Bettine von Arnim
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
Bettine von Arnim

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An Goethe.

22. März 1832.

Hier aus den Bergesschluchten hervor wag' ich's und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal sonst auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg, wo ich wie ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir hing, weißt Du noch? – Und wie ich dann niederkletterte, ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopften, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom Staub reinigte, und die kleinen Reiser und Moose aus meinen Flechten sammeltest und legtest es sanft neben Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Scharen sind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit lautem Ehrenruf, Kränze haben sie vor Dir hergetragen, die Fahnen haben sie vor Dir geschwenkt, die Könige kamen und berührten den Saum Deines Mantels und brachten Dir goldne Gefäße und legten Ehrenketten um Deine freie Brust. Du weißt's nicht mehr, daß ich Dir die gesammelten Blumen, die wilden Kräuter alle in den Busen pflanzte und die Hand darauf legte, um sie fester zu drücken, Du weißt's nicht mehr, daß meine Hand gefangen lag inmitten Deiner Brust, und daß Du mich den wilden Hopfen nanntest, der Wurzel fasse da und dann hinauf sich ranke und Dich überschlinge und umwachse, daß nichts mehr an Dir zu kennen sei als bloß der wilde Hopfen. Sieh, in dieser Doppelwand von Fels- und Bergesschluchten, da haust des Widerhalles froher Ruf; sieh, meine Brust ist eine so kunstreich gebildete Doppelwand, daß ewig und ewig tausendfältig der freudige Schall so süßer Märe sich durchkreuzt. Wo sollte es ein Ende nehmen, dies Leben jugendlicher Lust? – Es liegt ja bewahrt und umgeben vom reinsten Enthusiasmus – die Nahrung meiner Wiegezeit. Dein Hauch, dem der Gott Unsterblichkeit einblies, hat ja mir den Atem der Begeistrung eingeblasen. Lasse es Dir gefallen, daß ich Dir noch einmal die Melodien meiner schönsten Lebenswege vorsinge und zwar im begeisterten Rhythmus des augenblicklichen Genusses, wo die Lebensquellen von Geist und Sinne ineinanderströmen und so einander erhöhen, daß alles Bedeutung gewinne, daß nicht allein das Erfahrne sichtbar fühlbar werde, sondern auch das Unsichtbare, Ungehörte erkannt und erhört werde.

Sind's Pauken und Posaunen, die feierlichen Jubelschlag an die Wolken dröhnen? – Sind's Harfen und Zimbeln? – Ist's das Gewirr von tausend Instrumenten, das aufs Kommandowort sich ordnen läßt, in reiner Linie Takt sich bildend wendet, die Sprache himmlischer Influenzen redet, eindringt in den Menschengeist mit Farb' und Licht, die Sinne mit dem Geist vermählt? – Ist's dieser Erzeugung Kraft, die durch die Adern rinnt, das Blut beschwörend, das Irdische auszustoßen und die reine Frucht himmlischer Liebe, himmlischen Lichtes zu nähren, zu gebären? – Hast Du's nicht vollbracht in mir, wenn es noch leuchtet in meiner Seele? – Ja, es leuchtet, wenn ich Deiner gedenke; – oder sind es nur Schalmeien sinnig und wähnend, nur an Phantasie streifend, nicht von ihrer Offenbarung ergriffen, was ich diesen Blättern zu vertrauen habe? – Was es auch sei? – Bis in den Tod geleite mich der ersten Liebe Musik. Zu Deinen Füßen pflanze ich den Grundbaß ein, er wachse Dir zum Palmenhain auf, in dessen Schatten Du wandelst. Alles Liebe und Süße, was Du mir gesagt hast, flüstre von Zweig zu Zweig wie leise Melodien zwitschernder Vögel; – die Küsse, die Liebkosungen zwischen uns seien die honigtriefenden Früchte dieses Haines; das Element meines Lebens aber: die Harmonie mit Dir, mit der Natur, mit Gott, aus deren Schoß die Fülle der Erzeugung steigt, aufwärts ans Licht, ins Licht, im Lichte vergehend: das sei der Strom, der gewaltige, der diesen Hain umzingelt, ihn einsam macht mit mir und Dir.

