Bettine von Arnim
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
Bettine von Arnim

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An Goethe.

Wir haben einen naßkalten April, ich merk's an Deinem Brief – der ist wie ein allgemeiner Landregen; der ganze Himmel überzogen von Anfang bis ans Ende; Du besitzest zwar die Kunst, in kleinen Formenzügen und Linien Dein Gefühl ahnen zu lassen, und in dem, was Du unausgesprochen läßt, stiehlt sich die Versicherung ins Herz, daß man Dir nicht gleichgültig ist; ja, ich glaub's, daß ich Dir lieb bin, trotz Deinem kalten Brief; aber wenn Deine schöne Mäßigung plötzlich zum Teufel ging' und Du bliebst ohne Kunst und ohne feines Taktgefühl, so ganz wie Dich Gott geschaffen hat in Deinem Herzen, ich würde mich nicht vor Dir fürchten, wie jetzt, wenn ein so kühler Brief ankommt, wo ich mich besinnen muß, was ich denn getan habe.

Heute schreibe ich aber doch mit Zuversicht, weil ich Dir erzählen kann, wie Dein einziger Sohn sich hier wohl und lustig befindet; er gibt mir alle Abend im Theater ein Rendezvous in unserer Loge; frühmorgens spaziert er schon auf den Stadttürmen herum, um die Gegend seiner väterlichen Stadt recht zu beschauen; ein paarmal hab' ich ihn hinausgefahren, um ihm die Gemüsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die ersten und wunderbarlichen Vorbereitungen dazu geschehen, wo jeder Staude ihr Standort mit der Richtschnur abgemessen wird, und wo diese fleißigen Gärtner mit so großer Sorgfalt jedem Pflänzchen seinen Lebensunterhalt anweisen; auch ans Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die Pfingstwiese, auf den Schneidewall; dann hinter die schlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz war; dann zum Mainzer Törchen hinaus; auch in Offenbach war er mit mir und der Mutter und sind gegen Abend bei Mondschein zu Wasser wieder in die Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht losgelegt von all Deinen Geschichten und Lustpartien; und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem die Erinnerung mir eine Zeitlang Nahrung sein wird. Es war, als lief' ich in Weimar durch den Park, in dem ein starker Regen fiel; es war grade alles im ersten Grün, die Sonne schien durch den Regen. Als ich an Deine Tür kam, hört' ich Dich schon von weitem sprechen; ich rief – du hörtest nicht – da sah ich Dich auf derselben Bank sitzen, hinter welcher im vorigen Jahr die schöne breite Malve noch spät gewachsen war – gegenüber lag auch die Katze wie damals, und als ich zu Dir kam, sagtest Du auch wieder: »Setze Dich nur dort üben zur Katze, wegen Deinen Augen, die mag ich nicht so nah.« – Hier wachte ich auf, aber weil mir der Traum so lieb war, konnt' ich ihn nicht aufgeben; ich träumte fort, trieb allerlei Spiel mit Dir und bedachte dabei Deine Güte, die solche Zutraulichkeit erlaubt. – Du! der einen Kreis des Lebendigen umfasset, in dem wir alle Dein Vertrauen in so mächtigen Zügen schon eingezogen haben. Ich fürchte mich manchmal, die Liebe, die rasch in meinem Herzen aufsteigt, wenn auch nur in Gedanken vor Dir auszusprechen; aber so ein Traum stürzt wie ein angeschwollner Strom über den Damm. Es mag sich einer schwer entschließen, eine Reise nach der Sonne zu tun, weil ihn die Erfahrung, daß man da nicht ankommt, davon abhält; – mir gilt in solchen Augenblicken die Erfahrung nichts, und so scheint mir denn, Dein Herz zu erreichen in seinem vollen Glanze, nichts Unmögliches.

