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VI.

Frau von Eckern hatte sämtliche Damen des Regiments zu einem großen Kaffee geladen. Man kannte die Veranlassung zu diesem »Walkürenritt«, wie die frechen Leutnants eine Versammlung sämtlicher Damen bei Kaffee und Kuchen zu nennen pflegen. Ein besonderer Grund lag vor, daß die Frau Oberst ihre Damen zu sich befohlen hatte: Josefine, die längst erwartete Schwägerin, war endlich angekommen – ihr zu Ehren fand das Fest statt!

Über Josefines Persönlichkeit, über die Ursache ihres Kommens, darüber, ob sie längere oder kürzere Zeit weilen werde, herrschte überall vollständige Unklarheit. Nur zweierlei wußte man: daß sie sehr reich war und daß sie sich als Witwe sehr einsam und unglücklich fühle, besonders, da sie in der denkbar glücklichsten Ehe gelebt habe – –

Frau von Eckern hatte überall erzählt: Josefine käme, um sich etwas zu zerstreuen, sich etwas aufheitern zu lassen, und in ihrer liebenswürdigen Art hatte sie die Damen des Regiments gebeten, ihr dabei behülflich zu sein: »– Sie verstehen mich, wie ich das meine – um Gotteswillen nur keine Gesellschaften, keine Mühe und keine Arbeit – keine Unruhe und keine Geldausgaben! Aber wenn Sie mit meiner Schwägerin zusammen sind: ein freundliches Wort, einen Scherz, ein Eingehen auf ihre Eigentümlichkeiten, damit sie sich hier bald wohl fühlt – nicht wahr, das versprechen Sie mir?«

Der schönen Frau von Eckern versprach man alles, ja, noch mehr, man hatte sogar die feste Absicht, das Versprechen auch zu halten, um ihr eine Freude zu machen.

Wäre Frau von Eckern nicht ebenso wie ihr Mann von Hause aus sehr reich gewesen, wüßte man nicht, in wie glänzenden Verhältnissen sie lebten, dann hätte man leicht auf den Gedanken kommen können, daß Josefinens Millionen den Glanz des Hauses retten sollten, daß man der Beihülfe der anderen Damen bedürfe, um die Schwägerin mitsamt ihrem Gelde hier festzuhalten.

Aber selbst die größte Lästerzunge wagte es nicht, so etwas auszusprechen, die verdorbenste Phantasie kam nicht darauf, so etwas auszudenken. Man wäre ja einfach ausgelacht worden, wenn man solche Vermutungen geäußert hätte! Erst kürzlich, als Frau von Eckern beim Gerichtspräsidenten zum Balle in einer Toilette erschien, die einfach feenhaft war, und wirklich ganz zufälligerweise hatte eine Dame wenige Tage später neben Frau von Eckern am Postschalter gestanden, als diese einen Geldbrief mit 3000 Franken nach Paris an ihren Schneider absandte. Natürlich »ganz zufällig« hatte die andere die Summe auf dem Kuvert gelesen. Nein, bei Eckerns konnte keine Not herrschen, die schwammen ja im Golde. –

Wenn die Gute gewußt hätte, daß Josefine die dreitausend Franken geschickt hatte, damit der Schneider in Paris endlich aufhörte, seine Mahnbriefe zu schicken! Ja, der Mann war sogar soweit gegangen, daß er Drohungen ausgestoßen hatte, wenn er nicht endlich einmal wieder Geld erhielte.

Frau von Eckern war vor Schrecken ganz starr gewesen, eine Drohung schreckte sie nicht, das nahm sie in ihrer Kindlichkeit garnicht ernsthaft. Aber was dann, wenn der Schneider erklärte, vorläufig überhaupt nicht mehr für sie arbeiten zu wollen? Der kannte ihren Geschmack, wie kein zweiter, sie brauchte ihm nur zu schreiben: so und so habe ich es mir gedacht, dann kam die Robe. Und sie paßte, paßte immer! Nein, mit dem Mann durfte sie sich nicht erzürnen, denn wenn Seine Hoheit kam, da mußte sie ihn doch in einer Toilette begrüßen, die seiner und ihrer würdig war.

Es war die höchste Zeit, daß Josefine eintraf! Es stand finanziell sehr schlecht mit dem Oberst. Nicht, als ob zu den alten Schulden in der letzten Zeit irgendwie nennenswerte neue hinzugekommen wären, aber der Zufall fügte es, daß ein paar Lieferanten gleichzeitig um Bezahlung ihrer Rechnungen baten. Und er als Oberst und Regimentskommandeur konnte die Leute doch nicht um Geduld bitten! Nicht nur, daß er seinen Kredit damit untergrub – was dann, wenn es irgendwie bekannt würde! Gerade jetzt, wo das Regiment ausgezeichnet werden sollte, durfte kein Mensch erfahren, wie es um ihn stand! Man hätte ihn sofort verabschiedet, und es hätte ein entsetzlich schlechtes Licht auf das Regiment geworfen, wenn es geheißen hätte: der Kommandeur mußte Schulden halber plötzlich entlassen werden! Es war sogar nicht ausgeschlossen, daß man dann noch in der zwölften Stunde davon absah, gerade dieses Regiment auszuzeichnen. Es war nicht unmöglich, daß man dem Fürsten dann einen anderen Truppenteil verlieh. Und nie und nimmer durfte er daran schuld sein, daß seinem Regiment eine solche Schmach zugefügt würde – er selbst durfte unter keinen Umständen dazu die Veranlassung geben.

