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Amerika

Der Rabe

E. A. Poe

Eine Mittnacht einst gar traurig saß und sann ich müd und schaurig
Über alten Folianten von vergeßner Weisheit schwer.
Und schon nickend mit dem Kopfe war mir plötzlich, daß es tropfe,
Nein, genauer noch, als klopfe sacht an meine Türe wer.
Ein Besucher, meint' ich, sicher pocht an meine Türe wer.
    Einzig dies nur und nichts mehr.

Oh, ich weiß noch alles. War es nicht im Sterbemond des Jahres?
Im Kamin die Funken warfen Geisterschatten zu mir her.
Sehnsuchtvoll des Morgens harrt' ich, denn umsonst in Bücher starrt' ich,
Nicht um sie getröstet ward ich, die ich einst geliebt so sehr,
Die nun Engeln heißt Lenore, einst von mir geliebt so sehr,
    Hier genannt von keinem mehr.

Und das seidne Knisterrauschen in des Vorhangs Purpurbauschen
Weckte ein phantastisch Graun mir, wie ich's nie gefühlt bisher.
Und das Herz schlug mir so mächtig, daß ich mehrmals ganz bedächtig
Vor mir hinsprach: »Mitternächtig pocht nur an die Türe wer.
Ein Besuch nur. Sicher pocht nur an die Zimmertüre wer.«
    Einzig dies nur und nichts mehr.

Wieder ruhig jetzt und fester, ging ich an die Tür: »Mein Bester
Oder meine Beste,« sprach ich, »wollt verzeihn, ich bitte sehr.
Doch mit schlafesmüdem Kopfe schien mir erst, als ob es tropfe,
Bis ich sicher war, es klopfe leise an die Türe wer.«
Und weit auf die Türe tat ich. Wer war draußen, dacht' ich, wer?
    Dunkel einzig und nichts mehr.

Tief ins Dunkel spähend, lauernd, stand ich lange, zweifelnd, schauernd,
Träume träumend, wie kein andrer Sterblicher geträumt bisher.
Doch nur meines Herzens Pochen hat die Stille unterbrochen,
Und kein Wort sonst ward gesprochen als: »Lenore!« kummerschwer,
Und ein Echo gab es wieder flüsternd mir und kummerschwer,
    Einzig dies nur und nichts mehr.

Nun zurück ins Zimmer kehrend, innen mich in Brand verzehrend,
Hört' ich neuerlich das Klopfen, etwas lauter denn vorher.
»Ah, vom Fensterladen kommt es,« sprach ich, »aber sicher frommt es,
Nachzusehn, und etwas Promptes zu erfahren ist nicht schwer.
Laß das Herz ein wenig still sein, und die Lösung ist nicht schwer:
    Nur der Wind ist's und nichts mehr.«

Aufstieß ich das Fenster schatternd, und herein, gemessen flatternd,
Kam ein großer alter Rabe aus der frommen Vorzeit her.
Und, nicht eben mit Turnüre, ganz, als ob sich's so gebühre,
Setzt' er gleich sich ob der Türe, stolz wie nur, ich weiß nicht wer,
Auf die Pallasbüste eben ob der Türe wie nur wer,
    Setzte sich und saß – nichts mehr.

Als er nun so majestätisch wie ein ebenholzner Fetisch
Saß und sah, da mußt' ich lächeln, war mein Herz auch kummerschwer.
Sprach: »Tonsur ja magst du haben, kommst doch sicher nicht um Gaben,
Ernst- und ältster aller Raben, von dem nächt'gen Strande her.
Sag, wie heißt du, werter Kömmling vom pluton'schen Strande her?«
    Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

Staunen mußt' ich, wie er also deutlich und in jedem Fall so
Unverhofft die Antwort sagte – klar, wenn auch nicht inhaltschwer.
War auch etwas ungemeiner, oder weiß mir irgendeiner,
Daß ein Vogel über seiner Zimmertür gesessen wär',
Auf der Pallasbüste über seiner Tür gesessen wär'
    Mit dem Namen »Nimmermehr«?

Doch der Rabe, einsam dort nur saß er, sprach das eine Wort nur,
Und es war, ob seine ganze Seele in dem Worte wär',
Saß nur schweigend, düstrer Laune, plusterte nicht eine Daune,
Bis ich dann kaum mehr als raune: »Morgen wird gewiß auch er,
Wie die Freunde, wie die Hoffnung morgen weiterziehn auch er.«
    Sprach der Vogel: »Nimmermehr!«

Und er sprach das Wort so klüglich, und es paßte so vorzüglich,
Daß ich sagte: »Sicher hat er das von seinem Herren her,
Der so grausam viel Verluste vom Geschick erleiden mußte,
Daß er nur zu sagen mußte, nur in steter Wiederkehr,
Als ein Grablied seiner Hoffnung in so bittrer Wiederkehr,
    Dieses »Nimmer-nimmermehr«.

Doch wie er so majestätisch stets noch saß gleich einem Fetisch,
Rückt' ich lächelnd ein Fauteuil vor Vogel, Tür und Büste her;
Dann, mich in den Samt versenkend, alles mir zusammendenkend,
Nur auf dies mein Sinnen lenkend, forscht' ich, was die Meinung wär',
Was doch dieses alt gespenstisch düstern Vogels Meinung wär'
    Mit dem Krächzen: »Nimmermehr.«

So im Stuhle sitzend fragt' ich's, doch mit keiner Silbe sagt' ich's
Meinem Gaste, dessen Blick nun in mich drang, als brenne er.
Dieserlei Gedanken nährend, lehnt' ich in den Polstern, während
Von der Lampe mild verklärend über ihren Sammet her
Sanftes Licht kam, über ihren violetten Sammet her,
    Wo sie ruht, ach! nimmermehr!

