Bettine von Arnim
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
Bettine von Arnim

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O, was erzähle ich dies alles dem Mann, der fern ab von solchen Kindereien seinen Geist zu andern Sphären trägt! Warum Dir, dem ich schmeicheln, den ich locken will; Du sollst mir freundlich sein, Du sollst, Dir unbewußt, mich allmählich lieben, während ich so mit Dir plaudere; könnte ich Dir nun nichts anders sagen, was Dir wichtiger wär', was Dich bewegte, daß Du mich »geliebtes Kind« nenntest, mich ans Herz drücktest in süßer Regung über das, was Du vernimmst?

Ach ich weiß nichts Besseres, ich weiß keine schöneren Freuden als die jener ersten Frühlinge, keine innigere Sehnsucht als die nach dem Aufblühen meiner Blumenknospen, keinen heißeren Durst, als der mich befiel, wenn ich mitten in der schönen blühenden Natur stand, und alles voll üppigem Gedeihen um mich her. Nichts hat freundlicher und mitleidiger mich berührt als die Sonnenstrahlen des jungen Jahrs, und wenn Du eifersüchtig sein könntest, so wär' es nur auf diese Zeit, denn wahrlich, ich sehne mich wieder dahin.

*

Eine Sonne geht uns auf, sie weckt den Geist wie den jungen Tag, mit ihrem Untergang geht er schlafen; wenn sie aufsteigt, erwacht ein Treiben im Herzen wie der Frühling, wenn sie hoch steht, glüht der Geist mächtig, er ragt über das Irdische hinaus und lernt aus Offenbarungen; wenn sie sich dem Abend neigt, da tritt die Besinnung ein, ihrem Untergang folgt die Erinnerung; wir besinnen uns in der Schattenruhe auf das Wogen der Seele im Lichtmeer, auf die Begeistrung in der Zeit der Glut, und mit diesen Träumen gehen wir schlafen. Manche Geister aber steigen so hoch, daß ihnen die Liebessonne nimmermehr untergeht, und der neue Tag schließt sich an den versinkenden an.

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Die einsame Zeit ist allein, was mir bleibt; wessen ich mich erinnere, das war in der Einsamkeit erlebt, und was ich erlebt habe, das hat mich einsam gemacht; die ganze weite Welt umspielt in allen Farben den einsamen Geist, sie spiegelt sich in ihm, aber sie durchdringt ihn nicht.

Geist ist in sich, und was er wahrnimmt, was er aufnimmt, das ist seine eigne Richtung, sein Vermögen; es ist seine höchste Offenbarung, daß er erfasse, was er vermag. Ich glaub', im Tode mag's ihm wohl offenbar werden, früher hat er nur ungläubige Anschauungen davon; hätte ich früher geglaubt, so hätte der Geist auch zu erreichen gestrebt, was er unmöglich wähnte, und hätte erlangt, wonach er sich sehnte, denn Sehnsucht ist ein heilig Merkmal der Wahrhaftigkeit ihres Ziels, sie ist Inspiration und macht den Geist kühn. Dem Geist soll nichts zu kühn sein, denn weil er alles vermag; er ist der Krieger, dem keine Waffe versagt, er ist der Reiche, dessen Fülle Unendliches spendet, er ist der Selige, dem alles Wollust ist; ja wohl, Geist ist die Gottheit! Die Brust saugt die Luft in sich und entläßt sie wieder, um sie wieder zu trinken, und das ist Leben. – Der Geist trinkt sehnend die Gottheit und haucht sie wieder aus, um sie abermals zu trinken, und das ist sein Leben; alles andre ist Zufall, ist Spur, Geschichte des Geistes, aber nicht sein Leben.

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Darum ist der Geist einsam, weil ihn nur ein einziges belebt, das ist die Liebe. Die Liebe ist das All. Der Geist ist einsam, weil die Liebe alles allein ist. Die Liebe ist nur für den, der ganz in ihr ist. Liebe und Geist schauen sich einander an, denn sie sind in sich allein und können nur sich sehen.

Ich war auch einsam damals in der Kindheit, die Sterne äugelten mich an, ich begriff sie, die Liebe spricht durch sie.

Die Natur ist die Sprache der Liebe, die Liebe spricht zur Kindheit durch die Natur. Der Geist ist Kind hier auf Erden, drum hat die Liebe die süße, selige, kindliche Natur als Sprache für den Geist geschaffen.

