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II.

Das Fest bei dem Oberst von Eckern war noch großartiger, noch glänzender, als man erwartet und gehofft hatte. Jetzt war man gerade vom Tische aufgestanden und bewegte sich, bis der Tanz begann, in zwanglosen kleinen Gruppen in den vielen nebeneinander gelegenen Zimmern plaudernd auf und ab.

Oberst von Eckern hatte die größte Wohnung in der Stadt inne und diese mit ebenso viel Luxus wie Geschmack eingerichtet, denn Eckern's galten für wohlhabend, wenn sie auch nicht annähernd so reich waren, wie man allgemein glaubte und wie namentlich auch Frau Rita die Welt glauben ließ. Das tat sie nicht, um damit zu prahlen, sondern weil sie im Laufe der Jahre eingesehen hatte, daß nicht nur ihre Schönheit, sondern auch der Glanz ihrer Toiletten, der große Zuschnitt ihres ganzen Haushaltes, die Art, in der sie auf das Großartigste die Kameradschaft pflegte – daß das alles ihrem Mann bei seiner Carriere zu Gute kam. Als sie sich verlobten, war er Hauptmann und trug sich mit dem Gedanken, seinen Abschied einzureichen. Aber sie hatte ihm das Unsinnige seines Vorhabens bewiesen, ihn überredet, weiterzudienen, und jetzt war ihr Mann schon seit drei Jahren Oberst. Aber das nicht allein: Oberst von Eckern hatte die Gewißheit, Exzellenz zu werden, obgleich er selbst seine militärische Befähigung keineswegs überschätzte. Er wußte sehr wohl, wie viel er seiner Frau verdankte, die durch ihre große natürliche Liebenswürdigkeit die Herzen aller hohen Vorgesetzten eroberte, die nie einen Menschen um seine Freundschaft bat – und trotzdem nur Freunde hatte.

Frau Rita hatte ihrem Mann geholfen, nicht aus Ehrgeiz für sich, sondern weil sie ihren schönen, stolzen Mann heute noch genau so liebte, wie am ersten Tag der Ehe. Und Oberst von Eckern genoß selbst bei denjenigen seiner Offiziere, die ihn zuweilen wegen seiner Strenge verwünschten, den Ruf, ein tadellos vornehm denkender Charakter zu sein. Dazu kam seine selten schöne Erscheinung: groß, breitschulterig, mit einem hübschen, energischen Gesicht mit einem dichten, schwarzen Vollbart. Mit seinen dunklen Augen, seinem tiefschwarzen Haar und dem etwas dunklen Teint sah er oft viel strenger und viel härter aus, als er es in Wirklichkeit war. Nur die wenigsten ahnten, daß in ihm eine fast kindliche Seele wohnte, daß er die Güte und die Nachsicht selbst war. Hart und unerbittlich zu sein kostete ihm stets die denkbar größte Überwindung. Und doch ging es ja im Dienste oft nicht anders.

Nur einem einzigen Menschen gegenüber konnte er nie hart sein: das war seine Frau. Ihre Schönheit, die Anmut ihrer Bewegungen, ihre stolze, vornehme Figur, das feingeschnittene Gesicht mit dem rosigen Teint, dem dichten, brünetten Haar, – ihre Art, sich zu kleiden und zu bewegen, entwaffnete ihn immer wieder aufs neue, wenn er sich vorgenommen hatte, sie zu schelten, sie darauf aufmerksam zu machen, daß sie weit über ihre Verhältnisse lebten, daß sein Kapital bald aufgezehrt sein würde. Die letzten Jahre hatten enorm gekostet und es war ihm oft nicht möglich gewesen, die Lieferanten so pünktlich zu bezahlen, wie er es sich nicht nur wünschte, sondern wie er es auch seiner Stellung als Oberst und Regiments-Kommandeur schuldig war.