Zu der Aufregung, die der angestrengte Dienst mit sich brachte, kam die Aufregung über das eigene Geschick. Wochenlang befand er sich in einem Zustande höchster Nervosität. Seine Hände zitterten, wenn er dem Burschen die Postsachen abnahm. Sobald sich unter den Briefen eine Rechnung befand, wurde er ganz blaß und beruhigte sich erst wieder, wenn er sich von dem Inhalt überzeugt und gesehen hatte, daß es sich um keine dringende Sache handelte. Das hat Zeit, bis Josefine kommt! war dann Frau Rita's ständige Antwort auf seinen anklagenden Blick oder auf die heftigen Vorwürfe über ihre Verschwendung, über ihren Luxus, die ihm in der ersten Erregung dann immer wieder leidenschaftlich über die Lippen kamen.

Aber er verstummte doch, wenn sie erwiderte: »Wäre es Dir lieber, Du hättest als Hauptmann deinen Abschied genommen, säßest jetzt in Berlin oder in irgend einem Pensionopolis, gingst täglich stundenlang spazieren und langweiltest Dich dem Tode entgegen? Ich könnte ein Leben auch ohne Deinen Dienst ertragen. Du aber nicht. Du wärest körperlich schon lange an der Untätigkeit zu Grunde gegangen. Freu' Dich, daß wir es soweit gebracht haben und daß Dir noch eine so glänzende Zukunft bevorsteht. Daß man gerade Dein Regiment dem Fürsten gibt, ist doch auch eine große Auszeichnung für Dich, ein Beweis dafür, daß man es anerkennt, wie brillant Du Deine Truppe ausgebildet hast! Ein Oberst, der so bevorzugt wird, hat die »Exzellenz« sicher in der Tasche. Und um die paar Schulden brauchst Du Dich nicht zu beunruhigen – die werden bezahlt, sobald Josefine da ist.«

Gestern war die nun eingetroffen, zugleich mit ihren zahllosen Koffern und Kisten: »Wenn ich auch vorläufig nur zwei Zimmer habe, bis wir uns in der nächsten Garnison eine große Villa mieten oder kaufen, so möchte ich doch nicht auf ein paar Kleinigkeiten verzichten, die ich immer um mich zu haben gewohnt bin.« Und diese Kleinigkeiten hatten sich als so umfangreiche Gegenstände erwiesen, daß es nötig wurde, ihre Zimmer ganz anders einzurichten.

Das alles brachte viel Arbeit und Unruhe. Aber Frau Rita's Liebenswürdigkeit half darüber schnell hinweg. Und als sie einige Stunden später beim Abendessen zusammensaßen, fühlte Josefine sich schon ganz wie zu Hause. Frau Rita hatte es sich nicht nehmen lassen, ihr selbst beim Auspacken zu helfen und alles mit einzuräumen.

»Du hast wirklich eine Frau, Otto, um die alle Welt Dich beneiden kann,« lobte Josefine ihre Schwägerin, und Frau Rita warf ihrem Mann einen freudestrahlenden Blick zu.

Aber der sah ihn nicht, er war mehr als verstimmt.

Er liebte seine Schwester sehr. Aber der Gedanke, daß sie nun immer bei ihm bleiben würde, daß es dann kein Alleinsein mit seiner Frau mehr gab, daß sie fortan jahraus, jahrein alle Mahlzeiten zu Dritt einnehmen würden, raubte ihm die Freude an ihrem Kommen. Und doch hätte er sie mit offenen Armen für immer bei sich aufgenommen, wenn sie selbst der Unterstützung bedurft hätte, wenn sie in der Not zu ihm gekommen wäre! Daß er sich von seiner Schwester helfen lassen mußte – das war ihm jetzt, als Josefine ihm gegenüber saß, noch viel unerträglicher, als es ihm schon während des Briefwechsels gewesen war.

Josefine war eine energische und praktische Natur. Was sie zu tun sich vorgenommen hatte, tat sie gleich. So ging sie schon am ersten Abend an die Regulierung der Finanzen. Sie hatte ihren Bruder beauftragt, bei ihrer Ankunft ein genaues Verzeichnis seiner Verpflichtungen fix und fertig zur Hand zu haben, und sie prüfte es mit der Miene eines vereidigten Bücher-Revisors. Kein Wort des Vorwurfs oder des Tadels kam über ihre Lippen. Aber diesem Schweigen gegenüber wurde selbst Frau Rita etwas verlegen, und der Oberst kam sich vor wie ein junger Leutnant, der seinem Vater die Schulden beichtet und nun der Entscheidung harrt, ob alles bezahlt wird – oder ob er den Abschied nehmen muß.

»Es ist zwar sehr viel,« kam endlich von Josefines Lippen, »aber doch nicht ganz so viel, wie ich gefürchtet habe. – Ist das aber auch wirklich alles? Habt Ihr mir auch nichts verschwiegen?«

Dem Oberst stieg das Blut in die Wangen: »Ich bin doch kein Kind, das nicht den Mut hat, seine Schuld einzugestehen,« wollte er heftig entgegnen, aber Frau Rita, die erriet, was in ihm vorging, trat schnell auf ihn zu, setzte sich auf die Lehne seines Stuhles, schmiegte sich an ihn und strich ihm mit ihren schönen Händen über die Haare: »Das ist alles, Josefine.«

