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VII.

Frau von Rockhausen kam in einer Stimmung vom Kaffee nach Hause, wie selbst ihre Tochter sie nur selten an ihr beobachtet hatte. Die Demütigungen, die sie erfahren, machten sich infolge ihrer nervösen Überreiztheit in einer Flut von Verwünschungen gegen Frau Josefine, vor allen Dingen aber gegen Frau Thea Luft. Schon auf der Straße sprach sie so laut, daß Elsbeth in beständiger Furcht lebte, einer der Vorübergehenden könnte die Worte hören, aber vergebens beschwor sie ihre Mutter, doch wenigstens auf sie etwas Rücksicht zu nehmen.

Elsbeth war glücklich, als sie endlich ihre Wohnung erreichten. Ihr stiller Wunsch, daß der Vater nicht zu Hause sein möchte, erfüllte sich. Aber was Elsbeth erfreute, regte die Mutter nur noch mehr auf.

»Nie ist Papa da, wenn ich seine Hülfe, seinen Schutz brauche!«

Elsbeth wagte nicht zu fragen, inwiefern der Vater ihrer Mutter helfen solle. Was vorgefallen war, hatte die Mutter ihr unterwegs mit der nötigen Übertreibung geschildert. Sehr taktvoll fand sie das Benehmen von Frau Josefine ja auch nicht, aber vielleicht hatte die wirklich das Beste gewollt und auf ihre Art versucht, ihre Mutter von der ewigen Eifersucht zu heilen. Darüber, ob der Weg, den sie eingeschlagen hatte, der richtige war, ließ sich ja streiten, aber nach Elsbeths gewissenhafter Überzeugung lag keine Veranlassung vor, derartig erregt zu sein.

Vor allen Dingen begriff sie nicht, warum die Mutter die Schale ihres Zornes über Frau Thea ausgoß? Die konnte doch nicht mehr tun, als sich freundlich zu ihrer Mutter setzen, unbefangen mit ihr plaudern und durch doppelte Liebenswürdigkeit vergessen machen, daß einmal eine Differenz zwischen ihnen bestanden hatte. Dazu kam, daß Elsbeth für Frau Thea eine stille Schwärmerei empfand: die war immer ganz anders zu ihr, als die anderen Damen, die sie natürlich auch immer einluden, aber das mehr aus Pflicht als aus Zuneigung taten. Und in wie vielen Familien des Bataillons, das ihrem Vater unterstellt war, erbaten nicht selbst die älteren Damen nur deshalb ihren Besuch, ja sogar ihre Freundschaft, damit das auf ihren Vater einen guten Eindruck mache, damit der den Mann gut behandeln solle, dessen Frau gegen sein Kind liebenswürdig und aufmerksam war.

Elsbeth wußte, was es zu bedeuten hatte, wenn man um ihre Gunst warb! Denn ihr Vater war ein äußerst tüchtiger Offizier, der an sich selbst die höchsten Anforderungen stellte. Er hatte den Ruf, im Dienst zwar gerecht, aber unerbittlich streng zu sein. Er war unbestechlich, Augendienerei und Einschmeicheln halfen bei ihm nichts. Weil die anderen das wußten, versuchten sie dadurch, daß sie Elsbeth verzogen, ihn milde und nachsichtig zu stimmen, besonders in der jetzigen Zeit, in der dienstlich noch höhere Anforderungen gestellt wurden, als sonst. Ja, die Frau eines Hauptmanns, der aus lauter Angst vor einer plötzlichen Verabschiedung schon so nervös war, daß er in Gegenwart der höheren Vorgesetzten selbst die einfachsten Kommandos kaum noch richtig abgeben konnte, – die Frau dieses beklagenswerten Offiziers hatte, obgleich sie mehr als zehn Jahre älter war als Elsbeth, dieser vor kurzem das vertrauliche »Du« angeboten, keinen Widerspruch gelten lassen und die neue Freundschaft mit einem herzlichen Kuß besiegelt. Es hatte Elsbeth auf der Zunge gelegen, der anderen zuzurufen: ob wir uns Du oder Sie nennen, ob ich täglich oder garnicht bei Ihnen verkehre, das ist meinem Vater ganz gleichgültig, er erfährt es nicht einmal von mir! Aber in den traurigen Augen der Hauptmannsfrau las sie die großen Hoffnungen, die diese an die neue Freundschaft knüpfte, sie las darin die Bitte, ihr zu helfen, daß ihr Mann noch nicht den Abschied bekäme. Und das Mitleid, das sie mit ihr verspürte, ließ sie schweigen.

Ganz anders Frau Thea! Die gab sich ebenso wie Frau von Eckern in ihrer frischen Natürlichkeit, für die schien kein Dienst, kein Avancement, kein Kasernenhof und kein Paradefeld zu existieren. Elsbeth wußte, daß sie der jungen Frau wirklich sympathisch war, und daß diese weiter nichts von ihr wollte, als nur ihre Gesellschaft. Sie besuchte sie oft, traf sich mit ihr, um Besorgungen, oder gemeinsame Spaziergänge zu machen. Sie hatte ihre Mutter nicht begriffen, daß diese Frau Thea wegen des Ballkleides zur Rede gestellt hatte, und es vollständig verstanden, daß Frau Thea sich diese Zurechtweisung nicht gefallen ließ. Am liebsten hätte ihre Mutter ihr schon damals den Verkehr untersagt, aber sie wagte es nicht mit Rücksicht auf Frau von Eckern, diese hätte daraus natürlich mit vollem Recht geschlossen, daß der Friede zwischen den beiden doch noch nicht wieder hergestellt sei.