Wär' der Geist selbständig, vielleicht führte die Liebe eine andre Sprache. Die Natur lenkt und reicht dar, was der Geist bedarf; sie lehrt, sie erzählt, sie erfindet, sie tröstet, sie beschützt und vertritt seine Unmündigkeit, vielleicht wenn sie den Geist aus der Kindheit herausgeleitet hat, lenkt sie ihn nicht mehr, sie läßt ihn dann selbständig walten, vielleicht ist das jenseitige Leben der Frühling des Geistes, so wie dieses seine Kindheit ist. Denn wir sehnen uns ja nach dem Frühling, nach der Jugend bis zum letzten Augenblick, und dieses Erdenleben ist nur ein Vorbilden für das Jugendleben des Geistes, sie entläßt ihn aus der Kindheit, wie das Samenkorn den Keim entläßt ins Ätherleben.

Blühen ist Geist, es ist Schönheit, es ist Kunst, und sein Duftausströmen ist abermals Streben in ein höheres Element.

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Komm mit, Freund! Scheue nicht den feuchten Abendtau, ich bin ein Kind, und Du bist ein Kind, wir liegen gern unter freiem Himmel und sehen den gemächlichen Zug der Abendwolken, die im purpurnen Gewand dahin schwimmen. O komme! – Kein seligerer Traum, kein beglückenderes Ereignis als Ruhe! Stille Ruhe im Dasein; beglückt, daß es so ist, und kein Wähnen, es könne anders sein, oder es müsse anders kommen. Nein! Nicht im Paradies wird es schöner sein, als diese Ruhe ist, die keine Rechenschaft gibt, kein Überschauen des Genusses, weil jeder Augenblick ganz selig ist. Solche Minuten erleb' ich mit Dir, nur weil ich Dich denke an meiner Seite in jenen Kinderjahren; da sind wir eines Sinnes, was ich erlebe, spiegelt sich in Dir, und ich lerne es in Dir begreifen, und was erlebte ich, wenn ich's nicht in Dir anschaute? – In was empfindet sich der Geist, durch was besitzt er sich, als nur dadurch, daß er die Liebe hat? – Ich habe Dich, Freund! Du wandelst mit mir, Du ruhst an meiner Seite, meine Worte sind der Geist, den Deine Brust aushaucht.

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Alle sinnliche Natur wird Geist, aller Geist ist sinnliches Leben der Gottheit. – Augen, ihr seht! – Ihr trinkt Licht, Farben und Formen! – O Augen, ihr seid genährt durch göttliche Weisheit, aber alles tragt ihr der Liebe zu, ihr Augen; daß die Abendsonne ihre Glorie über euch spielen läßt, und der Wolkenhimmel eine heilige Farbenharmonie euch lehrt, in die alles einstimmt: die fernen Höhen, die grüne Saat, der silberne Fluß, der schwarze Wald, der Nebelduft, das gibt euch, ihr Augen, die Mutter Natur zu trinken, während der Geist den schönen Abend verlebt im Anschauen des Geliebten. O ihr Ohren, euch umtönt die weite Stille, in ihr erhebt sich das leise Heranbrausen des Windes, es naht sich ein zweites, es trägt euch Töne zu aus der Ferne, die Wellen schlagen seufzend ans Ufer, die Blätter lispeln, nichts regt sich in der Einsamkeit, was nicht sich euch vertraute, ihr Ohren. Ihr werdet getränkt durch das ganze Walten der Natur, während Ohr, Aug', Sprache und Genuß im Busen des Freundes tief versunken ist. Ach, paradiesisches Mahl, wo die Kost sich in Weisheit verwandelt, wo Weisheit Wollust ist und diese Offenbarung wird.

Diese Frucht! Duftend, reif, niedersinkend aus dem Äther! – Welcher Baum hat sie abgeschüttelt von den überreichen Ästen? Während wir, Wange an Wange gelehnt, ihrer und der Zeit vergessen. Diese Gedanken, sind sie nicht die Äpfel, die der Baum der Weisheit trägt, und die er Liebenden in den Schoß schüttelt, die in seinem Paradiese wohnen und in seinem Schatten ruhen. – Damals war die Liebe in der Kindesbrust, die ihre Gefühle wie der junge Keim seine Blüten dichtgefaltet und verschränkt umschloß. Damals war sie! – und ihrem Drängen dehnte sich der Busen, und öffneten sich ihre Blüten, zu entfalten.