»Umso besser. Ihr werdet das Geld morgen in Händen haben, damit gleich alles bezahlt werden kann. Über den Zuschuß, den ich Euch jährlich gebe, sind wir uns ja schriftlich schon einig geworden. Wir werden meinen großen Mitteln entsprechend leben, denn nach den letzten stillen Jahren will auch ich das Leben wieder genießen. – Ich habe mir sogar für Rita eine Überraschung ausgedacht – wir werden uns Pferde und Wagen halten.«

»Josefine!«

Mit einem Freudenschrei machte sich Frau Rita von ihrem Manne los, flog auf ihre Schwägerin zu und schloß sie stürmisch in die Arme. »Josefine, ist das wirklich wahr?«

Und sie sah in diesem Augenblick glücklichster Erregung, mit leuchtenden Augen, so sinnberückend schön aus, daß Josefine sie immer wieder küßte: »Glaubst Du, ich machte Scherz? Ich weiß ja, daß ernste, traurige Zeiten hinter Euch liegen – nun soll es besser werden. – Nur eins müßt Ihr beide mir versprechen: Ihr dürft nie wieder einen Pfennig Schulden machen.«

»Ich schwöre es Dir, Josefine, nie wieder!«

»Und Du, Otto?« fragte sie, als er nicht gleich antwortete.

Der Kommandeur saß da mit schwer arbeitender Brust: die Freigebigkeit seiner Schwester beschämte ihn, drückte ihn zu Boden, anstatt ihn zu erfreuen. Und nun sollte er sogar versprechen, keine Schulden wieder zu machen.

»Auch ich verspreche Dir, daß ich keine Schulden mehr machen will,« kam es fast tonlos über seine Lippen, »ich gebe Dir mein Wort darauf.«

»Dein Versprechen allein hätte mir natürlich auch genügt,« sagte Josefine so freundlich, wie sie nur irgend konnte, »so tragisch mußt Du die Sache nicht nehmen – ich bin doch Deine Schwester und freue mich, Euch helfen zu können.«

Eigentlich war es garnicht Josefines Absicht gewesen, so milde und nachsichtig zu sein. Sie wollte das Geld geben, aber es die anderen auch fühlen lassen, daß sie es gab!

Aber mehr, als die ernste Stimmung ihres Bruders entwaffnete sie Frau Ritas vollständig natürliche und so ganz und garnicht gekünstelte Liebenswürdigkeit! So gab sie zwar ihre Absicht nicht ganz auf, aber sie verschob sie. Es wird sich schon noch oft genug Gelegenheit bieten, darauf hinzuweisen, zu wie großem Dank beide mir verpflichtet sind – je weniger ich im Anfang davon spreche, desto besser ist es für die Zukunft.

So war sie denn die Güte und die Freundlichkeit selbst – obgleich das eigentlich garnicht ihre Natur war.

In ihrer mehr als unglücklichen Ehe war sie beständig geknechtet und tyrannisiert worden, und dadurch war erst recht der Wunsch zum Herrschen und zum Regieren in ihr wach geworden. Sie hatte zu oft schweigen müssen, um jetzt noch ganz offen und wahr sein zu können, und wenn sie früher überhaupt jemals ihren Willen hatte durchsetzen wollen, dann war sie gezwungen gewesen, zur List und zur Verstellung zu greifen. Das hatte die Freude an kleinen Intriguen in ihr geweckt und die hatten schließlich ihren ganzen Lebenszweck ausgemacht. So war sie für das Zutragen von Nachrichten jeder Art sehr empfänglich und wußte das, was sie erfuhr, für ihre Zwecke auszunutzen. Die Ehe hatte ihren Charakter verdorben. Daß man ihr nicht so ohne weiteres trauen konnte, bewies ein Blick in ihre dunklen, stechenden Augen, die zuweilen einen etwas lauernden Ausdruck hatten und ihrem Gesicht dann einen bösartigen Ausdruck gaben. Und doch war Josefine – trotz ihrer Fünfzig – auch heute noch eine schöne Frau, wenngleich man ihr deutlich anmerkte, daß sie viel Schweres durchgemacht hatte. Das sah man an dem scharfen Zug, der ihren Mund umspielte und an manchen kleinen Falten, die deutlich hervortraten, wenn sie nicht sprach.

Josefine und Frau Rita plauderten so lebhaft mit einander, daß sie es kaum empfanden, als der Oberst sich unter dem Vorwand, noch arbeiten zu müssen, erhob, um in sein Zimmer zu gehen.

»Ich sehe Dich nachher ja noch – ich komme noch zu Dir!« rief Frau Rita ihm nach, »und dann erzähle ich Dir, was für Pferde wir uns kaufen, ob Rappen oder Füchse, ob Karossiers oder Jucker, denn das ist doch sehr wichtig, nicht wahr, Josefine?«

Bis spät in die Nacht saßen die beiden Damen zusammen. Es gab ja so unendlich viel zu besprechen, und da Josefine im Laufe des Abends den Wunsch aussprach, nun auch möglichst bald die Damen des Regiments kennen zu lernen, wurde schon für den nächsten Tag Kaffee verabredet. Gleich Besuche zu machen, und dann erst einzuladen, hielt Josefine nicht für richtig. Die Welt brauchte ja noch nicht zu wissen, daß sie nun für immer hier blieb. Vorläufig war sie offiziell nur für kurze Zeit hier. Wie lange sie blieb, würde ganz davon abhängen, wie es ihr gefiele. Das war auf alle Fälle besser, wenn man so sprach. Warum sollte man sich von den anderen gleich in die Karten gucken lassen? Je verschlossener und zugeknöpfter man nach außen hin ist, für umso vornehmer wird man gehalten. Man muß sich immer etwas von anderen Leuten erzählen lassen, aber nie selbst etwas sagen. Das Leben der anderen muß ganz offen vor uns liegen, wie ein aufgeschlagenes Buch, aber das unsrige muß für die Außenwelt mit vielen Siegeln verschlossen sein. Je mehr wir fragen und je mehr wir selbst verschweigen, desto mehr Vertrauen bringt man uns entgegen. Wer selbst alles, was ihn beschäftigt, auf der Zunge spazieren führt und seinen Mitmenschen mitteilt, hält jeden anderen, der ebenso handelt, für einen faden Schwätzer, für einen vertrauensseligen Gesellen, der sein Zutrauen zu den Menschen noch einmal bitter bereuen wird.

