Bettine von Arnim
Goethes Briefwechsel mit einem Kinde
Bettine von Arnim

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Hast Du mich lieb? – Ach! ein Herabneigen Deines Angesichts auf mich wie die wogenden Zweige der Birke, – wie schön wär' das! – oder auch, daß Du mich anhauchtest im Schlaf, wie der Nachtwind über die Fluren hinstreift; mehr nicht, mein Freund, verlang' ich von dir – daß der Atem des Geliebten Dich berührt, welche Seligkeit kannst du dieser gleichstellen? –

So hell und deutlich hab' ich damals nicht gefühlt, wie ich heut' in der Erinnerung fühle, ich war so unmündig wie die junge Saat, aber ich wurde vom Lichte genährt und dem Selbstbewußtsein entgegengeführt, wie jene, wenn sie durch die Ähre ihrer selbst gewiß wird; und heute bin ich reif, und streue die goldnen Fruchtkörner der Liebe zu Deinen Füßen aus, mehr nicht besagt mein Leben.

*

Die Nachtigall war anders gegen mich gesinnt wie Du, sie stieg herab von Ast zu Ast und kam immer näher, sie hing sich an den äußersten Zweig, um mich zu sehen, ich wendete leise mich zu ihr, um sie nicht zu scheuchen, und siehe da! Aug' in Nachtigallenaug', wir blickten uns an und hielten's aus. Dazu trugen die Winde die Töne einer fernen Musik herüber, deren allumfassende Harmonie wie ein in sich abgeschlossenes Geisteruniversum erklang, wo jeder Geist alle Geister durchdringt, und alle jedem sich fügen; vollkommen schön war dies Ereignis, dies erste Annähern zweier gleich unbewußten, unschuldigen Naturen, die noch nicht erfahren hatten, daß aus Liebesdurst, aus Liebeslust das Herz im Busen stärker und stärker klopft. Gewiß, ich war erfreut und gerührt durch dies Annähern der Nachtigall, wie ich mir denke, daß Du allenfalls freundlich bewegt werden könntest durch meine Liebe, aber was hat die Nachtigall bewogen mir nachzugehen, warum kam sie herab vom hohen Baum und setzte sich mir so nah, daß ich sie mit der Hand hätte haschen können, warum sah sie mich an und zwar mir ins Aug'? – Das Aug' spricht mit uns, es antwortet auf den Blick, die Nachtigall wollte mit mir sprechen, sie hatte ein Gefühl, einen Gedanken mit mir auszutauschen. Gefühl ist der Keim des Gedankens, und wenn es so ist, welchen tiefen, gewaltigen Blick läßt uns hier die Natur in ihre Werkstatt tun; wie bereitet sie ihre Steigerungen vor, wie tief legt sie ihre Keime, wie weit ist es noch von der Nachtigall bis zu dem Bewußtsein zwischen zwei Liebenden, die ihre Inbrunst so deutlich im Lied der Nachtigall gesteigert empfinden, daß sie glauben müssen, ihre Melodien seien der wahre Ausdruck ihrer Empfindungen. –

