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[XII.]

Es kam Frau Rita wirklich zuweilen so vor, als wenn plötzlich sämtliche böse Geister in Josefine gefahren wären – das Zusammenleben mit ihr wurde von Tag zu Tag unerträglicher. Aber den wahren Grund, weshalb Josefine beständig Streit hervorrief, weshalb sie an allem und jedem etwas auszusetzen hatte, weshalb sie immer von neuem hetzte und intrigierte, sobald sich auch nur die geringste Veranlassung bot, erriet Frau Rita nicht, so sehr sie sich auch bemühte, für Josefines Benehmen eine Erklärung zu finden. Die Wahrheit war: Josefine wollte sich rächen, Rache nehmen dafür, daß Frau Rita sie in Gegenwart ihres Bruders beschuldigt hatte, durch ihren harmlosen Scherz Frau v. Rockhausens Leiden verschlimmert und den Ausbruch der Krankheit verschuldet zu haben. Wie ungerecht dieser Vorwurf war, bewiesen ja die fast stetig aus der Anstalt eingehenden Berichte, aus denen klar hervorging, daß es sich um ein altes Leiden handelte. Josefine hatte in ihrer Feigheit vorübergehend vor Angst gezittert, daß sie doch vielleicht die Veranlassung zu der Erkrankung der Frau v. Rockhausen sein könnte. Sie hatte eine vollständig schlaflose Nacht gehabt, und wenn sie auch wußte, daß keine irdische Strafe für das, was sie getan, sie treffen könne, so hatte ihr eigenes Gewissen sie doch angeklagt, wie sie jetzt wußte, ohne Grund.

Und diese schlaflose Nacht, in der sie fast daran irre geworden war, ob sie wirklich ein so guter Mensch sei, wie sie es zu sein bisher geglaubt hatte – diese Nacht konnte sie ihrer Schwägerin nicht verzeihen.

Und da Josefine wußte, daß diese am meisten darunter litt, wenn sie sich über die Damen des Regiments häßlich und unfreundlich äußerte, machte Josefine in den nächsten Tagen in allen Familien Besuche, spionierte mit ihren scharfen Augen überall herum, brachte die Damen durch ihre große Liebenswürdigkeit dahin, ihr alles anzuvertrauen, was sie beschäftigte, was sie quälte. Und mit einem großen Sack von Neuigkeiten kam Josefine dann nach Haus, kramte aus, was sie erfahren hatte, und hielt mit ihrer vernichtenden Kritik trotz des energischen Protestes ihres Bruders und ihrer Schwägerin nicht zurück.

Es war schon einmal vorgekommen, daß der Oberst vom Tisch aufgestanden war und sich in seinem Zimmer hatte servieren lassen, weil er Josefinens Klatscherei nicht mehr mit anhören wollte und konnte.

Aber das machte auf Josefine keinen Eindruck: »Otto wird sich schon schnell wieder beruhigen, er wird einsehen, wie gut ich es mit Euch meine. Ihr müßt unbedingt wissen, wie es in den Familien zugeht, die gewissermaßen Eurem Kommando unterstellt sind, die geringste Kleinigkeit ist da von Interesse. Wenn man sich nicht von Anfang an um jede anscheinend auch noch so geringfügige Bagatelle kümmert, dann wachsen einem später die Ereignisse über den Kopf, dann steht man einer Skandalaffäre wie bei der Frau Hauptmann Ahlert rat- und hilflos gegenüber.«

Josefine ließ nicht nach in der Hinsicht zu hetzen, Frau Hauptmann Ahlert mußte »fliegen«, wie sie es nannte. Das hatte sie schon lange beschlossen, denn sie war doch nicht nur gekommen, um ihrem Bruder die Schulden zu bezahlen, sie hatte sich gleich am ersten Tag gelobt, ihrer schönen Schwägerin beizustehen, die schweren Pflichten als Kommandeuse zu erfüllen. Da war sie es Frau Rita schuldig, eine Dame aus dem Regiment zu entfernen, die absolut nicht hineinpaßte, die ihrem ganzen Lebenswandel nach nicht mehr hineingehörte.

Es war Josefine geradezu unbegreiflich, daß es der Oberst immer wieder aufs neue verschob, mit der Angelegenheit Ernst zu machen, und sie verstand ihn nicht, wie er immer noch von der Schuldlosigkeit der Frau überzeugt sein konnte, auch jetzt noch, wo sie selbst noch mit unermüdlichem Fleiß alles, was gegen die Frau Hauptmann Ahlert sprach, zusammentrug, wo sie einen Stein der Anklage zu dem andern fügte, sodaß jedes Gericht sie ohne weiteres auf Grund des Indizienbeweises verurteilt haben würde. Doch ihr Bruder glaubte es immer noch nicht. Auch seinetwegen war es ein Glück, daß sie hier war. Sie begriff garnicht, daß die beiden solange ohne sie fertig werden konnten.

In Wirklichkeit aber glaubte der Oberst schon lange nicht mehr an die Schuldlosigkeit der Frau Hauptmann Ahlert. Er hatte mit seinem Adjutanten ausführlich gesprochen und auf Grund dessen, was der ihm berichtete, konnte es für ihn keinem Zweifel unterliegen, daß der Referendar sein Wort fälschlicherweise gegeben hatte, um die Ehre der Frau zu retten. Er machte sich jetzt die schwersten Vorwürfe, dieses Wort verlangt zu haben und sah bei ruhiger Überlegung selbst ein, daß der andere garnicht anders hätte handeln können. Aber daß er den Referendar gewissermaßen moralisch gezwungen hatte, sein Wort gegen besseres Wissen zu geben, bedrückte ihn fast ebenso, wie die Tatsache, daß in seinem Regiment eine Dame sich soweit hatte vergessen können, ihren Mann zu betrügen.