Dann – war dichter nicht die Luft hier? Wob nicht unsichtbar ein Duft hier?
Kamen, Weihrauchfässer schwingend, Engel nicht vom Himmel her?
»Ärmster!« rief ich, »Gottes Boten bringen Lethe, mohnesroten,
Zum Vergessen dir der Toten, die du einst geliebt so sehr;
Trink ihn und vergiß die Tote, die du einst geliebt so sehr!«
    Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

»Seher!« sprach ich, »Unglücksseher, Vogel oder Teufel eher!
Ob dich der Versucher oder nur der Sturm dich sandte her –
Hier, wo alles Graun und Graus ist, voll Gespensterspuk das Haus ist,
Unverschüchtert, wie du aussiehst, sag mir wahrhaft, gib Gewähr:
Ist kein Balsam denn in Gilead? – Sag mir, sag mir, gib Gewähr!«
    Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

»Seher!« sprach ich, »Unglücksseher, Vogel oder Teufel eher!
Bei dem Himmel, bei dem Gott, der dein- und meiner ist, erklär':
Nun in Kummer ganz verloren, find' ich einst an Edens Toren,
Find' ich wieder einst Lenoren bei den Engeln, licht und hehr?
Find' ich wieder einst Lenoren, rein und heilig, licht und hehr?«
    Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

»Sprichst du so, dann nimm den Rat an,« rief ich, »Vogel oder Satan:
In den Sturm hinaus und wieder zum pluton'schen Strande kehr!
Keine Feder laß zurücke, schwarzes Zeichen deiner Tücke!
Will allein sein, mach dich flügge! Geh und laß die Büste leer!
Hack nicht weiter in das Herz mir, laß mir Tür und Büste leer!«
    Sprach der Rabe: »Nimmermehr!«

Und der Rabe, stets noch sitzt er, stets noch mit den Augen blitzt er
Von der weißen Pallasbüste über meiner Türe her.
Und es glühn die nimmersatten Dämonaugen, und im matten
Lampenschimmer fällt sein Schatten auf die Dielen breit und schwer,
Ach, und meine Seele wird sich, aus dem Schatten breit und schwer,
    Sich erheben – nimmermehr!

Deutsch von Otto Hauser)

 

E. A. Poe, Die schwarze Katze

Die Geschichte, die ich hier erzählen werde, ist eine der unheimlichsten und zugleich eine der einfachsten. Ich erwarte nicht, daß man sie glaubhaft finden wird, und verlange dies auch nicht. Es würde in der Tat ein Wahnsinn sein, dies in einem Falle beanspruchen zu wollen, wo ich selbst sogar das Zeugnis meiner eigenen Sinne verwerfen möchte. Indessen wahnsinnig bin ich nicht, und sicherlich war es auch kein Traum. Morgen aber muß ich sterben, und so will ich heute meine Seele von einer schweren Bürde befreien. Zunächst beabsichtige ich hier dem Urteile der Welt klar und bündig und ohne weitere Erörterungen eine Reihenfolge rein häuslicher Begebenheiten zu unterbreiten. In ihrer weiteren Entwicklung sind diese Begebenheiten für mich die Ursache des Entsetzens, der Qual und des schließlichen Verderbens geworden. Ich will jedoch nicht versuchen, eine Erklärung darüber aufzufinden. Mir haben sie wenig anderes als Schauder verursacht. Anderen Personen mögen sie weniger schrecklich als sonderbar erscheinen. Vielleicht wird es irgendeinem späteren Denker gelingen, das, was jetzt als Wahngebilde erscheint, auf einen natürlichen Vorgang zurückzuführen. Eine besonnenere und logischere Denkkraft als die meinige, und die nicht mit einer so raschen Erregbarkeit verbunden ist, wird in den Dingen, die ich nur mit Schauder und Grausen erzählen kann, vielleicht nichts weiter als eine gewöhnliche Reihenfolge ganz natürlicher Ursachen und Wirkungen erblicken.

Von Kindesbeinen an war ich wegen meiner lenksamen und sanften Gemütsart bekannt gewesen. Die Zärtlichkeit meiner Gefühle hatte mir von jeher den Spott meiner Spielkameraden zugezogen. Namentlich hatte ich eine besondere Liebhaberei für Tiere, und durch die Nachsicht meiner Eltern war es mir gestattet, eine große Auswahl von Lieblingen zu halten. Mit diesen verbrachte ich den größten Teil meiner Zeit, und es waren meine glücklichsten Stunden, wenn ich sie fütterte und liebkoste. Je mehr ich heranwuchs, je mehr entwickelte sich auch diese Seite meines Wesens, und als ich im Mannesalter stand, war sie für mich eine Hauptquelle des Vergnügens. Personen, die selbst Liebhaberei und Neigung für einen treuen und klugen Hund gehegt haben, werde ich die besondere Art und Weise, oder die aus solcher Neigung entstehende innige Befriedigung nicht weiter zu erklären brauchen. Die selbstlose und aufopferungsfähige Anhänglichkeit eines Tieres muß demjenigen unmittelbar zum Herzen sprechen, der häufig Gelegenheit hatte, in Bezug auf Freundschaft und Treue, die Armseligkeit und Unbeständigkeit der Menschen zu erproben.