Weißt Du's noch, wie Du in der Dämmerung mich wieder bestelltest? – Du weißt nichts, ich weiß alles, ich bin das Blatt, auf das die Erinnerung aller Seligkeit geätzt ist. Ja, ich ging um Dein Haus herum und wartete auf die Dämmerung und dachte, wenn ich an die Pforte kam: »Ob's wohl schon dunkel genug ist? – Und ob er dies wohl für die Dämmerung hält?« – Und aus Furcht, Deinen Befehl zu verfehlen, ging ich noch einmal um das Haus, und wie ich nun eintrat, da schmältest Du, daß ich zu spät gekommen, es sei schon lange dämmerig, Du habest lange schon auf mich gewartet. Dann ließest Du Dir ein weißes wollnes Gewand bringen und zogst das Tagskleid aus und sagtest: »Nun es gar Nacht geworden über dem Harren auf dich, so wollen wir recht nächtlich und bequem sein und recht feinwollig will ich gegen dich sein; denn du sollst mir heute beichten.« Da kniete ich vor Dir auf dem Schemel und umfaßte Dich und Du mich. Da sagtest Du: »Vertrau' mir doch und sag' mir alles, was in deinem Herzen Gewalt geübt hat, du weißt, ich hab' dich nie verraten, kein Wort, kein Laut von dem, was deine Leidenschaft zu mir gerast hat, ist je über meine Lippen gekommen, so sag' mir doch, denn es ist nicht möglich, daß dein Herz diese ganze Zeit über so ruhig war, sag' mir doch, wer war's, kenne ich ihn? – Und wie war's? Was hast du noch alles gelernt und erfahren, was dich meiner vergessen machte?«

Damals, lieber Freund, sagte ich Dir die Wahrheit, wie ich Dir beteuerte, daß mein Herz ganz still gewesen sei, daß nichts seitdem mich berührt habe; denn in demselben Augenblick war mir alles Wahn gegen Dich, und bleiches Schattenbild die ganze Welt und abgeschiednes Totes schien mir des Schicksals Los in Deiner Nähe, ich konnte es sagen in vollem Bewußtsein, daß ich Deiner Schönheit gebunden sei; denn ich sah Dich ja an. – Du aber ruhtest nicht und wolltest durchaus wissen die Geschichte, die ich mich vergebens bemühte zu erfinden; denn ich schämte mich beinah', daß mir gar keine Liebesgeschichte widerfahren war. Jetzt besann ich mich auf eine und wollte eben erzählen und hub an: »Ja! Aber glaube nicht, daß Dir die Liebe in den Weg gekommen, damals wandelte ich im Traum, jetzt wache ich wieder; hier im Mondschein an Deiner Brust weiß ich, wer ich bin, und was Du mir bist, wie ich nur Dir angehöre, wie Du mich bezauberst; aber einmal« – da begann ich meine Liebesgeschichte, von der ich nichts mehr weiß. Und Du, Herrlicher, ließest mich nicht weiter sprechen und riefst: »Nein, nein! Du bist mein! – Du bist meine Muse! Kein andrer soll sagen können, daß du ihm so zugetan warst wie mir, daß er deiner Liebe so versichert war wie ich, ich habe dich geliebt, ich habe dich geschont, die Biene trägt nicht sorgfältiger und behutsamer den Honig aus allen Blüten zusammen, wie ich aus deinen tausendfältigen Liebesergüssen mir Genuß sammelte.« – Da fielen meine Haarflechten nieder, Du nahmst sie und nanntest sie braune Schlangen und stecktest sie in Dein Gewand und zogst so meinen Kopf an Deine Brust, an der ich von Ewigkeit zu Ewigkeit ruhen sollte und des Denkens und des Treibens mich überheben, das wär' schön, das wär' wahr, das wär' so die rechte süße Faulheit meines Daseins, das ist die Paradiesesfrucht, nach der ich schmachten ruhen und schlafen in dem Bewußtsein, daß ich dem Herrlichsten nahe bin.


An meinen Freund.