Am andern Tag kam sie wieder, die Nachtigall – ich auch, mir ahnete, sie würde kommen, ich hatte die Gitarre mitgenommen, ich wollte ihr was vorspielen, an der Pappelwand war's, der wilden Rosenhecke gegenüber, die ihre langen schwankenden Zweige über die Mauer des Nachbargartens hereinstreckte und mit ihren Blüten beinah' bis wieder an den Boden reichte; da saß sie, streckte ihr Hälschen und sah mir zu, wie ich mit dem Sand spielte. Nachtigallen sind neugierig, sagen die Leute, bei uns ist's ein Sprichwort: »Du bist so neugierig wie eine Nachtigall«; aber warum ist sie denn neugierig auf den Menschen, der scheinbar gar keine Beziehung auf sie hat? – was wird einstens aus dieser Neugierde sich erzeugen? – O! nichts umsonst, alles braucht die Natur zu ihrem rastlosen Wirken, es will und muß weitergehen in ihren Erlösungen. Ich stieg auf eine hohe Pappel, deren Äste von unten auf zu einer bequemen Treppe rund um den Stamm gebildet waren; da oben in dem schlanken Wipfel band ich mich fest an die Zweige mit der Schnur, an der ich die Gitarre mir nachgezogen hatte, es war schwül, nun regten sich die Lüfte stärker und trieben ein Heer von Wolken über uns zusammen. – Die Rosenhecke wurde hochgehoben vom Wind und wieder niedergebeugt, aber der Vogel saß fest; je brausender der Sturm, je schmetternder ihr Gesang, die kleine Kehle strömte jubelnd ihr ganzes Leben in die aufgeregte Natur, der fallende Regen behinderte sie nicht, die brausenden Bäume, der Donner übertäubte und schreckte sie nicht, und ich auch auf meiner schlanken Pappel wogte im Sturmwind nieder auf die Rosenhecke, wenn sie sich hob, und streifte über die Saiten, um den Jubel der kleinen Sängerin durch den Takt zu mäßigen. Wie still war's nach dem Gewitter! welche heilige Ruhe folgte dieser Begeistrung im Sturm! mit ihr breitete die Dämmerung sich über die weiten Gefilde, meine kleine Sängerin schwieg, sie war müde geworden. Ach, wenn der Genius aufleuchtet in uns und unsere gesamten Kräfte aufregt, daß sie ihm dienen, wenn der ganze Mensch nichts mehr ist, als nur dienend dem Gewaltigen, dem Höheren als er selbst, und die Ruhe folgt auf solche Anstrengung, wie mild ist es da, wie sind da alle Ansprüche, selbst etwas zu sein, aufgelöst in Hingebung an den Genius! So ist Natur, wenn sie ruht vom Tagewerk: sie schläft, und im Schlaf gibt es Gott den Seinen. So ist der Mensch, der unterworfen ist dem Genius der Kunst, dem das elektrische Feuer der Poesie die Adern durchströmt, den prophetische Gabe durchleuchtet, oder der wie Beethoven eine Sprache führt, die nicht auf Erden, sondern im Äther Muttersprache ist. Wenn solche ruhen von begeisterter Anstrengung, dann ist es so mild, so kühl, wie es heute nach dem Gewitter war in der ganzen Natur und mehr noch in der Brust der kleinen Nachtigall, denn sie schlief wahrscheinlich heute noch tiefer als alle andren Vögel, und um so kräftiger und um so inniger wird ihr der Genius, der es den Seinen im Schlaf gibt, vergolten haben, ich aber stieg nach eingeatmeter Abendstille von meinem Baum herab, und durchdrungen von den hohen Ereignissen des eben Erlebten, sah ich unwillkürlich die Menschheit über die Achsel an.

*

Alles ändert sich, die Menschen denken anders, wenn sie älter sind, als in der Jugend. Ach! – was werde ich denn einstens denken, wenn mich dies irdische Leben so lange bewahrt, bis ich älter in ihm werde! vielleicht gehe ich, statt zu dem Freund, dann in die Kirche, vielleicht bete ich dann, statt zu lieben! Ach, wie werd ich's dem Lieben gleichtun im Beten? – Hab' ich je Andacht empfunden, so war's an Deiner Brust, Freund! – Tempelduft, den Deine Lippen hauchen, Geist Gottes, den Deine Augen predigen, es strömt von Dir aus eine begeisternde Macht, Deine Gewande, Dein Antlitz, Dein Geist, alles strömt eine Heiligung aus. O Du! – Deine Knie fest an meine Brust drückend, frag' ich nicht mehr, was das für eine Seligkeit sein möge, die im Himmel dem Frommen bereitet ist. – Gott von Angesicht zu Angesicht schauen? – Wie oft hab' ich mit geschloßnen Augen Deiner Nähe mich gefreut. Vielleicht dringt Gott durch den Geliebten in unser Herz, – ja Geliebter! was haben wir im Herzen als nur Gott? – Und wenn wir ihn da nicht empfänden, wie und wo sollten wir seine Spur suchen? –

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Was fasele ich vom Frühling, was spreche ich von heiteren Tagen, von Genuß und Glück? – Du! – das Bewußtsein von Dir verzehrt mir jede Regung; ich kann nicht lächeln zum Scherz, ich kann nicht mich freuen, ich kann nicht hoffen mit den andern. Daß ich Dich kenne, daß ich Dich weiß, macht meine Sinne so still.