Ich heiratete beizeiten, und war hoch erfreut, bei meiner Frau eine der meinigen entsprechende Gemütsart zu finden. Als sie meine Liebhaberei für Haustiere bemerkte, ließ sie keine Gelegenheit vorübergehen, die angenehmsten Arten derselben zu erwerben. So hatten wir Vögel, Goldfische, einen schönen Hund, Kaninchen, einen kleinen Affen und eine Katze.

Die letztere war ein auffallend großes und schönes Tier, ganz und gar schwarz und bis zu einem erstaunlichem Grade klug. Was ihre Klugheit betrifft, so machte meine Frau, die innerlich nicht ganz frei von Aberglauben war, häufig Anspielungen auf die alte volkstümliche Anschauungsweise, nach welcher die schwarzen Katzen für verkleidete Hexen galten. Nicht, als ob meine Frau es in diesem Punkte jemals ernsthaft gemeint hätte; ich erwähne der Sache überhaupt aus keinem anderen Grunde, als weil ich mich zufälligerweise gerade jetzt wieder daran erinnere.

Pluto – dies war der Name der Katze – war mein bevorzugter Liebling und Spielgenosse. Ich allein fütterte ihn, und er begleitete mich auf Schritt und Tritt, im ganzen Hause herum. Nur mit Mühe war er davon zurückzuhalten, daß er mir nicht auch auf die Straße hinaus folgte.

In dieser Weise dauerte unsere Freundschaft mehrere Jahre lang, und während derselben hatten mein Temperament und mein Charakter, wie ich nicht ohne Erröten gestehen muß, in Folge jenes Teufels: der Unmäßigkeit, – eine vollständige Umwandlung nach der schlimmen Seite hin erlitten. Mit jedem Tage nahm meine Verstimmung zu, wurde ich selbst reizbarer und schonungsloser gegen die Gefühle anderer. Selbst meiner Frau gegenüber gestattete ich mir eine rücksichtslose Sprache, und schließlich vergriff ich mich sogar körperlich an ihr. Man kann sich denken, daß auch die Schar meiner Lieblinge die Veränderung in meiner Stimmung empfinden mußte. Nicht nur, daß ich sie vernachlässigte, sondern ich mißhandelte sie auch. Indessen für Pluto bewahrte ich immerhin noch so viele Rücksicht, die mich wenigstens davon abhielt, ihn zu mißhandeln, wie ich mir kein Gewissen daraus machte, es die Kaninchen, den Affen oder sogar auch den Hund zu tun, wenn der Zufall oder ihre eigene Anhänglichkeit sie mir in den Weg führte. Meine Krankheit gewann es immer mehr über mich – denn was gäbe es wohl für eine Krankheit, die dem Hange zum Alkohol zu vergleichen wäre? Schließlich begann auch Pluto, – der jetzt alt und folglich etwas launenhaft wurde, – begann also auch Pluto die Wirkungen meiner schlechten Laune zu erfahren.

Eines Abends, als ich aus einer meiner gewohnten Kneipen in der Stadt sehr betrunken heimkehrte, bildete ich mir ein, die Katze vermeide meine Gegenwart. Ich griff nach ihr, wobei sie mir, wahrscheinlich in der Furcht vor meiner Heftigkeit, mit ihren Zähnen eine leichte Schramme auf meiner Hand verursachte. Augenblicklich wurde ich von einer wahrhaft dämonischen Wut erfaßt, so daß ich mich selbst nicht mehr kannte. Es war, als ob mein ursprüngliches Wesen plötzlich von mir gewichen sei, und eine mehr als teuflische, vom Schnaps gespornte Bosheit zuckte mir in jeder Fiber. Ich zog ein Federmesser aus meiner Tasche, öffnete es, packte das arme Tier an der Kehle, und stach ihm bedachtsam eins seiner Augen aus der Höhle heraus! Während ich diese fluchwürdige Schändlichkeit niederschreibe, überläuft es mich abwechselnd glühend heiß und mit eiskaltem Schauder.

Als ich am anderen Morgen die Dünste des nächtlichen Gelages verschlafen hatte, und die Vernunft mir zurückkehrte, fühlte ich mich wegen des Verbrechens, dessen ich mich schuldig gemacht hatte, von einer Empfindung verfolgt, welche in der Mitte schwankte zwischen Schauder und Gewissensqual. Aber es war nur eine vorübergehende und wirkungslose Empfindung, denn meine Seele blieb in ihrer Tiefe unberührt davon. Ich stürzte mich aufs Neue in Unmäßigkeiten und bald war im Wein jede Erinnerung an die Tat mit fortgeschwemmt.