Aber selbst die schwersten Bedenken, die er dann hegte, die größten Sorgen wußte sie mit einem Kuß, mit einer Liebkosung zu verscheuchen. Und schließlich hatte sie ja Recht, wenn sie sagte: »Wenn wir wirklich eines Tages unser Vermögen aufgezehrt haben, dann ist Deine Schwester Josefine noch da – die hat ja von ihrem verstorbenen Mann viele Millionen geerbt, die uns später ja doch zufallen, – die wird uns dann schon nicht im Stich lassen.«

Und gerade vor wenigen Tagen war man nach einer endlosen Korrespondenz mit Frau Josefine, die jetzt noch in einer Stadt am Rhein wohnte, darüber einig geworden, daß diese in den nächsten Wochen zu ihrem Bruder und zu ihrer Schwägerin zöge, um fortan ganz mit ihnen zusammen zu wohnen. Von ihrem großen Vermögen wollte sie alljährlich für den gemeinsamen Haushalt einen sehr bedeutenden Zuschuß gewähren, aber als Gegenleistung wollte sie dafür auch nicht nur innerhalb des Hauses, sondern auch innerhalb des Regiments als gleichberechtigt mit ihrer Schwägerin behandelt werden. Josefine hatte sogar einen Kontrakt mit allen möglichen Paragraphen für das spätere Zusammenleben entworfen, und erst als dieser unterzeichnet war, ihr Kommen und ihre Hülfe definitiv zugesagt.

Sowohl der Oberst wie seine Frau sahen es voraus, daß sie es mit Josefine nicht immer leicht haben würden, denn die war durch eine lange, unglückliche Ehe verbittert worden. Aber es half nichts: Josefine mußte kommen. Es war die höchste Zeit, – denn das eigene Vermögen war vollständig aufgebraucht, und das Gehalt allein hätte auch nicht annähernd dazu ausgereicht, in Zukunft so weiterzuleben.

Wenn auch Frau Rita etwas vor der Zukunft graute, so nahm sie dennoch alles sehr viel leichter als ihr Mann. Es war ihre gewissenhafte Überzeugung, daß man so hatte leben müssen, um Karriere zu machen, denn für die höheren Stellen kommt es auch darauf an, daß der Betreffende über die Mittel verfügt, um repräsentieren zu können, und daß er auch sonst darnach angetan ist, der Gesellschaft gegenüber und nach außen hin eine glänzende Rolle zu spielen.

Bis zu einem gewissen Grade hatte der Oberst seiner schönen Frau beigestimmt, aber er hatte doch manche schlaflose Nacht hinter sich, in der er sich bittere Vorwürfe machte, aus Liebe zu seiner Frau ihren Wünschen gegenüber so schwach gewesen zu sein – – Und der Gedanke, was werden solle, wenn seine Schwester, auf die sie so bestimmt zählten, im letzten Augenblick ihre Hülfe verweigern würde, hatte ihn oft der Verzweiflung nahe gebracht.

Aber die Gefahr war ja nun Gottseidank beseitigt: seine Schwester kam. Und mit ihr das Geld, das er brauchte, um ferner so luxuriös leben zu können, wie es seiner Frau zur zweiten Natur geworden war. Und er gestand sich offen ein, daß er selbst auch darunter gelitten hätte, wenn seine Frau in Zukunft nicht mehr überall die Schönste und Eleganteste gewesen wäre.

Und heute war Frau Rita womöglich noch schöner als sonst. Sie trug eine gelbseidene Robe mit reichem Spitzenbesatz, die erst vor wenigen Tagen aus Paris eingetroffen war und nun natürlich die Bewunderung aller erregte. Aber ein Gefühl des Neides kam bei keiner Dame auf. Nur eine Erscheinung, wie Frau von Eckern, konnte eine solche Robe tragen. Was bei anderen auffallend gewesen wäre, wirkte bei ihr ganz natürlich und war für sie ganz selbstverständlich.

Jetzt stand sie im Gespräch mit Frau von Gillberg, der zu Ehren ja das Fest gegeben wurde. So zeichnete Frau Rita sie in jeder Hinsicht aus, sprach mit ihr von dem schönen Kopenhagen, das sie weit mehr liebe als Stockholm, obgleich doch gerade diese Stadt wegen ihrer herrlichen Lage berühmt sei, und bezauberte die junge Frau damit derartig, daß ihre Schwärmerei für die schöne Frau ins Ungeheure stieg.