Josefine hatte sich ihre eigene Lebens-Philosophie zurechtgelegt, und wenn Frau Rita ihr auch nicht völlig beistimmte, so amüsierte sie sich doch über die etwas sarkastische Art und Weise, mit der ihre Schwägerin die Welt und die Menschen beurteilte. –

Jetzt rüstete Frau Rita sich zum Empfang ihrer Damen. Sie hatte im Laufe des gestrigen Abends und auch des heutigen Vormittags ihrer Schwägerin eine kurze Personal-Charakteristik der Gäste geben müssen.

Aus vielen Gründen lag Frau Josefine daran, sich das Herz der anderen Damen im Sturme zu erobern. Wenn sie es sich selbst auch nicht ganz offen eingestand und sich auch noch nicht ganz klar darüber war, wie weit sie damit gehen würde: so etwas wie eine Entthronung ihrer schönen Schwägerin, so eine kleine Palast-Revolution schwebte ihr doch vor – – Nur aus schwesterlicher und verwandtschaftlicher Liebe wollte sie das viele Geld denn doch nicht geopfert haben.

So ließ sie sich denn genau erzählen, mit wem sie über Kinder, mit wem sie über Dienstboten sprechen müsse, wer glücklich und wer unglücklich verheiratet sei, wer sich in der Ehe einschränken müsse und wer über ein gutes Einkommen verfüge.

Frau Rita hatte schwören müssen, nichts davon zu erzählen, daß sie Pferd und Wagen bekäme: »So etwas ist für eine Frau, wie Du es bist, selbstverständlich, muß es wenigstens nach außen hin sein,« belehrte Frau Josefine sie. »Der ungebildete Mensch freut sich, wenn er plötzlich reich wird und auf Gummirädern spazieren fahren könnte. Unsereins freut sich ja auch – aber er zeigt es nicht.«

Frau Rita stimmte ihr bei. Aber schwer wurde es ihr doch, nicht davon zu sprechen, denn sie freute sich über das Gespann, wie am Weihnachtsabend ein Kind über sein Schaukelpferd.

Die Damen kamen natürlich alle. Keine hatte es übers Herz gebracht, abzusagen. Frau von Eckern zu besuchen, war immer eine große Freude. Und als Sehenswürdigkeit gab es nun heute auch noch die Schwägerin, von deren Reichtum man sich Wunderdinge erzählte. Man war im stillen darauf gefaßt gewesen, Frau Josefine in einem wundervollen Kleide, mit einem prachtvollen Schmuck zu sehen – und man war fast enttäuscht, daß sie nicht viel eleganter angezogen war, als alle anderen Damen.

Josefine fühlte, wie alle Augen beständig auf sie gerichtet waren, wie man alles an ihr musterte und prüfte. Aber sie tat, als merke sie es nicht. Sie ließ sich zwar selbst betrachten, bewunderte aber dabei mit lauter Stimme selbst an der einen Dame dies, an der anderen jenes. Jeder sagte sie eine Liebenswürdigkeit, mit einer jeden sprach sie über das Thema, das diese interessierte.

Jetzt unterhielt sie sich mit Frau Thea über Kopenhagen. Sie war auf ihrer Hochzeitsreise da gewesen und schon damals, in den ersten Tagen ihrer Ehe, hatte sie die brutale und herrische Natur ihres Mannes kennen gelernt. Es blieb ihr unvergeßlich, wie sie sich nach einer entsetzlichen Szene mit der Absicht getragen hatte, ihrem Leben ein Ende zu machen. Sie hatte auf dem Balkon gestanden, der zu ihren Hotelzimmern gehörte, und sich auf die Straße hinabstürzen wollen – aber im letzten Augenblick hatte es ihr doch an Mut gefehlt.

Sie haßte Kopenhagen, weil sich für sie an diese Stadt so gräßliche Erinnerungen knüpften. Trotzdem schwärmte sie nun für dieses »Paris des Nordens« und wurde nicht müde, sich von Frau Thea davon erzählen zu lassen. Aufmerksam hörte sie ihr zu, denn Frau Theas ganzes Wesen war ihr ungemein sympathisch. Josefine gehörte zu jenen Naturen, die für das Äußere der Menschen, mit denen sie in Berührung kommen, sehr empfänglich sind. Und Frau Theas Schönheit gefiel ihr. Sie verglich sie sogar ein paar Mal mit ihrer Schwägerin, und wenn Rita auch die Königin blieb, so konnte Frau Thea sich doch sehr wohl neben ihr sehen lassen.

So plauderten die beiden denn immer noch zusammen, als Josefine plötzlich einen haßerfüllten Blick auffing, den Frau von Rockhausen Frau Thea zuwarf. Sie erriet natürlich sofort, daß zwischen den beiden bittere Feindschaft herrschen mußte, daß die andere der jungen Frau die Auszeichnung nicht gönnte, so lange mit ihr plaudern zu dürfen.