Mittlerweile begann die Katze langsam zu genesen. Die Höhle des verlorenen Auges bot allerdings einen schauerlichen Anblick dar, aber das Tier schien durchaus keinen Schmerz mehr zu leiden. Wie früher ging es im Hause umher, floh aber entsetzt davon, wie man sich denken kann, so bald ich in seine Nähe kam. Es war mir von meiner früheren Liebhaberei noch so viel geblieben, daß ich diese augenscheinliche Abneigung von Seiten eines Geschöpfes, das mir einst so anhänglich und treu gewesen war, anfangs schmerzlich empfand. Aber es dauerte nicht lange und diese Empfindung begann einem Gefühle der Erbitterung zu weichen. Dann stellte sich auch bald, wie zu meinem schließlichen und unwiderruflichem Verderben, ein Geist des Widerspruchs bei mir ein, der mich dazu drängte, mit störrischer Verhärtung bei meiner Verkehrtheit zu beharren. Mit diesem Geist befaßt die Philosophie sich nicht. Dennoch bin ich wie von dem Leben meiner Seele davon überzeugt, daß dieser Geist des Widerspruchs eine der angeborenen Regungen ist, welche das menschliche Herz bewegen, – daß er zu den ursprünglichsten Trieben gehört, welche dem Charakter des Menschen die Richtung geben. Wem wäre es nicht viele hundert Male begegnet, daß er sich bei einer niedrigen und törichten Handlung überrascht hätte, die er aus keinem anderen Grunde beging, als weil er wußte, daß sie verboten war? Haben wir nicht, trotz unserer besseren Einsicht eine fortwährende Neigung, das Gebot zu verletzen, nur weil das Verbotene als Verbotenes uns reizt? Dieser Geist des Widerspruchs stellte sich also, wie ich schon sagte, bei mir ein, um mein Verderben zu vollenden. Es war dieser unergründliche, selbst quälerische Drang der Seele, ihrer eigenen besseren Natur zuwider, das Unrecht nur um seiner selbst willen zu begehen, – der mich anstachelte, die dem unschuldigen Tiere zugefügte Beschädigung weiter zu treiben und schließlich zu vollenden. Eines Morgens nahm ich eine Schlinge, streifte sie kaltblütig über den Hals der Katze und hängte sie an den Ast eines Baumes auf. Unter meinen eigenen strömenden Tränen und mit den bittersten Vorwürfen im Herzen erhing ich das Tier; erhing es, trotzdem ich wußte, daß es mich geliebt hatte und tief empfand, daß es mir keine Ursache zur Mißhandlung gegeben hatte; erhing es, weil ich wußte, daß, indem ich dies tat, – ich eine Sünde beging – ja vielleicht eine Todsünde, die das unsterbliche Teil meines Wesens so gefährden konnte, daß meine Seele – wenn dies möglich ist – von der unendlichen Gnade des allbarmherzigen und allgerechten Gottes auf ewig ausgestoßen bleiben würde.

In der Nacht, welche dem Tage, an dem ich diese grausame Tat verübt hatte, folgte, wurde ich plötzlich durch Feuerlärm aus dem Schlafe aufgeschreckt. Die Vorhänge meines Bettes hatten sich schon entzündet; das ganze Haus stand in Flammen! Nur noch mit genauer Not gelang es uns, meiner Frau, einem Diener und mir, der Feuersbrunst zu entrinnen. Alles wurde vernichtet. Mein ganzes Hab und Gut war dahin! und ich überließ mich von nun an der Verzweiflung.

Ich bin über die Schwachheit hinaus, in Bezug auf diese Heimsuchung und jene von mir begangene Schändlichkeit einen Zusammenhang, wie zwischen Ursache und Wirkung, nachweisen zu wollen. Aber, indem ich hier eine Verkettung von Tatsachen mitteilte, möchte ich dabei auch nicht ein einziges Glied übergehen. Am folgenden Tage nach der Unglücksnacht suchte ich die Brandstätte auf. Die Mauern waren bis auf eine einzige eingestürzt. Diese, die allein noch aufrecht stand, erwies sich als eine nicht sehr dicke Scheidewand, welche ungefähr in der Mitte das Haus durchsetzt hatte, und gegen die das Kopfende meines Bettes gestanden hatte. Der Bewurf war hier in auffallender Weise von der Einwirkung des Feuers verschont geblieben, – eine Tatsache, die ich dem Umstände zuschrieb, daß der Bewurf erst kürzlich aufgetragen war. Vor dieser Mauer hatte sich eine dicht gedrängte Menschenmenge angesammelt, und viele der Anwesenden schienen ihre besondere Aufmerksamkeit einer bestimmten Stelle zuzuwenden, die sie einer genauen und eifrigen Prüfung unterzogen. Die Worte: »seltsam!«, »sonderbar!« und andere ähnliche Ausrufungen erregten meine Neugierde. Ich trat heran, und erblickte auf der weißgetünchten Oberfläche der Mauer, wie im Bas-Relief darauf eingegraben, die Gestalt einer riesengroßen Katze. Die Umrisse waren mit einer wahrhaft wunderbaren Sorgfalt ausgeführt, und – um den Hals des Tieres war ein Strick gewunden.

Beim ersten Anblick dieser Spukerscheinung – denn für etwas anderes konnte ich dies kaum halten – geriet ich außer mir vor Staunen und Entsetzen. Schließlich aber kam mir das Nachdenken zu Hilfe. Ich erinnerte mich, daß der Garten, worin ich die Katze erhängt hatte, gerade an das Haus stieß. Sobald also der Feuerlärm entstanden war, hatte sich dieser Garten augenblicklich mit Menschen gefüllt. Einer von diesen mußte das Tier vom Ast des Baumes abgeschnitten und es durch das offene Fenster in mein Zimmer hineingeworfen haben, wahrscheinlich in der Absicht, mich aus dem Schlafe aufzuwecken. Beim Einsturz der anderen Mauern mußte irgendein Zufall das Opfer meiner Grausamkeit tiefer in die frisch aufgetragene Masse des Bewurfs eingedrückt haben. Durch den Kalk in Verbindung mit den Flammen und dem tierischen Alkali des Kadavers war dann das Abbild, so wie ich es sah, vollendet worden.

Obgleich ich mich in dieser Weise wegen der hier erzählten aufregenden Tatsache mit meiner Vernunft, wenn auch nicht so ganz mit meinem Gewissen, rasch abfand, so verfehlte sie darum nichtsdestoweniger, meine Phantasie in Aufregung zu erhalten. Monate lang wollte es mir nicht gelingen, mich von den wegen der Katze auftauchenden Hirngespinsten zu befreien; und während dieser Zeit kehrte in mein Gemüt eine unbestimmte Empfindung zurück, die wie Reue erschien, es aber doch nicht war. Ich ging so weit, den Verlust des Tieres zu bedauern und mich in den elenden Schlupfwinkeln, welche ich jetzt am meisten zu besuchen pflegte, nach einem anderen Liebling derselben Gattung und von einigermaßen ähnlicher Erscheinung umzusehen, der den Platz des früheren wieder ausfüllen sollte.

