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[X.]

Es war am nächsten Vormittag und Frau Josefine hatte beschlossen, bei dem prachtvollen Sonnenschein vor dem Luncheon noch eine Ausfahrt zu machen. Der Tag war wunderschön, da mußte es doch ein doppeltes Vergnügen sein, sich von den anderen bewundern und beneiden zu lassen.

Seit mehr als vierzehn Tagen hatte sie nun schon ihr Gespann: zwei wundervolle Füchse. Und ihr Hauptvergnügen bestand jetzt darin, spazieren zu fahren, vor den verschiedenen Geschäften zu halten und sich dann ihre Pakete an den eigenen Wagen bringen zu lassen. Immer von neuem freute es sie, auf die Frage des Verkäufers: »Wohin dürfen wir die Sachen schicken?« antworten zu können: »Mein Coupee hält draußen.« Dann wurden die Bücklinge und die Verbeugungen noch 'mal so tief, und man flog noch mehr als sonst, um ihr die Tür zu öffnen.

»Es genügt nicht, wenn die Leute wissen, daß man reich ist, man muß es ihnen beständig unter die Nase reiben, man muß ihnen Pferd und Wagen zeigen, ihnen sagen: ›seht euch das an, und dann wundert euch. Das ist mein Eigentum.‹ Dann bekommen die Menschen erst den richtigen Respekt vor den Dukaten. Der sparsame Mensch, der seine Millionen auf der Bank hat, gilt nach außen hin nicht halb so viel wie der Lebemann, der keinen Groschen sein eigen nennt, aber trotzdem auf Gummirädern dahinfährt.«

Josefine philosophierte auf ihre Art, während sie von Geschäft zu Geschäft fuhr und tausend unnütze Sachen kaufte, nur, um im Laden sagen zu können: »Mein Coupee wartet draußen.« –

In den ersten Tagen fuhr Josefine ganz allein. Das war Absicht. Es sollte den Kaufleuten erst in Fleisch und Blut übergehen, daß das Gespann ihr privilegiertes Eigentum sei, dann konnte Frau Rita später auch gerne einmal von »ihrem« Wagen sprechen – man wußte dann ja doch, wem er in Wirklichkeit gehörte. –

Frau Rita durchschaute ihre Schwägerin natürlich sehr genau. Und das nahm ihr schnell die Freude an dem schönen Gespann. Sie blieb fast immer zu Hause, wenn Josefine hatte anspannen lassen. Es machte ihr kein Vergnügen, nur mitfahren zu dürfen, sie war doch kein kleines Kind mehr, das in die Hände klatscht, wenn es mitgenommen wird. Dazu kam, daß sie es ihrer Stellung nach außen hin schuldig zu sein glaubte, zum wenigsten als gleichberechtigte Besitzerin des Wagens zu gelten. Sie wollte nicht, daß es bei den Vorübergehenden hieße: »Da fährt Frau von Eckern in dem Coupee ihrer Schwägerin.«

Auch heute setzte sie Josefine's Bitten, sie zu begleiten, allen nur denkbaren Widerstand entgegen und suchte immer nach einem neuen Vorwand, um sich frei zu machen. Sie haßte diese gemeinsamen Ausfahrten. Josefine lehnte sich dann in ihrem wundervollen Zobelpelz mit dem breiten Hermelinkragen, den sie, wie sie überall erzählte, für den geradezu fabelhaft billigen Preis von Zwanzigtausend Mark gekauft hatte, so bequem in ihre Ecke zurück, daß sie selbst ganz steif und aufrecht sitzen mußte. Sie kam sich dann immer vor wie eine Hofdame, die ihre Fürstin auf einer Spazierfahrt begleitet, und manchmal wunderte sie sich wirklich, daß Josefine sie nicht bat, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen.

Im allgemeinen war es Josefine viel lieber, wenn sie allein fahren konnte. Nur wenn Rita sich gar zu sehr sträubte, legte sie auf ihre Begleitung aus tausend Gründen Gewicht, deren einziger natürlich nur darin bestand, Ritas Widerstand zu brechen.

So sagte sie auch jetzt, als Rita nach einer neuen Ausflucht suchte: »Ich habe Euch wirklich so viele Opfer gebracht, daß Du mir doch wohl dieses kleine bringen kannst, mich zu begleiten.«

Damit überwand sie stets jeden Widerstand. Diesem Wort mußte Frau Rita sich immer fügen, und so sagte sie denn: »Wenn Dir wirklich soviel daran liegt, daß ich mit Dir fahre, dann will ich mich dazu umziehen. Bitte, entschuldige mich.«

»Gewiß, mein Kind,« meinte Josefine so freundlich wie nur möglich, »aber Du beeilst Dich wohl nach Kräften – der Wagen kommt bereits in fünf Minuten, und ich möchte nicht, daß meine Pferde zu lange draußen stehen müssen. Mein Kutscher hat mich darüber belehrt, daß den Tieren nichts so sehr schadet, wie lange unter dem Geschirr auf demselben Fleck zu stehen.«

Wieder das Wort »mein«!

Es war ja absichtlich gesprochen, um sie zu ärgern. Das wußte Frau Rita ganz genau – und trotzdem ärgerte sie sich immer aufs Neue darüber. Aber sie beherrschte sich doch soweit, daß sie der Anderen ihren Verdruß nicht verriet.