Was mochte zwischen den beiden vorgefallen sein?

Josefine begriff nicht, daß ihre Schwägerin sie nicht über eine solch wichtige Sache aufgeklärt hatte. Und sie nahm sich vor, nachher sofort selbst Erkundigungen einzuziehen. Jetzt kam es für sie nur darauf an, auf wessen Seite sie sich stellen sollte!

Die Wahl fiel ihr nicht schwer: Frau von Rockhausen ist die viel Ältere und hat allein schon durch die Stellung ihres Mannes das Übergewicht. Ich werde zu Frau Thea halten.

So sagte sie denn jetzt: »Wenn ich im Vergleich zu Ihnen auch fast eine alte Frau bin, so hoffe ich dennoch, daß wir gute Freunde werden. Sie müssen oft zu mir kommen und mir von Ihrer schönen Stadt und Ihrem Heimatlande erzählen – ich liebe beides ebenso wie Sie.«

Frau von Rockhausen wechselte die Farbe vor Wut, Neid und Empörung. Und das machte Frau Josefine ein großes Vergnügen.

»Wie kann man nur so dumm sein, sich so wenig in der Gewalt zu haben!« dachte sie. »Nur ein Glück, daß die Frau nicht dazu verurteilt ist, an irgend einem Hofe zu leben! Wenn sie da ein einziges Mal ein solches Gesicht machte, würde sie für immer in Ungnade fallen! Und wenn sie sich in Zukunft weiter so gehen läßt, wie heute, so hat sie es auch bald mit mir verdorben. Ich habe mich mein ganzes Leben lang verstellen müssen, und. wenn ich das konnte, verlange ich das auch von den anderen – –«

Ohne daß sie selbst es merkte, fühlte sie sich im Verlaufe des Kaffee immer mehr als Kommandeuse. Für Rita paßte dieses gräßliche Wort nicht, dazu war sie zu elegant, zu liebenswürdig, vor einer Kommandeuse aber müssen die Damen des Regiments unter Umständen genau so zittern können, wie die Herren vor dem Oberst. Daß eine so offene Feindschaft, wie zwischen diesen beiden Damen, überhaupt möglich war, bewies ja am deutlichsten, daß Frau Rita die Zügel der Regierung viel zu lose in der Hand hatte. In Zukunft mußte ein weit energischeres Regiment herrschen – die Form der Höflichkeit mußte nach außen hin unter allen Umständen gewahrt werden.

Frau Josefine gelobte sich, in Zukunft ihrer Schwägerin mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Solch stumme Szenen, wie vorhin, durften nicht wiederkehren. Wie kam Frau von Rockhausen dazu, die andere so anzusehen? Das war nicht nur eine Beleidigung für Frau Thea, sondern auch für sie selbst.

So klang ihre Stimme denn sehr hoheitsvoll, als sie jetzt Frau von Rockhausen ins Gespräch zog: »Ihr Herr Gemahl steht schon lange im Regiment? Sie haben nur ein Kind? Sie fühlen sich hier wohl in der Stadt?«

Drei gleichgültige Fragen, wie hohe Fürstlichkeiten sie an gewöhnliche Sterbliche richten, die die Ehre haben, ihnen vorgestellt zu werden.

Frau von Rockhausen gab Antwort, kaum, daß sie sich dabei soweit beherrschte, die Formen der Höflichkeit nicht außer acht zu lassen.

Frau Josefine sah das mit stiller Genugtuung: das süße Gefühl der Macht überkam sie schon jetzt –: »es muß schön sein zu herrschen – und ich will hier herrschen!« Der Gedanke befestigte sich immer mehr in ihr. Sie hatte bisher wenig in Offizierskreisen verkehrt, wenigstens nicht so intim, um einen Einblick in die auch unter den Damen herrschende Disziplin und Subordination werfen zu können. Das Neue, das ihr hier entgegentrat, reizte sie – –

Dann aber änderte sie plötzlich den Ton, sie wollte die andere noch mehr ärgern. Und so sagte sie denn so liebenswürdig wie nur möglich: »Frau Rita, meine liebe Schwägerin, hat mir erzählt, in wie glücklicher Ehe Sie leben. Allerdings kein Wunder, wenn man eine solche Tochter hat –« ihre Augen streiften Elsbeth – »und wenn man einen Mann besitzt, der wie der Ihrige der beste aller Ehemänner sein soll. – Ich sage: soll, denn ich kenne ihn ja leider persönlich noch nicht. – Ich bin ja selbst so namenlos glücklich gewesen. Es geht auf der ganzen Welt nichts über ein glückliches Familienleben. – Und doch: wie viele zerstören mit ruchloser Hand ihr eigenes Glück! Wie viele Ehen scheitern nicht schon daran, daß der eine oder der andere seinen Zorn nicht beherrschen kann, daß er in schlechter Laune nach Hause kommt, – oder an ähnlichen Kleinigkeiten! Und vor allen Dingen: wie viel Elend schafft nicht in manchen Ehen die völlig unbegründete Eifersucht, die nach dem alten Wort mit Eifer sucht, was Leiden schafft! – Ach ja – es gibt doch komische Menschen auf der Welt! – Wie freue ich mich darauf, eine so glückliche Häuslichkeit, wie die Ihrige, kennen zu lernen –«

Frau von Rockhausen wurde bei diesen Worten abwechselnd grün und gelb im Gesicht. Hatte Frau Rita wirklich ihre Ehe als glücklich geschildert?! Das sah ihrer vornehmen, freundlichen Natur viel ähnlicher, als daß sie dieser Giftschlange – denn einen anderen Ausdruck fand sie im Augenblick nicht für Josefine – gleich die volle Wahrheit gesagt habe. Aber irgend einen tieferen Sinn mußten diese Worte doch haben – die klangen zu herzlich, um wirklich von Herzen zu kommen! Was ging Frau Josefine ihr Eheleben an? War es nicht traurig genug, daß es so unglücklich war? Was gab der anderen ein Recht, in diesem Ton darüber zu sprechen? Wie konnte die denn wissen, ob sie Grund zur Eifersucht hatte, oder nicht?