Als ich einstens in der Nacht, nur noch halb meiner Sinne mächtig, in einer mehr als gewöhnlichen Lasterhöhle so da saß, wurde meine Aufmerksamkeit plötzlich auf einen schwarzen Gegenstand hingelenkt, der oben auf einem ungeheuren Oxthof voll Branntwein oder Rum, das in der Ausstattung des Lokales ein Hauptstück bildete, sich hingekauert hatte. Einige Minuten lang blickte ich unverwandt nach dem in die Höhe gerichteten Boden des Fasses, und was mich jetzt am meisten in Erstaunen setzte, war, daß ich den darauf ruhenden Gegenstand nicht schon früher bemerkt hatte. Ich ging darauf zu und berührte ihn mit der Hand. Es war eine schwarze Katze – eine sehr große – vollkommen so groß wie Pluto, und ihm in jeder Hinsicht, mit Ausnahme eines einzigen Abzeichens, täuschend ähnlich; Pluto hatte am ganzen Körper auch nicht ein einziges weißes Haar gehabt. Diese Katze dagegen hatte einen großen, wenn auch in seinen Umrissen undeutlich hervortretenden, weiß gesprenkelten Flecken, der beinah die ganze Brust bedeckte.

Bei meiner Berührung stand das Tier sofort auf, fing an laut zu schnurren, rieb sich gegen meine Hand, und schien über meine Beachtung hoch erfreut zu sein. Dies war gerade so ein Tier, wie ich es suchte. Ich machte dem Wirt sogleich ein Erbieten, um es zu erstehen. Dieser jedoch machte durchaus keinen Anspruch darauf, – da er nichts von der Katze wisse, – sie zuvor nie gesehen habe.

Ich fuhr fort, sie zu streicheln, und als ich mich anschickte, nach Hause zu gehen, bezeigte das Tier eine Neigung, mir zu folgen. Ich gestattete ihm, dies zu tun, und im Weitergehen bückte ich mich dann und wann, um es zu streicheln. Als es im Hause angekommen war, wußte es sich gleich einzugewöhnen, und wurde auch sofort ein großer Liebling meiner Frau.

Ich meinerseits fühlte bald in mir eine Abneigung gegen das Tier entstehen. So trat gerade das Gegenteil ein von dem, was ich erwartet hatte; allein – ich weiß nicht, wie oder warum es so war – aber seine augenscheinliche Zärtlichkeit für mich war mir eigentlich unangenehm und widerte mich an. Nach und nach verwandelten sich diese Gefühle der Abneigung und des Widerwillens sogar in erbitterten Haß. Ich wich der Katze aus; ein gewisses Gefühl der Beschämung und die Erinnerung an meine frühere grausame Tat hielten mich davon ab, sie körperlich zu züchtigen. So vergingen mehrere Wochen, ohne daß ich sie schlug oder in irgendeiner anderen Weise sonderlich mißhandelt hätte. Aber allmählich – ja, sogar sehr allmählich – fing ich an, sie mit unaussprechlichem Widerwillen zu betrachten, und ihrer unerträglichen Gegenwart schweigend zu entfliehen, wie dem giftigen Hauch der Pest.

Was jedenfalls dazu beitrug, meinen Widerwillen gegen das Tier zu verschärfen, war: daß ich gleich an demselben Morgen, als ich es mit nach Hause genommen hatte, die Entdeckung machte, daß es, wie Pluto, um eins seiner Augen gebracht sein mußte. Für meine Frau dagegen war dieser Umstand nur ein Grund mehr, die Katze um so lieber zu haben. Wie ich bereits erwähnte, besaß sie in hohem Grade jene Tierfreundlichkeit, die einst ein hervortretender Zug meines eigenen Wesens, und die Quelle vieler meiner einfachsten und reinsten Freuden gewesen war.

Indessen war es, als ob sich mit meinem Widerwillen gegen die Katze, deren eigene Vorliebe für mich gesteigert hätte. Sie folgte meinen Schritten mit einer zudringlichen Beharrlichkeit, daß der Leser sich schwerlich einen Begriff davon machen kann. Wo ich mich hinsetzen mochte, wollte sie unter meinen Stuhl kriechen, oder mir auf die Knie springen, mich mit ihren widerwärtigen Liebkosungen zu überhäufen. Wenn ich aufstand, um fortzugehen, kroch sie mir zwischen die Füße, daß ich in Gefahr geriet, zu fallen, oder sie klammerte sich mit ihren langen scharfen Krallen an meine Kleider an und kletterte mir bis zur Brust herauf. Obgleich es mich bei solchen Gelegenheiten stachelte, sie durch einen Schlag zu vernichten, fühlte ich mich doch davon zurückgehalten, teils durch die Erinnerung an mein früheres Verbrechen, hauptsächlich aber – ich will es nur lieber gleich gestehen – aus wirklicher Furcht vor dem Tiere selbst.