Auch Frau von Gillberg strahlte in einer prachtvollen Toilette. Sie wollte den anderen Damen des Regiments einmal zeigen, daß man in Kopenhagen auch Geschmack und Chic besäße, in mancher Hinsicht mehr als in Deutschland. Sie sah bezaubernd aus, für eine Leutnantsfrau fast zu schön. Und außerdem zu elegant! Das machte ihr Feinde. Man fand es nicht passend, daß sie eine solche Toilette gewählt, das sähe ja beinahe so aus, als ob sie versuchen wolle, Frau von Eckern in den Hintergrund zu drängen! Das kam einer Leutnantsfrau nicht zu, einer Ausländerin erst recht nicht. Man begriff Gillberg überhaupt nicht, man hatte ihn überhaupt nie begriffen, wie hatte er nur eine Dänin heiraten können, die doch dem Geiste des preußischen Militarismus ganz fern stand! Warum hatte er sich nicht unter den Töchtern des eigenen Landes umgesehen? Da hätte er sicher etwas Passendes gefunden, eine Frau, wie er sie brauchte. Glücklich sollte er allerdings ja auch jetzt sein. Aber ob das anhielt? Er durch und durch ein Preuße, sie eine fanatische Kopenhagenerin – das konnte doch nicht gut gehen!

Da war der Leutnant von Bernburg ein ganz anderer Mensch als dieser Gillberg! Mit Blitzesschnelle hatte sich das Gerücht in der Stadt verbreitet, er mache diesesmal wirklich Ernst, er wolle, noch bevor der Winter sich zu Ende neige, verlobt sein. An jeder Haustür, hinter der Eltern mit heiratsfähigen Töchtern wohnten, hatte das Gerücht angeklopft: ein Freier ist in Sicht. Und in keiner dieser Familien hatte es geheißen: für unser Kind kommt er nicht in Betracht. Kaum ein einziges junges Mädchen, das sich nicht gesagt hätte: wenn er um mich wirbt, ich weise ihn ganz sicher nicht zurück, denn er ist hübsch, ist nett, hat einen guten Ruf, und vor allen Dingen: er ist vermögend.

Und nicht eine Mutter, die ihrem Kinde nicht das große Glück wünschte, »ihm« zu gefallen – –

Tolstoi sagt einmal: jede Liebe sei Egoismus – die Mutterliebe aber sei der krasseste Egoismus.

Wenn die Mütter ihre Kinder nur verheiraten wollen, damit diese wirklich glücklich werden, dann hat er entschieden unrecht.

Aber er hat nicht unrecht.

Bernburg war der Held des Abends. Und daran änderte selbst die Schönheit der Hausfrau, die glänzende Toilette der Frau von Gillberg nichts. Bernburg war der Held! Nur ein wahres Glück, daß ihm seine Tischdame von der Hausfrau bestimmt worden war, sonst hätte man schon daraus, daß er gerade diese zu Tisch führte, allerlei Schlüsse gezogen. Gewiß, das junge Mädchen war ja sehr hübsch, im Verhältnis zu seiner großen Figur vielleicht ein wenig zu zierlich, aber die Familie, die Schulden – – Ihr Vater, der Regierungsrat steckte bis über beide Ohren drin, ein wahres Wunder, daß er sich noch hielt. Als Offizier wäre er natürlich längst erledigt gewesen, aber in den anderen Berufszweigen denkt man ja über so etwas nicht so hart.

»Er wird sich doch nicht etwa mit der verloben?« Das war die ängstliche Frage, die alle Gemüter beschäftigte. Jede Mutter wünschte ihm jedes andere junge Mädchen tausendmal lieber, und keine Mutter tat, als dächte sie dabei an ihr eigenes Kind. Und doch hatte jede keinen anderen Gedanken!