Vergebens suchte sie nach einer Antwort. Alles, was sie sagen wollte, erstarb vor diesem Lächeln, mit dem Josefine sie ansah, – vor dem Ausdruck dieser lauernden Augen.

Frau von Rockhausen fühlte sich tatsächlich einer Ohnmacht nahe. Nicht nur, daß Frau Thea – diese dumme Gans! – nur um ihrer hübschen Larve willen in einer Art und Weise ausgezeichnet wurde, für die es überhaupt keine Worte gab, – sie mußte sich so etwas sagen lassen, noch dazu von einer Person, die ihr noch vor einer Stunde ganz fremd gewesen war – sie mußte sich sagen lassen, daß sie das Glück ihrer Ehe leichtsinnig, ohne jede Veranlassung zerstöre –!

Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte ostentativ mit ihrer Tochter das Zimmer verlassen! Aber der anderen zeigen, daß sie die Worte irgendwie auf sich bezog –? Lieber sterben!

Da kam ihr im letzten Augenblick ein rettender Gedanke. Die Rache war süß! So sagte sie denn: »Sie haben Recht, gnädige Frau, – meine Ehe ist so glücklich, wie wohl nur wenige in der Stadt. Und ich stimme Ihnen ganz bei, daß viele in wirklich unverantwortlicher Weise mit ihrem Glück spielen – man braucht ja garnicht weit zu gehen, um Beispiele für unsere Behauptung zu finden – –« und wie zufällig streifte sie mit ihren Augen Frau Thea.

Wie – die kleine, bildhübsche Frau lebt nicht in der denkbar besten Ehe? wollte Frau Josefine fragen. Was sie da hörte, interessierte sie ungemein. Aber in der letzten Sekunde verschluckte sie die Frage. Sie hatte nun einmal Theas Partei ergriffen, da durfte sie nicht auf deren Feinde hören. Und was sie wissen wollte, erfuhr sie ja auch so.

Hoheitsvoll richtete sie sich auf: »Ich bin nicht neugierig, Frau von Rockhausen! Und wenn irgendwo etwas nicht ganz so ist, wie es sein sollte, so müssen die Ehegatten das unter einander abmachen. Kleine Differenzen kommen schließlich überall vor. – Übrigens weiß ich nicht, auf wen Sie anspielen – möchte es auch nicht wissen. Man fühlt sich sonst nur zu leicht verpflichtet, Frieden stiften zu wollen. Das aber ist das Falscheste, was man tun kann. Je weniger man sich um das Eheleben der anderen kümmert – umso besser ist es. Finden Sie nicht auch?«

Die nagte sich in ihrer Erregung beinahe die Lippen blutig und dachte abermals über eine Antwort nach. Aber noch bevor sie diese gefunden hatte, erhob sich Frau Josefine und ließ die andere einfach sitzen – –

Die grünen Augen der Frau von Rockhausen schossen giftige Blitze, und – um das Maß ihrer Empörung voll zu machen – setzte sich plötzlich Frau Thea neben sie und fing an, in der ungesuchtesten Weise mit ihr zu plaudern. Der Friede zwischen ihnen war ja wieder geschlossen. Und nachdem Frau Thea die gewünschte Genugtuung erhalten hatte, trieb ihr gerechter Sinn sie dazu, jetzt doppelt liebenswürdig und aufmerksam zu sein, nicht, weil sie die Jüngere war – den Grund erkannte sie nicht an –, sondern weil sie Frau von Rockhausen nachfühlte, daß ihr der Gang zu ihr nicht leicht geworden war.

Ein wahres Glück, daß die Gattin des Etatsmäßigen bald das Zeichen zum Aufbruch gab! Es war mit der Selbstbeherrschung der Frau von Rockhausen zu Ende – sie mußte ins Freie, sie mußte frische Luft schöpfen – sie hielt sich kaum noch aufrecht. Es war zu viel, was sie heute an Demütigungen hatte hinnehmen müssen! Aber Frau Thea sollte ihr das büßen, denn diese war ja – wenn auch nur indirekt – an allem schuld! Die sollte schon noch zu ihren Füßen liegen und um Gnade bitten, die trug den Kopf ja schon so hoch, als wäre sie die Gattin eines Majors – und war doch nur eine ganz gewöhnliche Leutnantsfrau! Und schon jetzt sprach man so allerlei über ihre Ehe! Sie würde in Zukunft noch tausendmal schärfer hinhorchen, als sonst, auch die Herren etwas auszuforschen versuchen, die dort kameradschaftlich verkehrten. Sie würde schon etwas finden, wo sie den Hebel ansetzen konnte –

In diesem Sinne sprach sie auch zu Elsbeth, sobald sie auf der Straße mit ihr allein war.