Diese Furcht bestand nicht gerade darin, daß ich erwartet hätte, dasselbe werde mir irgendeine erheblich körperliche Verletzung zufügen, – und doch würde ich außer Stande sein, meine Empfindung durch eine andere Art der Erklärung begreiflich zu machen. Ich bin beinah beschämt, es gestehen zu müssen, – selbst in dieser Verbrecherzelle vermag ich es nicht ohne Beschämung zu gestehen, – daß der Schauder und das Entsetzen, die ich dem Tiere gegenüber empfand, durch ein reines Hirngespinst, wie man sich nur eins denken kann, gesteigert wurden. Meine Frau hatte mich wiederholt auf die Form des Fleckens aufmerksam gemacht, der durch die weißen Haare gebildet wurde. Wie ich schon gesagt habe, bestand hierin der einzige sichtbare Unterschied zwischen diesem sonderbaren Tiere und dem von mir getöteten Pluto. Der Leser wird sich noch erinnern, daß dieses Abzeichen, wenn es auch fast die ganze Brust bedeckte, ursprünglich doch nur sehr undeutlich in seinen Umrissen gewesen war. Aber, in ganz allmählichen und kaum merklichen Steigerungen, die meine Vernunft sich lange bemühte, als eingebildete zu verwerfen, trat dieses Abzeichen schließlich mit einer furchtbaren Deutlichkeit der Umrisse hervor. Es stellte jetzt einen Gegenstand dar, den es mich schaudert zu nennen; – und dies vor allem war die Ursache meines Abscheues und meiner Furcht, und weshalb ich mich gern von dem Ungeheuer befreit hätte, nur daß ich es nicht wagte! Das Abzeichen hatte jetzt – ich spreche es aus – die Gestalt eines scheußlichen, eines spukhaften Dinges angenommen: – es war ein Galgen! – O, trauriges und furchtbares Werkzeug der Schande und der schnöden Bestrafung – der Seelenmarter und des Todes!

Und jetzt war ich wirklich elend; elend über alle Grenzen eines rein menschlichen Elendes hinaus! Und ein vernunftloses Tier, – von dessen Geschlecht ich eins verächtlich zerstört hatte, – ein vernunftloses Tier vermochte es, mir – mir, dem Menschen – dem nach dem Ebenbilde des allerhöchsten Gottes geschaffenen Menschen – so viel unerträgliches Elend zu bereiten. Ach, ich wußte nichts mehr von dem Segen der Ruhe! weder bei Tage, noch bei Nacht. Den Tag über ließ das Tier mich nicht einen Augenblick allein, und während der Nacht fuhr ich in jeder Stunde mit unaussprechlicher Angst aus fürchterlichen Träumen auf, um mein Gesicht von dem Atem des spukhaften Untieres angehaucht zu fühlen! – um meine Brust von dem Druck seines schweren Gewichts, – wie von der Verkörperung eines grauenhaften Nachtgespenstes, das ich nicht die Kraft hatte abschütteln zu können – ewig belastet zu fühlen!

Unter der Wucht solcher Qualen erlag in mir der schwache Rest guter Regungen, der mir noch verblieben war. Schlimme Gedanken wurden die einzigen Begleiter meiner Seele – die finstersten und schlimmsten Vorstellungen! Die mürrische Verdüsterung meiner gewöhnlichen Stimmung steigerte sich zum Haß gegen alles in der Welt und gegen die ganze Menschheit. Ach, meistens war es meine still duldende Frau, die mit der größten Gelassenheit das unglückliche Opfer der plötzlich und häufig eintretenden zügellosen Ausbrüche meiner Wut wurde, der ich mich von nun an rücksichtslos und blindlings hingab.

Eines Tages begleitete die beklagenswerte Dulderin mich, irgendeines häuslichen Geschäftes wegen, in den Keller des alten Hauses, welches unsere Armut uns genötigt hatte, zu beziehen. Die Katze, welche mir auf den Stufen der steilen Treppe hinabfolgte, war schuld daran, daß ich beinah kopfüber hinuntergestürzt wäre. Dies brachte mich außer mir, und eine Axt ergreifend, vergaß ich der kindischen Furcht, die bisher meine Hand zurückgehalten hatte. Ich führte einen Streich nach dem Tiere hin, der sicherlich augenblicklich tötlich gewesen wäre, wenn er so, wie ich ihn beabsichtigte, niedergefallen wäre. Aber meine Frau, die mit der Hand meinen Arm ergriff, hatte den Streich aus seiner Richtung gebracht. Diese Einmischung stachelte meine Wut zu wahrhaft teuflischer Raserei auf. Ich riß meinen Arm aus den Händen meiner Frau los und schlug die Axt tief in ihren Schädel ein. Ohne auch nur einen Seufzer auszustoßen fiel sie tot auf der Stelle nieder.

Gleich, nachdem dieser schändliche Mord vollbracht war, machte ich mich sofort und mit aller Überlegung daran, den Leichnam zu verbergen. Ich wußte, daß ich ihn weder am Tage, noch in der Nacht aus dem Hause fortschaffen konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, den Argwohn der Nachbarn zu erwecken. Mancherlei Pläne kamen mir in den Sinn. Einmal dachte ich daran, den Körper in kleine Stücke zu zerlegen, und diese durch Feuer zu vernichten. Dann wieder beschloß ich, in dem Fußboden des Kellers ein Grab auszuhöhlen. Wiederum überlegte ich mir, ihn lieber in den Brunnen zu werfen, der sich auf dem Hofe befand; – oder ihn unter den gewöhnlichen Vorkehrungen wie eine Ware in eine Kiste zu verpacken und diese durch einen Packträger aus dem Hause fortbringen zu lassen. Endlich geriet ich auf einen Ausweg, der mir bei weitem besser zu sein schien, als alle früheren Pläne. Ich beschloß, den Leichnam in die Wand des Kellergewölbes einzumauern, wie es historischen Berichten zufolge die Mönche des Mittelalters mit ihren Opfern gemacht haben sollen.