»Ich will tun, was ich kann – ob ich allerdings schon in fünf Minuten fertig sein werde –? Na, ich will es versuchen.«

Aber es dauerte doch beinahe eine halbe Stunde, bis sie ganz umgezogen war und wieder zu ihrer Schwägerin ins Zimmer trat. Natürlich befand sich Josefine in der denkbar schlechtesten Laune, daß sie so lange hatte warten müssen, und ihre Stimmung wurde dadurch nicht besser, daß in dem Augenblick, als sie endlich gehen wollten, der Diener hereintrat und eine Visitenkarte überbrachte.

Das fehlte gerade noch, daß jetzt Besuch kam!

Josefine war außer sich. Mußte man nun noch länger warten, dann war die Promenade leer – wozu fuhr man dann überhaupt noch aus – da konnte man ja ebensogut zu Hause bleiben!

»Haben Sie denn nicht gesagt, daß wir im Begriff sind, spazieren zu fahren?« herrschte sie den Diener an, »das konnten Sie doch von selbst wissen, daß wir jetzt keine Besuche empfangen.«

Der wohlerzogene Diener hielt es vollständig unter seiner Würde, Josefine zu antworten. Die behandelte er schon lange als »flüssige Luft« – die existierte für ihn garnicht und es war ihm ganz unbegreiflich, wie seine Herrschaften sich »ein so zanksüchtiges und hochnäsiges Frauenzimmer« hatten einladen können – die waren doch glücklicherweise in der Lage, auf das Geld der andern pfeifen zu können. Warum pfiffen sie da nicht? Das war eins von den vielen Welträtseln, die er nicht zu lösen vermochte.

»Nehmen die gnädige Frau an?« wandte er sich an seine Herrin, und wie zufällig drehte er dabei Josefine den Rücken.

»Gewiß. Ich lasse sehr bitten.« Und zu Josefine gewandt, setzte sie hinzu: »Frau Thea, Frau Leutnant Gillberg besucht mich.«

Josefine war versöhnt: »Ach, die hübsche kleine Frau! Das freut mich. – Aber was wird nun aus unserer Ausfahrt? Weißt Du was? Die lade ich ein – die kann mit uns fahren! Hoffentlich begegnen wir der Rockhausen – die ärgert sich dann 'nen ganzen Tuschkasten an.«

Aber als Frau Thea gleich darauf ins Zimmer trat und die beiden Damen begrüßte, mußte Josefine zu ihrem Bedauern nur zu schnell merken, daß die junge Frau für eine Ausfahrt nicht zu haben war. So sehr sie sich auch bemühte, ruhig und gelassen zu erscheinen, gelang es ihr dennoch nicht, sich zu beherrschen, man merkte ihr deutlich eine große Erregung an.

Frau Rita erriet sofort, daß ihr Besuch nicht nur kam, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen oder um mit ihr über gleichgültige Dinge zu plaudern. So sagte sie: »Ich kenne Sie heute kaum wieder, liebe Frau Thea – Ihr kleines Gesicht sieht ja ganz verzagt und vergrämt aus – kann ich Ihnen helfen? Ich tue es gern. Das wissen Sie.«

Frau Thea hätte nur zu gern gleich ihre Sorgen ausgeschüttet, aber Josefines Anwesenheit hielt sie davon zurück. »Sie sind freundlich, wie immer, gnädige Frau, und ich kam auch, um – Ihren Rat zu erbitten, – aber – ich weiß nicht – –«

Frau Rita verstand und wandte sich an ihre Schwägerin: »Du siehst, liebe Josefine, daß ich Dich doch nicht begleiten kann – bitte, fahr' nur allein, und nimm auf mich gar keine Rücksicht.«

Aber Josefine dachte nicht daran, sich fortschicken zu lassen. Sie witterte irgend etwas sehr Interessantes – und das sollte sie nicht mit anhören?! Spazierenfahren konnte sie ja jeden Tag. Aber das, was ihr hier jetzt bevorstand, bot sich ihr so leicht gewiß nicht wieder!

»Du weißt, liebe Rita, daß es mir gar kein Vergnügen macht, ohne Dich zu fahren; bitte, klingele dem Diener, er soll dem Kutscher sagen, daß er wieder in den Stall fährt und ausspannt.«

Frau Rita sah es ein: Josefine blieb. So klingelte sie denn und gab dem Diener den nötigen Auftrag. Dann wandte sie sich an Frau Thea:

»Und nun sprechen Sie, liebe, kleine Frau, Sie brauchen sich vor meiner Schwägerin in keiner Weise zu genieren.«

»In keiner« pflichtete Josefine ihr bei. »Sie wissen, wie ich Sie gleich am ersten Tag in mein Herz geschlossen habe – und wenn auch ich Ihnen vielleicht raten oder helfen kann, dann tue ich es mit ganz besonderem Vergnügen –«

So blieb denn Frau Thea nichts anderes übrig, als Frau von Eckern und deren Schwägerin alles zu erzählen. Aber noch viel aufmerksamer, als diese, hörte Josefine zu. Schon die ersten Worte »anonyme Briefe« nahmen sie vollständig gefangen. Das war ihr Fall! Das war für sie so ziemlich das Schönste, was es auf der Welt gab – – welch ein Glück, daß sie sich nicht hatte fortschicken lassen! Sie saß da, weit vornüber gebeugt, und lauschte der Erzählung der jungen Frau mit der Miene eines Untersuchungsrichters.

»Das ist ja unerhört – einfach skandalös! Meine liebe, arme, kleine Frau, was müssen Sie in der Zeit alles durchgemacht, was müssen Sie gelitten haben! Warum sind Sie nicht eher zu uns gekommen, um sich Trost zu holen! Sie wissen doch – nirgends auf der Welt haben Sie so treue Freundinnen wie meine liebe Schwägerin – und mich!«

Josefine fand garnicht Worte genug, um ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben. Im Grunde ihres Herzens machte ihr die Sache natürlich – trotz der Freundschaft, die sie für Frau Thea empfand – das denkbar größte Vergnügen.