Bernburg merkte natürlich, daß er der Gegenstand der allgemeinen Beobachtung war, er fühlte die Blicke der Mütter auf sich gerichtet, er sah die leise Verlegenheit der jungen Damen, wenn er sich mit ihnen unterhielt, er las aber auch in einigen Gesichtern den deutlichen Wunsch, ihm zu gefallen. Das machte ihn verlegen und verstimmt. Er war alles andere eher als ein schüchterner Liebhaber. Aber die Damen, um deren Gunst er selbst geworben, die ihm ihre Liebe gezeigt und geschenkt hatten, waren doch für ihn als seine spätere Frau nie in Frage gekommen. Was ihn früher oft ermutigte, was sonst seiner Eitelkeit, die in jedem Mann fast noch mehr als in jeder Frau steckt, schmeichelte, daß ihm gezeigt wurde: du gefällst mir, ich bin dein, wenn du willst! das stieß ihn hier ab.

Da war das lange Fräulein Embden. Seit zehn Jahren machte sie nun schon alle Bälle mit. Alle ihre gleichalterigen Freundinnen waren schon lange verheiratet oder wenigstens verlobt, sie allein war übrig geblieben. Ihr Stolz, ihre Eitelkeit, aber auch ihre stark ausgeprägte Sinnlichkeit lehnten sich dagegen auf. Sie wollte heiraten! Man erzählte sich, daß sie einmal gesagt haben sollte: ich heirate jeden, der mich haben will, was er ist, und wie er aussieht, ist mir einerlei! Ob das Wort wahr war oder nicht, wußte natürlich niemand, aber man traute es ihr schon zu, wenn man sah, wie sie mit jedem kokettierte, wie sie jeden, der neu in die Stadt kam, einzufangen versuchte.

Da war die nicht mehr ganz junge Bertha Lassen, die ästhetische Jungfrau, wie sie überall genannt wurde, denn ihre Mutter, eine verwitwete Frau Oberstabsarzt, erzählte jedem, der es hören und nicht hören wollte: ihre Netta sei durch und durch ästhetisch – alles Häßliche und Unschöne sei ihr ganz fremd, sie lebe in einem beständigen Idealismus. Nur deshalb habe sie noch nicht geheiratet. Und wenn sie es doch noch einmal tun sollte, dann würde ihr Kind sich selbst untreu werden müssen. Aber einer wirklich großen, echten Liebe würde ihre Netta auch dieses Opfer bringen – – – Aber wenn man Netta ansah, glaubte man nicht so recht, daß ihr das Opfer sehr schwer fallen würde. Sie mußte sich beständig Gewalt antun, um nicht aus ihrer ästhetischen Rolle zu fallen, zu der ihre schöngeistige Mutter sie nur zwang, um dadurch für sie einen Mann zu bekommen. Sie selbst hatte ihren Gatten durch ihre Ästhetik eingefangen, und was ihr gelungen war, würde auch ihrer Tochter gelingen.

Eine jede der jungen Damen, die hier um ihn herumstanden, wartete auf einen Mann. Die eigene Eitelkeit verlangte es. Und zu Hause wurde ja nichts anderes gesprochen, nichts anderes gedacht.

Nur eine war da, die auch jetzt Leutnant von Bernburg zwar mit freundschaftlichen, aber sonst ganz gleichgültigen Augen ansah. Für sie kam er nicht in Betracht. Denn tausendmal hatte sie sich geschworen, nicht zu heiraten. Alles auf der Welt, nur keine Ehe! Sie sah ja das Elend täglich zu Hause mit an.

Ihr Vater war der Major von Rockhausen. Aus Liebe hatte er vor nunmehr zwanzig Jahren seine Frau geheiratet. Aber was war aus der Ehe geworden! Die Zuneigung hatte sich in einen fast unüberwindlichen Haß verwandelt, jeder ging seine eigenen Wege, die Eltern sahen sich so selten und so kurz, wie nur möglich, und vergebens suchte Elsbeth, das Kind, zu vermitteln. In der grenzenlosen Liebe zu ihrer Tochter waren sich die Eltern einig, aber der Vater suchte sie dem Einfluß der Mutter zu entziehen, und diese versuchte, sie dem Vater fernzuhalten. Jeder wollte sie für sich haben. Und das war auch der Grund, weshalb sie sich nicht scheiden ließen.

Elsbeth litt entsetzlich unter den häuslichen Verhältnissen, und als sie einmal vor Jahren an der Diphtheritis schwer erkrankt darniederlag, hatte sie trotz ihrer Jugend nur den einen Wunsch gehabt: zu sterben. Dann brauchte sie es nicht mehr mit anzusehen, wie die Eltern sich gegenseitig zankten und immer aufs neue die Stunde verwünschten, in der sie einander geheiratet hatten.