Der Keller war zur Ausführung eines solchen Planes sehr geeignet. Die Wände waren mit dünnem Mauerwerk und erst kürzlich überall mit grobem Mörtel verstrichen worden, der bei der feuchten Atmosphäre noch nicht fest angetrocknet war. Überdies war an einer der Mauern ein Vorsprung, hinter dem sich ein falscher Kamin oder eine Feuerstelle befand, die man ausgefüllt und dann die Stelle den übrigen Wänden des Kellers wieder gleich gemacht hatte. Ich zweifelte nicht, daß es mir gelingen würde, die Ziegelsteine an dieser Stelle leicht herauszubrechen, den Körper hineinzufügen, und das Ganze, wie es zuvor gewesen war, wieder ausmauern zu können, so daß von keines Menschen Auge irgendetwas Verdächtiges zu entdecken sein würde.

Und diese Voraussetzung täuschte mich nicht. Mit einem Brecheisen gelang es mir leicht, die Steine herauszuheben, und nachdem ich den Körper vorsichtig gegen die innere Mauer gelehnt hatte und ihn in dieser Stellung zu erhalten wußte, füllte ich mit geringer Mühe das ganze Mauerwerk wieder aus, wie es ursprünglich gewesen war. Da ich mir mit aller möglichen Vorsicht Mörtel, Sand und Haar verschafft hatte, bereitete ich daraus einen Bewurf, der von dem früheren nicht zu unterscheiden war, und verstrich damit sehr sorgfältig das neue Mauerwerk. Als ich mit diesen Vorkehrungen fertig war, hatte ich ein befriedigendes Gefühl, daß nun alles in Ordnung sei. An der Mauer war auch nicht die geringste Spur zu bemerken, daß irgend etwas Besonderes damit vorgegangen war. Mit der größten Sorgfalt säuberte ich den Fußboden vom Schutt, und dann mein Werk mit triumphierenden Blicken betrachtend, sagte ich zu mir selbst: »Hier ist deine Mühe wenigstens keine verlorene gewesen.«

Das Nächste, was ich nun tat, war, mich nach dem Tiere umzusehen, das die Veranlassung zu so vielem Elend gewesen war. Endlich war ich fest entschlossen, die Katze umzubringen. Wäre sie mir in diesem Augenblicke in den Weg gekommen, so wäre ihr Schicksal auf der Stelle entschieden gewesen; aber es schien, als ob das schlaue Tier, noch beunruhigt durch den heftigen Ausbruch meines Zornes, es vermieden hätte, sich während meiner gegenwärtigen Stimmung blicken zu lassen. Es ist unmöglich, zu schildern, oder auch nur sich vorzustellen, ein wie tief befriedigendes Gefühl ich über die Abwesenheit des verabscheuten Tieres empfand. Auch die ganze Nacht über kam es nicht zum Vorschein; und so war es mir, seit seiner Aufnahme ins Haus, endlich wieder einmal vergönnt, wenigstens eine Nacht hindurch gesund und ruhig zu schlafen; ja, ich schlief sogar, obgleich meine Seele mit dem Gewicht eines Mordes belastet war.

Der zweite und auch der dritte Tag vergingen, und noch immer ließ mein dämonischer Plagegeist sich nicht blicken. Noch einmal war es mir vergönnt, in Freiheit aufzuatmen. Der Schrecken hatte das Ungeheuer für immer aus dem Hause vertrieben! Ich sollte es nicht mehr erblicken und ich war glückselig darüber. Das Bewußtsein meiner schwarzen Tat störte mich nur wenig. Ein paar Nachfragen, die man getan hatte, waren rasch beantwortet gewesen. Selbst eine Nachforschung war angestellt worden, bei der aber natürlich nichts herausgekommen war. Ich betrachtete also meine Ruhe für die Zukunft als gesichert.

Am vierten Tage nach dem Morde erschienen jedoch ganz unerwartet einige Herren von der Polizei in meiner Wohnung und nahmen wiederum eine sorgfältige Durchsuchung des ganzen Hauses vor. Ich blieb dabei ganz ruhig; denn in der festen Überzeugung, daß der Ort der Verheimlichung nicht zu entdecken sei, konnte mich dies nicht im geringsten aus der Fassung bringen. Die Beamten befahlen mir, sie bei der von ihnen vorzunehmenden Durchsuchung zu begleiten. Nicht ein Winkel, nicht eine Ecke blieb dabei übersehen, und schließlich stiegen sie zum dritten oder vierten Male in den Keller hinunter. Keine Faser an mir zuckte, und mein Herz schlug so ruhig, wie bei jemandem, der in seiner Unschuld schläft. Ich begleitete die Herren in den Keller und ging mit ihnen von einem Ende bis zum anderen; die Arme über der Brust gekreuzt, ging ich leichten Mutes hin und wieder. Die Polizisten bezeigten sich durchaus befriedigt, und schon waren sie im Begriff fortzugehen. Die Freude meines Herzens war zu groß, um sie ganz verbergen zu können. Es stachelte mich förmlich, ihr, wenn auch nur durch ein Wort spöttischer Anspielung, Luft zu verschaffen, das zugleich die Polizisten in ihrer Überzeugung von meiner Unschuld bestärken sollte.