*

Ein Nönnchen wurde eingekleidet, eine andre haben wir begraben während den drei Jahren, als ich im Kloster war; dem einen hab' ich den Zypressenkranz auf den Sarg gelegt, sie war die Gärtnerin und hatte lange Jahre den Rosmarin gepflegt, den man ihr aufs Grab pflanzte; sie war achtzig Jahre alt, und der Tod berührte sie sanft, während sie Absenker von ihren Lieblingsnelken machte, da hockte sie am Boden und hielt die Pflanzen in der Hand, die sie eben einsetzen wollte; ich war der Vollstrecker ihres Testaments, denn ich nahm die Pflanzen aus der erstarrten Hand und setzte sie in die frisch aufgewühlte Erde, ich begoß sie mit dem letzten Krüglein Wasser, was sie am Madlenenbrünnchen geholt hatte, die gute Schwester Monika! Wie schön wuchsen diese Nelken! Dunkelrot waren sie und groß. – Da mich später der, der mich liebt und kennt, einer dunklen Nelke verglich, da dachte ich an die Blumen, die ich junges Kind aus der erstorbenen Hand des hohen Alters entnommen und eingepflanzt hatte, und ob es wohl so kommen werde, daß auch mich der Tod beim Pflanzen der Blumen überrasche; der Tod, der triumphierende Herold des Lebens, der Befreier von irdischer Schwere.

Aber jene andre Nonne, jung und schön, deren lange goldne Flechten ich auf goldnem Opferteller zum Altar trug: – ich hab' nicht geweint, da man die alte Gärtnerin zu Grabe trug, obschon sie meine Freundin gewesen war und mir manche Gartenkunst gelehrt hatte. Es kam mir so natürlich vor und so behaglich, daß ich nicht einmal darüber verwundert war; aber damals, als ich im Chorhemdchen mit einem Kranz von Rosen auf dem Kopf, mit brennender Kerze als Geleitengel, unter dem Geläute aller Glocken vor der in alle üppige Pracht gekleideten jugendlichen Braut Christi einherschritt; da wir an das Gitter kamen, vor welchem der Bischof stand, der ihr die Gelübde abnahm, und er fragte, ob sie sich Christo vermählen wolle, und man ihr auf ihr Bejahen die mit Perlen und Bändern durchflochtenen Haare abschnitt, welche ich auf einem goldenen Teller empfing, da fielen meine Tränen auf diese Haare, und da ich hin zum Altar trat, um sie dem Bischof zu überreichen, da schluchzte ich laut, und alles Volk weinte mit.

Die junge Braut legte sich an die Erde, es wurde ein Leichentuch über sie gebreitet, die Nonnen wallten von allen Seiten herbei, je zu zweien Blumenkörbe tragend. Ich streute die Blumen auf das Leichentuch, während ein Requiem gesungen wurde. Sie wurde als Tote eingesegnet und Gebete über sie gesprochen; das irdische Leben war beendet, ich hob als Auferstehungsengel die Totendecke auf; das himmlische Leben beginnt, die Nonnen umringen sie, in ihrer Mitte wird sie vom weltlichen Staat entkleidet, Ordenskleid, Mantel und Schleier werden ihr angelegt, worauf sie in die Hände des Bischofs die Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut ablegt. Ach, wie war ich beklommen, da der Bischof ihr das Kruzifix reichte, um es als ihren Bräutigam zu küssen. Ich wich nicht von ihrer Seite; am Abend, da die Nonne allein in ihrer Zelle saß, kniete ich noch vor ihr, mit meinem verwelkten Rosenkranz auf dem Kopf; sie war eine Französin, eine Gräfin d'Antelot. »Mon enfant«, fragte sie, »mon cher ange gardien, pourquoi as-tu pleuré ce matin lorsqu'on m'a coupé les cheveux?« Ich schwieg eine Weile still, aber dann fragte ich leise: »Madame, est-ce que Jésus Christ a aussi une barbe noire?«

Diese schöne Frau war mit vielen andern hohen Damen und Rittern, die Ordensbänder und Sterne hatten, aus Frankreich vertrieben waren, in unser Kloster gekommen; diese zogen alle weiter, sie allein blieb zurück, sie wandelte viel im Garten, sie hatte einen blitzenden Ring am Finger, den sie küßte, wenn sie in der dunklen Allee allein war. Da las sie ihre Briefe mit leiser Stimme, und mit einem feinen weißen Tuch trocknete sie die weinenden Augen. Ich belauschte sie, ich liebte sie und weinte heimlich mit. Einmal trat ein schöner Mann in glänzender Uniform mit ihr in den Garten. Sie sprachen zärtlich miteinander. Der Mann hatte einen schwarzen Bart, er war größer als sie, er hielt sie in seinen Armen und sah auf sie herab, und seine glänzenden Tränen blieben in seinem schwarzen Bart hängen; das sah ich, denn ich saß in der dunkeln Laube, an deren Eingang sie standen. Er seufzte tief und laut, er drückte sie ans Herz, und sie küßte die glänzenden Tränen im schwarzen Bart auf.