Aber jetzt mußte jeder Verkehr zwischen ihrem Kinde und der anderen aus sein. Darüber war sich Frau von Rockhausen klar. Darüber konnte kein Zweifel mehr bestehen, und schon auf dem Nachhausewege hatte sie das ihrer Tochter gepredigt, und wiederholte es nun immer wieder.

Ganz verständnislos sah Elsbeth sie an: »Wenn ich nur das Warum einsehen könnte, Mama – was hat die arme Frau Dir denn heute getan?«

»Was sie getan hat?« – War es nicht eine an Unverschämtheit grenzende Taktlosigkeit, daß sie sich zu ihr gesetzt hatte! Sie mußte es doch ebenso gut wie jede andere bemerkt haben, was sie sich von dieser hergelaufenen Schwägerin, von der kein Mensch etwas Bestimmtes wußte, hatte bieten lassen müssen! Und da setzte gerade diese Person sich neben sie, um sich an ihrer Niederlage zu weiden! – Das war kein Zufall, das war beleidigende Absicht!

»Und das sage ich Dir – wenn Du noch einmal zu dieser Person ins Haus gehst – noch ein Wort mit ihr sprichst – dann ist es aus mit uns, dann werde ich den Vater bitten, daß er Dich irgendwohin gibt, in irgend eine Familie, in der Du als Gesellschafterin oder sonst irgendwie Stellung findest!«

Elsbeth kannte ihre Mutter: war die in einer Stimmung wie heute, dann nützte alles Widersprechen nichts, dadurch wurde es nur noch schlimmer. Ihre Mutter mußte sich den Ärger vom Herzen herunterreden, das war die einzige Heilung. Was Frau von Rockhausen bei solcher Gelegenheit alles sagte, wußte sie später meist selbst nicht mehr, sie sprach nur immer darauf los, sich immer mehr aufregend, bis dann plötzlich eine körperliche und seelische Ermattung über sie kam, die sie in einen Tränenstrom ausbrechen ließ.

Wenn nur der Vater jetzt nicht nach Hause kommt! war Elsbeths einziger Gedanke, während sie bei der Mutter ausharrte und immer wieder dasselbe anhörte. Kam der Vater, dann ging es nochmals von vorn los, dann wurde jedes Wort, das im Laufe des Nachmittags gewechselt war, nochmals breitgetreten, dann kamen dieselben Anklagen und Verwünschungen, und dann sollte der Vater helfen. Sie sah ihn vor sich, mit seinen guten, klugen Augen, die so lustig lachen konnten und doch bei solchen Szenen so traurig dreinblickten. Sie sah ihn, wie er sich zu beherrschen suchte, wie er sich beständig Mühe gab, sie in Güte zu beruhigen – – bis plötzlich doch seine Geduld riß, bis er mit der Faust auf den Tisch schlug und seinem gewaltsam unterdrückten Zorne Luft machte! Dann half es auch nichts mehr, daß sie zu ihm trat, seine Hände faßte, mit flehenden Augen zu ihm aufsah. Dann konnte es sogar passieren, daß er die Liebe zu seinem einzigen Kind vergaß, daß er sie mit harten Worten anfuhr und sie fragte, ob etwa auch sie die Partei ihrer Mutter nehme – –

Sie gab nie Antwort auf diese Frage. Sie verurteilte die Mutter, wenn die immer von neuem mit ihren grundlosen Verdächtigungen anfing, aber sie konnte auch den Vater nicht verstehen, daß er es übers Herz brachte, so lieblose Worte auszustoßen.

Wenn sie irgend konnte, ging sie hinaus und wartete in ihrem Zimmer, bis der Sturm sich gelegt hatte. In früheren Jahren hatte sie die blutigsten Tränen geweint, wenn sie oben in ihrer Stube die lauten, scheltenden Stimmen der Eltern hörte. Jetzt weinte sie schon lange nicht mehr, die Szenen wiederholten sich zu oft, als daß sie ihr noch Tränen entlocken konnten. Aber das Gefühl der Trauer um ihre verlorene Jugend und das verlorene Eheglück der Eltern befiel sie immer wieder, zugleich aber auch ein Gefühl des Widerwillens gegen diese heftigen Auftritte. Sie begriff dann weder ihren Vater, noch die Mutter.

Und noch viel schlimmer als diese Szenen waren die nachfolgenden Stunden, wenn die Mutter sich bei ihr über den Vater beklagte, wenn der Vater sie zu sich in sein Zimmer rief und ihr sein Herz ausschüttete. Dann ging sie vermittelnd von einem zum andern, bis endlich ein Friede geschlossen wurde, der ewig dauern sollte und oft keinen Tag anhielt.

Wenn nur der Vater jetzt nicht kommt!

Wenn sie gewußt hätte, wo er war, so hätte sie ihm ein Billet geschickt und ihn gebeten, am Abend in der Stadt zu bleiben. Morgen früh dachte die Mutter sicher ruhiger.