Und wenn sie starb, dann würde die Ehe geschieden werden, dann hielt nichts mehr die Eltern zusammen, dann konnten sie getrennt, jeder für sich, vielleicht doch noch einmal wieder glücklich werden. Aber der Himmel erhörte ihre Gebete nicht: sie wurde gesund.

Nein, nur nicht heiraten! Wenn schon eine Liebesheirat, wie die Eltern sie eingegangen waren, so enden konnte, wie fiel da vielleicht eine andere Ehe aus, bei der auch die Vernunft oder der Wunsch nach einer glücklichen finanziellen Lage mitsprachen? Niemand machte ihr auch den Hof, und doch war sie vielleicht die Schönste von allen: groß und schlank, mit einem feingeschnittenen Gesicht und großen, dunklen Augen, die immer so traurig dreinblickten. Alle hatten sie gern. Jeder empfand Mitleid mit ihr, alle wünschten sie aufzuheitern und zu zerstreuen, denn man kannte ja den Grund ihrer Traurigkeit. Aber Elsbeth blieb immer die gleiche, wohl war sie lebhaft und unterhaltend, aber sie lachte fast nie, und wenn sie es dennoch tat, dann hatte man fast noch mehr Mitleid mit ihr, als wenn sie ernst und still vor sich hinsah.

Ihre Augen suchten jetzt die Eltern. Der Major, ein großer, schöner Mann, unterhielt sich lachend und übermütig mit Frau von Eckern, während seine Frau anscheinend sehr lebhaft mit einigen anderen Damen plauderte, aber doch keinen Blick von ihrem Mann abwandte. Eine krankhafte Eifersucht quälte sie, ließ sie in jedem Wort, das er mit einer anderen wechselte, in jedem Handkuß, in jeder kleinen Aufmerksamkeit, die er einer anderen erwies, ein großes Unrecht, immer von neuem einen Beweis seiner Treulosigkeit sehen. Und widmete er sich einmal nur ihr, dann war ihr das erst recht ein Beweis dafür, daß er ein schlechtes Gewissen haben mußte, daß eine andere Liebschaft ihn beschäftigte. Er war nur deshalb freundlich zu ihr, um ihren Verdacht abzulenken. Die arme Frau machte sich und ihrem Mann das Leben zur Hölle, sie litt womöglich noch mehr als er unter diesen gänzlich unbegründeten Eifersuchts-Szenen, aber weder Bitten, noch ernste, vernünftige Aussprachen konnten hierin etwas ändern.

Da schlug ein lautes Lachen ihres Vaters an Elsbeths Ohr: für einen Augenblick huschte ein freudiger Schein auch über ihr Gesicht, sie war glücklich, weil der Vater es war, weil er wenigstens für eine Sekunde das häusliche Elend vergaß. Dann sah sie sich nach ihrer Mutter um, und sie erschrak förmlich vor der grenzenlosen Eifersucht, die aus ihren Augen sprach, sie dachte an die Szene, die sich schon im Wagen abspielen würde, wenn sie nach Hause fuhren! Und sie schauderte förmlich zusammen.

»Wenn ich bitten dürfte, gnädiges Fräulein.«

Sie hatte es ganz überhört. Aus dem inzwischen abgeräumten großen Eßsaal ertönten Geigenklänge, ihr Tischherr stand vor ihr, um sie zum ersten Walzer abzuholen.

Da ging auch ihr Vater an ihr vorüber und warf ihr einen freundlichen Blick zu. Sie zwang sich zu einem Lächeln und sah ihm nach, wie er Frau von Eckern, neben der er bei Tisch gesessen hatte, zum Walzer führte. Wenn Papa doch wenigstens nicht tanzen wollte! dachte sie. Er weiß doch, wie rasend das Mama macht! Sie sagt, er tanze nur deshalb immer noch so gerne, weil sie dann nicht hören könne, was er mit den anderen Damen spräche. Armer Papa – arme Mama!