Der Oberst fand keinen Ausweg, er konnte Ahlert nicht zureden, sich versetzen zu lassen, ohne ihm nicht den wahren Grund zu nennen, der sein längeres Verweilen im Regiment unmöglich mache. Und darüber, daß Ahlert sich nicht scheiden lassen würde, hatte der Adjutant ihn nicht im Zweifel gelassen: »Der Herr Hauptmann steht in dem Ruf, nicht ganz der vornehme Charakter zu sein, wie Sie, Herr Oberst, glauben. Erfährt er von dem Treubruch seiner Frau, so würde er sie eine Zeitlang zu ihren Eltern zurückschicken, dann seinen Abschied einreichen und sich wieder mit ihr aussöhnen, schon um auch in Zukunft auf den jährlichen Zuschuß, den sie ihm gibt, nicht verzichten zu müssen.«

Der Oberst wollte widersprechen: »Das ist nicht möglich, so niedrig kann er doch nicht denken, man läßt sich doch für Geld nicht alles gefallen.«

Aber er schwieg; er dachte an Josefine, die ihm den Frieden und das Glück seines Hauses zerstört hatte, die ihm täglich das Leben verbitterte, die er um ihrer kleinlichen, gehässigen Gesinnung wegen nicht mehr lieben konnte, und der gegenüber ihn das Gefühl, ihr zu aufrichtigem Dank verpflichtet zu sein, täglich aufs neue bedrückte. Und so lange er Offizier war, konnte er ihr Geld nicht entbehren. Anstatt ihr zu sagen: »Josefine, es geht auf die Dauer nicht; es ist besser, wir trennen uns,« mußte er täglich neue Opfer von ihr annehmen oder er mußte den Abschied einreichen. Aber auch dann blieb er in ihrer Schuld, und nicht nur seine Frau, auch Josefine würde widersprechen, wenn er gehen wollte. Er hörte schon ihre Stimme: »Dazu habe ich Dir doch nicht einen Teil meines Vermögens gegeben und alle Deine Schulden bezahlt, damit Du Dich und uns jetzt in die Einsamkeit vergräbst.«

Er dachte mehr an sich selbst als an Ahlert, als er jetzt zu seinem Adjutanten sagte: »Ja, ja, das verfluchte Geld, das verdirbt schließlich jeden Charakter.«

Der Adjutant sah ihn etwas verwundert an und brachte das Gespräch wieder auf den Ehebruch. Eins dürfe der Herr Oberst nicht vergessen, wenn der Hauptmann die Wahrheit erführe, dann bliebe ihm nichts anderes übrig, als den Referendar zu fordern. Allerdings sei es auch nicht ausgeschlossen, daß der Hauptmann, nicht aus Überzeugung, sondern aus Feigheit, ein Duell ablehnen würde. Dann müßte natürlich ehrengerichtlich gegen ihn eingeschritten werden.

Einen Skandal gab es auf alle Fälle, selbstverständlich war eine ehrengerichtliche Untersuchung noch viel schlimmer als ein Duell; aber auch das würde genug Staub aufwirbeln. Solche Nachricht geht ja mit Windeseile durch die Zeitungen, alle Versuche, da etwas zu verheimlichen, helfen nichts. Vielleicht erfuhr dann Se. Hoheit davon, und wenn der natürlich auch nicht das ganze Regiment für das verantwortlich machen konnte, was der einzelne tat, – die ganze Sache war und blieb einfach gräßlich.

Man mußte versuchen, sie wenigstens solange totzuschweigen, bis Se. Hoheit hier gewesen war. Der große Tag war ja nicht mehr fern, dann war es immer noch Zeit einzuschreiten.

Allerdings verhehlte der Oberst sich nicht, daß das von ihm nicht ganz korrekt gehandelt sei, man konnte ihm später einen schweren Vorwurf daraus machen, daß er die Angelegenheit so lange auf sich hatte beruhen lassen; das konnte ihm unter Umständen den Kragen kosten.

So sehr ihn der Gedanke zuerst, schon seiner Frau wegen, erschreckte, so schnell beruhigte er sich wieder; ja, er fand darin eine Art Vergeltung. Mußte er gehen, dann war es die Strafe dafür, daß er als Offizier über seine Verhältnisse gelebt, daß er als Oberst verschuldet gewesen war und sich seine Schwester hatte kommen lassen müssen, um finanzielle Hülfe zu finden. Er selbst würde gehen müssen, das sah er je länger, um so deutlicher ein, aber besser war es, daß er ging, als daß es gerade jetzt in seinem Regiment zu einem Skandal kam. Das mußte unter allen Umständen vermieden werden.

Dazu kam eine rein private Sache, ihm den Gedanken an den Abschied zu erleichtern. War er nicht mehr im Dienst, hatte er sich in eine ganz kleine Stadt oder auf das Land zurückgezogen, dann brauchte Josefine ihm kein Geld mehr zu geben, dann mußte seine Pension ausreichen, um für alle den Lebensunterhalt zu bestreiten. Es lag dann für Frau Rita kein Grund mehr vor, sich so elegant zu kleiden und große Feste zu geben. Gewiß, es würde ihr schwer werden, sich an das ganz veränderte Leben zu gewöhnen; auch er würde nicht leicht auf seinen Beruf, auf seine Tätigkeit verzichten, aber sie hatten ja sich und ihre Liebe; die würde sicher über alles hinweghelfen.

So ließ er Josefine weiterhetzen, und sie hörte nicht auf, ihren Bruder aufzustacheln.