»Wo Papa nur bleibt?« fragte Frau von Rockhausen. »Sicher hat er auf der Straße wieder irgend eine schöne Dame getroffen, – vielleicht gar diese Frau Thea, und geht nun plaudernd mit ihr auf und ab, macht ihr den Hof und vergißt darüber ganz, daß er zu Hause Frau und Kind hat –«

»Aber Mama!«

Elsbeths Wangen färbten sich dunkelrot: »Papa hat mir einmal erzählt, daß er Dir in der ganzen Ehe nicht ein einziges Mal Grund zur Eifersucht gegeben hat, daß er Dir stets –« sie schwieg – das Wort »treu« wollte ihr nicht über die Lippen, sie sprach ja von ihren eigenen Eltern. So fuhr sie denn fort: »Papa hat immer nur Dich geliebt, er tut doch nie etwas Unrechtes. Und wenn er auch einmal mit anderen Damen spricht, so ist das doch keine Sünde.«

»Männer pflegen es wenigstens immer als etwas ganz Selbstverständliches hinzustellen, wenn sie sich mit jeder anderen Dame unterhalten, nur nicht mit der eigenen Frau! Die hat man immer, die kann nicht fortlaufen, die ist durch das Gesetz und durch die Kinder gebunden, die bleibt zu Hause und wartet, bis man kommt – das wirst Du schon alles noch kennen lernen, wenn Du erst selbst verheiratet bist.«

»Ich habe Dir schon tausendmal gesagt, Mama, daß ich nie heiraten werde!«

Frau von Rockhausen achtete garnicht auf den festen, bestimmten Ton, der aus Elsbeths Worten klang. »Das ist ja alles Unsinn, das habe ich Dir schon unzählige Male erklärt. Aber so oft ich Dich schon darnach fragte: Du hast mir nie einen Grund angegeben, weshalb Du eine alte Jungfer werden willst.«

»Es ist eben lediglich Empfindungssache,« gab Elsbeth ausweichend zur Antwort. Sie brachte es nicht über das Herz, ihrer Mutter zu sagen: eure Ehe ist mir ein abschreckendes Beispiel, ich will nicht so unglücklich werden, wie du, – aber ich will auch keinen Mann so unglücklich machen.

Wenn das Kapitel von Elsbeths zukünftiger Heirat erörtert wurde, dann vergaß die Mutter darüber selbst den größten Arger. War Elsbeth verheiratet, dann mußte ihr Mann ja einsehen, daß er sie, soweit der Dienst es nicht erforderte, keinen Augenblick allein lassen durfte, dann waren sie ganz auf einander angewiesen, dann lebten sie nur noch für sich, und aus diesem intimen Zusammensein heraus konnte dann mit der Zeit vielleicht doch noch ein neues Glück erstehen – Sie liebte ja ihren Mann über alles, und gerade weil sie das tat, gönnte sie keiner anderen, daß ihr Mann mit ihr sprach oder gar beim Tanz den Arm um sie legte und sie an sich zog. Dann litt sie Höllenqualen. Ihr Mann wußte das doch ganz genau. Warum widmete er sich da nicht nur ihr?

Jetzt konnte er noch zuweilen, wenn er ausging, die Ausrede gebrauchen: du bist ja nicht allein, Elsbeth ist bei dir. – War die erst aus dem Haus, dann durfte er einfach nicht mehr ausgehen – und dann konnte vielleicht doch noch alles wieder gut werden –

Natürlich sagte sie nie, daß sie lediglich aus egoistischen Gründen Elsbeths Verheiratung wünschte, das hätte ja aussehen können, als verlange sie, daß das Kind seiner Mutter ein Opfer bringen solle. Das durfte nie sein. Elsbeth sollte sich ganz frei entschließen. Aber um wenigstens etwas auf ihr Kind einzuwirken, schilderte sie ihr, wenn das Gespräch darauf kam, mit glühenden Farben das Glück der Ehe.

Zuerst hatte Elsbeth diese Worte der Mutter als eine grausame Ironie empfunden, aber bald merkte sie, daß es ihr mit dem, was sie sagte, vollständiger Ernst war. Sie verstand ihre Mutter nicht, aber sie widersprach ihr auch nicht.

So hörte sie auch jetzt, froh, daß das Gespräch eine andere Wendung genommen hatte, sehr aufmerksam zu, als die Mutter auf sie einsprach.

»– – Du solltest wirklich heiraten, Elsbeth, es wird die höchste Zeit für Dich, und augenblicklich ist die Gelegenheit so günstig, wie kaum zuvor! Ich habe absichtlich bisher nicht mit Dir über Bernburg gesprochen – ich dachte, Du würdest von selbst so schlau sein, an ihn zu denken, denn einen besseren Mann kannst Du kaum finden – er ist hübsch, klug, lustig, ein guter Offizier, ist vermögend, und hat einen guten Charakter –«

»Ist es Absicht oder Zufall, daß Du die letzte Eigenschaft zuletzt nennst, Mama?« fragte Elsbeth, »denn der Charakter ist doch die Hauptsache.«

»Ja und nein,« meinte die Mutter nach einigem Nachdenken. »Bernburg ist noch zu jung, um schon heute genau voraussagen zu können, wie sich sein Charakter entwickelt. Er kann so bleiben, wie er ist, er kann viel besser, aber auch viel schlechter werden.«

»Wie kannst Du so etwas von ihm behaupten, Mama! Du kennst doch Bernburg ebenso wie ich genauer als wie die meisten anderen Offiziere. Was Du da sagst, klingt sehr wenig freundlich. Ich finde es nicht hübsch, einem Menschen eine Unbeständigkeit seines Charakters nachzusagen.«

Lebhafter, als sie es gewollt hatte, nahm Elsbeth ihn in Schutz. Sie merkte es nicht, daß ihre Stimme einen ungewöhnlich warmen Klang annahm.

In den Augen der Mutter blitzte es freudig auf, sie hatte es nicht erwartet, daß Elsbeth so energisch seine Partei ergreifen würde. Aus den Worten klang ihr deutlich hervor, daß Bernburg ihrer Tochter keineswegs gleichgültig war. Sollte sich in dem Herzen ihres Kindes, wenn auch vielleicht noch unbewußt, ein anderes Gefühl als nur das der Freundschaft für den jungen Offizier regen?