Soweit hatte ich gestern geschrieben, dann ging ich abends spät noch in Gesellschaft, ich hatte den Vorsatz gefaßt, alles Liebliche und Tiefbedeutende, was ich mit Goethe erlebt, ihm in einem Zyklus solcher Briefe noch einmal darzulegen; jetzt stand mir alles so klar und deutlich vor Augen, als wenn mir's eben erst widerfahren wäre. Meine Seele war tief bewegt von diesen Erinnerungen und fern den Menschen wie der Mond, wenn er jenseits ist. Bei solchen Stimmungen bin ich immer auf eine sonderbare Spitze gehoben, nämlich zum Übermut. – Man war in der Gesellschaft schon von Goethes Tode unterrichtet, ich erzählte, daß ich eben nach Jahren zum erstenmal wieder an ihn geschrieben, sie machten alle trübe Gesichter, aber keiner teilte mir die Nachricht mit. Nachts um ein Uhr nach Haus; die Zeitung lag an meinem Bett, ich las die Anzeige seines Todes, ich war allein, ich brauchte keinem Red' und Antwort zu geben über mein Gefühl; ich konnte so ruhig dabei sein und entgegensehen allem, was es mir bringen werde; da war's ganz deutlich, daß diese Liebesquelle mir nicht versiegt sei mit dem Tod, ich schlief ein und träumte von ihm und erwachte, um mich zu freuen, daß ich ihn eben im Traum gesehen, und ich schlief wieder ein, um weiter von ihm zu träumen, und so verging mir diese Nacht voll süßem Trost, und ich war gewiß, sein Geist habe sich mit mir versöhnt, und nichts sei mir verloren.

Wem sollte ich nun wohl dies verwaiste Blatt vererben als dem Freund, der mit so innigem Anteil mich von ihm sprechen hörte, und wenn es ihm auch nur wär', was ein falbes Blatt ist, das der Wind vor seinen Füßen hinwirbelt, er wird doch erkennen, daß es am edlen Stamm gewachsen ist. –

Ich will den Ausgang jenes Abends mit Goethe hier auserzählen: Als ich wegging, begleitete er mit der Kerze mich ins zweite Zimmer, indem er mich umfaßte, fiel das brennende Licht an die Erde, ich wollte es aufheben, er aber litt es nicht. »Laß es liegen«, sagte er, »es soll mir ein Mal in den Boden brennen, wo ich dich zuletzt gesehen habe, sooft ich dran vorübergehe, will ich deiner lieben Erscheinung gedenken. Bleib mir treu, bleib mein«, sagte er; so küßte er mich auf die Stirn und schob mich zur Tür hinaus.

Wär' es nicht unrecht, daß am Fest der Verklärung die Nebel geheimer Vorwürfe aufstiegen und den sonnenhellen Horizont verdunkelten, so würde ich dem Freund hier verklagen, grade die, von der er weiß, daß sie gern rein und frei von jedem Fehl in der Liebe erscheinen möchte, ja, dies beschämte Herz! Sieh, wie groß seine Vergehen sind gegen die Liebe, der nicht bloß ein Zweig vom heiligen Baum des Ruhms anvertraut war, nein, der Baum selbst, der diese Sprossen sich ewig verjüngend treibt, war ihr zur Pflege befohlen, und sie hat sein nicht geachtet, ist nicht geblieben im Schutze dieses Baumes, der ohne sie fortgrünte.

*

An Goethe.

Aufgefahren gen Himmel! Die Welt leer, die Triften öde; denn gewiß ist's, daß Dein Fuß hier nicht mehr wandert. Mag auch Sonnenschein die Wipfel jener Bäume beglänzen, die Du gepflanzt hast! Mag sich das Gewölk teilen und der blaue Himmel sich ihnen auftun: sie wachsen nicht hinein; aber die Liebe? – Wie wär's, wenn die ihre Blütenkrone da oben als Teppich zu Deinen Füßen ausbreite? Wenn sie hinaufstrebte fort und fort, bis ihr Wipfel anstieß' an den Schemel Deiner Füße und dort alle Blüten entfaltend, ihren Duft um Dich schwenkend: – wär' das nicht auch zu den Himmelsfreuden zu zählen? – Ich hab' Vertrauen, daß Du mich hörst, daß mein Ruf aufwärts gehe zu Dir. – Hier auf Erden, da war's nicht möglich. Das Marktgewühl des alltäglichen Lebens ließ die Sehnsucht nicht durchdringen, keine einsame vertrauliche Zeit kam ihr zu Hilfe, ich selbst sagte mir hundertmal: »Es ist alles verloren.« Herr! Der mich hört, dem ich vertraue, daß er mich höre: gib Antwort. – Seit sie Dich tot sagen, klopft mir das Herz vor heimlicher Erwartung. Es ist, als hättest Du mich dahin bestellt, um mich zu überraschen wie sonst im Garten, wo Du aus umbuschten Nebenwegen hervortratst, den reifen Apfel in der Hand, den ich dann vor Dir herwarf, um Dich den Weg zu lenken in die Laube, wo die große Kugel am Boden lag. Da sagtest Du: »Da liegt die Welt zu deinen Füßen, und doch liegst du mir zu Füßen.« – Ja, die Welt und ich, wir lagen zu Deinen Füßen, jene kalte Welt, über der erhaben Du standest, und ich, die zu Dir hinaufstrebte. So kam's auch: die Welt blieb liegen, und mich zogst Du ans Herz. An Deinem Herzen, mein Freund, das warm schlug, wer kann ermessen, wie selig das war. Herr! Ist das alles wieder zu erwerben, mit süßem Bewußtsein noch einmal zu durchleben? –