»Du mußt mich von der Gegenwart dieser Frau Ahlert befreien, es muß ihr doch auffallen, daß ich bei allen anderen Damen ein- und ausgehe, daß ich nur sie nicht aufsuche. Aber ich kann nicht zu ihr gehen, ich kann mich nicht verstellen, ich kann nicht Freundschaft heucheln, wenn ich Verachtung empfinde.«

Und wie gegen Frau Hauptmann Ahlert, hetzte Frau Josefine auch gegen Frau Thea. Seit reichlich acht Tagen war die nun schon in Kopenhagen; sie hatte ein Telegramm erhalten und war ganz plötzlich abgereist, nachdem sie noch an Frau von Eckern ein paar Zeilen geschrieben und diese gebeten hatte, es auch vor den anderen Damen zu entschuldigen, daß sie abführe, ohne Adieu zu sagen. Aber ihre Zeit erlaube es beim besten Willen nicht, denn der Zug ginge bereits in zwei Stunden.

Jeder Mensch glaubte an das Telegramm, selbst die Dienstboten, die die Depesche ja mit eigenen Augen gesehen, allerdings aber auch am Mittag die erregte Aussprache zwischen ihrem Leutnant und der gnädigen Frau mit angehört hatten. Selbst die waren felsenfest davon überzeugt, daß nur das Telegramm die Veranlassung der Reise war.

Nur eine glaubte nicht, das war Josefine: »Die Depesche ist ein Vorwand, noch dazu ein sehr ungeschickt gewählter, denn er ist alt, wie die Erfindung der Elektrizität selbst. Seitdem wir uns diese dienstbar machten, erhalten alle Ehemänner und alle Ehefrauen, die das Weite suchen wollen, Depeschen – schon mit Rücksicht auf die Dienerschaft. Mich täuscht man nicht. Daß Frau Thea reiste, hat ihren Grund in den Äußerungen, die sie über die bevorstehende Verleihung des Namenszuges und über die Garde selbst machte. Wenn ich auch natürlich über den Inhalt der anonymen Briefe nicht mehr verriet, als ich vor Gott und meinem Gewissen jederzeit verantworten kann, so ist die Sache doch irgendwie ruchbar geworden, und ich kann nur der Wahrheit gemäß sagen, daß Frau Thea sich dadurch die Sympathien der anderen Damen noch mehr verscherzt hat, als sie es schon durch ihr Benehmen gegen Frau von Rockhausen tat. Ich begreife garnicht, daß Otto da nicht dienstlich einschreitet; allerdings scheint es ihm ja stets an der nötigen Energie zu fehlen, wenn es sich darum handelt, gegen die Damen des Regiments Maßregeln ergreifen zu müssen.«

Stundenlang konnte Frau Josefine so auf ihre Schwägerin einsprechen, die mit stiller Ergebung zuhörte, weil sie zuhören mußte – sie war ihrer Schwägerin, wie diese ihr täglich aufs neue erklärte, zu so großem Dank verpflichtet, daß es doch wirklich nicht zuviel verlangt war, wenn sie Josefines Bitte, mit ihr etwas zu plaudern, erfüllte.

Und »plaudern« nannte Josefine, wenn sie an ihren lieben Mitmenschen kein gutes Haar ließ, wenn sie sich die größte Mühe gab, Feindschaft und Haß zu erwecken.

Aber so sehr sie sich auch bemühte, ihren Bruder gegen Frau Thea aufzustacheln, gelang ihr es doch nicht. Auch heute abend, als man nach dem Essen im Zimmer des Obersten zusammensaß, brachte sie das Gespräch auf ihre Feindin, und sie war entschlossen, heute etwas zu erreichen; sie wollte den Fall zum definitiven Abschluß bringen. Es verletzte sie in ihrer Eitelkeit, daß sie bei ihrem Bruder nichts durchsetzte, und außerdem fand sie es langweilig, immer dasselbe zu reden, ohne einen Schritt weiterzukommen. Und um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, sprach sie ohne jede Gehässigkeit, anscheinend ganz unparteiisch, als stände sie wie ein Staatsanwalt, der die Anklage erhebt, über der Sache. Und sie schloß mit den Worten: »Du wirst mir zugeben müssen, daß ich den Fall ganz objektiv behandle, und deshalb bitte ich Dich, nun endlich mir auch Deinerseits nicht immer mit allgemeinen Redensarten, sondern kurz und präzis zu antworten, wie Du über die Sache denkst.«