Noch oft wandelte die schöne Frau in diesen einsamen Alleen, noch oft sah ich sie, weinend unter dem Baum, wo er Abschied genommen hatte, und endlich nahm sie den Schleier.

*

Koblenz.

Ich habe mehrere Tage nicht ins Buch geschrieben, wie hab' ich mich danach gesehnt! Im Wandern durch fremde Straßen hab' ich Deiner gedacht. Hier der Spiel- und Tummelplatz Deiner Jugendjahre, da üben der Ehrenbreitstein; er heißt wie die Basis Deines Ruhms, so muß der Würfel heißen, auf dem Dein Denkmal einst stehn wird.

Gestern fielen mir wunderliche Gedanken aus den Wolken, ich hätte sie gern aufgeschrieben, ich war nicht allein, ich mußte sie halt mit den wechselnden Wellen im Strom dahin ziehen lassen.

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Alles, was dem Wesen der Liebe nicht zusagt, ist Sünde, und alles, was Sünde ist, sagt dem Wesen der Liebe nicht zu. Die Liebe hat eine persönliche Gewalt, die ein Recht an uns übt; ich unterwerfe mich ihrer Rüge, sie und sie allein ist die Stimme meines Gewissens.

Welche Anregungen auch im Leben vorkommen, welche Wendungen auch ein Geschick nimmt, sie ist der Weg der Modulation, der alle fremde Tonarten harmonisch auflöst, sie gibt die Erkenntnis, den Takt einer wahrhaft sittlichen Größe. Sie ist strenge, und diese Strenge erregt leidenschaftlich für die Liebe, ich brenne vor Begierde zu tun, was ihr gemäß ist. Ich will gern jedes Gefühl, jede Regung an ihr abmessen.

Jetzt geh' ich schlafen; könnt' ich Dir beschreiben, wie wohl mir ist.

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Wenn heut' der Tag wäre, wo ich Dich wiedersehe! Heute! in wenig Sekunden trätest Du hier in meine vier Wände, in denen ich schon seit einem Sommer das Zauberhandwerk treibe, Dich zu besitzen; ja und manchen Augenblick warst Du mein, meine Liebe zog Dich heran. Ich sah in die Ferne, im Herzen sah ich nach Dir und erkannte Dich. Etwas sich aneignen, etwas besitzen, dazu gehört eine große Kraft; etwas besitzen, wenn auch nur Minuten lang, erzeugt Wunder; was Du besitzest im Geist, das erkennst Du, was Du erkennst, das nimmt Dich ein, was Dich einnimmt, das erschließt Dir eine neue Welt.

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Der Geist will Selbstherrscher sein! der eigne Besitz ist seine wahre Kraft; jede Wahrheit, jede Offenbarung ist ein Berühren des eigenen Geistes, durchdringst Du ihn, schmilzt Deine Seele in Deinen Geist: dann hast Du alles was Du vermagst, und jede Offenbarung und Dein Leben ist Dein fortwährendes Wissen, und Dein Wissen ist Dein Sein, Dein Erzeugen. Alle Erkenntnis ist Liebe, darum ist es so selig zu lieben, weil im Lieben der Besitz liegt der eignen göttlichen Natur.

Hast Du geliebt? es war eine Spur göttlicher Natur, Du hobst die Grenze Deines Seins auf und dehntest Dich aus im Besitz Deiner Liebe. Dieses Ausdehnen ist der Kreislauf Deiner geistigen Natur; was Du liebst, das ist ein Reich, in das Du geboren bist, daß Du vermagst in ihm zu leben. Ach es ist so groß, so unendlich das Reich der Liebe, und doch umschließt es das menschliche Herz.

*

So wollen wir dann das Kloster verlassen, in dem kein Spiegel war, und in dem ich also während vier Jahren vergeblich die Bekanntschaft meiner Gesichtszüge, meiner Gestalt gesucht haben würde, doch ist es mir in dieser ganzen Zeit nie eingefallen daran zu denken, wie ich wohl aussähe; es war mir eine große Überraschung, wie ich im dreizehnten Jahre zum erstenmal mit zwei Schwestern, umarmt von der Großmutter, die ganze Gruppe im Spiegel erblickte. Ich erkannte alle, aber die eine nicht, mit feurigen Augen, glühenden Wangen, mit schwarzem, fein gekräuseltem Haar; ich kenne sie nicht, aber mein Herz schlägt ihr entgegen, ein solches Gesicht hab' ich schon im Traum geliebt, in diesem Blick liegt etwas, was mich zu Tränen bewegt, diesem Wesen muß ich nachgehen, ich muß ihr Treue und Glauben zusagen; wenn sie weint, will ich still trauern, wenn sie freudig ist, will ich ihr still dienen, ich winke ihr, – siehe, sie erhebt sich und kommt mir entgegen, wir lächeln uns an, und ich kann's nicht länger bezweifeln, daß ich mein Bild im Spiegel erblicke.