So sehr sie das auch beschäftigte, sie durfte doch nicht darnach fragen, sie durfte überhaupt nicht so tun, als hätte sie etwas Besonderes aus Elsbeths Entgegnung herausgehört. So sagte sie denn nur: »Du hast mich ganz falsch verstanden. Was ich sagte, sollte in keiner Weise ein Vorwurf sein, einen solchen gegen Bernburg zu erheben hätte ich außerdem nicht die leiseste Veranlassung. Meine Worte waren ganz allgemein gehalten. Denn es ist nach meiner Meinung ganz klar, daß wir im Laufe der Zeit nicht nur unser Äußeres, nicht nur unsere Ansichten und Urteile über eine Sache ändern, sondern in Zusammenhang hiermit auch unseren Charakter selbst. Auch der macht – ebenso wie wir selbst – in uns seine Umwandlungen und seinen Prozeß durch, das ist weder ein Lob noch ein Tadel, sondern etwas ganz Selbstverständliches. – Nur muß man natürlich dahin streben, daß wir uns soviel in der Gewalt haben, um unseren Charakter bis zu einem gewissen Grade selbst zu bilden, daß wir ihn nicht ausschließlich von äußeren Einflüssen formen lassen. Wir müssen sehen, daß wir mit der Zeit besser, aber nicht schlechter werden. Und vor allen Dingen darf ein Charakter sich nicht von heute auf morgen verändern, noch dazu in so schlechter Weise, wie bei dieser Frau Thea –«

»Frau Thea hat sich in ihrem ganzen Wesen nicht ein Atom verändert, Mama; sie ist noch heute genau so, wie am ersten Tag,« verteidigte Elsbeth die Freundin.

Mit einem Male war Frau von Rockhausens Ruhe dahin, man hätte es kaum für möglich gehalten, daß das dieselbe Frau war, die soeben noch ganz gelassen und sachlich ihre Ansicht über die Heirat ihrer Tochter entwickelt hatte. In ihren Augen blitzte es feindselig und mit heiserer Stimme rief sie: »Nach allem, was ich Dir über die Person sagte, wagst Du es immer noch, sie in Schutz zu nehmen? – Solche Unverschämtheit soll ich mir von meinem eigenen Kinde gefallen lassen? Sofort bittest Du mich um Verzeihung!«

»Das kann ich nicht, Mama.«

»Das kannst Du nicht?! Das werde ich Dir zeigen!« Und in einem plötzlichen Zornesanfall sprang sie auf und erhob die Hand zum Schlag.

Mit starren, unbeweglichen Augen sah Elsbeth ihre Mutter an, als wolle sie sie dadurch bannen. Und wirklich ließ diese die Hand sinken. »Du bist nicht wert, daß ich Dich schlage – Du gehst sofort in Dein Zimmer und kommst nicht eher wieder zu den Mahlzeiten herunter, bis Du mich um Verzeihung gebeten und mir versprochen hast, daß Du ein für allemal den Verkehr mit dieser Person aufgibst.«

Als Elsbeth sich anschickte, das Zimmer zu verlassen, klingelte es draußen, und gleich darauf hörte sie auf dem Korridor die Stimme ihres Vaters.

Sie schlüpfte hinaus und flog ihm in die Arme: »Papa – mein lieber Papa –«

Das war alles, was sie in ihrer Erregung sagen konnte. Sie sehnte sich nach seinem Halt, seinem Schutz, sie wollte sich an seiner Brust ausweinen. Die eigene Mutter hatte sie schlagen wollen, sie sah noch die erhobene Hand vor sich, in der Erinnerung daran zitterte und bebte sie am ganzen Körper.

Der Major erriet sofort, daß es wieder einmal eine Szene gegeben hatte, daß sein Kind Zuflucht bei ihm suchte. Ein Gefühl des wärmsten Mitleids – aber auch zugleich des Ekels und des Widerwillens – stieg in ihm auf.

Er küßte Elsbeth zärtlich auf den Mund. »Hast Du solche Sehnsucht nach mir gehabt, mein Liebling? Na, nun bin ich ja bei Dir und habe uns sogar einen Gast mitgebracht.«

Er sah sich um: »Wo stecken Sie denn eigentlich, Bernburg?«

Der war, als Elsbeth ihrem Vater in die Arme flog, unwillkürlich ein paar Schritte zurück auf den Vorflur getreten. Er ahnte, daß eine besondere Veranlassung dieser stürmischen Begrüßung zu Grunde lag, und wollte durch seine Anwesenheit nicht gleich im ersten Augenblick stören. Jetzt aber trat er durch die noch offenstehende Korridortür heran: »Ich habe mir nur noch die Füße gereinigt, Herr Major.«

»Na, kommen Sie nur.« Und zu seiner Tochter gewandt fuhr der Major fort: »Ja, Elsbeth, das ist eine Überraschung, was? – Denk' Dir, ich habe es erst heute zufällig erfahren, daß Bernburg neulich Deine Pakete trug, als er zu spät zum Dienst kam! Du hast mir ja auch nichts davon erzählt, und so hatte er ungerechterweise auch noch Grobheiten zu hören bekommen – – na, bei einer Flasche Wein wollen wir uns heute abend wieder vertragen, was, Bernburg?«

»Meinetwegen können es auch zwei sein, Herr Major.«

Der Major lachte auf: »Gott erhalte dem preußischen Leutnant seine Frechheit! Mit der erringt er im Frieden ebenso viel Siege, wie im Kriege mit seiner Taktik.«

»Wenn nicht noch mehr, Herr Major! Denn unsere Frechheit wird selbst von den Vorgesetzten anerkannt, während unsere Taktik – wenigstens in den Augen der Höheren – Unsinn ist.«

»Stimmt,« pflichtete der Major ihm bei, während beide Herren sich der Paletots entledigten und die Säbel abschnallten.

