, um die man selbst zu werben gedenkt. Allerdings, damals wußte ja auch er, wie sie über eine Ehe dachte, aber trotz alledem – nein, sie waren gute Freunde, und die würden sie auch bleiben, alles andere war Unsinn, sie wollte garnicht mehr daran denken.

Aber sie dachte noch lange daran, bis sie endlich gegen Morgen einschlief.

Als sie erwachte, glaubte sie die törichten Gedanken für immer vergessen zu haben, aber sie wurden doch plötzlich wieder in ihr wach, als Bernburg am Abend, gleichzeitig mit ihrem Vater und Leutnant Dörmann, erschien, und sie ihm zum Willkommen die Hand reichte. In Erinnerung daran, daß sie sich gestern in Gedanken so lange mit ihm beschäftigt hatte, wurde sie etwas verwirrt und verlegen.

Er merkte es deutlich, aber unwillkürlich legte er sich dies anders aus. Ist es möglich, sollte Elsbeth dich wirklich lieben? fragte er sich immer wieder. Das machte ihn so froh, so glücklich, daß er sich selbst kaum wieder erkannte. Er war mit der festen Absicht gekommen, sie zu zerstreuen und zu erheitern, er wollte lustig sein, aber nun wurde er beinahe übermütig.

Es herrschte überhaupt eine fast ausgelassene Stimmung an der kleinen Tafel, wie es so häufig kommt, wenn mit einem Male von allen ein schwerer Alp gewichen ist. Die unangenehme Geschichte mit den anonymen Briefen war definitiv erledigt. In ritterlichster Weise hatte Major von Rockhausen sich bei Frau Thea entschuldigt und sie gebeten, seiner Frau nicht nachzutragen, was sie in krankhaftem Zustande getan habe. Frau von Rockhausens Benehmen, für das man früher keine Erklärung gefunden hatte, war jetzt allen verständlich, die Gewißheit, daß sie bald wieder gesund sein würde, lag vor. Die Vergangenheit war vergessen, alle blickten sorglos in die Zukunft.

So lachte und scherzte man denn und ließ sich die Speisen und Getränke gut schmecken. Frau Thea hatte sich die größte Mühe gegeben, den Tisch hübsch zu decken. In allen Vasen waren frische Blumen, und das nicht allzu große, mit dunklen Eichenmöbeln eingerichtete Eßzimmer strömte einen solchen Grad von Behaglichkeit aus, daß man sich wohlfühlen mußte.

Dazu kam, daß Frau Thea die liebenswürdigste Wirtin war, die man sich nur denken konnte, sie bezauberte alle durch ihre Anmut; auch sie war ausgelassen lustig, trotzdem sie vielleicht die einzige war, deren Fröhlichkeit nicht aus dem Herzen kam.

Selbstverständlich hatte ihr Mann die Erkrankung der Frau von Rockhausen in Elsbeths Anwesenheit mit keinem Wort berührt; auch des Abends, wenn sie allein waren, hatte er es absichtlich vermieden, das Gespräch darauf zu bringen, aber Frau Thea wußte sehr genau, daß nur Elsbeths Besuch im Hause ihn davon zurückhielt, seinem Herzen Luft zu machen. Wenn Elsbeth morgen zu ihrem Vater zurückkehrte, würde er sie mit Vorwürfen überhäufen, ihr auseinandersetzen, wie unendlich schrecklich es ihm sei, daß sie zu Frau v. Eckern gegangen und dadurch die Schuld trüge, daß Frau von Rockhausen in eine Anstalt hätte übergeführt werden müssen. Sie wußte, was er sagen würde, es war ja immer dasselbe, und auch morgen würde wieder die Rede in den Worten gipfeln: »Denk an mich, an meine Karriere, denke daran, daß wir in der allernächsten Zeit den Namenszug des Fürsten bekommen.«

Sie sah es voraus, es würde zu einer sehr heftigen Aussprache kommen, sie wollte nicht unnötig widersprechen, ihn nicht erzürnen, im Gegenteil alles tun, was sie konnte, ihn zu versöhnen, obgleich sie sich nicht der geringsten Schuld bewußt war. Gelang ihr dies aber nicht, dann wollte sie nicht nur von neuem damit drohen, nach Kopenhagen zurückzufahren, dann wollte sie die Drohung auch wirklich wahr machen, so schwer es ihr fallen würde.