*

O heute ist ein wunderbarer Tag! – heute leide ich Schmerzen, so schwer ist die Seele! Du bist nah, ich weiß es, gar nicht fern ist der Weg zu Dir, aber mich trennt der kleine Raum wie die Unendlichkeit. Der Moment der Sehnsucht ist es, der gefühlt und befriedigt sein will, und wenn der Geliebte den nicht ahnt, wenn er die Liebe versäumt, was kann mich ihm nah bringen! Ach, schauerlicher Tag, der heute in Erwartung und Sehnsucht verging!

Wen mache ich zum Vertrauten? wer fühlt menschlich mit mir? – wem klag' ich über Dich? – wer ist mein Freund? – wer darf's wagen auf diesen Stufen hinanzusteigen, auf denen ich mich aller menschlichen Berührung enthoben habe? – wer darf die Hand mir an die Stirn legen und sagen: »Der Friede sei mit dir?« –

Dir klag' ich's, den ich suche, Dir ruf' ich's zu über die Klüfte, denk' nur, mit heißem Ruderschlag überfliege ich die Zeit, das Leben; ich jage sie hinter mich, die Minuten der Trennung, und nun, ihr Inseln der Seligen, findet mein Anker keinen Grund. Wildes Gestade! – feindseliger Strand! – Ihr lasset mich nicht landen, nicht ahnen des Freundes Brust, der kennt die Geheimnisse und den göttlichen Ursprung und meines Lebens Ziel. Er hat, daß ich ihn schauen lerne, des Lichtes unbefleckten Glanz mir im Geiste geweckt, er hat – begleitend in raschen Liedern die Genüsse, die Leiden der Liebe – mich gelehrt, zwischen beiden voranschreitend: den Schicksalsschwestern, mit leuchtender Fackel des Eros zu bestrahlen den Weg.

*

Heute ist ein andrer Tag, die böse Furcht ist gestillt, es tobt nicht, es braust nicht mehr im Herzen, die Klage unterbricht nicht mehr der Liebe glanzerfüllte Stille. – Ach, heute ist die Sonne nicht hinab, ihre letzten Strahlen breiten sich unter Deine Schritte; sie wandelt – die Sonne, sie steht nicht still, sie führt Dich ein bei mir, wo Dämmerung Dir winkt und der von Violen geflochtene Kranz. O Liebster! – dann steh' ich schweigend vor Dir, und der Duft der Blumen wird für mich sprechen bei Dir.

*

Ich bin freudig wie der Delphin, der auf weitruhendem Meeresplan ferne Flöten vernimmt; er jagt mutwillig die Wasser in die glänzende Stille der Lufthöhen, daß sie auf der glatten Spiegelfläche einen Perlenrausch verbreiten; jede Perle spiegelt das Universum und zerfließt, so jeder Gedanke spiegelt die ewige Weisheit und zerfließt.

Deine Hand lehnte an meiner Wange, und Deine Lippe ruhte auf meiner Stirn, und es war so still, daß Dein Atem verhauchte wie Geisteratem. Sonst eilt die Zeit den Glücklichen, aber diesmal jagte die Zeit nicht; eine Ewigkeit, die nie endet, ist diese Zeit, die so kurz war, so in sich, daß ihr kein Maß kann angelegt werden.

An milden Frühlingstagen, wo dünnes Gewölk der jungen Saat den fruchtbringenden Regen spendet, da ist es so wie jetzt in meiner Brust; mir ahnet, wie dem kaum gewurzelten Keim seine künftige Blüte ahnet, daß Liebe ewige, einzige Zukunft sei.