Sie hatten das Gespräch absichtlich in einem lustigen, übermütigen Ton geführt, um Elsbeth dadurch Gelegenheit zu geben, sich zu sammeln. Und es gelang ihr auch. Sie freute sich aufrichtig über die Anwesenheit des Gastes. So war wenigstens heute abend keine Wiederholung der Aussprache zu befürchten. Auch der Befehl, ihr Zimmer aufzusuchen, wurde jetzt hinfällig. Sobald der Vater nach Hause kam, hätte er sie doch wieder heruntergeholt, das tat er stets, wenn die Mutter sie fortschickte, und natürlich kam es auch dann deswegen stets zu einer erregten Aussprache zwischen den Eltern. Auch die blieb nun heute allen erspart.

Gleich darauf betraten alle das Wohnzimmer, in dem die Hausfrau ihren Gast mit der grüßten Liebenswürdigkeit empfing. Sie hatte den Streit mit Elsbeth schon wieder ganz vergessen, sie dachte jetzt nur noch daran, daß sie dieser vorhin geraten hatte, Bernburg zu heiraten, und nahm es als ein äußerst günstiges Zeichen, daß er gerade heute abend zu ihnen kam!

Und zu dieser einen Freude gesellte sich noch eine andere: Bernburg war ja mit Gillberg sehr befreundet, er ging dort häufig ein und aus. Wenn sie das Gespräch geschickt auf ihre Feindin brachte, konnte sie sicher manches erfahren, was sie später als Waffe gegen sie gebrauchen konnte –

Diese Aussicht machte sie so froh, daß sie garnicht daran dachte, in den nächsten Stunden mit ihrem Mann nicht über Josefine und Frau Thea sprechen zu können – – An Josefine wagte sie sich mit ihrem Zorn nicht heran, die war die Schwester ihres Kommandeurs, und er hielt das Geschick ihres Mannes in Händen, da mußte Frau Thea für die andere mitbüßen – –

Bernburg war einmal fast ein Vierteljahr hindurch bei dem Major stellvertretender Adjutant gewesen, als der andere durch Krankheit längere Zeit dem Dienste fern gehalten wurde. Das hatte die beiden Herren einander näher gebracht, und der Major hatte den andern oft zu sich ins Haus gebeten. Bernburg war stets gern gekommen, denn Elsbeth gefiel ihm. Schon, daß sie absolut nicht geheiratet sein wollte, war ihm an ihr außerordentlich sympathisch. Und dann hatte sie noch eine andere gute Eigenschaft, die er ihr »himmelhoch« anrechnete, wie er es nannte. Sie forderte ihn nie auf, zu singen, trotzdem er der lyrische Tenor des Regiments war. Er war kein großer Sänger vor dem Herrn, das wußte er selbst am besten, die Töne, die er in der Kehle hatte, reichten für den Hausbedarf, und an Kaisers Geburtstag auch zur Unterstützung des gemeinschaftlichen Kirchengesanges; viel mehr war nicht damit los. Aber auf allen Gesellschaften wurde er trotzdem gebeten: »Ach, bitte, Herr Leutnant, singen Sie doch – singen Sie doch!« Er sang, um diesen Quälereien ein Ende zu machen, und er wurde angestaunt und angehimmelt, als wenn Carusos Tenor im Vergleich mit seinen paar Tönen eine knarrende Schublade wäre! Es war einfach ekelhaft, aber er war ja für Leutnantsverhältnisse sehr reich – – da war für die anderen alles an ihm vollkommen – –

Der Major war ebenso wie seine Frau gänzlich unmusikalisch, deshalb begriff er es vollkommen, daß seine Kerls so oft beim Schlag der großen Trommel den falschen Fuß aufsetzten! Er hatte es in seiner Jugend auch nicht anders gemacht. Trotzdem mußte er seine Leute jetzt immer anfahren, sie immer wieder fragen: wie so etwas nur möglich wäre? Er nannte das selbst eine Tragikomödie, die er am liebsten nicht mehr aufgeführt hätte. Aber sie stand auf seinem täglichen Repertoir.

Im Gegensatz zu ihren Eltern war Elsbeth selten musikalisch veranlagt. Kein Mensch wußte, von wem sie dieses Talent geerbt hatte, aber es war da. Und weil es so gut ausgeprägt war, bat sie ihn nie, zu singen: für sie war seine Stimme kein ungetrübter Genuß.

So saß er auch jetzt in dem erhebenden Gefühl mit der Familie zusammen, nicht nach dem Abendessen das schöne Lied von dem Einschneiden in alle Rinden, das ein Kamerad nach seiner Meinung noch viel kürzer und prägnanter einfach das »Einschneide-Lied« nannte, oder sonst etwas Ähnliches singen zu müssen! Er plauderte in seiner lustigen Weise darauf los, Sinn und Unsinn durcheinander, und war froh, wenn ein Lachen einmal seinen Worten folgte. Mehr verlangte er garnicht von sich, als daß es ihm gelingen möchte, Elsbeth lustig zu stimmen und sie ihre Sorgen vergessen zu machen. Denn wenn sie sich auch noch so zu verstellen suchte, er merkte es ihr doch an, daß sie unter der Nachwirkung eines heftigen Auftrittes litt – –

Beim Abendessen kam das Gespräch natürlich auf die bevorstehende Ankunft Sr. Hoheit.