Dörmann hatte es ihr geraten, er meinte es mit ihnen beiden so gut wie kein anderer, da mußte sie seinen Rat auch befolgen.

Frau Thea sah es voraus, daß sie morgen abend schon auf Reisen sein würde, und das stimmte sie traurig. Zum ersten Mal sollte sie ihren Fritz allein lassen, und noch dazu anscheinend im höchsten Zorn von ihm gehen. Dieser Gedanke stimmte sie sehr ernst. Und sie ängstigte sich schon jetzt, ob es ihrem Mann in der Zwischenzeit auch an nichts fehlen würde. Natürlich wollte sie, ehe sie abfuhr, die Dienstboten auf das Genaueste instruieren, damit Fritz alles hätte, was er brauchte, aber trotzdem, es war doch ganz anders, wenn sie selbst da war.

Von Zeit zu Zeit warf sie ihrem Mann einen Blick zu. Wie war es nur möglich, daß er sich so in seiner einseitigen Idee verrannt hatte, daß er gar keine andere Ansicht wie seine gelten ließ, daß er sie hart anfuhr, anstatt mit Liebe auf sie einzuwirken. Er war doch trotz aller Heftigkeit der gutmütigste und beste Mensch auf der Welt.

Vielleicht hat Dörmann recht mit dem, was er sagt, dachte sie. Der entsetzliche lateinische Name für die von ihm entdeckte Krankheit war ihr schon lange wieder entfallen, aber mit der Krankheit selbst mochte es seine Richtigkeit haben.

Kein Mensch ahnte und erriet etwas von den vielen unruhigen Gedanken, die Frau Theas Herz bewegten, sie verstellte sich so ausgezeichnet, daß sie alle täuschte und nur um alle anderen Gedanken zu verjagen, wurde sie immer lustiger, und sie fand an Dörmann einen guten Partner.

Er hatte heute nach seiner Behauptung wieder einen jener großen Tage, an dem er, wie er es nannte, würdig war, selbst in einer großen Garnison die Stelle eines Leutnants nicht ohne Erfolg zu bekleiden.

»Nein wirklich, Herr Major,« verteidigte er sich jetzt, als dieser ihn eben geneckt hatte; »die Herrschaften können es mir wirklich glauben, es gibt tatsächlich zuweilen in meinem Leben Augenblicke – du großer Gott, die hat ja schließlich jeder einmal, und die gehören zu den wenigen Dingen, die selbst ein Gerichtsvollzieher uns nicht nehmen kann. Aber die Augenblicke, in denen ich zu der Erkenntnis komme, daß ich zu etwas Höherem geboren bin, daß ich doch noch einmal Oberleutnant werde, die haben einen wahrhaft berauschenden Reiz für mich. Und im Zusammenhang damit steht, daß ich mich dann für noch klüger und bedeutender halte, als ich es nach der Meinung meiner Vorgesetzten nicht bin, und jeder wird mir zugeben, daß es dazu einer nicht ungewöhnlichen Phantasie bedarf. Wäre ich ein Schriftsteller, dann würde die Kritik sagen, ›sein Talent berechtigt zu den schönsten Hoffnungen.‹ Mit der eigenen Bescheidenheit stelle ich mir aber selbst ein viel besseres Zeugnis aus, und ich behaupte ernsthaft: Ich bin ein Genie, würdig auch in einer Residenz Offizier sein zu können. Wäre ich nicht eine so groß angelegte Natur, dann könnte ich vielleicht darunter leiden, daß ich es nur hier bin, denn selbst die frohe Tatsache, daß wir den Namenszug erhalten, ändert nichts daran, daß wir nicht in Berlin leben. Der Weise trägt, was er nicht ändern kann, und das Bewußtsein, einer Auszeichnung würdig zu sein, ist für mich das Gleiche, wie die Auszeichnung selbst zu erhalten – ja noch mehr, es macht mich stolzer, denn eine Dekoration bekommt so mancher, der sie nicht verdient, wobei ich natürlich nur an die Zivilisten, nicht an unsere hohen Vorgesetzten denke.«