Frau Rita war bei dem Bericht der kleinen Frau ganz blaß geworden. Und das sagte mehr als alle Worte, wie entsetzlich unangenehm ihr der ganze Vorfall war.

»Ich bin mit Ihnen außer mir und fühle es Ihnen vollständig nach, liebste Frau Thea, daß Sie so erregt sind, aber es ist schwer, sich gegen die Niederträchtigkeit der Menschen zu schützen, wenn die nicht den Mut haben, mit ihrer Person für ihr Tun einzustehen. – Glauben Sie wenigstens eine Ahnung zu haben, wer Sie mit diesen Briefen verfolgt?«

»Ich glaube es nicht nur zu wissen, gnädige Frau, ich weiß es sogar,« sagte Frau Thea mit leiser, aber fester Stimme.

Ein: »Ah!« der gespanntesten Erwartung entrang sich Josefinens Herzen. Das wurde ja immer interessanter, man kannte den Schuldigen bereits! Allerdings, der Reiz, den Täter zu ermitteln, ging ja dadurch verloren, ebenso das große Vergnügen, sich in Vermutungen aller Art darüber zu ergehen, wer der Absender sein könne. Aber dafür bot die Bestrafung des Schuldigen doch auch ihr Verlockendes –

»Sie glauben zu wissen, wer der Schreiber ist?« fragte Frau Rita ganz erstaunt.

Anstatt zu antworten, reichte Frau Thea ihr die Briefe, und kaum hatte Frau von Eckern diese zur Hand genommen, als sie womöglich noch blasser wurde: sie hatte sofort an der Handschrift, wenn die auch etwas verstellt war, die Absenderin erkannt: »Das ist nicht möglich – das ist einfach undenkbar – – ich muß mich doch irren –« und wieder warf sie einen Blick auf die Schriftzüge.

Josefine hatte sich erhoben und sah über die Schulter ihrer Schwägerin hinweg auf den Brief, während sie zugleich schnell den Inhalt überflog: »Also doch – Frau von Rockhausen! – ich habe es mir gleich gedacht.«

Die Worte »Also doch!« klangen stolz wie ein Siegesruf. Die Handschrift der Frau von Rockhausen war ihr vollständig fremd, aber das Erschrecken ihrer Schwägerin, die Tatsache, daß Frau Thea den Namen nicht nannte, sondern ihn erraten ließ, bewiesen ihr zur Genüge, daß es sich um eine Dame des Regiments handle. Warum brauchte man sonst irgendwelche Rücksicht zu nehmen? – Und vom Regiment konnte doch nur Frau von Rockhausen in Frage kommen.

»Also doch,« wiederholte sie noch einmal, während sie sich in ihren Stuhl setzte und sich wohlgefällig hintenüber lehnte. »Da siehst Du ja, liebe Rita, wie falsch Du urteiltest, als Du mir damals sagtest: der Streit zwischen den beiden Damen wäre längst vergessen und begraben. Da hast Du es nun. Auf jeden Fall wird es jetzt Deine Pflicht sein, ein Exempel zu statuieren, und zwar ein sehr energisches.«

Frau Rita hörte garnicht auf das hin, was Josefine sagte, sie war derartig konsterniert, daß sie sich immer noch nicht fassen konnte.

»Haben Sie mit irgend jemandem über die Briefe gesprochen – irgend jemandem gegenüber geäußert, daß Frau von Rockhausen Ihnen so schrieb?« fragte sie endlich.

Frau Thea schüttelte den Kopf: »Außer meinem Mann weiß nur noch Leutnant Dörmann etwas davon. Er ist der beste Freund unseres Hauses. Seiner Diskretion bin ich absolut sicher.«

»Umso besser. Es darf auch weiter kein Mensch etwas davon erfahren. Wie Sie selbst gegen jedermann schwiegen, so werden auch wir keinem Dritten gegenüber etwas davon erwähnen.«

Aber das war nicht nach Josefinens Geschmack: »Um Gottes willen, Rita, Du denkst doch nicht daran, die Sache einfach totzuschweigen? Das geht nicht – Du bist Frau Thea eine glänzende Genugtuung schuldig – Du mußt darauf bestehen, daß Frau von Rockhausen den Inhalt der Briefe in Gegenwart der anderen Damen zurücknimmt – vorher muß sie sich natürlich in Aller Gegenwart als Absenderin bekennen. Und dann mußt Du im Anschluß daran den anderen Damen eine fulminante Rede halten, damit solche Schmutzgeschichten in Deinem Regiment – oder besser gesagt: unter Deinen Damen – nicht wieder vorkommen. Soviel weiß ich, wenn ich die Kommandeuse wäre –«

»Du bist es aber nicht, liebe Josefine,« unterbrach Frau Rita ihre Schwägerin ebenso höflich wie bestimmt. »Und deshalb mußt Du es schon mir überlassen, diese mehr als peinliche Sache so zu arrangieren, wie ich es für richtig halte. – Soweit ich Frau Thea kenne, entspricht es absolut nicht ihren Wünschen, den Vorfall in Gegenwart aller Damen zu erörtern,« und als Frau Thea ihr lebhaft beistimmte, fuhr sie fort: »Da hörst Du es ja, Josefine. Und deshalb bitte ich Dich dringend, ebenso über die Angelegenheit zu schweigen, wie ich es tun werde. Ja, selbst Otto, ich meine, selbst mein Mann, darf nur dann etwas davon erfahren, wenn es unbedingt sein muß.«

»Auch da bin ich ganz Ihrer Ansicht, gnädige Frau,« sagte Frau Thea. »Je weniger Aufhebens von der ganzen Sache gemacht wird, je stiller und ruhiger man sie erledigt, umso lieber wäre es mir, schon im Interesse der Frau von Rockhausen.«

»Das heißt denn aber doch die Nachsicht zu weit treiben – die Gnade einer Unwürdigen zuteil werden lassen!« fuhr Josefine auf.