Und da geschah es, daß Bernburg ganz unbeabsichtigt und ohne an die Tragweite seiner Worte zu denken, lebhaft, wie er war, im Laufe des Gespräches plötzlich sagte: »Übrigens hatten wir neulich mittags einmal eine lebhafte Debatte bei der schönen Frau Thea – Pardon, ich meinte natürlich: bei Frau von Gillberg. Sie behauptete: als Ausländerin könne sie nicht begreifen, worin die Auszeichnung bestände, einen Namenszug zu erhalten und dadurch beinahe Garde zu werden. Vergebens bemühten wir uns, ihr das klar zu machen. Bei einer anderen Dame hätte man so etwas natürlich nicht für möglich gehalten, aber diese reizende Frau kann sagen, was sie will, man kann ihr nichts übelnehmen. Und das Interessanteste war, wie sie ihre Behauptung begründete.«

»Da bin ich wirklich sehr begierig –«

Frau von Rockhausen sah den Sprecher voller Spannung an: nach außen schien sie ganz ruhig, nichts an ihr verriet die fieberhafte Erregung, in der sie sich befand. Da hatte sie mit einem Male, was sie suchte! Diese Frau Thea wagte es, öffentlich in ihrem Hause auszusprechen, daß es keine Auszeichnung sei, einen fürstlichen Namenszug zu erhalten! Wenn das die höheren Vorgesetzten erfuhren, wenn das Seine Hoheit wüßte –! Wenn sie das wüßten! Und erfahren würden sie es – dafür wollte sie schon sorgen. Ein stolzes Glücksgefühl erfüllte sie, jetzt war sie ihrer Beute sicher, die konnte ihr nun nicht mehr entgehen – –

Bei Bernburgs Worten hatte Elsbeth erschrocken ihre Mutter angesehen, und das blitzschnelle freudige Aufleuchten in deren Augen beobachtet. Die Furcht schnürte ihr jetzt das Herz zusammen. War Thea wirklich so unvorsichtig gewesen, so etwas zu sagen? Dann standen ihr entsetzlich schwere Stunden bevor, besonders wenn Bernburg, der garnicht zu wissen schien, was er da sagte, noch weitersprach – –

So warf sie ihm denn einen flehenden Blick zu, aus dem eine solche Angst sprach, daß Bernburg mit einem Male die grenzenlose Dummheit erkannte, die er gemacht hatte. Wie mache ich das wieder gut? dachte er. Denn ebenso wie sein Freund Dörmann und die meisten anderen Leutnants schwärmte auch er für die hübsche junge Frau. Und er erschrak bei dem Gedanken, ihr irgendwelche Unannehmlichkeiten zu bereiten.

Da kam ihm Hülfe von einer Seite, auf die er am wenigsten gezählt hatte: »Frau Thea hat neulich mit mir dasselbe Thema erörtert,« meinte gelassen der Major, den Bernburgs Worte auch erschreckt hatten, »sie liebt es ja nun einmal, kühne Behauptungen, an die sie natürlich selbst nicht glaubt, aufzustellen, um dadurch eine Diskussion herbeizuführen, die sie mit ebenso viel Geschick wie Geist durchführt – – ich nannte sie neulich einmal den weiblichen Oskar Wilde – der sagte ja auch immer das Gegenteil von dem, was er meinte und lachte dann laut auf, wenn er durch seinen scharfen Verstand und durch seine trügerische Beweisführung es dahin gebracht hatte, daß die Leute sagten: ja ja, der Mann hat Recht! Und die merkten dann garnicht, daß sie auf den Leim gelockt waren. – Genau so macht es Frau Thea. Sie ist eine selten kluge und gescheite Frau.«

Natürlich hatte der Major nie mit ihr über diesen Punkt gesprochen. Was Bernburg ihm da sagte, war ihm vollständig neu, aber er übersah sofort die Folgen, die Theas Worte, wenn sie bekannt wurden, für sie haben konnten. So nahm er sie denn jetzt in Schutz, aber er nahm sich auch zugleich vor, morgen mit ihrem Mann zu sprechen. So etwas durfte sie in Zukunft nicht wieder sagen.

Na, für den Augenblick war die Gefahr beseitigt. Vor allen Dingen hatte er seiner Frau eine Waffe gegen ihre Feindin entrissen.

Elsbeth und Bernburg warfen ihm einen dankbaren Blick zu, und in Elsbeths Wangen kehrte die Farbe zurück: »Auch ich habe neulich mit Frau Thea darüber gesprochen,« rief sie schnell, »sie erzählte mir von jenem Mittag und amüsierte sich köstlich, daß die klugen Herren der Schöpfung so auf ihren Scherz hineingefallen wären!«

»Es ist ein Elend mit uns Männern,« meinte Bernburg, der sich inzwischen von seinem Schrecken erholt hatte. »Je geistreicher wir sein wollen, desto dümmer sind wir. – Das geht natürlich nur auf Untergebene, Herr Major –« meinte er übermütig, »die hohen Vorgesetzten brauchen sich durch diese weisen Worte nicht getroffen zu fühlen.«

»Nur gut, daß Sie das selbst eingestehen,« neckte der Major, »sonst hätte ich morgen Gelegenheit genommen, einmal mit Ihnen »unter vier Augen« zu sprechen und Ihnen da zu beweisen – –«

»Ich hätte es Ihnen auch so geglaubt, Herr Major! Intime Aussprachen unter vier Augen haben ja allerdings ihren Reiz – wie Dörmann sagen würde. Aber – es kommt auf die Augen an, besser gesagt: darauf, wem sie gehören –«