O der falschen Welt, die uns trennte und mich wegführte, mich armes blindes Kind von meinem Herrn! Was hab' ich gesucht? – Was hab' ich gefunden? – Wer hat mich freudig angelächelt? Wessen Umarmung hab' ich ausgefüllt mit der liebenden Gewißheit, daß er nichts Seligeres umfassen könne? – Du warst zufrieden mit mir, Dich freute es zu sehen, wie aus dem Kinderherzen die Quelle der Begeistrung für Dich hervorbrach, warum mußte diese Quelle versiegen? – Konnte, sollte nicht der ganze Lebensstrom Deinem Lächeln, Deinem Grüßen und Nicken dahinfließen? – Wo war es schön als nur bei Dir? – Du kanntest die Grazien, ihr ferner Schritt schon gab den Rhythmus deiner Begeisterung. – Das stille Feuer Deiner dunklen Augen, die Ruhe Deiner Glieder, dein kindlich Lächeln zu meiner List im Erzählen, Deine gelehrige Andacht für meine Begeistrung. Ja, und Du senktest Dein heilig Haupt zu mir herab und sahst mich an, die ich geweiht war durch Deine Nähe.

*

An den Freund.

Vielleicht verscherz' ich Dein bißchen Andacht zu mir, daß ich Dich so tief in den Schacht meines Herzens einsenke, wo es so wunderlich hergeht, daß die Leute sagen würden, es sei Narrheit. – Ja, Narrheit ist die rechte Scheidewand zwischen dem ewig Unsterblichen und dem zeitlich Vergänglichen. Es scheue keiner, die irdischen Gewande zu vermehren am göttlichen Feuer. Du bist mein Freund, oder bist Du's auch nicht, ich weiß es nicht, immer muß ich Dich so annehmen, da Du mitten im Geheimnis meiner Brust stehst wie ein Pfeiler, an den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwimmer von gefährlicher Höhe sich in die Fluten stürzt vor solchen Augen, denen er seine Kühnheit bewähren möchte, so wage ich, weil Du mir Zeuge bist, diesen dämonischen Gewalten mich anheim zu geben, diese Tränenflut, in der ich spiele, diese Frühlingsbegeistrung meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in mir aufsteigen würden, mir das Herz zerreißen, wenn ich nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfinde, was ich hier ausspreche.

Der letzte Akt der Blütezeit ist, daß sie ihren befruchtenden Staub mit dem Samen in ihrem Kelch mische, dann tragen die Lüfte sich spielend mit ihren gelösten Blättern und gaukeln eine Weile mit dem Schmuck der Begeistrung. Bald sieht kein Auge mehr von ihrem Glanz, ihre Zeit ist vorüber; der Same aber quillt und offenbart in der Frucht das Geheimnis der Erzeugung. Vielleicht, wenn diese Blätter der Begeistrung vom Stamme gelöst dahinwirbeln und wie jene kleinen Blütenkronen, nachdem sie ihren Duft ausgehaucht, vom irdischen Staub beschwert, flügellahm sich endlich unter die Erde betten, daß es dann in dem Herzen des Freundes, dem sie duften, auch quillt und der Segen dieser schönen Liebe zwischen dem Dichter und dem Kinde sich an seinem Geist bewähre und ihn zu der Schönheit befruchte, deren Abbild in seinen edlen Zügen sich malt.

*


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