Was hatte man von dieser schönen Skandal-Affäre, wenn sie sich einfach im Sande verlief? Mit Ausnahme von den Kommiß-Peccos und den übrigen Gesellschaften, die sich auch alle ähnlich sahen wie ein Ei dem anderen, gab es hier so gut wie gar keine Vergnügungen. Und jetzt, wo endlich eine in Aussicht stand, sollte man sie nicht genießen dürfen –?! Das kam bis zu einem gewissen Grade ja einem Selbstmorde gleich.

Aber Josefine, die sich natürlich sehr schlau und diplomatisch ausdrückte und beständig Frau Theas Interesse wie das des ganzen Regiments in den Vordergrund stellte, drang trotzdem mit ihrer Anschauung nicht durch.

Es blieb schließlich bei der Abmachung, daß Frau von Eckern gleich am Nachmittag Frau von Rockhausen aufsuchen und sehr ernst mit ihr sprechen wolle.

Frau Thea war damit vollständig einverstanden und verabschiedete sich mit dem frohen Bewußtsein, daß auch dieses Mal ihre Sache in der vornehmsten Weise geführt würde, und daß sie selbst nicht der leiseste Vorwurf treffen könne.

Als Frau Thea ging, ahnte sie nicht, daß sie sich Josefines Freundschaft verscherzt hatte. Die hatte sich auf die Sensation gefreut und trug es Frau Thea nach, daß sie sie nun darum brachte.

Ebenso leidenschaftlich, wie Josefine auf Frau Thea schalt, ebenso energisch nahm Frau Rita sie in Schutz: »Ich finde es nicht hübsch von Dir, Josefine, daß Du Dein Urteil über die kleine Frau so schnell änderst – und Du hast doch auch gar keine Veranlassung dazu. Ihr ganzes Denken und Empfinden beweist nur, daß sie eine durchaus vornehme Natur ist.«

»Soll das etwa heißen, daß ich keine vornehme Natur bin, weil ich über den Fall ganz anders urteile?« brauste Josefine auf, und ohne Frau Ritas Widerspruch zu beachten fuhr sie fort: »Es kann so sein, wie Du sagst; Frau Theas sogenannter Edelmut kann aber auch einen ganz anderen Grund haben. – In dem einen anonymen Brief, den Du vorhin zufällig in der Hand hieltest und den ich flüchtig las, steht, Frau Thea hätte behauptet, sie könne keine Auszeichnung darin erblicken, daß unser Regiment den Namenszug des Fürsten erhält und dadurch beinahe Garde wird. Wohl nicht mit Unrecht wird Frau Thea fürchten, daß ihr diese Worte sehr schaden könnten, sobald sie bekannt würden. Und wohl nur deshalb stimmte sie Dir bei, daß Dein Mann nichts davon erfahren soll. Denn soweit ich Otto kenne, würde er keinen Offizier in seinem Regiment dulden, dessen Frau sich so abfällig über die bevorstehende Auszeichnung äußert.«

Frau Rita erschrak: sie hatte die Worte vorhin auch flüchtig gelesen. Aber die Empörung über die Briefe selbst hatte sie über das, was in den Briefen stand, nicht weiter nachdenken lassen. Wenn Frau Thea es wirklich gesagt hatte, war es zum mindesten sehr unvorsichtig. Allerdings, daß sie eine Ausländerin war und dem preußischen Soldatenwesen noch ganz fremd gegenüberstand, ließ ihre Worte ja in einem viel harmloseren Lichte erscheinen, als aus dem Munde irgend einer anderen Dame.

Was Frau Rita jetzt erschrecken ließ, war deshalb viel weniger Frau Theas Äußerung, als die Tatsache, daß Josefine diese Worte aufzubauschen und zu verwenden gedachte. Gelang es nicht, Josefine umzustimmen, so würde diese dem Oberst davon erzählen und nicht eher ruhen, als bis der – ebenso wie bei Frau Hauptmann Ahlert – sich dienstlich darum kümmerte. Dann konnte es unter Umständen sogar zwei unangenehme Vorfälle im Regiment geben, und noch dazu in der jetzigen Zeit!

Das durfte nie und nimmer geschehen. So bot Frau Rita denn ihre ganze Liebenswürdigkeit auf, um Josefine davon zu überzeugen, daß sie sich irre.

Aber gerade diese große Liebenswürdigkeit, mit der Frau Rita ihre Schwägerin behandelte, bewies dieser, daß sie mit ihrem Verdacht nur zu Recht habe. Der eine schöne Skandal, den es hätte geben können, war ihr genommen worden, – den zweiten wollte sie nicht so leicht opfern, den hielt sie fest. Was hatte man denn von diesem Leben, wenn die Tage im ewigen Einerlei dahin gingen? Gewiß, sie hatte Frau Thea sehr gern gehabt – aber die hatte nicht die Hoffnungen, die sie in sie gesetzt, erfüllt. Worin diese Hoffnungen bestanden, wußte sie im Augenblick selbst nicht, aber das war ja auch einerlei – sie hatte jedenfalls solche gehegt.