Der Oberst, der den langen Ausführungen seiner Schwester ungeduldig zugehört hatte, erhob sich von seinem Platz und stellte sich dicht vor Josefine hin: »Du hast Recht, ich will Dir klipp und klar meine Meinung sagen, nicht weil Du es verlangst, nicht weil Du einen Anspruch darauf hättest, meine Ansicht kennen zu lernen, sondern aus dem sehr einfachen Grunde, weil ich wünsche, daß dieses Thema nie wieder, auch nur mit einem einzigen Wort, berührt wird; ich habe genug andere Sachen im Kopf. Fast wider Willen habe ich mich unter dem Einfluß Deiner Worte mit der Äußerung der kleinen Frau Thea beschäftigt, ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu der Überzeugung gekommen, daß ich nicht die leiseste Veranlassung habe, dienstlich davon irgendwie Notiz zu nehmen, schon deshalb nicht, weil es sich um Worte handelt, die eine Dame in ihrem eigenen Hause aussprach, weil ich sie nicht selbst mit anhörte, und weil es mir widerspricht, mich in Sachen zu mischen, die mir von dritter Seite privatim zugetragen werden. Und davon aber ganz abgesehen, kann ich überhaupt in Frau Theas Worten nichts Unüberlegtes und Unpassendes finden, und ich sehe nicht ein, inwiefern sie ihr irgendwie schaden könnten. Ich finde die Worte höchstens nicht ganz taktvoll, denn wenn jemand ein Geschenk erhalten soll und sich darauf freut, ist es von einem Dritten nicht übertrieben liebenswürdig, dem anderen zu sagen: Das Geschenk ist nichts wert. Du siehst also, ich nehme Frau Thea nicht so ohne weiteres ganz in Schutz. Aber in einer Hinsicht stehe ich ihr vollständig bei. Sie hat ganz Recht, wenn sie sagt, die Garde ist nicht besser als jedes andere Regiment; ich wenigstens müßte mich mein Leben lang geschämt haben, Offizier zu sein, wenn ich nicht die Überzeugung hätte, daß ein Truppenteil genau so gut ist wie der andere; alle erfüllen ihre Pflicht, alle sind in gleicher Weise bereit, mit Begeisterung in den Krieg zu ziehen – das Regiment in Posemuckel genau so gut wie das in Potsdam. Es mag angenehmer sein, die Garnison in Berlin zu haben als hier, gewiß ist es eine große Ehre, direkt unter den Augen Seiner Majestät zu dienen, aber trotzalledem ist ein Regiment genau so viel wert wie das andere. Und wenn wir jetzt den Namenszug erhalten, darf uns diese Auszeichnung nicht stolz und übermütig machen, sie darf uns nicht verleiten, uns plötzlich als bessere, vornehmere Menschen zu dünken. Nicht die Uniform bestimmt den Wert einer Truppe, sondern der Geist, der sie belebt, und die Kriegsbereitschaft, die sie sich durch den Dienst aneignet. Wäre es anders, dann müßten wir ja, sobald wir den Namenszug haben, uns schämen, ihn früher nicht getragen zu haben. So denke ich über den Fall; ich werde dafür sorgen, daß meine Offiziere ebenso urteilen und bitte Dich, Rita, dahin zu wirken, daß Deine Damen gleichfalls so denken.«

Frau Josefine war starr, ganz fassungslos sah sie ihren Bruder an: »So urteilst Du?« kam es endlich über ihre Lippen, »Du, der Kommandeur eines Regiments, das demnächst ausgezeichnet werden soll?«

»Gewiß,« stimmte er ihr bei, »und ich würde glauben, die Auszeichnung weder für mich, noch für das Regiment zu verdienen, wenn ich anders dächte. Ich freue mich auf den Besuch Seiner Hoheit, aber ich werde dadurch doch kein besserer Mensch; ich bleibe genau der, der ich bin, meine Fehler werden dadurch nicht größer, meine guten Eigenschaften nicht zahlreicher.«

Frau Rita reichte ihrem Manne die Hand: »Ich danke Dir. Offen gestanden, habe ich zuweilen, trotzdem ich Deine vornehme Gesinnung kenne, doch im Stillen gefürchtet, der kleinen Frau Thea könnten aus ihren Worten vielleicht Unannehmlichkeiten entstehen. Nun bin ich ganz beruhigt.« –

Josefine hatte eine Niederlage erlitten, wie sie größer nicht gedacht werden konnte, sie zitterte und bebte vor Erregung, und nervös ballte sie in den Händen ihre Stickerei: »Das ist mir ja sehr interessant, was Du mir da sagst. Von Dir hätte ich denn doch eine andere Auffassung erwartet, und ich möchte wirklich wissen, ob Deine Offiziere ebenso denken wie Du.«

»Der Teufel soll sie holen, wenn sie es nicht tun,« brauste der Oberst auf, »ich werde jeden erbarmungslos versetzen lassen, der sich später aufspielt und mit Geringschätzung oder gar mit Verachtung auf die Regimenter herabblickt, die keinen Namenszug haben. Und das sage ich Dir, Josefine, wenn Du Dich etwa mit dem Gedanken trägst, auch bei meinen Herren zu intriguieren, auch dort böses Blut zu machen, dann ist es aus mit uns, dann sind wir trotz aller geschwisterlichen Liebe, trotz aller Dankbarkeit, die Rita und ich für Dich empfinden, für immer geschiedene Leute, dann trennen sich unsere Wege, dann ist ein Zusammenleben nicht mehr möglich.«

Der Oberst hatte in der größten Erregung gesprochen, aber kaum geendet, tat es ihm schon wieder leid, was er gesagt hatte. So bat er: »Sei nicht böse, Josefine, meine Worte waren nicht so ernsthaft gemeint.«

Sie sah ihn beinahe zärtlich an: »Das wußte ich auch so, Otto, denn wenn Du wirklich jemals daran denken solltest, mich fortzuschicken, dann müßtest Du mir doch zuerst das Geld zurückerstatten, das ich Dir für Deine Schulden gab. Du erinnerst Dich, daß ich Dir nur auf Grund eines gemeinsamen Haushaltes hin half, und wenn Du die Abmachung nicht hältst, dann –«

Sie hielt plötzlich inne, sie erschrak vor dem blassen Gesicht, mit dem der Bruder ihr gegenüber stand – mit großen entsetzten Augen sah er sie an.

Frau Rita war emporgesprungen und trat auf ihren Mann zu: »Otto, ich bitte Dich, rege Dich nicht auf, Josefine hat sich geärgert, sie ist jetzt heftig wie vorhin Du; sie weiß garnicht, was sie in der Erregung gesagt hat.«