Gleich darauf trat auch sie in die Reihe der Tanzenden – nächst der Hausfrau war sie vielleicht die beste Tänzerin, so war sie beständig von Herren umringt, kaum, daß sie einmal einen Augenblick Zeit fand, sich auszuruhen.

Dann kam der Kotillon mit tausend Überraschungen, endlosen Buketts und zahllosen Orden.

Bernburg sah nach wenigen Minuten wie ein moderner Hof-Theater-Intendant aus; seine Brust war so mit Orden bedeckt, daß man ihm schließlich lachend die weiteren Dekorationen auf den Ärmeln befestigte. Und bei der Damenwahl ließ man ihm erst recht keine Ruhe. Mehr als ein Dutzend junger Mädchen umringten ihn auf einmal und aus jedem Munde erklang es: »Bitte, Herr Leutnant, bitte, Herr von Bernburg, bitte, bitte, tanzen Sie mit mir!«

Dachten die jungen Mädchen wirklich alle daran, daß er sich eine Braut suchte? Und wenn sie es taten, wußten sie denn nicht, wie wenig mädchenhaft es war, sich ihm so aufzudrängen?

Neue junge Damen kamen hinzu, ihn aufzufordern, und wieder hieß es: »Bitte, Herr Leutnant, mir dürfen Sie keinen Korb geben, Sie müssen mit mir tanzen!«

Mehr als zwanzig junge Mädchen standen um ihn herum, eine jede wollte als Siegerin hervorgehen, um ihrer selbst und um der Freundinnen willen, die dann neidisch sein würden.

Halb ärgerlich, halb belustigt, aber auch etwas angewidert, sah Bernburg sich zwischen den jungen Damen um: helle und dunkle Augen blitzten ihn schelmisch lächelnd, verführerisch blinzelnd oder sinnlich begehrend an. Die Augen und der stumme Mund baten: komm zu mir, nimm mich!

Er dachte unwillkürlich an die Szenen in den Nachtcafés der Großstadt, wo die Damen der Welt, in der man sich nicht langweilt, jeden Herrn einzufangen versuchen: »komm mit mir, – laß doch die anderen.«

»Aber ich kann doch nicht mit Ihnen allen tanzen, meine Damen.« Er wußte sich wirklich nicht zu helfen und er wünschte sich befreit aus diesem Kreise, der ihn immer dichter umdrängte.

»Meine Damen – Sie werden mir noch die ganzen Festdekorationen herunterreißen,« meinte er lachend, »erst schmücken Sie mich mit diesen Orden, und nun reißen Sie mir die Dinger wieder ab.«

Aber auch diese Bitte half nichts. Man ließ ihn nicht los.

Im Saal war man auf die Gruppe aufmerksam geworden. Die anderen Paare hatten aufgehört zu tanzen, man beobachtete Bernburg im Kreise der jungen Damen, man machte seine Scherze darüber und fragte sich gegenseitig: wen wird er wählen?

Bernburg wurde immer ratloser, er wußte: die Dame, die er jetzt um den Tanz bat, würde sofort im Saal für seine zukünftige Braut erklärt werden, es würde überall heißen, »daß er von allen gerade die nahm, ist doch der beste Beweis, daß er sie heiraten will, sonst hätte er doch nicht gerade die genommen!«

Es würde unmöglich sein, gegen solche Logik, gegen solches Geschwätz und Gerede aufzukommen. Es mußte deshalb unter allen Umständen vermieden werden.

Ratlos sah er sich um. Da traf sein Blick Elsbeth von Rockhausen. Die stand kaum zehn Schritt von ihm entfernt an einen kleinen Tisch gelehnt, ganz allein, und sah zu der Gruppe hinüber. Und deutlich zeigte sich in ihrem Gesicht, daß sie die Freundinnen nicht begriff. Wie konnten sich die nur so prostituieren? Denn viel weniger als eine Prostitution war es ja nicht, was diese taten! Es galt, den Mann einzufangen, ganz einerlei, wer der Mann war, um von den Eltern gelobt zu werden und um selbst später davon einen finanziellen Vorteil zu haben. –