Gut sein begnügt die Seele, wie das Wiegenlied die Kinderseele zum Schlaf befriedigt. Gut sein ist die heilige Ruhe, die der Same des Geistes haben muß, eh' er wieder gezeitigt ist zur Saat. Der Geist aber ahnt, daß Gutsein die Vorbereitung zu einem tiefen unerforschlichen Geheimnis ist. Das hast Du mir anvertraut, Goethe! – gestern abend beim Sternenhimmel am offnen Fenster, wo ein Lüftchen nach dem andern hereinschwirrte und wieder hinaus. – Wenn also die Seele gut ist: das ist eine Ruhe, ein Einschlafen im Schoß Gottes, wie der Same im Schoß der Natur schläft, eh' er keimt. Wenn aber der Geist das Gute will, so will er die Gottheit selbst; so will er jenes Geheimnis der Güte als Speise, Nahrung und Vorbereitung seiner nahen Verwandlung; so pocht er an, wie der verborgne Strom im Felsenschoß, daß er ans Licht will. Solchen kühnen Mut hat Dein Geist, daß seinem Dringen Tor und Riegel aufgetan wurden, und daß er hervorbrausen durfte, über alle Zeiten hinweg, wo Geist in Geist greift, Well' in Well' geboren, Well' in Well' verloren.

Solcherlei Gespräche führten wir gestern abend, und Du sagtest noch: »Kein Mensch würde glauben, daß wir beide so miteinander sprechen.«

Wir sprachen auch von der Schönheit: Schönheit ist, wenn der Leib von dem Geist, den er beherbergt, ganz durchdrungen ist. Wenn das Licht des Geistes von dem Leib, den er durchdringt, ausströmt und seine Formen umkreist, das ist Schönheit. Dein Blick ist schön, weil er das Licht Deines Geistes ausströmt und in diesem Lichte schwimmt.

Der reine Geist bildet sich einen reinen Leib im Wort, das ist die Schönheit der Poesie. Dein Wort ist schön, weil der Geist, den es beherbergt, hindurch dringt und es umströmt.

Schönheit vergeht nicht! der Sinn, der sie in sich aufnimmt, hat sie ewig, und sie vergeht ihm nicht.

Nicht das Bild, das sie spiegelt, nicht die Form, die ihren Geist ausspricht, hat die Schönheit: nur der hat sie, der in diesem Spiegel den eignen Geist ahnt und ersehnt.

Schönheit bildet sich in dem, der sie sucht und im Bild wiederzugeben sucht, und in dem, der sie erkennt und sich ihr gleichzubilden sehnt.

Jeder echte Mensch ist Künstler, er sucht die Schönheit und sucht sie wiederzugeben, soweit er sie zu fassen vermag. Jeder echte Mensch bedarf der Schönheit als der einzigen Nahrung des Geistes.

Die Kunst ist der Spiegel der innersten Seele, ihr Bild ist es, wie sie aus Gott hervorging, was die Kunst Dir spiegelt. Alle Schönheit ist eine Erkenntnis Deiner eignen Schönheit.

Die Kunst ist es, die Dir ein sinnliches Ebenmaß des Geistes vor die leiblichen Augen zaubert.

Jeder Lebenstrieb ist Schönheitstrieb, sieh die Pflanze, ihre Triebe alle sind erfüllt mit der Sehnsucht zu blühen, und die Befriedigung dieser Sehnsucht lag schon im Samenkorn vorbereitet; also ist wohl Sehnsucht die sicherste Gewährleistung. Wer sich nach ewiger Schönheit sehnt, der wird sie haben und genießen.

Alles, was ich hier sage, schriebst Du mir ins Herz; wenn ich's noch nicht mit rechter Freiheit ausspreche? – Weil ich's nicht ganz zu fassen vermag.

Gestern abend, da streifte Dein Aug' über die fernen Gebirge, und da sagtest Du: »Die Leidenschaft, die ins Herz geboren ist, soll auch wachsen und gedeihen; denn es ist keine Begierde, der nicht das Göttliche gegenüberstände, um sie selig zu machen.«

Sie haben mich eingeführt in ihren Tempel, die Genien, und hier stehe ich verzagt, aber nicht fremd, diese Lehren sind mir verständlich, diese Gesetze geben mir Weisheit, das Trachten der Liebe ist nicht Trachten vergänglicher Menschen. Alle Blumen, die wir brechen, werden unsterblich im Opfer – ein liebend Herz entschwingt sich feindseligem Los.