Sie hatte Frau Thea bei der ersten Begegnung – trotz des Unterschiedes der Jahre – ihre Freundschaft angeboten, aber unmöglich konnte sie mit einer Dame befreundet bleiben, die sich so leicht zufriedengestellt gab, wenn man sie mit anonymen Briefen auf das Tödlichste beleidigte.

Eine solche Denkungsweise widersprach Josefinens vornehmer Natur – –

Das setzte sie ihrer Schwägerin ausführlich auseinander. Und wenn diese natürlich auch wußte, daß alles Verstellung war, so konnte sie doch gegen diese Worte nichts ausrichten.

Und noch eins kam hinzu, Josefine zu erzürnen. Wenn sie es bisher auch noch niemand eingestanden hatte, so bestand der Hauptgrund, der sie veranlaßt hatte, hierherzukommen, und ihrem Bruder ein so großes finanzielles Opfer zu bringen, doch darin, daß – das Regiment den Namenszug erhalten sollte. Allerdings hatte sie ihre Hülfe ja schon zugesagt, bevor etwas von der bevorstehenden Auszeichnung bekannt geworden war, aber es waren ihr im Laufe der Zeit – trotz ihres Versprechens – doch wieder große Bedenken gegen das gemeinsame Zusammenleben aufgestiegen, und sie hätte ihre Zusage vielleicht doch noch wieder rückgängig gemacht, wenn sie nicht inzwischen erfahren hätte, daß Se. Hoheit käme. Natürlich würde der auch mit ihr sprechen, und sie wollte schon dafür sorgen, daß dann alle ihre Bekannten davon erführen. Das war dann für ihr ganzes späteres Leben eine Auszeichnung, die kein Mensch und keine Zeit ihr jemals wieder würde fortnehmen können.

Wenn Frau Thea sich nun über die Erhebung des Regiments gewissermaßen lustig machte, so beleidigte sie damit nicht nur die Truppe selbst, sondern auch die Damen, die anders dachten, und Josefine fand es im höchsten Grade unpassend und ungehörig, daß eine so junge Frau, wie Frau Thea, es wagte, Anschauungen zu hegen, die zu den ihrigen vollständig im Gegensatz standen.

Aber auch jetzt verriet sie mit keinem Wort, wie sie selbst über die Verleihung des Namenszuges des Fürsten dachte. Sie sprach lediglich vom Standpunkt der anderen Damen, in erster Linie natürlich im Interesse ihrer lieben Schwägerin und ihres geliebten Bruders. Aber sie sprach so leidenschaftlich für die Anderen, daß Frau Rita merkte, wie sie doch nur für sich selbst sprach.

Schließlich setzte Frau Rita es doch durch, daß Josefine wenigstens nicht gleich am Mittag dem Kommandeur von der gehabten Unterredung Mitteilung machte – sie wollte erst abwarten, welchen Verlauf Frau Ritas Besuch bei Frau von Rockhausen nahm.

Gleich am Nachmittag machte sich Frau Rita auf den Weg. Sie hatte durch ihren Diener anfragen lassen, ob sie die Frau Major zu Hause antreffen würde, und daraus, daß Frau von Eckern zu ihr kam, anstatt sie selbst zu sich zu bitten, schloß Frau von Rockhausen, daß es sich um einen rein freundschaftlichen Besuch handele. So hatte sie denn ihren Kaffeetisch auf das Hübscheste hergerichtet, schöne Kuchen besorgt, frische Blumen in die Vasen gestellt, und sie sowohl wie Elsbeth hatten für den hohen Gast – denn das ist eine Kommandeuse für jede andere Offiziersdame – besonders Toilette gemacht.

Aber Frau von Rockhausens Sorglosigkeit schwand schnell dahin, als sie in Frau von Eckerns Gesicht sah, als diese höflich, aber doch sehr entschieden, sowohl den Kaffee wie die Kuchen ablehnte und dann Elsbeth mit der ihr eigenen Liebenswürdigkeit bat, sie einen Augenblick mit ihrer Mutter allein zu lassen.

Unwillkürlich erblaßte Elsbeth bei diesen Worten. Sie erriet sofort, daß ihre Mutter doch wieder irgend etwas gegen Frau Thea unternommen haben mußte, daß alle Bitten und Vorstellungen, gerecht zu urteilen, vergeblich gewesen waren. Und Elsbeth sah so traurig aus, daß Frau Rita sich von ihrem Platz erhob, das schöne Mädchen auf die Stirn küßte und sie mit freundlichen Worten selbst bis zur Tür begleitete.

Dann aber kam Frau Rita ohne jeden Umschweif auf den Zweck ihres Besuches zu sprechen, und Frau von Rockhausen machte auch nicht den leisesten Versuch, zu leugnen.

»Ja, ich habe die Briefe geschrieben – mich wundert es nur, daß Frau Thea, diese sogenannte schöne Frau, es erst jetzt gemerkt hat – – sie muß doch wirklich noch dümmer sein, als ich es geglaubt. Aber nach meiner Meinung verdiene ich deswegen keinen Tadel, sondern ein Lob. Die Frau gehört nicht ins Regiment – wir müssen sie wieder los werden – eine Frau, die da sagt, daß es keine Garde gibt, ist nicht wert, eine Offiziersdame zu sein, eine Frau, die sich nicht schämt, von einer älteren Dame, wie ich es bin, zu verlangen, daß sie um Verzeihung bittet, die ihren Gast fortgehen läßt, ohne ihm Kaffee angeboten zu haben, die dann noch die Kühnheit hat, sich neben mich zu setzen und mit mir zu plaudern, als wenn nicht das geringste vorgefallen wäre –«

Unaufhaltsam kamen die Worte über ihre Lippen. Der Name der Frau Thea allein genügte, um sie in Raserei zu versetzen.