»Du irrst,« sprach er, »Josefine weiß es ganz genau, sie wird selbst in der Erregung nicht heftig, auch da weiß sie immer noch, was sie spricht; über ihre Lippen kommt kein Wort, das nicht Absicht und die vollste Überlegung ist. Und deshalb, Josefine,« er wandte sich jetzt wieder seiner Schwester zu, »trennen sich schon heute unsere Wege. Als Gast in meinem Haus bist Du mir willkommen, solange Du bleiben willst, einerlei, ob es sich um Jahre oder um Jahrzehnte handelt, aber den Haushalt bestreite ich von heute ab allein. Du hast es mir unmöglich gemacht, in Zukunft je wieder einen Pfennig von Dir anzunehmen, wenn ich überhaupt noch der Herr in meinem Hause bleiben will – und das will ich. Ich weiß, wir werden uns sehr einschränken müssen; ich bin mir der Tragweite meiner Worte vollkommen bewußt; aber so mancher Oberst kommt mit seinem Gehalt aus, da müssen wir es auch. Für Rita tun mir Deine Worte besonders leid, denn sie wird weit mehr als ich den Verlust Deiner Unterstützung entbehren, aber es bleibt trotz alledem bei dem, was ich Dir sagte.«

Die ruhige, feste Art, mit der ihr Bruder zu ihr sprach, verfehlte ihre Wirkung auf Josefine nicht. Führte er seine Drohung aus, nahm er kein Geld mehr von ihr an, dann war ihres Bleibens hier nicht mehr lange. Sie hatte als reiche Frau keine Lust, sich so einzuschränken, wie Eckerns es von jetzt ab tun mußten. Vor allen Dingen aber würde sie als Gast nicht annähernd mehr dieselbe Rolle spielen als bis jetzt. Sie hatte schon lange überall erzählt, daß sie dauernd bei ihren Verwandten bliebe, erfuhr man jetzt, daß sie über kurz oder lang abreisen würde, dann gab man sich gar keine Mühe mehr, um ihre Gunst zu ringen.

Sie hatte sich unablässig bemüht, den Gipfel der Macht zu erklimmen, sie hatte das Ziel schon dicht vor Augen gesehen, nun stürzte sie plötzlich wieder ab, noch dazu lediglich durch ihre eigene Dummheit und Unvorsichtigkeit. Sie begriff sich selbst nicht, wie sie so hatte sprechen können.

Ihr Bruder mußte wieder versöhnt werden, und er würde sich auch schon wieder versöhnen lassen. Die Macht des Geldes war ja so groß, und vor allen Dingen hatte sie in Frau Rita einen nicht zu unterschätzenden Bundesgenossen; die liebte den Reichtum, schöne Toiletten und allen Luxus, die würde ihr schon helfen, Otto umzustimmen.

Das alles durchkreuzte blitzschnell ihr Gehirn. Für den Augenblick hatte sie das Spiel verloren, das sah sie ein, und es wäre ganz falsch gewesen, jetzt gleich eine Aussprache herbeiführen zu wollen. So erhob sie sich denn, um »gute Nacht« zu sagen: »Es tut mir leid, daß der Abend mit einer Differenz schließt, morgen sind wir ruhiger, dann werden wir alle anders denken.«

»Ich nicht, Josefine, darüber gib Dich keinen Hoffnungen hin,« sagte ihr Bruder, und der Ton seiner Stimme ließ keinen Zweifel aufkommen, daß es ihm mit seinen Worten heiligster Ernst sei.

Josefine tat das Klügste, was sie tun konnte, sie überhörte seine Entgegnung. Wie immer bot sie ihrer Schwägerin und ihrem Bruder die Stirn zum Kuß, aber der Oberst begnügte sich damit, ihr flüchtig die Hand zu geben: »Gute Nacht, Josefine.«

Frau Rita hatte der Aussprache zwischen ihrem Mann und ihrer Schwägerin voller Angst und Entsetzen gelauscht. Ihrer Meinung nach mußte wieder Frieden werden, und so sagte sie jetzt, als sie mit ihrem Mann allein war: »Otto, ich verstehe Dich nicht, wie konntest Du so zu Josefine sprechen? Gewiß, was sie sagte, war kalt und herzlos, aber wir sind ihr doch zu großem Dank verpflichtet.«

Er sah sie beinahe traurig an: »Verstehst Du mich wirklich nicht? Fühlst Du es mir nicht nach, daß nicht nur mein Stolz, sondern meine Ehre sich dagegen auflehnen, Almosen von ihr anzunehmen? Denn alles, was Josefine uns gab, ist ein Almosen – nicht die Höhe der Summe ist für das Wort maßgebend, sondern die Art, in der sie gegeben wird. Traurig genug, daß ich das andere annehmen mußte, um unsere Schulden bezahlen zu können. Nun aber nehme ich keinen Pfennig mehr, und ich werde versuchen, das, was sie uns gab, nach besten Kräften zurückzuzahlen.«

Sie erschrak über den Ernst, der aus seinen Worten sprach: »Gewiß, Du hast vollständig recht, ich fühle Dir alles nach, ich habe für Josefines Benehmen keine Entschuldigung, aber trotzdem denke nicht nur an den Augenblick, denke auch an die Zukunft; wie sollen wir später mit dem Gehalt auskommen?«

»Es muß eben gehen. Leicht wird es natürlich nicht immer sein, aber es läßt sich nicht ändern. Ich will Dir etwas sagen: ich habe neulich erfahren, daß die gegen Frau Ahlert erhobenen Beschuldigungen wahr sind –«

»Aber Otto, das ist doch gar nicht möglich, gar nicht denkbar,« rief Frau Rita ganz entsetzt.