Ich soll Dir erzählen von den Zeiten, wo ich Deinen Namen noch nicht hatte nennen lernen? Gewiß, Du hast recht, wissen zu wollen, was mich auf Dich vorbereitete, ich sagte Dir, daß Blumen und Kräuter zuerst mich ansahen, daß ich erkannte, im Blick sei eine Frage, eine Forderung, die ich nur mit zärtlichen Tränen beantworten konnte, dann lockte mich die Nachtigall, ihr selbständig Handeln, ihr Gesang, ihr Annähern und Zurückziehen lockte mich noch mehr als das Leben der Blumen, ich war ihr näher im Gemüt, ihr Umgang hatte etwas Reizendes; aus meinem Bettchen konnte ich ihr nächtlich Lied hören, ihr melodisch Stöhnen weckte mich, ich seufzte mit ihr und legte ihrem Gesang Gedanken unter, auf die ich tröstende Antworten erfand. Ich erinnere mich, daß ich damals unter blühenden Bäumen Ball spielte, ein junger Mann, der ihn fing, brachte mir ihn und sagte: »Du bist schön!« – Dies Wort brachte mir Feuer ins Herz, es glühte auf wie meine Wangen, aber ich dachte auf die Nachtigall, deren Gesang mich wahrscheinlich nächtlich verschöne, und in diesem Augenblick brach die heilige Wahrheit in meinem Geiste auf, daß alles, was über das Irdische erhebt, Schönheit erzeugt, und ich widmete mich der Nachtigall mit mehr Eifer, mein Herz hielt pochend still und ließ sich von ihren Tönen berühren wie von göttlichem Finger – ich wollte schön sein, und Schönheit war mir göttlich, ich neigte mich vor dem Gefühl der Schönheit und überlegte nicht, ob es äußerlich war oder innen. – Indessen hab' ich bis heute immer in der Schönheit, wo sie sich mir zeigte, eine nahe Verwandtschaft gefühlt, in Bildern, in Statuen, in Gegenden, in schlanken Bäumen. Obschon ich nun nicht schlank bin, so regt sich doch etwas in meinem Geist, was dieser Schlankheit entspricht, und ob Du auch lächelst, ich sage Dir, während ich mit dem Blick ihre himmelanstrebenden Wipfel verfolge, scheinen mir meine Eingebungen auch himmelanstrebend, und wie im Windesrauschen die weichen Zweige hin und her wogen, so wogt ein Gefühl gleichsam als belaubtes Gezweig eines hohen Gedankenstammes in mir. Und so wollte ich nur sagen, daß alle Schönheit erzieht, und daß der Geist, der wie ein treuer Spiegel die Schönheit fasset, hierdurch auch zu dem höheren Aufschwung kommt, der geistig diese selbe Schönheit ist, nämlich allemal ihre göttliche Offenbarung. – So denke denn Du, wie Du mir einleuchten mußt, da Du schön bist. Schönheit ist Erlösung. Schönheit ist Befreiung vom Zauber, Schönheit ist Freiheit, himmlische; hat Flügel und durchschneidet den Äther. – Schönheit ist ohne Gesetz, vor ihr schwindet jede Grenze, sie löst sich auf in alles, was ihren Reiz zu empfinden vermag, sie befreit vom Buchstaben; denn sie ist Geist. – Du bist empfunden von mir, Du machst mich frei vom Buchstaben und vom Gesetz. Sieh diese Schauer, die mich überwogen, es ist der Reiz Deiner Schönheit, der sich auflöst, mir im Gefühl, daß ich selber schön bin und Deiner würdig.