»Sie sind und bleiben ein Frechdachs,« schalt der Major belustigt, »Sie werden schon anders urteilen, wenn Sie erst mal Stabsoffizier sind.«

Erschrocken hob Dörmann die Hände: »Herr Major, was denken Sie von mir? Selbst in meinen kühnsten Träumen geht meine Phantasie nie weiter als bis zum verabschiedeten Hauptmann 2. Klasse. Und wenn ich Sie nicht leibhaftig in voller Uniform vor mir sähe, dann würde ich überhaupt nicht glauben, daß es in der heutigen Zeit wirklich noch unverabschiedete Stabsoffiziere gibt.«

»Herr, malen Sie den Teufel nicht an die Wand,« rief der Major.

»Keine Angst, Herr Major, ich kann nicht malen, nicht mal ein Croquis zeichnen. Ich wäre selbst dann kein großer Maler geworden, wenn ich ohne Arme geboren wäre.«

Alle lachten, und das veranlaßte Dörmann, weiter die Unterhaltung an sich zu reißen, Sinn und Unsinn durcheinander zu reden, kühne Behauptungen aufzustellen, denen die anderen widersprechen mußten. Und selbst wenn sie Recht hatten, gab er das nicht zu, denn die Unterhaltung mußte in dieser Lebhaftigkeit noch lange anhalten.

Er hatte dafür einen bestimmten Grund. Ganz zufällig hatte er einen Blick aufgefangen, mit dem Bernburg seine Nachbarin, Fräulein Elsbeth, ansah, und er hatte bemerkt, wie die über und über errötete, sich von ihm abwenden wollte, um ihre Verlegenheit zu verbergen, und wie sie sich ihm dann doch zuwandte, um bei dem lauten Stimmengewirr der anderen besser seine Worte verstehen zu können. Man war schon lange bei der Zigarre angekommen, aber trotzdem, auf allgemeinen Wunsch, ruhig im Eßzimmer sitzen geblieben.

So sehen also zwei Menschen aus, die sich verloben wollen, dachte Dörmann. Für so verständig hätte ich Bernburg wirklich nicht gehalten, daß er um Elsbeth werben würde, und daß diese ihre Anschauung über den Punkt, nie heiraten zu wollen, änderte, beweist mir, daß sie genau so klug ist, wie ich es immer annahm. Und ferner zeigt es mir aufs neue, daß die Schwüre umsoweniger gehalten werden, je feierlicher man sie schwört. Na, Kinder, meinen Segen habt ihr, und was ich tun kann, damit eure Herzen sich noch heute abend finden, das tue ich. Aber als Belohnung bitte ich mir dann später aus, daß ich nicht nötig habe, Brautführer zu sein, denn an einen Solchen werden von seiner Partnerin immer Hoffnungen geknüpft, die ich ganz sicherlich nicht erfüllen werde.

Und es gelang ihm wirklich, die Unterhaltung so lebhaft zu führen, daß es gar nicht weiter auffiel, wie wenig Bernburg und Elsbeth sich daran beteiligten. Von Zeit zu Zeit warfen sie auch ein Wort in das Gespräch der anderen hinein, aber nur, um dann wieder ungestört miteinander plaudern zu können.