Mit ganz verzerrten Zügen, mit zornfunkelnden Augen, die Hände krampfhaft in einander gepreßt, saß sie da, in den heftigsten Worten ihre Feindin schmähend.

Frau Rita war völlig fassungslos. Wie konnte eine Dame ohne jede Veranlassung so über eine andere sprechen! Dafür gab es ja nur eine einzige Erklärung – und als Frau von Rockhausen endlich schwieg, als ihr grenzenloser Zorn sich wie immer in einen Tränenstrom auflöste, da erhob sich Frau Rita und nahm die andere zärtlich und voller Mitleid in die Arme: »Sie sind krank, liebe, gnädige Frau, viel kränker, als ich es bisher geglaubt habe – denken Sie an Ihren Mann, der Sie aufrichtig liebt, denken Sie an Ihr einziges Kind – für beide müssen Sie wieder gesund werden. Hier können Sie es nicht, Sie brauchen vollständige Ruhe, Ihre Nerven müssen sich erholen und stärken, dann werden Sie wieder ein anderer Mensch, dann werden Sie einsehen, daß niemand Ihnen etwas Böses tut, weder Ihr Mann, den Sie grundlos mit Ihrer Eifersucht plagen, noch Frau Thea. Sie haben keinen Feind – den schaffen Sie sich nur in Ihrer Einbildung. Wenn Sie erst wieder gesund sind, werden Sie selbst darüber lachen, daß Sie glauben konnten, Ihr Mann liebe Sie nicht, und wir anderen Damen hegten irgend ein anderes Gefühl für Sie, als das der aufrichtigsten Zuneigung.«

Wie eine Mutter zu ihrem Kind, so sprach Frau Rita zu Frau von Rockhausen, und deren Tränen flossen immer reichlicher bei dem liebevollen Zuspruch:

»Ja, ich will weg, gnädige Frau,« brachte sie endlich hervor, »Sie haben recht. Ich ertrage das Leben so nicht mehr, ich kann es nicht länger mit ansehen, daß mein Mann ohne mich ausgeht und womöglich auf der Straße mit anderen spricht. Ich kann den Namen ›Frau Thea‹ nicht mehr hören – sie hat mich zu tief gedemütigt. Ich habe schon lange von selbst fortgewollt – aber ich wage es nicht, meinen Mann allein zu lassen – wer paßt auf ihn auf, wenn ich nicht hier bin? Und dann dachte ich auch: Frau Thea würde glauben, ich räumte ihr das Feld, wenn ich ginge. Und das wird sie auch jetzt tun. Sie wird sich einbilden: ich hätte fort müssen, weil ich ihr die Briefe schickte – – und den Triumph gönne ich ihr nicht. – Nein, lieber bleibe ich – ich will hier lieber sterben, als wo anders gesund werden. Mein Kopf – mein Kopf – er springt – er springt –!« Und laut aufschreiend preßte sie plötzlich beide Hände an die Schläfen.

Frau Rita mußte an sich halten, um das Entsetzen, das sie in Gegenwart der Kranken packte, nicht zu verraten. Wie war es möglich, daß die bisher durch ihr Benehmen alle anderen darüber hatte hinwegtäuschen können, wie krank sie war!

Von neuem sprach sie auf Frau von Rockhausen ein, sie streichelte ihr die Hände und die Stirn und fand warme, herzlichste Worte der Teilnahme und des Trostes.

»Ja, Sie haben recht, gnädige Frau – ich bin krank. Ich will alles tun, was Sie wollen, aber eins müssen Sie mir versprechen: Sie dürfen dieser Frau nicht sagen, daß Sie mich ihretwegen fortschicken, die muß glauben, daß ich wirklich krank bin.«

Frau Rita ging auf alles ein, was die Kranke wollte. Und endlich ließ sie Elsbeth, die in ihr Zimmer gegangen war, wieder herunterbitten.

Die blieb wie gelähmt auf der Schwelle stehen, als sie das verzerrte Gesicht ihrer Mutter sah, die immer noch still vor sich hin weinte, und sie erschrak auch über den entsetzten Ausdruck, den Frau Rita zur Schau trug.

Sie wollte aufschreien und zu ihrer Mutter eilen, aber Frau Ritas Blick hielt sie davon zurück. Die zog Elsbeth von neuem an sich und legte ihren Arm um ihre Schultern: »Ihre liebe Mama hat mir erzählt, daß sie sich seit längerer Zeit nicht wohl fühlt – ich habe ihr zugeredet, ein Sanatorium aufzusuchen, wo sie vollständige Ruhe hat. Da ist sie in einigen Wochen wieder gesund, und wenn dann das Frühjahr da ist, machen Sie alle zusammen eine schöne, weite Reise – Sie sollen 'mal sehen, wie gut das Ihrer lieben Mutter tun wird.«

Elsbeth wollte sich zusammennehmen, sie wollte tapfer sein – aber sie schluchzte plötzlich laut auf, und in Tränen ausbrechend, barg sie den Kopf an Frau Ritas Brust: »Die Mutter krank – das war also die Erklärung für den Haß, den sie auf Thea geworfen!« Das Wort »Sanatorium«, das für so viele ja gleichbedeutend ist mit einer Nerven-Anstalt, öffnete ihr mit einem Male die Augen, sie wäre beinahe gefallen, wenn Frau Rita sie nicht noch gehalten und zu einem Stuhl geführt hätte.