»Und doch ist es wahr. Ich hätte es ja verschwiegen, wie ich überhaupt die Sache vorläufig auf sich beruhen lassen will, aber jetzt sage ich es Dir aus einem ganz bestimmten Grunde. Der Adjutant meinte, der Hauptmann würde seiner Frau den Fehltritt verzeihen, nur um ihr Geld zu behalten, um auch fernerhin auf einem großen Fuß leben zu können. Unwillkürlich mußte ich bei den Worten an all die Demütigungen denken, die wir von Josefine schon haben hinnehmen müssen. Dem muß ein Ende gemacht werden. Ich werde nie vergessen, was Josefine für uns tat, aber ich will lieber in den Ruf und den Verdacht kommen, undankbar zu sein, als daß ich an meiner Ehre Schaden leide, daß ich um des Geldes willen alles hinnehme. Solange ich lebe, will ich nicht in die Lage kommen, mich selbst verachten zu müssen, und deshalb bleibt es bei dem, was ich sagte.«

So sehr diese Worte auch Frau Rita beunruhigten, die Gewißheit, daß Frau Hauptmann Ahlert nun doch schuldig sei, ließ die Gedanken an die eigene Zukunft in den Hintergrund treten. »Wenn Du verschweigen willst, was Du weißt,« meinte sie nach kurzem Nachdenken, »so handelst Du nach meiner Meinung nicht richtig. Die Vorgesetzten würden Dich deswegen mit Recht tadeln, und Du bist es mir und den anderen Damen des Regiments schuldig, daß Du uns von Frau Hauptmann Ahlert befreist. Ich denke nicht daran, über eine Frau, die von einer heißen Leidenschaft erfaßt, ihrem Mann nicht treu bleibt, erbarmungslos den Stab zu brechen und sie zu verdammen. Aber in unseren kleinen Kreis paßt sie nicht mehr hinein, schon mit Rücksicht auf das Gerede der Außenwelt dürfen wir sie nicht mehr unter uns dulden.«

Der Oberst ging erregt auf und ab. »Du hast gewiß recht, Rita; aber was soll ich machen? Wenn Ahlert, wie er es als Offizier muß, sich mit dem Referendar schießt, ist der Skandal fertig, und verweigert er das Duell, wie der Adjutant es glaubt, dann gibt es erst recht einen Skandal.«

Frau Rita dachte einen Augenblick nach, dann meinte sie: »Einen Ausweg gäbe es. Du läßt gleich morgen mittag den Hauptmann zu Dir rufen und erklärst ihm, daß die Gerüchte über seine Frau und den anderen noch nicht verstummen wollen. Du legst es ihm nahe, ob er sich unter diesen Umständen mit Rücksicht auf sich selbst, sowie auf seine Frau nicht lieber versetzen lassen wolle. Du kannst ihn ja leicht dahin bringen, daß er Deinen Wunsch erfüllt, und schließlich würdest Du ja auch Deine Macht nicht mißbrauchen, wenn Du ihn unter Berücksichtigung der vorliegenden Tatsachen gegen seinen Willen versetzen ließest. Du kannst Ahlert dann vorschlagen, bis zur Entscheidung seines Gesuches auf Urlaub zu gehen, sodaß er vielleicht schon morgen, spätestens übermorgen, mit seiner Frau die Stadt verläßt.«

Der Oberst hörte aufmerksam zu: »Der Ausweg ist nicht schlecht, aber er hat einen großen Fehler: er ist nicht offen, nicht wahr. Und dann die Hauptsache! Kann ich es vor mir selbst und vor anderen verantworten, ein Ehepaar, von dem die Frau keinen guten Ruf hat, in ein anderes Regiment versetzen lassen? Wenn die Frau nicht mehr zu uns paßt, dann gehört sie überhaupt nicht mehr in den Kreis der Offiziersdamen, dann muß der Mann den Abschied nehmen, falls er sich nicht scheiden läßt.«

Aber Frau Rita widersprach: »Du urteilst zu hart, Otto! Bitte, denk doch daran, wieviele Leutnants alljährlich strafversetzt werden. Die haben doch auch alle mehr oder weniger etwas getan, das sie eigentlich nicht mehr recht würdig erscheinen läßt, noch ferner Offizier zu bleiben. Man schickt sie zu einem anderen Truppenteil, um zu sehen, ob sie sich in neuer Umgebung moralisch und sittlich wieder in die Höhe arbeiten, oder ob sie ganz zu Grunde gehen. So mußt Du auch über die Frau urteilen, Du mußt ihr Gelegenheit geben, sich zu ändern. Ihn gleich zu verabschieden, weil die Frau fehlte, hast Du, nach meiner Meinung, kein Recht.«

Bis spät in die Nacht hinein berieten der Oberst und Frau Rita, was mit Frau Hauptmann Ahlert werden solle, und während derselben Stunden saßen Gillberg und Dörmann zusammen und sprachen über Frau Thea.

Als Gillberg durch seinen Freund erfahren hätte, warum Thea abgereist sei, und als Dörmann ihm erzählte, er selbst habe ihr zu diesem Schritt zugeredet, ja, sogar auf den Gedanken gebracht, ihre Drohung einmal wahr zu machen, da hatte Gillberg wie ein Berserker getobt, den Kameraden mit den schwersten Vorwürfen überhäuft und ihm ein für allemal die Tür gewiesen.