Sie sprachen über die gleichgültigsten Dinge, aber es kam beiden vor, als hätten sie sich noch nie so gut unterhalten; was der eine sagte, erschien dem anderen als etwas ganz Besonderes. Sie kannten sich schon lange, und doch war ihnen, als lernten sie sich erst heute kennen. Sie sahen sich mit ganz anderen Augen an als bisher, mit den Augen der Liebe. Sie saßen neben einander und dachten, ob sie sich wohl wirklich in einander verlieben könnten, und sie merkten es nicht, wie verliebt sie schon in einander waren. Und sie hätten sich auch nicht sagen können, seit wann sie sich liebten – namentlich über Elsbeth war es mit einem Mal gekommen. Sie mochte sich tausendmal gesagt haben, ich heirate nie – ihr Herz hatte sich doch nach Liebe gesehnt, und als sie nun merkte, wie Bernburg mit seinen Worten und Augen um sie warb, da wurde die Liebe, die sie bisher mit aller Gewalt ferngehalten hatte, doppelt schnell in ihr wach, gleichsam, als wollte ihr Herz nachholen, was es bisher so lange versäumt hatte.

War es nur ein Zufall, daß Elsbeth jetzt ihre Serviette fallen ließ, war es wirklich nur ein Zufall, daß Bernburg, als er sie ihr zurückreichte, ihre Hand festhielt, und daß sie es duldete, ja, daß sie es garnicht zu bemerken schien?

Die beiden saßen da, völlig der Welt entrückt, sie sahen sich nicht an, sie sprachen kein Wort, sie waren namenlos glücklich, ihre Herzen hatten sich für immer gefunden, ohne daß sie es sich gegenseitig gestanden hätten.

Sie fuhren erschrocken zusammen, als jetzt plötzlich Dörmanns laute Stimme erklang: »Meine Herrschaften, seien Sie mir nicht böse, aber nachdem ich bereits den ganzen Abend geredet habe, ist es mir jetzt ein aufrichtiges Bedürfnis, eine Rede zu halten.«

Ein lautes Bravo war die Antwort.

Doch Dörmann wehrte ab: »Warten Sie bis ich damit fertig bin, aber dann rufen sie desto energischer.«

Er hatte sich erhoben und stellte sich feierlich in Positur: »Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich mich so kurz fasse, wie es mir möglich ist, ja, wenn ich mich sogar noch kürzer fasse. Wenn ich trotzdem zunächst die Behauptung aufstelle, daß das preußische Exerzierreglement so ziemlich das langweiligste Buch der Welt ist, so hindert mich das nicht, daran zu glauben, daß es endlich die höchste Zeit wird, daß wir bald den Namenszug erhalten und beinahe Garde werden, denn es ist kein angenehmes Gefühl, immer warten zu müssen. Das soll mich nicht abhalten, der Überzeugung zu sein, daß nur Toren immer von der Zukunft reden, und daß der wahrhaft weise Mann die Gelegenheit selbst dann am Zopf ergreift, wenn sie gar keinen trägt, sondern ihr Haar nach der neuesten Mode mit zahlreichen Schildpattkämmen auf dem Kopf befestigt hat, wie dies z. B. bei Frau Thea nicht der Fall ist. Meine Herrschaften, unterbrechen Sie mich nicht, und glauben Sie nicht, ich sei voll süßen Weines, weil ich solches gedankenloses Zeug rede. In der Hinsicht kennen Sie mich nicht, ich würde Ihr ästhetisches Gefühl verletzen, wenn ich Ihnen erzählen wollte, wieviel ich trinken kann. In der Hinsicht nimmt es kein Vorgesetzter mit mir auf, nicht einmal eine Exzellenz. Und gerade deshalb meine ich, daß wir einmal trinken und ich bitte Sie, Ihre Gläser zu leeren auf, auf – – –«

»Na, worauf denn?« riefen die anderen ungeduldig.