Die Kranke fing an zu schelten, als sie ihr Kind weinen sah: »Da hast Du es, Elsbeth, das haben die Menschen nun aus mir gemacht – diese Frau Thea, die Du immer noch in Schutz nimmst, aber die nicht allein, – auch diese Frau Josefine – jawohl – Ihre Schwägerin, gnädige Frau! Die ist auch mit daran Schuld! Damals, auf dem Kaffee bei Ihnen – als sie eben angekommen war und sich über mich lustig machte – weil unsere Ehe nicht immer ganz so glücklich ist, wie sie es wohl sein könnte – da habe ich mit einem Mal hier oben in den Schläfen einen schrecklichen Schmerz gespürt – – ich dachte, es ginge vorüber, aber ganz frei von Schmerzen bin ich seitdem nie mehr, das ist Frau Josefinens Schuld! Und weil ich mich an ihr nicht rächen konnte, weil sie Ihre Schwägerin ist, da hielt ich mich an Frau Thea – – und wenn ich nun reisen muß, so ist das auch Frau Josefinens Schuld! Das hätten Sie mit anhören müssen, liebe gnädige Frau, was ich mir an dem Nachmittag sagen lassen mußte! Sie sind immer gut und lieb und freundlich zu mir gewesen – – aber die anderen – diese Frau Thea und auch diese Frau Josefine –«

Frau Rita wußte schließlich selbst kaum, wie sie nach Hause gekommen war.

Völlig erschöpft und zerschlagen lag sie in ihrem Zimmer auf einer Chaiselongue und erwartete den Besuch des Majors von Rockhausen. Sie hatte Elsbeth gebeten, ihr den Vater zu schicken, sobald er zurückkäme. Nach ihrer Meinung mußte die Kranke sofort irgendwo hingebracht werden – in deren Augen hatte es zuweilen so unheimlich, so unstät und irr geleuchtet und geblitzt, daß sie das Gefühl, einer Schwerkranken gegenüber zu sitzen, nicht los geworden war. Sie empfand ein grenzenloses Mitleid mit der armen Frau, aber auch mit Elsbeth – sie hatte immer den Wunsch gehabt zu raten und zu helfen – und sie konnte doch nichts für sie beide tun.

Die gewaltige Aufregung, in die der Besuch sie versetzt hatte, zitterte noch in ihr nach, zuweilen zuckte sie förmlich vor Angst und Entsetzen zusammen.

Und an ihrer Seite saß Josefine und wich und wankte nicht.

»Ich gehe doch nicht eher fort, Rita. Du mußt mir alles erzählen, was diese Frau sagte – was sie zu ihrer Entschuldigung anführte. Gewiß, Frau Thea ist keineswegs der Mensch, den ich in ihr vermutete – ich habe mich in ihr getäuscht und werde offen und ehrlich – wie ich gegen jedermann bin! – auch ihr gegenüber nicht mit meiner Ansicht darüber zurückhalten. Aber trotzdem – anonyme Briefe sind und bleiben gemein.«

Frau Rita faßte sich mit beiden Händen an die Schläfen: »Habe Erbarmen, Josefine! Wenn du wüßtest, wie es in meinem Kopf hämmert und pocht – was habe ich durchgemacht – und eine schwere Aussprache mit dem Major steht mir noch bevor. – Ich will Dir ja auch alles sagen, nur nicht jetzt – morgen, übermorgen – sobald ich kann –«

»Eine Frau in Deiner Stellung muß sich beherrschen können,« mahnte Josefine. »Und man darf sich nicht zu sehr Gefühlsduseleien hingeben, sondern man muß, wenn es – wie hier – nötig ist, den kalten, nüchternen Verstand allein sprechen lassen. Davon aber ganz abgesehen: nach allem, was ich für Euch tat – und ich tat es gern, das weißt Du! – habe ich wohl ein Recht, zu verlangen, daß man mich darüber unterrichtet und aufklärt, was sich in den Familien abspielt, zu denen auch ich jetzt gewissermaßen gehöre – also bitte, erzähle.«

Frau Rita sah, es blieb ihr kein Ausweg. Wollte sie sich wirklich einen Augenblick ausruhen, dann mußte sie vorher Josefines Neugierde befriedigen.

So schilderte sie denn den Besuch so kurz wie möglich und schloß mit den Worten: »Ich habe es Dir damals gleich gesagt, Du hättest die arme Frau nicht so ärgern und kränken dürfen – sie war mein Gast und konnte schon deshalb verlangen, voller Aufmerksamkeit behandelt zu werden. Natürlich ist es eine fixe Idee von ihr, daß sie sich gerade seit jenem Nachmittag so elend fühlt, – aber es war mir mehr als peinlich, zu hören, wie sie unter Deiner Behandlung gelitten hat. – Und ausgeschlossen ist es ja auch keineswegs, daß die Erregung an jenem Nachmittag ihr Leiden verschlimmerte, die geringste Kleinigkeit vermag ja zuweilen, den schon lange schlummernden Irrsinn bei einem Kranken zum Ausdruck zu bringen. Und wenn der sich später bei der ärztlichen Untersuchung herausstellt – dann beneide ich Dich nicht um das Gefühl, das Du bei der Nachricht empfinden mußt, gewissermaßen die Veranlassung zu dieser schweren Erkrankung gegeben zu haben –«