Molitor war gestern bei mir; ich las ihm die Worte über ihn aus Deinem Briefe vor, sie haben ihn sehr ergötzt; dieser Edle ist der Meinung, daß, da er einen Leib für die Juden zu opfern habe und einen Geist ihnen zu widmen, beide auch recht nützlich anzuwenden; es geht ihm übrigens nicht sehr wohl, außer in seinem Vertrauen auf Gott, bei welchem er jedoch fest glaubt, daß die Welt nur durch Schwarzkunst wieder ins Gleichgewicht zu bringen ist. Er hat groß Vertrauen auf mich und glaubt, daß ich mit der Divinationskraft begabt bin; brav ist er und will ernstlich das Gute; bekümmert sich deswegen nicht um die Welt und um sein eigen Fortkommen; ist mit einem Stuhl, einem Bett und mit fünf Büchern, die er im Vermögen hat, sehr wohl zufrieden.

Adieu, ich eile Toilette zu machen, um mit Deiner Mutter und Deinem Sohn zum Primas zu fahren, der heute ihnen zu Ehren ein großes Fest gibt; – da werd' ich denn wieder recht mit dem Schlaf zu kämpfen haben; diese vielen Lichter, die geputzten Leute, die geschminkten Wangen, das summende Geschwätz, haben eine narkotische unwiderstehliche Wirkung auf mich.

Bettine.


An Frau von Goethe.

Am 7. April.

Erinnern Sie sich noch des Abends, den wir bei Frau von Schopenhauer zubrachten und man eine Wettung machte, ich könne keine Nähnadel führen? – Ein Beweis, daß ich damals nicht gelogen habe, ist beikommendes Röcklein; ich hab' es so schön gemacht, daß mein Talent für weibliche Handarbeit ohne Ungerechtigkeit doch nicht mehr im Zweifel gezogen werden kann. Betrachten Sie es indessen mit Nachsicht; denn im stillen muß ich Ihnen bekennen, daß ich meinem Genie beinahe zuviel zugetraut habe. Wenn Sie nur immer darin erkennen, daß ich Ihnen gern so viel Freude machen möchte, als in meiner Gewalt steht.

August scheint sich hier zu gefallen; das Fest, welches der Fürstprimas der Großmutter und dem Enkel gab, beweist recht, wie er den Sohn ehrt. Ich will indessen der Frau Rat nicht vorgreifen, die es Ihnen mit den schönsten Farben ausmalen wird. August schwärmt in der ganzen Umgegend umher; überall sind Jugendfreunde seines Vaters, die von den Höhen da und dort hindeuten und erzählen, welche glückliche Stunden sie mit ihm an so schönen Orten verlebten; und so geht es im Triumph von der Stadt aufs Land und von da wieder in die Stadt. – In Offenbach, dem zierlichsten und reinsten Städtchen von der Welt, das mit himmelblauseidenem Himmel unterlegt ist, mit silbernen Wellen garniert und mit blühenden Feldern von Hyazinthen und Tausendschönchen gestickt; da war des Erzählens der Erinnerungen an jene glücklichen Zeiten kein Ende.

Beiliegende Granaten hab' ich aus Salzburg erhalten; tragen Sie dieselben zu meinem Andenken.

Bettine.

 

Einliegende Bücher für den Geheimen Rat.


An Bettine.

Weimar, den 20. April 1808.

Auch gestern wieder, liebes Herz, hat sich aus Deinem Füllhorn eine reichliche Gabe zu uns ergossen, grade zur rechten Zeit und Stunde, denn die Frauenzimmer waren in großer Überlegung, was zu einem angesagten Fest angezogen werden sollte. Nichts wollte recht passen, als eben das schöne Kleid ankam, das denn sogleich nicht geschont wurde.

Da unter allen Seligkeiten, deren sich meine Frau vielleicht rühmen möchte, die Schreibseligkeit die allergeringste ist: so verzeihe Du, wenn sie nicht selbst die Freude ausdrückt, die Du ihr gemacht hast. Wie leer es bei uns aussieht, fällt mir erst recht auf, wenn ich umherblicke und Dir doch auch einmal etwas Freundliches zuschicken möchte. Darüber will ich mir nun also weiter kein Gewissen machen und auch für die gedruckten Hefte danken, wie für manches, wovon ich noch jetzt nicht weiß, wie ich mich seiner würdig machen soll. Das wollen wir denn mit bescheidenem Schweigen übergehen und uns lieber abermals zu den Juden wenden, die jetzt in einem entscheidenden Moment zwischen Tür und Angel stecken und die Flügel schon sperren, noch ehe ihnen das Tor der Freiheit weit genug geöffnet ist. –