Frau von Rockhausen saß während dieser etwas gewaltsam herbeigeführten Neckerei, die das Gespräch von dem verfänglichen Thema ablenken sollte, in der höchsten Erregung da. Sie hatte geglaubt, den Sieg über ihre Feindin in der Hand zu haben, und nun sollte er ihr wieder genommen werden –! Natürlich glaubte sie kein Wort von dem, was ihr Mann und Elsbeth sagten – das geschah ja nur, um die andere zu retten, sie vor ihrem Zorn zu schützen. Es erfüllte sie mit grenzenloser Wut, daß ihr Gatte und ihr eigenes Kind ihre Todfeindin gegen sie in Schutz nahmen, aber so leicht, wie die anderen glauben mochten, wollte sie sich doch nicht zufrieden geben! So fragte sie denn ihren Mann plötzlich: »Wann hast Du Dich denn mit Frau Thea über diesen mehr als interessanten Punkt unterhalten? Davon hast Du mir ja garnichts erzählt.«

Ohne gleich zu antworten, bot der Major seinem Gast eine Zigarre an und reichte dann auch das Streichholz: »Wann war es doch noch? – Ich glaube, vor drei Tagen – oder vor vier – oder sonst irgendwann – ich traf sie auf der Straße.«

»Und das hast Du mir verschwiegen –?«

Ihre Eifersucht wurde schon wieder wach. Daß Frau Thea so gesprochen haben sollte, wie ihr Mann es sagte, glaubte sie nie und nimmer. Aber zusammen gewesen sein konnte er trotzdem mit ihr. Und Frau Thea hieß ja nun einmal im Regiment »die schöne Frau Thea«. Ob mit Recht oder Unrecht blieb sich gleich. Die Männer haben ja in den seltensten Fällen einen eigenen Geschmack. Wenn eine Frau den Ruf hat, hübsch zu sein, dann machen ihr alle den Hof, die jungen und die alten, und die letzteren erst recht, um den Anschein zu erwecken, als wären sie noch jung.

Der Major warf seiner Frau einen Blick zu, der sie daran erinnern sollte, daß sie nicht allein seien, dann sagte er: »Entschuldige, bitte, daß ich vergaß, Dir davon zu erzählen,« und um das Gespräch abzubrechen, fuhr er fort: »Wenn nicht alle Anzeichen trügen, gibt es ja doch nichts mehr zu essen, und da wir auch schon rauchen, trinken wir unseren Wein wohl besser nebenan zu Ende.« Und ohne die Antwort seiner Frau abzuwarten, erhob er sich.

Doch wenn er geglaubt hatte, damit das Gespräch von Frau Thea abgebracht zu haben, irrte er sich sehr. Auch als man im anderen Zimmer zusammensaß, fing seine Frau von neuem davon an und versuchte, Bernburg auszuhorchen. Aber der war in der Erinnerung an den Blick, den Elsbeth ihm zugeworfen hatte, sehr vorsichtig: »Ich kenne die gnädige Frau leider sehr wenig, ich bin erst einige Male in ihrem Hause gewesen, – da hat sie mir allerdings ausgezeichnet gefallen. Wie der Herr Major vorhin schon sagte, ist sie sehr klug und begabt, aber in vieler Hinsicht noch wie ein Kind, übermütig und lustig.« Mehr als solche ganz allgemeine Redensarten waren nicht aus ihm herauszubringen.

Aber eine lustige, unbefangene Unterhaltung wie sonst wollte nicht aufkommen. Bernburg las in Elsbeth's Zügen eine innere Unruhe, und auch der Major, der da ahnen mochte, daß der heutige Abend noch mit einer großen ehelichen Diskussion enden würde, war stiller und ernster, als er sonst zu sein pflegte, wenn er Gäste hatte.

So erhob Bernburg sich denn schon sehr früh: »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich bereits aufbreche, gnädige Frau, – aber ich habe fest versprochen, noch in den Klub zu kommen, es sind ein paar auswärtige Herren dort zum Besuch, die ich gern noch einen Augenblick begrüßen möchte.«

»Willst Du nicht auch noch mitgehen, Vater?« bat Elsbeth, der vor der kommenden Stunde graute.

Aber seine Frau hielt ihn zurück: »Ich bitte Dich herzlich, Otto, bleib' hier. Ich möchte noch etwas mit Dir besprechen, das keinen Aufschub duldet.«

Der Major wäre sehr gern mitgegangen. Nun konnte er es nicht, wenn er seiner Frau gegenüber in Gegenwart seines Gastes nicht unhöflich erscheinen wollte. So sagte er denn: »Sie hören es, Bernburg, höhere Pflichten halten mich zurück. Aber einen guten Rat will ich Ihnen geben: wenn Sie jemals heiraten, gewöhnen Sie Ihrer Frau an, ernste Dinge mit Ihnen nie am Abend, sondern immer mittags zu besprechen, wenn Sie vom Dienst kommen. Dann sind Sie doch sowieso schon schlechter Laune, da bleibt sich's gleich. Aber eine ernste Aussprache vor dem Schlafengehen – das verdirbt den Teint.«

Es sollte scherzhaft klingen, aber man hörte den Ernst deutlich heraus.