Josefine war starr. Mit großen Augen sah sie ihre Schwägerin an, zunächst unfähig, ein Wort zu sagen. Wie alle Naturen, die an Intriguen und Feindseligkeiten Vergnügen finden, war sie grenzenlos feige. Und was Frau Rita da sagte, versetzte sie in eine sehr unbehagliche Stimmung. Einen Augenblick lähmte Angst und Schrecken ihre Glieder und ihre Sprache. Dann aber faßte sie sich schnell. Nie und nimmer durfte sie zugeben, daß sie auch nur im geringsten unkorrekt gehandelt hätte. So meinte sie denn:

»Mein harmloser Scherz kann Frau von Rockhausen unmöglich so erregt haben, Du sagtest ja vorhin selbst: das wäre eine fixe Idee von ihr. Wenn irgend etwas den Stein ins Rollen brachte, dann war es allein der Umstand, daß Frau Thea sich zu ihr setzte – unmittelbar, nachdem ich sie etwas geneckt hatte. Damals wußte ich ja noch nicht, was es zwischen den beiden gegeben hatte – aber nun, da ich es weiß, muß auch ich sagen, daß ich Frau Theas Benehmen sehr wenig taktvoll finde – es sah ja geradezu wie eine Herausforderung aus! Wenn irgend jemand, dann hat Frau Thea ganz allein die Schuld – sie mußte gehört haben, was ich der anderen sagte, – und daß sie trotz alledem –«

Frau Rita hörte garnicht mehr auf Josefine hin. Alles, was die da redete, war ja so unwahr, so verlogen, so kleinlich und gehässig, daß Josefinens Anwesenheit ihr ein gewisses körperliches Unbehagen bereitete. Sie begriff ihre Schwägerin nicht, wie konnte die plötzlich Frau Thea – für die sie bisher nur stets die wärmsten Worte gehabt hatte, ohne jede Veranlassung so plötzlich fallen lassen, ihr Urteil über diese so vollständig ändern?

»Wo der Major nur bleibt?« fragte Frau Rita endlich, als Josefinens Redestrom kein Ende nahm, als die immer wieder davon anfing, daß es ihre Pflicht gewesen sei, Frau von Rockhausen in harmloser Weise darauf aufmerksam zu machen, daß sie das Glück ihrer Ehe selbst zerstöre, als sie Frau Theas Benehmen immer unpassender fand, je öfter sie dieses einer Kritik unterzog – –

Anstatt des Majors erschien plötzlich der Oberst.

Der kam jetzt fast den ganzen Tag nicht mehr nach Hause. Se. Hoheit sollte ja nun bald eintreffen, und das Regiment feierlich in Empfang nehmen. Da gab es so viel zu tun, daß der Tag mit seinen vierundzwanzig Stunden kaum noch ausreichte. Und die höheren Vorgesetzten sorgten dafür, daß der Oberst nicht einen Augenblick zur Ruhe kam.

So hatte er auch erklärt, daß es ganz unbestimmt sei, wann er heute nach Hause kommen würde, und seine Damen gebeten, mit dem Essen nicht auf ihn zu warten.

Umso erstaunter waren diese, als er jetzt bei ihnen eintrat. Und sie erschraken, als sie in sein verstörtes Gesicht sahen.

Mit einem ängstlichen Aufschrei sprang Frau Rita in die Höhe und klammerte sich an ihn: »Um Gottes willen – was ist geschehen? Bist Du krank?«

Er küßte sie zärtlich auf die Stirn, während Josefine ihre forschenden Blicke auf ihm ruhen ließ.

»Nein, nein, beruhigt Euch nur,« sagte er endlich. Aber man merkte ihm an, wie schwer es ihm wurde, sich zu beherrschen. Seine Brust hob und senkte sich in starker Erregung.

»Nein – ich bin gesund. Aber Frau von Rockhausen – –«

Wieder stieß Frau Rita einen Schrei aus, während Josefine blaß wurde.

»Um Gotteswillen – was ist mit ihr?« fragte Frau Rita.

»Darüber wollte ich gerade mit Dir sprechen. – Ich hörte: Du bist heute nachmittag bei ihr gewesen – Elsbeth sagte mir – die Mutter hätte sich sehr erregt – den Grund wollte sie mir nicht nennen – Du würdest mir schon alles erklären – kurz und gut: kaum bist Du fort gewesen, da hat Frau von Rockhausen einen entsetzlichen Anfall bekommen – sie hat immer geschrien: sie wolle nicht weg – sie brauche nicht zu reisen, sie wäre ganz gesund – dann hat sie angefangen zu toben, sie hat alles zertrümmert, was ihr unter die Hände kam – der Schaum hat ihr vor dem Munde gestanden – und als der Major nach Hause kam, ist ihm nichts anderes übrig geblieben, als seine Frau sofort in ein Krankenhaus schaffen zu lassen.«

Josefine war totenblaß geworden und lehnte sich gegen einen Stuhl: »Da hörst Du es ja, Rita – die Frau ist schon lange krank gewesen – glaubst Du nun auch noch, daß ich –«

Frau Rita sah ihre Schwägerin verächtlich an: »Daß Du Dich jetzt verteidigst, beweist ja, daß Du kein gutes Gewissen hast. Ich wünsche Dir, daß Du es nie bereust, die arme Frau so verhöhnt und gepeinigt zu haben. – Nun aber laßt mich – ich will gleich zu Elsbeth gehen – wir dürfen sie jetzt unter keinen Umständen allein lassen. Ich will sehen, daß Frau Thea sie wenigstens für die ersten Tage zu sich nimmt, zu mir kann ich sie ja nicht einladen – es würde ihr mehr als schrecklich sein, gerade jetzt mit Dir zusammenzutreffen, Josefine –«

Und ohne der Schwägerin irgendwie adieu zu sagen, ging sie aus dem Zimmer.

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