Dörmann stand anscheinend im tiefsten Nachdenken da, dann rief er plötzlich: »Na, wenn doch noch etwas getrunken werden muß, dann trinken Sie mal auf meine scharfen Augen, die es einzig und allein bemerkt haben, daß Fräulein Elsbeth und Bernburg sich vor zwei Minuten verlobt haben und nun immer noch Hand in Hand da sitzen.«

Der Major sprang erregt in die Höhe: »Herr Leutnant, da hört denn aber doch der Witz auf –«

»Selbstverständlich,« meinte Dörmann gelassen, »was ich sagte, war kein Scherz, sondern eine frohe Tatsache. Ich habe Bernburg den Rat gegeben, sich endlich zu verloben, und nun, da er es tat, mußte ich doch auch die Rede halten. Schon die Pflicht der internationalen Höflichkeit verlangt es, daß Sie Ihre Gläser erheben, und darum rufe ich – Aber Herrschaften, das geht doch nicht, Sie müssen doch sitzen bleiben – Na, ich wasche mich in Unschuld, ich kann nichts dafür, daß das Brautpaar kein Hoch bekommt.«

Alle waren aufgesprungen, der Major hielt sein Kind in den Armen, und Bernburg wollte Dörmann Vorwürfe machen, daß der das Geheimnis so schnell verraten hatte, aber Dörmann ließ sich auf keine Unterhandlungen ein: »Seien Sie froh, daß ich vorhin Ihren heimlichen Händedruck bemerkte, als ich aufstand, um einen neuen Aschebecher zu holen. Schelten Sie nicht, sondern freuen Sie sich, daß Sie geboren sind, denn sonst hätten Sie nie und nimmer eine so entzückende Braut gefunden, das können Sie mir glauben.«

Während jetzt Bernburg auf den Major zutrat, ging Gillberg hinaus, um neuen Wein zu holen, denn die Verlobung mußte natürlich ordentlich gefeiert werden.

Dörmann hatte sich indessen an Frau Thea gewandt: »Undank ist der Welt Lohn, gnädige Frau. Ich verlobe die beiden gewissermaßen offiziell, und nun kümmert sich kein Mensch um mich. Sagen Sie mir wenigstens dafür ›danke‹, daß ich die beiden glücklich machte.«

»Glauben Sie wirklich, daß sie es werden? Nach der Theorie, die Sie mir einmal über Offiziersehen entwickelten –«

»Ist Bernburg denn verpflichtet, ewig Leutnant zu bleiben? Ich werde ihm die Vorzüge des Landlebens auseinandersetzen; er kann sich ein schönes Gut kaufen. Will er den bunten Rock anbehalten, wird seine Frau ihn sicher auch dann glücklich machen, die hat ja eine Ehe, wie sie nicht sein soll, zu Hause kennen gelernt. Und er selbst wird ein guter Ehemann werden. Lyrische Tenöre sind immer zart besaitete Naturen, sie ärgern sich und andere schon deshalb nicht, um keinen Schaden an ihrem hohen C zu leiden –«

»Sie sind ein Spötter,« schalt sie; »seien Sie doch ernsthaft.«

»Das ist so gräßlich langweilig, gnädige Frau, und bis zu einem gewissen Grade auch immer ein Zeichen von Dummheit.«

Sie antwortete nicht gleich, dann sagte sie, etwas zur Seite tretend: »Ich möchte trotzdem eine Minute ernsthaft mit Ihnen sprechen. – Ich fahre morgen nach Kopenhagen.«

Er erschrak unwillkürlich: »Hat Fritz sich wieder vergessen? Da soll doch gleich ein heiliges Himmeldonnerwetter dazwischenfahren.«

»Noch ist es nicht so weit,« beruhigte sie ihn, »aber morgen wird es zu einer Aussprache kommen,« und sie schilderte ihm kurz ihre Bedenken.