»Ich will es mir merken, Herr Major.« Bernburg versuchte, eine lustige Antwort zu geben, aber es gelang ihm nicht. Eine drückende Stimmung lag im Zimmer. So verabschiedete er sich schnell, und als er noch auf der Treppe war, hörte er schon Frau von Rockhausens laute Stimme. Unwillkürlich beschleunigte er, sobald er auf der Straße war, seine Schritte. Er wollte nicht daran denken, daß sich da oben nun wieder eine jener Szenen abspielte, die dann durch die Indiskretion der Dienstboten weitergetragen wurde und die Runde bei allen Familien machte. –

Er wollte nicht daran denken. Aber selbst im Kreise der lustigen Kameraden dachte er nichts anderes. Immer sah er Elsbeth's verstörtes und angstvolles Gesicht vor sich, das sie, als er ging, trotz aller Selbstbeherrschung nur zu deutlich zur Schau getragen hatte.

Ihm war förmlich, als höre er beständig die laute Stimme der Frau von Rockhausen, und vor seinen Augen sah er ganz deutlich den heftigen Auftritt vor sich, der sich in denselben Räumen abspielte, in denen er noch eben als Gast geweilt hatte.

Einfach widerlich! Wenn man solche Ehe sieht, könnten einem allerdings alle Heiratsgedanken vergehen!

Er war ein stiller Gast im Kreise der Zecher, und trotzdem er schneller und mehr trank, als es sonst seine Gewohnheit war, wurde er doch nicht lustig. So machte man auch nicht ernstlich den Versuch, ihn zurückzuhalten, als er schon nach einer Stunde aufbrach.

Zu Hause ging er noch lange in seinen Zimmern auf und ab. Seine Gedanken waren bei Elsbeth. Wenn die nicht geschworen hätte, nicht zu heiraten, dann verdiente sie es wirklich, daß bald ein Mann für sie käme und sie aus dem Elternhaus fortnahm.

Aber die Mutter – wer nahm die mit in den Kauf!

Wieder hörte er im Geiste ihre keifende Stimme, er sah Elsbeth mit entsetztem Gesicht, ganz verstört, die Augen voller Tränen, dastehen, die Hände gefaltet, ein Bild stiller Ergebung in dem gräßlichen Streite der Eltern –, und eine namenlose Wut befiel ihn plötzlich. – –

Dröhnend schlug er mit der Faust auf den Tisch. » Der Frau möchte ich einmal meine Meinung sagen, so deutlich, als wäre sie ein Rekrut, dem man alles sagen kann, was man will und der doch von Staats- und Rechtswegen das Maul halten muß! Da würde sie Dinge zu hören bekommen, die in keinem goldenen Buch der Sitte und in keinem Konversationslexikon stehen – –«

»Und ich werde ihr auch die Wahrheit sagen!« beschloß er plötzlich. »Elsbeth's wegen will ich ihr einmal grob werden, so hahnebüchen deutlich, wie sie es verdient – das schwöre ich beim Styx und bei dem Raub der Sabinerinnen –!«

Unwillkürlich erhob er die Finger zum Schwur, aber gleich darauf bekam er's mit der Angst: was würde der Major sagen, wenn er gegen dessen Frau unhöflich wurde? Die Sache konnte ihm unter Umständen den Kragen kosten.

»Und wenn schon,« sagte er sich, was der Mensch schwört, muß er auch halten.

Er sah nach der Uhr: er hatte noch keine Lust, zu Bett zu gehen. So setzte er sich denn in seinen Lehnstuhl und zündete sich noch eine Zigarre an.

»Ich will mich etwas auf die Rede vorbereiten, damit ich im gegebenen Augenblick auch weiß, was ich sagen soll.«

Aber als er in seinem Stuhl saß, da dachte er weniger an Frau von Rockhausen, als an Elsbeth – – Herrgott, das war ja gar kein Leben, das die führte, die verdiente wirklich bald einen netten Mann!

Er hielt Umschau unter allen seinen Bekannten, aber keiner schien ihm gut genug. Und er kam schließlich zu der Überzeugung, daß er der einzige wäre, der zu Elsbeth paßte – –

Und war er erst mit ihr verlobt, dann hatte er nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, seiner Schwiegermutter grob zu werden, dann mußte er seine Frau vor häßlichen Szenen schützen, ihr jedes Leid und jeden Kummer fernhalten.

Aber noch war er ja garnicht verlobt, und bisher hatte er sich auch noch garnicht vorgenommen, um Elsbeth zu werben!

Unwillkürlich dachte er zurück an den Mittag, als er den Himmel um ein Zeichen gebeten hatte, wen er heiraten solle – – da war ihm Elsbeth begegnet – sollte das wirklich mehr als ein Zufall gewesen sein?

Die Zigarre näherte sich dem Ende und er erhob sich, um sich schlafen zu legen. Als er das Schlafzimmer betrat, fand er dort einen Zettel vor, den der Bursche ihm hingelegt hatte:

 

»Dienstveränderung!

Die Instruktionsstunde von 7 bis 8 von dem Herrn Leutnant fällt aus.

Dafür um 6 Uhr Abmarsch der Kompagnie zu einer Gefechtsübung im Gelände.

A. B.
Pauser, Feldwebel.«

 

»Das heißt mit anderen Worten, daß man anstatt um sechs, schon um fünf aufstehen darf – und jetzt ist es« – er warf einen Blick auf die Uhr – »hol's der Teufel! schon gleich halb drei. Das kommt davon, wenn man sich mit seiner Schwiegermutter beschäftigt, ehe man sie noch hat. Na warte, du sollst mir's büßen, daß ich jetzt nur zwei und eine halbe Stunde schlafen kann –«

Dann kleidete er sich schnell aus und ihm war, als hätte er eben erst angefangen, von Elsbeth zu träumen, als sein Bursche ihn schon rüttelte und schüttelte und ihn daran erinnerte, daß es nun die höchste Zeit sei, aufzustehen – – –

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