Ach ja, diese Prophezeiung ist mir wahr geworden, ich habe keinen andern Freund gehabt als mich selber, ich habe nicht um mich, aber oft mit mir geweint; ich habe gescherzt mit mir, und das war noch rührender, daß am Scherz auch kein andrer teilnahm, hätte mir damals einer gesagt, es sucht jeder in der Liebe nur sich, und es ist das höchste Glück sich in ihr finden, ich hätt' es nicht verstanden, doch ist in diesem kleinen Ereignis eine hohe Wahrheit verborgen, die gewiß nur wenige fassen: finde dich, sei dir selber treu, lerne dich verstehen, folge deiner Stimme, nur so kannst du das Höchste erreichen, du kannst nur dir treu sein in der Liebe, was du schön findest, das mußt du lieben, oder du bist dir untreu.

Schönheit erzeugt Begeistrung, aber Begeistrung für Schönheit ist die höchste Schönheit selbst. Sie spricht das erhöhte, verklärte Ideal des Geliebten durch sich selbst aus.

Gewiß, die Liebe erzieht eine höhere Welt aus der Sinnenwelt; der Geist wird durch die Sinne genährt, gepflegt und getragen, er wächst und steigt durch sie zur Selbstbegeistrung, zum Genie, denn Genie ist das überirdische selige Leben einer durch die sinnliche Natur erzeugten himmlischen Begeisterung.

Du erscheinst mir wie dies himmlische Erzeugnis meiner Sinnenwelt, wenn ich so vor Dir stehe und Dir ausspreche, wie ich Dich liebe, und doch, wenn ich so vor Dir stehe, dann fühl' ich wie Deine sinnliche Erscheinung mich verklärt und zur himmlischen Natur in mir wird.

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Jetzt bin ich dreizehn Jahr' alt, jetzt rückt die Zeit an, die aus dem Schlaf weckt, die jungen Keime haben Trieb und rücken aus ihrer braunen Hülle hervor ans Licht, und die Liebe des Kindes neigt sich den aufkeimenden Geschlechtern der Blumen; sein Herz glüht verschämt und innig ihren vielfarbigen duftenden Reizen entgegen und ahnet nicht, daß währenddem eine Keimwelt von tausendfältigen Geschlechtern der Sinne und des Geistes sich aus der Brust hervor, dem Leben, dem Licht entgegendrängt. Siehst Du wohl hier bestätigt, was ich sage: die Liebe zu der aufkeimenden Blütenwelt der sinnlichen Natur erregt die schlafenden Keime einer geistigen Blütenwelt; indem wir die sinnliche Schönheit gewahr werden, erzeugt sich in uns ein geistig Ebenbild, eine himmlische Verklärung dessen, was wir sinnlich lieben. So war meine erste Liebe, im Garten: in der Geißblattlaube war ich jeden Morgen mit der Sonne und drängte mich dem Aufbrechen ihrer rötlichen Knospen entgegen, und wie ich in die erschloßnen Kelche blickte, da liebte ich und betete die Sinnenwelt in den Blüten an, und ich mischte meine Tränen mit dem Honig in ihren Kelchen. Ja, glaub's, es war mir ein besonderer Reiz, die Träne, die unwillkürlich mir ins Auge gedrungen, da hinein zu betten, so wechselte die Lust mit der Wehmut. Die jungen Feigenblätter, wie sie zuerst so rein und dicht gefaltet aus dem Keim hervorsteigen und vor der Sonne sich ausbreiten: Ach Gott! Du! warum schmerzt die Schönheit der Natur? nicht wahr, weil die Liebe sich untüchtig fühlt, sie ganz zu umfassen, so ist die glücklichste Liebe von Wehmut durchdrungen, weil sie ihrer eignen Sehnsucht kein Genüge tun kann, so macht mich Deine Schönheit wehmütig, weil ich Dich nicht genug lieben kann. – O verlasse mich nicht, sei mir nur so weit willig gesinnt, wie der Tau den Blumen gesinnt ist; morgens weckt er sie und nährt sie, und abends reinigt er sie vom Staub und kühlt sie von der Hitze des Tages. So mache Du es auch, wecke und nähre meine Begeistrung in der Frühe, kühle meine Glut und reinige mich von Sünden am Abend.

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