Es war mir sehr angenehm, zu sehen, daß man den finanzgeheimrätlichen, jakobinischen Israelssohn so tüchtig nach Hause geleuchtet hat. Kannst du mir den Verfasser der kleinen Schrift wohl nennen? Es sind treffliche einzelne Stellen drin, die in einem Plädoyer von Beaumarchais wohl hätten Platz finden können. Leider ist das Ganze nicht rasch, kühn und lustig genug geschrieben, wie es hätte sein müssen, um jenen Humanitätssalbader vor der ganzen Welt ein für allemal lächerlich zu machen. Nun bitte ich aber noch um die Judenstädtigkeit selbst, damit ich ja nicht zu bitten und zu verlangen aufhöre.

Was Du mir von Molitor zu sagen gedenkst, wird mir Freude machen; auch durch das letzte, was Du von ihm schickst, wird er mir merkwürdig, besonders durch das, was er von der Pestalozzischen Methode sagt.

Lebe recht wohl! Hab' tausend Dank für die gute Aufnahme des Sohns und bleibe dem Vater günstig.

G.


An Goethe.

Die Städtigkeits- und Schutzordnung der Judenschaft wird hierbei von einer edlen Erscheinung begleitet; nicht allein, um Dir eine Freude zu machen, sondern weil dies Bild mir lieb ist, hab' ich's von der Wand an meinem Bett genommen, an dem es seit drei Tagen hing und seine Schönheit dem Postwagen anvertraut; Du sollst nur sehen, was mich reizen kann. Häng' dies Bild vor Dich – schau' ihm in diese schönen Augen – in denen der Wahnsinn seiner Jugend schon überwunden liegt, dann fällt es Dir gewiß auf, was Sehnsucht erregt. – Dies Unwiederbringliche, was nicht lang das Tagslicht verträgt und schnell entschwindet, weil es zu herrlich ist für den Mißbrauch. – Diesem aber ist es nicht entschwunden, es ist ihm nur tiefer in die Seele gesunken; denn zwischen seinen Lippen haucht sich schon wieder aus, was sich im erhellten Aug' nicht mehr darf sehen lassen. – Wenn man das ganze Gesicht anblickt: – man hat's so lieb – man möcht' mit ihm gewesen sein, um alle Pein mit ihm zu dulden, um ihm alles zu vergüten durch tausendfache Liebe – und wenn man den breiten vollen Lorbeer erblickt, scheinen alle Wünsche für ihn erfüllt. Sein ganzes Wesen – das Buch, was er an sich hält, macht ihn so lieb; hätt' ich damals gelebt, ich hätt' ihn nicht verlassen.

August ist weg; ich sang ihm vor: »Sind's nicht diese, sind's doch andre, die da weinen, wenn ich wandre, holder Schatz, gedenk' an mich.« Und so wanderte er zu den Pforten unseres republikanischen Hauses hinaus; hab' ihn auch von Herzen umarmt, zur Erinnerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergessen zu haben scheinst und mir nur immer von dem Volk schreibst, welches verflucht ist, und es Dir lieb ist, wenn Jacobson heimgeschickt wird, aber nicht, wenn ich heimlich mit Dir bin, so schreib' ich's zur Erinnerung für Dich an mich, die Dich trotz Deiner Kälte doch immer liebhaben muß – halt, weil sie muß.

Dem Primas hüte ich mich wohl, Deine Ansichten über die Juden mitzuteilen, denn einmal geb' ich Dir nicht recht und hab' auch meine Gründe; ich leugne auch nicht, die Juden sind ein heißhungriges, unbescheidenes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, so reißen sie einem bei der Hand an sich, daß man um und um purzeln möchte; das kommt eben daher, daß sie so lang in der Not gesteckt haben; ihre Gattung ist doch Menschenart, und diese soll doch einmal der Freiheit teilhaftig sein, zu Christen will man sie absolut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der überfüllten Judengasse will man sie nicht herauslassen; das hat nicht wenig Überwindung der Vorurteile gekostet, bis die Christen sich entschlossen hatten, ihre Kinder mit den armen Judenkindern in eine Schule zu schicken, es war aber ein höchst genialer und glücklicher Gedanke von meinem Molitor, fürs erste Christen- und Judenkinder in eine Schule zu bringen; die können's denn miteinander versuchen und den Alten mit gutem Beispiel vorgehen. Die Juden sind wirklich voll Untugend, das läßt sich nicht leugnen; aber ich sehe gar nicht ein, was an den Christen zu verderben ist; und wenn denn doch alle Menschen Christen werden sollen, so lasse man sie ins himmlische Paradies, – da werden sie sich schon bekehren, wenn's ihnen gefällig ist.