Die anderen Damen waren von Josefines Liebenswürdigkeit tatsächlich entzückt und begeistert, jede war mit einem freundlichen Wort bedacht worden. »– Bezaubernd – unendlich liebenswürdig – ganz wie ihre Schwägerin –« das waren so ungefähr die Redensarten, die durcheinander schwirrten.

Mit einigen Worten verabschiedete sich Frau von Rockhausen auf der Straße von den anderen, und als Elsbeth noch verschiedenen Damen die Hand reichen wollte, riß die Mutter sie mit einem halblauten: »Komm jetzt – laß den Unsinn!« zurück.

Verwundert schauten die Damen ihnen nach: »Was hat Frau von Rockhausen denn nur heute wieder?« Niemand wußte es. Und Frau Thea, die einzige, die es zu ahnen glaubte, blieb die Aufklärung schuldig – ihr lag nichts daran, irgendwie böses Blut zu machen.

»Vielleicht hat Frau Josefine länger mit der Tochter, als mit der Mutter gesprochen, und die ist jetzt eifersüchtig auf ihr eigenes Kind,« meinte eine Dame mit dem Versuch zu scherzen.

»Frau von Rockhausen sollte sich doch ein Beispiel an der Ehe unseres hochverehrten Herrn Oberst nehmen,« nahm eine ältere Dame das Wort, »die beiden hätten doch gewiß Grund, oft eifersüchtig zu sein – er ein blendend schöner Mann, der jeder Frau gefallen muß, und sie eine Erscheinung, der jeder huldigt. Aber die beiden wissen, daß sie sich lieben, daß sie einander voll vertrauen können. Ich weiß es aus absolut sicherer Quelle, Frau von Eckern hat es mir selbst erzählt: in der ganzen Zeit ihrer Ehe ist zwischen den beiden Gatten noch nicht ein einziges unfreundliches Wort gewechselt worden, und ich brauche es Ihnen nicht erst zu sagen: Frau von Eckern lügt nicht.«

Nein, die lügt nicht! Das war die gewissenhafte Überzeugung aller. Darauf hätten sie geschworen.

»Eine glückliche Frau,« meinte plötzlich eine der Damen.

Und wieder stimmten die anderen bei: »Ja, das ist wirklich eine Ehe, wie sie schöner, froher und sorgloser nicht gedacht werden kann!«

Von der Ecke aus, an der die Damen nun schon fast eine Viertelstunde im Gespräch zusammenstanden, um sich von einander zu verabschieden, warfen sie noch einen Blick zu den hellerleuchteten Fenstern der Eckernschen Wohnung hinauf, dann machten sie sich auf den Heimweg.

Und auch jetzt dachten alle nur an Frau von Eckern. Die hatte alles, was sie brauchte, in Hülle und Fülle, ihre Schönheit, die jeden entwaffnete, einen Mann, der sie auf den Händen trug, ihr jeden Luxus gestattete, eine Häuslichkeit, die in seltenem Maße Eleganz und Behaglichkeit vereinte, die Gewißheit einer glänzenden Karriere – und keinen Feind! Nur wirkliche Freunde. Und in wie zärtlichem Einvernehmen lebte sie auch mit den Verwandten ihres Mannes! Der Besuch der Schwägerin bewies das ja am deutlichsten. Wie liebevoll waren die beiden heute den ganzen Nachmittag mit einander gewesen! Kaum, daß Frau Rita einen Blick von ihrer Schwägerin abgewandt hatte. Da oben in den schönen Räumen, die sie eben verlassen hatten, wohnte wirklich das Glück.

Wenn sie alle geahnt hätten, welche Szene sich zwischen den beiden Schwägerinnen abgespielt hatte, als kaum der letzte Gast gegangen war!

Nicht ohne Grund hatte Frau Rita Frau Josefine nicht aus den Augen gelassen – sie kannte ja ihre Natur, ihre Liebe an kleinen Intriguen – und so hatte sie denn gesehen, wie sie Frau Thea absichtlich auszeichnete und Frau von Rockhausen absichtlich brüskierte – –

Hätte ich ihr doch nicht erzählt, daß die Frau an ewiger Eifersucht leidet, hatte Frau Rita sich immer wieder gesagt. Das Mitleid, das ich mit der Armen empfinde, verleitete mich zu der Äußerung! Hätte ich doch geschwiegen!

Aber dafür war es nun zu spät. Das wußte sie, auch bevor ihr Frau Josefine nach dem Fortgang der letzten Gäste sagte: »Diese Rockhausen ist eine ganz bösartige, gemeingefährliche Person! Außerdem ist sie mehr als dumm, das beweisen die Eifersuchtsszenen, die sie zu Hause aufführt. Aber ich werde sie schon kurieren. Darauf kannst Du Dich verlassen.«

»Das wirst Du nicht tun, Josefine,« sagte Frau Rita ruhig, aber sehr bestimmt. »Frau von Rockhausen ist krank, darauf mußt Du Rücksicht nehmen. Und außerdem möchte ich nicht, daß Du böses Blut machst. Ich bin mit meinen Damen immer in Frieden ausgekommen, ich habe es verstanden, der Eigenheit einer jeden stets Rechnung zu tragen. Das wirst auch Du tun müssen, wenn Du das gute Einvernehmen, das unter allen herrscht, nicht zerstören willst.«

Frau Josefine lachte ironisch auf: »Gutes Einvernehmen! – Der Ausdruck ist himmlisch. Ich habe es doch mit eigenen Augen gesehen, wie die Rockhausen die hübsche Frau Thea mit ihren Blicken zu töten versuchte. Was ist zwischen den Beiden vorgefallen?«