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Der Sommer geht vorüber, und die Nachtigall schweigt, sie schweigt, sie ist stumm und läßt sich auch nicht mehr sehen. Ich lebte da ohne Zerstreuung die Tage hindurch; ihre Nähe war mir eine liebe Gewohnheit, es schmerzt mich, sie zu entbehren, hätte ich doch etwas, was sie mir ersetzt! Vielleicht ein ander Tier – an die Menschen dachte ich nicht, im Nachbargarten ist ein Reh in einer Umzäunung, es läuft hin und her an der Bretterwand und seufzt, ich mache ihm eine Öffnung, wo es den Kopf durchstecken kann. Der Winter hat alles mit Schnee bedeckt, ich suche ihm Moos von den Bäumen: wir kennen uns, wie schön sind seine Augen; welche tiefe Seele sieht mich aus diesen an, wie wahr, wie warm! Es legt gern den Kopf in meine Hand und sieht mich an, ich bin ihm auch gut, ich komme, sooft es mich ruft; in den kalten hellen Mondnächten hör' ich seine Stimme, ich springe aus dem Bett, mit bloßen Füßen lauf' ich durch den Schnee, um dich zu beschwichtigen. Dann bist du ruhig, wenn du mich gesehen hast, wunderbares Tier, das mich ansieht, anschreit, als wenn es um Erlösung bäte. Welch festes Vertrauen hat es auf mich, die ich nicht seinesgleichen bin! Armes Tier, du und ich sind getrennt von unsersgleichen, wir sind beide einsam, und wir teilen dies Gefühl der Einsamkeit; o, wie oft hab' ich für dich in den Wald gedacht, wo du lang auslaufen konntest und nicht ewig in die Runde, wie hier in deinem Verschlag; dort liefst du doch deines Weges immerzu und konntest mit jedem Schritte hoffen, endlich einen Gefährten zu treffen, hier aber war deines Ziels kein Ende, und doch war alle Hoffnung abgeschnitten. Armes Tier! Wie schaudert mich dein Geschick, und wie nah verwandt mag es dem meinen sein! Ich auch lauf' in die Runde, da oben seh' ich die Sterne schimmern, aber sie halten alle fest, keiner senkt sich herab, und von hier aus ist es so weit bis zu ihnen, und was sich lieben lassen will, das soll mir nah kommen; aber so war's mir in der Wiege gesungen, daß ich mußte einen Stern lieben, und der Stern blieb mir fern; lange Zeit hab' ich nach ihm gestrebt, und meine Sinne waren aufgegangen in diesem Streben, so daß ich nichts sah, nichts hörte und auch nichts dachte als nur meinen Stern, der sich nicht vom Firmament losreißen werde, um sich mir zu neigen. – Mir träumt, der Stern senkt sich tiefer und tiefer, schon kann ich sein Antlitz erkennen, sein Strahlen wird zum Auge, es sieht mich an, und meine Augen spiegeln sich in ihm. Sein Glanz umbreitet mich, von allem auf Erden, soweit ich denken kann, soweit mich meine Sinne tragen, bin ich getrennt durch meinen Stern.

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Nichts hab' ich zu verlieren, nichts hab' ich zu gewinnen, zwischen mir und jedem Gewinn schwebst Du, der, göttlich strahlend im Geist, alles Glück überbietet; zwischen mir und jedem Verlust bist Du, der sich mir menschlich herabneigt.

Ich verstehe nur das Eine, an Deinem Busen die Zeit zu verträumen; – ich verstehe nicht Deiner Schwingen Bewegung, die Dich in den Äther tragen, droben in schwindelnder Höhe über mir, im ewigen Blau Dich schwebend erhalten.

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Mich und die Welt umkleidet Dein Glanz, Dein Licht ist Traumlicht der höheren Welt, wir atmen ihre Luft, wir erwachen im Duft der Erinnerung; ja, sie duftet uns, sie hebt uns und trägt unser schwankendes Los auf ihren spiegelnden Fluten der Götter allumfassenden Armen entgegen.

Du aber hast's mir in der Wiege gesungen, daß ich Deinem Gesang, der in Träumen mich wiegt über das Los meiner Tage, träumend auch lausche bis ans End' meiner Tage.

*


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