Aber anstatt zu gehen, hatte Dörmann mit der größten Seelenruhe seine Koffer ausgepackt und sich häuslich eingerichtet: »Rege Dich nicht auf, mein Sohn! Ich bleibe. Ich habe Deiner Frau versprochen, Dich nicht zu verlassen, damit Du nicht so allein bist. Sieh' mal, mein Sohn, Frauen sind rührend. Sie denken, selbst wenn sie noch soviel Leid und Kummer haben, immer voller Fürsorge an ihren Mann. Frau Thea hat sich schon ein paar Tage mit dem Gedanken getragen, zu fahren, ich bin aber sicher, daß es zu ihren Reisevorbereitungen in erster Linie gehörte, nachzusehen, ob Deine Strümpfe auch heil sind, und ob an Deinen Hemden keine Knöpfe fehlen. Und jetzt in Kopenhagen wird sie vielmehr darüber nachdenken, wie Du sie entbehrst, als daß sie sich selbst bemitleidet. Der Kummer, daß Du sie verloren hast, bedrückt sie mehr, als die Trauer, Dich nicht mehr zu haben. Es gibt, nach meiner gewissenhaften Überzeugung, nur zwei Arten von Frauen, entweder gleichen sie einem Engel oder einem Satan; ein Mittelding gibt es nicht. Im Gegensatz dazu gibt es bei uns Männern noch eine Mittelstufe, und zu dieser gehörst Du, mein Sohn. Du bist weder schlecht, noch so gut, wie Du es sein müßtest. Gib aber die Hoffnung noch nicht auf, ich werde Dich erziehen, und wenn ich Dich soweit habe, wie ich Dich haben will, dann telegraphiere ich Deiner Frau, und dann kommt sie zurück, eher nicht, darauf kannst Du Dich verlassen. Sie gibt augenblicklich mehr auf meinen Rat als auf Deinen, das ist für Dich als Ehemann beschämender, als es für mich in der Eigenschaft als Freund ehrenvoll ist. Also, wie gesagt, ich bleibe bei Dir, ich habe es Deiner Frau versprochen, und Du kannst es ruhig eine Charakterschwäche von mir nennen, ich halte immer, was ich sage. Das kann nicht jedermann von sich behaupten, am allerwenigsten jeder Ehemann. Hast Du nicht als Bräutigam Deiner Braut tausendmal geschworen, sie auf Händen zu tragen? Und wo trägst Du sie jetzt? Auf einer glühenden Bratpfanne! Du quälst und peinigst sie. Du bereitest ihr seelische Schmerzen – ohne jede Veranlassung –, anstatt sie mit Liebe zu umgeben. Denke an ein Wort, das ich kürzlich einmal las, das vielleicht manchen Widerspruch hervorrufen kann, aber trotzdem sehr viel Wahres enthält. Merke Dir das Wort, mein Sohn, und schreibe es Dir faustdick hinter die Ohren, es lautet: Eine Frau ist dazu da, um geliebt, nicht um verstanden zu werden.«

Gillberg knirschte in ohnmächtigem Zorn mit den Zähnen. Er ballte die Fäuste und verbat es sich, so zu ihm zu sprechen, er wisse allein, was er zu tun und zu lassen habe.

Aber Dörmann ließ sich nicht beirren: »Lieber Freund, mir imponiert nicht einmal eine Exzellenz, wenn sie im Recht ist, geschweige denn ein Oberleutnant, wenn er Unrecht hat. Respekt habe ich nur vor Menschen, die ihre Fehler und Schwächen offen eingestehen, und die die feste Absicht haben, sich zu bessern. Darnach handle, wenn Dir daran gelegen ist, daß ich vor Dir Hochachtung empfinde. Daß Du mehr Gehalt hast als ich, imponiert mir schon deshalb nicht, weil Du von Deinen Dukaten, die Du Dir auf dem Kasernenhof verdienst, ebensowenig leben kannst wie ich.«

Gillberg sah es ein; Dörmann blieb. So fügte er sich denn schließlich darein, wenn auch mit dem größten Widerstreben.

Seit länger als acht Tagen war Dörmann nun schon bei Gillberg im Hause, und er hörte nicht auf, dem Freund den Standpunkt klar zu machen, er sprach voller Ironie mit beißendem Sarkasmus.

Auch heute abend hatte er sich den Kameraden ernstlich vorgenommen:

»Du schiltst, daß Deine Frau Dir nur Ansichtskarten schreibt, da hast Du ganz recht, sie sollte Dir überhaupt nicht schreiben, denn das verdienst Du gar nicht. Was soll sie Dir auf Deine Briefe antworten, woher soll sie die Gewißheit nehmen, daß Du Dich wirklich änderst, das kann sie erst glauben, wenn ich Dir glaube. Und so weit bin ich noch nicht, obgleich ich Dir das Zeugnis ausstellen will, daß Du Dich unter meiner Einwirkung schon bedeutend zu Deinem Vorteil geändert hast. Es ist mir zunächst gelungen, Dir das Wort abzuringen, daß Du es versuchen willst, auf die Akademie zu kommen. Deine Frau wünscht es sich Deinetwegen – folglich mußt Du auch hin. Du hast die große Chance, zweimal bei dem Examen durchfallen zu dürfen, das habe ich Dir erlaubt; bei dem dritten Mal mußt Du es aber bestehen, so will es die Vorschrift. Du hast mir ferner erklärt, wenn Se. Hoheit kommt, dürfe Deine Frau die neue Robe anlegen, ohne daß Du deswegen schiltst, und Du hast mir gelobt, Dir den Teufel etwas daraus zu machen, ob jemand das Kleid zu elegant findet oder nicht. Du hast mir ferner versprochen, Deine Frau nie wieder mit einem Rekruten zu verwechseln und sie dementsprechend zu behandeln. Und vor allen Dingen hast Du versichert, Frau Thea dürfe in Zukunft reden, was sie wolle, ohne daß Du daraus gleich einen casus belli machst. Versprochen hast Du mir so vieles, daß ich wirklich an eine vollständig glückliche Ehe glauben könnte, wenn ich nur die Gewißheit hätte, daß ich Dir glauben könnte. Mir will es nämlich immer noch nicht in den Sinn, daß es Dir wirklich mehr gilt, Deine Frau hier zu haben, als Hauptmann zu werden. Bitte, unterschätze das letztere nicht! Du hast dann zwei Sterne auf den Achselstücken, Du bist dienstlich beritten, Du bekommst außer Deinem Gehalt auch noch eine Ration für Deinen Gaul, Du hast einen ganz dienstfreien Burschen und vor allen Dingen die Gewißheit, wenigstens zehn Jahre in dienstlicher Hinsicht ein Hundeleben zu führen, es keinem Vorgesetzten recht machen zu können und für jede Dummheit Deiner Leute verantwortlich zu sein. Du mußt Dich anschnauzen lassen, wenn eine Halsbinde nicht sitzt, oder wenn ein Kerl trotz aller Ermahnungen fünfmal in die Luft schießt, anstatt die Scheibe zu treffen. Bitte, unterschätze diese Folgen nicht, und frage Dich ehrlich, ob die nicht tausendmal mehr wert sind, als eine Frau, die Dich doch nicht versteht, die Deiner Karriere Hindernisse in den Weg legt, und die so unvorsichtig ist, nicht nur ihre Gedanken zu äußern, sondern sogar eigene Gedanken zu haben.«