Frau Rita versuchte, ausweichend zu antworten, aber Josefine ließ nicht locker: »Wenn ich unter Euch leben soll, muß ich auch alles wissen, was hier vorgeht und vorgegangen ist. Sonst kann es mir noch jeden Tag passieren, daß ich – ohne es zu wollen, – etwas Taktloses sage und gerade die am meisten verletze, die es am wenigsten verdienen.«

So erzählte denn Frau Rita, was es gegeben hatte: »– aber das ist längst erledigt – schon lange! Und ich bitte Dich dringend, Josefine, tu mir den einzigen Gefallen und rühr' die Geschichte nicht wieder auf – die Sache ist für immer begraben.«

Frau Josefine legte ihren Arm um die Schulter ihrer Schwägerin, und die mußte an sich halten, um bei dieser Umarmung freundlich zu bleiben.

»Du bist doch noch ein großes Kind, Rita! Nur so ist es ja auch zu erklären, daß Ihr derartig verschulden konntet, daß Ihr mit offenen Augen dem finanziellen Ruin entgegenliefet. Na, Gott sei dank, daß ich da bin! Die Schulden sind ja heute alle bezahlt. Dein Mann hat mich fast beschämt – er hat mir alle Postquittungen eingehändigt zum Beweis dafür, daß das Geld auch wirklich abgeschickt ist. – Der Arme tut mir wirklich leid, er nimmt die Sache so tragisch – und doch helfe ich mit tausend Freuden. Und auch in anderer Hinsicht will ich ihm beistehen: dadurch, daß ich Dir helfe, Deine Damen zur Vernunft zu bringen! So geht das nicht weiter. Frau von Rockhausen muß sich ganz ändern. Das geht denn doch nicht, daß eine Dame über die andere so denkt, wie die Rockhausen über Frau Thea. Du sagst, die Sache wäre begraben: wie wenig kennst Du die Frauen, und bist doch selbst eine. Höre in Zukunft auf meinen Rat, oder noch besser: überlaß in Zukunft solche Angelegenheiten ganz mir! Wie Du Dich aber auch über diesen Punkt entscheidest: ich möchte solche Szene wie heute nachmittag nicht wieder erleben. Dazu bin ich nicht hergekommen. Das merke Dir, bitte.«

Und ohne die Antwort ihrer Schwägerin abzuwarten, suchte sie ihr Zimmer auf.

Wie lange Frau Rita in ihrem Stuhl gesessen hatte, von bangenden Sorgen für das neue Zusammenleben gequält, wußte sie nicht. Sie fuhr erst auf, als ihr Mann, der aus der Stadt zurückkam, zu ihr ins Zimmer trat.

»Nun, Rita, wie war's denn?« fragte er lustig, und mit der Hand auf die halbleeren Kuchenteller deutend, bemerkte er: »Es scheint ja eine heiße Schlacht gewesen zu sein – und vor allen Dingen: wie hat Josefine den Damen gefallen? Oder besser gesagt: wie haben die anderen Damen ihr gefallen, denn wie ich meine liebe Schwester kenne, ist ihr das viel wichtiger, als der Eindruck, den sie selbst hervorgerufen hat. – Wo steckt Josefine übrigens?«

»Sie ruht sich einen Augenblick aus,« log Frau Rita. »Das viele Sprechen – die vielen Menschen haben sie etwas ermüdet. Aber ich glaube, wir können mit dem Verlauf des heutigen Nachmittags sehr zufrieden sein: Josefine hat auf alle Damen den besten Eindruck gemacht, und auch von allen den besten empfangen.«

»Nun, das freut mich.« Und das Gespräch ablenkend, fuhr er fort: »Unter uns gesagt, Rita: eine große Ehre und Auszeichnung ist es ja, den Namenszug eines Fürsten zu bekommen. Aber es ist auch mit einer Arbeit verbunden, von der ein gewöhnlicher Sterblicher sich nicht die leiseste Vorstellung macht! Ich war eben wieder in der Kaserne, und ich will froh sein, wenn wir erst alles glücklich hinter uns haben.« Und abermals nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Weißt Du, Rita, es ist doch ein Glück, daß Josefine hier ist. Wenn ich daran denke, daß ich an dem Tag, an dem der Fürst kommt, mit Schulden überlastet ihm gegenübergestanden hätte – – jetzt, wo die Gefahr beseitigt ist, kann ich es Dir ja sagen – – ich hätte das garnicht gekonnt – ich hätte noch vorher meinen Abschied eingereicht.«

»Aber Otto!« rief sie ganz erschrocken, »das sagst Du so ruhig? – Nicht wahr, Du machst einen Scherz!«

»Es ist mein heiliger Ernst,« entgegnete er fest. »Du hättest ja allerdings mehr darunter gelitten als ich. Mich hätte es hauptsächlich bedrückt, meine Gläubiger nicht befriedigen zu können, wenigstens nicht so schnell, wie ich es mir gewünscht hätte. Na, nun ist das Schiff ja wieder flott – und dafür wollen und müssen wir Josefine jeden Tag danken. – Und wenn wirklich einmal eine Stunde kommt, in der wir sie nicht ganz verstehen, dann müssen wir uns darein finden – sie hat uns doch gerettet.«

»Ich werde ihr das Gute, das sie uns tat, nie vergessen,« stimmte Frau Rita ihm bei. Aber zum ersten Male regten sich in ihr ernste Zweifel, ob das, was sie aus Ehrgeiz für ihren Mann getan hatte, wirklich immer das Richtige gewesen war. – –

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