Siehst Du, die Liebe macht mich nicht blind, es wär' auch ein zu großer Nachteil für mich, denn mit sehenden Augen bin ich alles Schönen inne geworden.

Adieu, kalter Mann, der immer über mich hinaus nach den Judenbroschüren reicht; ich bitte Dich, steck' das Bild an die Wand mit vier Nadeln, aber in Dein Zimmer, wo ich das einzige Mal drin war und hernach nicht mehr.

Bettine.


An Bettine.

Du zürnst auf mich, da muß ich denn gleich zu Kreuz kriechen und Dir recht geben, daß Du mir den Prozeß machst über meine kurzen kalten Briefe, da doch Deine lieben Briefe, Dein lieb Wesen, kurz alles, was von Dir ausgeht, mit der schönsten Anerkenntnis müßte belohnt werden. Ich bin Dir immer nah, das glaube fest, und daß es mir wohler tut, je länger ich Deiner Liebe gewiß werde. Gestern schickte ich meiner Mutter ein kleines Blättchen für Dich; nimm's als ein bares Äquivalent für das, was ich anders auszusprechen in mir kein Talent fühle, sehe zu, wie Du Dir's aneignen kannst. Leb' wohl, schreib mir bald, alles was Du willst.

Goethe.

 

Der durchreisende Passagier wird Dir hoffentlich wert geblieben sein bis ans Ende. Nehme meinen Dank für das Freundliche und Gute, was Du ihm erzeigt hast. – Wenn ich in Karlsbad zur Ruh' bin, so sollst Du von mir hören. Deine Briefe wandern mit mir; schreib mir ja recht viel von Deinen Reisen, Landpartien, alten und neuen Besitzungen; das lese ich nun so gern.

Weimar, den 4. Mai 1808.


Sonett, im Brief an Goethes Mutter eingelegt.

    Als kleines art'ges Kind nach Feld und Auen
Sprangst du mit mir, so manchen Frühlingsmorgen.
»Für solch ein Töchterchen, mit holden Sorgen,
Möcht' ich als Vater segnend Häuser bauen!«

Und als du anfingst in die Welt zu schauen,
War deine Freude häusliches Besorgen.
»Solch eine Schwester! und ich wär' geborgen:
Wie könnt' ich ihr, ach! wie sie mir vertrauen!«

Nun kann den schönen Wachstum nichts beschränken;
Ich fühl' im Herzen heißes Liebestoben,
Umfass' ich sie, die Schmerzen zu beschwichtgen?

Doch ach! Nun muß ich dich als Fürstin denken:
Du stehst so schroff vor mir emporgehoben;
Ich beuge mich vor deinem Blick, dem flüchtgen.


An Goethe.

Ist es Dir eine Freude, mich in tiefer Verwirrung beschämt zu Deinen Füßen zu sehen, so sehe jetzt auf mich herab; so geht's der armen Schäfermaid, der der König die Krone aufsetzt, wenn ihr Herz auch stolz ist, ihn zu lieben, so ist die Krone doch zu schwer; ihr Köpfchen schwankt unter der Last, und noch obendrein ist sie trunken von der Ehre, von den Huldigungen, die der Geliebte ihr schenkt.

Ach, ich werde mich hüten, ferner zu klagen oder um schön Wetter zu beten, kann ich doch den blendenden Sonnenstrahl nicht vertragen. Nein, lieber im Dunkel seufzen, still verschwiegen, als von Deiner Muse ans helle Tageslicht geführt, beschämt, bekränzt; das sprengt mir das Herz. Ach, betrachte mich nicht so lange, nimm mir die Krone ab, verschränke Deine Arme um mich an Deinem Herzen und lehre mich vergessen über Dir selber, daß Du mich verklärt mir wiederschenkst.

Bettine.


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