Wenn Dörmann sagte, er sei nicht fest davon überzeugt, daß Gillberg seine Versprechungen halten würde, so entsprach dies nicht der Wahrheit, er hatte sein Urteil über ihn ganz geändert, er ließ ihn nur noch etwas zappeln und versuchte, ihn noch mürber zu machen.

Denn mürbe gemacht hatte er ihn; stundenlang hatte er täglich auf ihn eingesprochen, ihm mit rücksichtslosester Deutlichkeit vor Augen gehalten, was er alles getan habe, um die Achtung, die Liebe und das Vertrauen seiner Frau zu verlieren, und er hatte ihm gezeigt, wie er es anfangen müsse, um dies alles wiederzugewinnen.

Gillberg hatte schon lange aufgegeben, dem Freund zu widersprechen; er sah es ein, der meinte es gut mit ihm und seiner Frau, und vor allen Dingen hatte der recht mit dem, was er sagte. In den stillen Stunden der Nacht lag er lange wach und dachte über sich selbst nach. Er war ein heftig aufbrausender Charakter, aber er war dabei eine wahre Natur.

Und je länger Thea fortblieb, je weniger sie auf seine Briefe einging, desto mehr erregte das zwar in den ersten Tagen seinen Zorn, machte ihn aber mit der Zeit um so zerknirschter und gedrückter. Sein erster Gedanke war natürlich gewesen, gleich Urlaub zu nehmen und seiner Frau nachzureisen, – aber der Dienst hielt ihn zurück.

Thea mußte bald zurückkommen, sie fehlte ihm überall, er sehnte sich nach ihren Liebkosungen, nach ihrem Lachen und Scherzen, nach ihren komischen Anschauungen über den Dienst, nach ihrer Gegenwart bei den Mahlzeiten und ihrer Begleitung auf den Spaziergängen. Er fühlte, er würde wirklich krank werden, wenn sie nicht nur Wochen, sondern vielleicht monatelang fortblieb. Du großer Gott, warum hatte er denn geheiratet, wenn seine Frau nicht bei ihm war?

Und Thea schien noch gar nicht an die Rückreise zu denken; erst heute mittag hatte sie auf einer Postkarte gebeten, ihr umgehend verschiedene Sachen zu schicken, die sie dringend brauche, und die sie in der Eile der Abreise vergessen habe.

Gillberg ahnte nicht, daß Frau Thea diese Karte auf Dörmanns Veranlassung geschrieben hatte, noch weniger aber, daß seine Frau sich bereits auf der Rückreise befand und morgen abend da sein würde. Dörmann hatte telegraphiert, sie könne jetzt zurückkommen, und er wußte, daß sie keine Minute zögern würde, abzureisen.

Aber bevor Dörmann dem Freunde die Frau zurückgab, redete er ihm noch einmal ganz gehörig ins Gewissen und er endigte mit den Worten: »Meine Kehle ist ausgetrocknet wie die Wüste Sahara, die drei Jahre lang keinen Tropfen Regen, sondern nur endlose Sonnenstrahlen zu sehen bekam. Setze mich, bitte, unter irgend eine Flüssigkeit, die aber nicht gerade Wasser zu sein braucht. Laß viel Bier holen, es soll nichts davon übrig bleiben, und das erste Glas wollen wir darauf leeren, daß Frau Thea in drei oder vier Wochen zurückkommen kann.«

Gillberg machte ein ganz unglückliches Gesicht.

»Aber warum soll sie denn noch so lange fortbleiben?« fragte er kleinlaut. »Mich noch mehr ändern, als ich es schon tat, kann ich doch nicht.«

Dörmann verspürte aufrichtiges Mitleid mit dem Freund; trotzdem sagte er: »Es ist bei den meisten Ehemännern ein weitverbreiteter Irrtum, daß sie glauben, in wenigen Tagen wieder gutmachen zu können, was sie in vielen Wochen sündigten. Gewiß ist eine Frau leicht geneigt, zu verzeihen, aber sie kann vielleicht gerade deshalb nicht so schnell vergessen. Deine Frau muß erst überwinden, was Du ihr tatest – daß es vorläufig noch nicht so weit ist, beweisen ja ihre Karten. Und es ist besser für Euch beide, wenn ihr mit dem Wiedersehen noch ein paar Wochen wartet. Auch die Zeit wird vergehen. Sei nicht traurig, daß Deine Frau nicht schon morgen oder übermorgen kommt, sondern freue Dich, daß sie überhaupt wiederkommt. Und wie ich Dir schon erzählte, Du bist dicht daran gewesen, sie für immer zu verlieren.«

»Ja, ja, ich weiß, Du hast es mir schon oft genug gesagt.«

»Darauf kommt es nicht an, ich will es Dir gern noch hundertmal sagen. Die Hauptsache ist, daß Du es einsiehst! Na, nun laß den Kopf nicht mehr hängen, hier, schenk Dir ein Glas ein, wir wollen anstoßen auf eine frohe Zukunft.«

Die Gläser klangen aneinander, und Dörmann sah deutlich, wie es in Gillbergs Augen hell und freudig aufblitzte.

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