Er hörte aufmerksam zu: »Gestatten Sie eine sehr banale Frage; haben Sie Reisegeld? Ich weiß nicht, wer bei Ihnen die Kasse führt, aber es macht einen sehr schlechten Eindruck, wenn man für eine Reise, wie Sie sie planen, den teuren Gatten anborgen muß. Sollten Sie meine Dienste brauchen – ich habe nicht ohne Erfolg meinen Hauptmann um fünfhundert Mark angeborgt, und er gibt noch mehr, wenn ich ihn bitte, der Mann hat ein rührendes Gemüt.«

Sie mußte doch lachen: »Möchte der Himmel es Ihnen und ihm erhalten, aber wenn Fritz auch die Kasse hat, ich besitze mehr, als ich brauche. – Und Sie meinen wirklich, daß ich fahren soll?«

Er sah sie fest an: »Ich könnte in diesem Falle selbst meiner eigenen Frau keinen besseren Rat geben. Selbst der würde ich zurufen: Brenn' mir durch, damit mir erst klar wird, was ich an Dir habe.« Und als er ihr trauriges Gesicht bemerkte, fuhr er fort: »Gnädige Frau, Sie dürfen die Sache nicht tragisch nehmen, Sie kaufen sich ein Retourbillett, und in spätestens vierzehn Tagen sind Sie wieder hier. In der Zwischenzeit erziehe ich Ihren Mann, ich will sogar ganz zu ihm ziehen und alle Mahlzeiten mit ihm teilen, er soll nicht einen Augenblick ohne mich sein.«

»Ach ja, bitte, tun Sie das,« kam es in rührender Fürsorge für ihren Mann über ihre Lippen.

»Ich schwöre es Ihnen beim Barte des Propheten, und wenn Fritz mich aus dem einen Bett hinauswirft, um mich los zu werden, dann lege ich mich sofort wieder in ein anderes hinein, oder ich schlafe auf der Chaiselongue. Schlafen werde ich schon irgendwo, deswegen brauchen Sie sich nicht zu ängstigen.«

»Nein, Ihretwegen ist mir auch nicht bange,« meinte sie, trotz aller Sorgen doch wieder belustigt, »aber ich weiß nicht, ob es wirklich das Richtige ist, daß ich gehe.«

»Ganz bestimmt! Ich nehme jede Verantwortung auf mich und stehe für alle Folgen. Nun aber machen Sie ein frohes Gesicht. Noch eins, ich werde Ihnen morgen eine Depesche schicken, was drin steht, ist ja ganz gleichgültig, es macht aber auf die Dienstboten einen besseren Eindruck, wenn Sie sagen, Sie hätten ein Telegramm erhalten, Sie müßten sofort abreisen. Für Fritz lassen Sie einen Brief zurück, Sie hätten Nachricht aus Kopenhagen bekommen, sonst macht er in seiner ersten Erregung vielleicht auch Dummheiten, wenn Sie fort sind. Ich werde ihm dann schon die Augen öffnen. Ein Telegramm verhindert auch jedes Gerede in der Stadt, denn das muß natürlich unter allen Umständen vermieden werden.«

Sie reichte ihm die Hand: »Sie sind uns wirklich ein guter Freund.«

»Eine gute Eigenschaft muß der Mensch doch haben,« lehnte er ihren Dank ab. »Aber da kommt Fritz mit dem Wein zurück, nun wollen wir lustig und fröhlich sein. Denken Sie nicht an morgen, sondern nur an die Zukunft, dann werden Sie heiter werden, vorhin waren Sie es ja auch. Und nun her mit dem Champagner, wir beide wollen das erste Glas darauf leeren, daß Sie mir, natürlich nur bildlich gesprochen, sehr bald um den Hals fallen und zu mir sagen: »Dörmann, Sie haben das Glück meines Lebens wieder hergestellt, an Ihnen ist ein Heiratsvermittler verloren gegangen.«

.


 << zurück weiter >>