Bernburg erriet, was in ihr vorging, er kannte sie schon lange, auf vielen Gesellschaften hatte er sie zu Tisch geführt; auch im Hause der Eltern, wenn diese allem ehelichen Zwist zum Trotz ihre offiziellen Abfütterungen geben mußten, hatte er zuweilen neben ihr sitzen dürfen. Auch sonst war er ihr oft begegnet, und eine Art guter Kameradschaft hatte sich zwischen ihnen entwickelt. Er kannte sie und die strengen, moralischen Anschauungen, die sie in jeder Hinsicht hatte. Und plötzlich fühlte er, wie ihm das Blut in die Wangen stieg. Er schämte sich um der jungen Damen willen, und er schämte sich vor sich selbst, daß er hier gewissermaßen wie ein Sultan im Kreise der Damen stand und nicht wußte, wem er das Taschentuch zuwerfen sollte.

»Eben fällt es mir ein, meine Damen – ich hatte es ganz vergessen: Fräulein von Rockhausen hat mich bereits vorhin zum Walzer engagiert – ich sehe das gnädige Fräulein dort auf mich warten. – Darf ich bitten, mir den Weg freizumachen?«

Und wenn auch etwas widerstrebend und zögernd, zogen sich die jungen Damen doch zurück.

Alle wußten natürlich, daß er Elsbeth nur vorschob, um jetzt keine Wahl treffen zu müssen, und daß er gerade mit Elsbeth tanzte, war ihnen allen recht – die kam als Rivalin garnicht in Frage – –

Bernburg war rasch zu Elsbeth getreten: »Darf ich bitten, gnädiges Fräulein? Ich habe eben eine Aufforderung Ihrerseits zum Tanz vorgeschützt, um mich da drüben endlich freizumachen – bitte, verzeihen Sie mir die Lüge, und tanzen Sie mit mir.«

Sie nickte nur mit dem Kopfe, und gleich darauf führte er sie im Reigen dahin.

»Wissen Sie, Herr Leutnant, daß ich Sie vorhin aufrichtig bedauert habe?« fragte sie, als er sie nun zu ihrem Platz zurückgeführt hatte und noch einen Augenblick neben ihr stand.

»Und warum das?« fragte er etwas erstaunt.

»Sie hätten von Ihren Zukunftsplänen nicht sprechen sollen. Sie werden in diesem Winter keine frohe Minute mehr haben, man wird nicht eher glücklich sein, bis man Sie verheiratet hat, aber ob Sie dann glücklich sein werden – darnach fragt kein Mensch.«

»Sie auch nicht? Wär' Ihnen das auch gleich?«

Er wußte selbst nicht, wie er zu dieser Frage ihr gegenüber kam.

»Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen, daß Sie die richtige Frau finden möchten – – aber ob Sie die hier finden – – was ich da vorhin beobachtet habe – –« Sie schwieg, dann sagte sie: »Als junges Mädchen steht es mir nicht zu, über meine Freundinnen zu richten.«

»Schärfer als ich selbst können Sie die jungen Damen auch nicht verurteilen. Und das veranlaßt mich zu einer Bitte, die der Augenblick mir eingibt. – Wollen Sie mir nicht helfen, eine Frau zu finden –? Ich habe die ernste Absicht, zu heiraten – wir sind ja gute Freunde. Wollen Sie sich nicht etwas für mich umsehen und mir dann sagen: die nimm, die wird dich glücklich machen?«

Sie war bei seinen Worten ganz blaß geworden: »– Das kann ich nicht – ich am allerwenigsten. Wer Ihnen da hilft, übernimmt eine schwere Verantwortung – für mich wäre sie zu groß. Wer kann wissen, wie eine Ehe ausfällt?«

Er wurde verwirrt und verlegen. Er verstand, daß sie auf das unglückliche Verhältnis ihrer Eltern anspielte, daß sie unter dem Einfluß der Szenen, die täglich zu Hause stattfanden, niemandem sagen konnte: heirate, du wirst glücklich werden.

Er versuchte, mit einem Scherz über das Peinliche des Augenblicks hinwegzukommen, aber es gelang ihm nicht und er war froh, als ein Kamerad erschien, um Elsbeth zu einem Walzer zu engagieren.

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