»Meine Herren,« sagte ich, als die Gesellschaft die Stufen hinaufstieg, »es freut mich, Ihren Argwohn beseitigt zu sehen, und ich wünsche Ihnen allen ein freundliches ›Lebewohl!‹ und für die Zukunft ein wenig mehr Höflichkeit. Nebenbei gesagt, meine Herren, dies hier – dies ist ein sehr gut gebautes Haus.« Im wahnsinnigen Verlangen, irgend etwas Unbefangenes zu sagen, wußte ich kaum selbst, was ich überhaupt nur noch sprach. »Ich möchte sagen, ein ausgezeichnet gut gebautes Haus. Diese Mauern, – wollen Sie schon gehen, meine Herren? – diese Mauern sind fest zusammengefügt.« Und hier klopfte ich aus rein übermütiger Prahlerei mit einem Stock, den ich zufällig in der Hand hatte, stark gegen das Mauerwerk, gerade an der Stelle, wo ich den Leichnam der Frau verborgen hatte, die das Weib meines Herzens gewesen war.

Aber, daß Gott mir gnädig sein möge und mich befreien aus den Krallen des Erzfeindes! Nicht sobald war der Schall meines Klopfens in der Stille verklungen, als von innen heraus wie von einer Stimme aus dem Grabe gleichsam die Antwort erteilt wurde. Es war ein Geschrei, anfangs bald erstickt und abgebrochen, wie das Schluchzen eines Kindes, das dann aber rasch in ein lautes ununterbrochenes Gekreisch überging, das durchaus unnatürlich und nichts Menschlichem mehr ähnlich war. Ein Geheul, ein kreischendes Wehklagen, als ob mit den gräßlichen Rufen eines wahnsinnigen Schreckens sich teuflisches Frohlocken vermischt hätte. Dergleichen kann nur der Hölle entsteigen, wenn in ihren Todesqualen die vereinigten Kehlen der Verdammten ihr Wehgeschrei ausstoßen, worin sich das Frohlocken der über die Verdammnis höhnenden Teufel mischt.

Es wäre überflüssig, schildern zu wollen, was dabei in meinem eigenen Inneren vorging. Ich taumelte ohnmächtig an die gegenüberliegende Mauer zurück. Starr vor Entsetzen und Grauen blieben die Polizeibeamten im ersten Augenblick regungslos auf der Treppe stehen. Im nächsten waren ein Dutzend kräftiger Hände eifrig an der Mauer beschäftigt. Sie sank ein, und der bereits stark in Verwesung übergegangene und mit geronnenem Blut besudelte Leichnam stand aufrecht vor aller Augen da. Auf dem Kopfe desselben hockte mit weit aufgesperrtem rotem Maul und dem glühenden einzigen Auge das scheußliche Tier, dessen dämonisches Gebaren mich zum Morde verleitet hatte, und dessen verräterische Stimme mich jetzt dem Henker überlieferte. Ich hatte das Ungeheuer mit in die Grabstätte eingemauert.

Die »einsame Drossel«

John Burroughs

Wenn ich in die Wälder eintrat und den kleinen Singvögeln lauschte oder die Stille um mich her bewunderte, stets erreichte mein Ohr ein Klang aus der Tiefe der Wälder, der für mich der schönste Klang in der ganzen Natur ist, nämlich der Sang der »Einsamen Drossel«. Ich höre ihn oft von weit her, vielleicht eine Viertelmeile entfernt, so daß nur der lautere und vollendetere Teil der Musik zu mir dringt, und zwischen dem Chor von Zaunkönigen und Sylvien bemerke ich diesen rein und klar anhebenden Gesang, als wenn ein Geist aus der Höhe eine göttliche Begleitung anstimmte. Dieser Gesang berührt die Schönheitssaite in meinem Inneren und erweckt in mir eine rein religiöse Glückseligkeit, wie kein anderer Ton in der Natur. Er ist vielleicht mehr ein Abend- als ein Morgenpsalm, obgleich ich ihn zu jeder Stunde des Tages höre. Er ist sehr einfach und ich kann das Geheimnis seines Zaubers nicht ergründen. »O Sphärenmusik,« scheint er zu sagen, »o heilig, heilig, o tritt hinweg, o steig hinan,« unterbrochen von den zartesten Trillern und den schönsten Präludien. Es ist keine stolze volle Strophe wie die des Tanagragesanges, sie verursacht keine Leidenschaft oder Erregung, nichts Persönliches, aber es scheint die Stimme der ruhigen, stillen Feierlichkeit zu sein, auf die man in seinen besten Augenblicken gestimmt ist. Es atmet einen Frieden und eine tiefernste Freude, die nur die schönsten Seelen kennen mögen. Vor einigen Nächten erstieg ich einen Berg, um die Welt beim Mondschein zu sehen. Nahe dem Gipfel begann die »einsame Drossel« nicht weit von mir ihren Nachtgesang. Indem ich, vom Mondlicht umflossen, dem Gesang aus einsamer Höhe lauschte, erschien mir der Pomp unserer Städte wohlfeil und trivial.

Ich meine, ich könnte mich den Tieren zugesellen

Walt Whitman

Ich meine, ich könnte mich den Tieren zugesellen und mit ihnen leben, sie
sind so ruhig und selbständig,
Ich stehe und betrachte sie lange, lange.

Sie schwitzen und wimmern nicht über ihre traurige Lage,
Sie liegen nicht im Dunkeln wach und weinen über ihre Sünden,
Sie erregen in mir keinen Ekel, denn sie debattieren nicht über ihre Pflichten gegen Gott,
Kein einziges ist unzufrieden, kein einziges ist verrückt von der Manie, Sachen zu besitzen,
Kein einziges kniet vor einem andern oder vor seinesgleichen, der vor Tausenden von Jahren lebte,
Kein einziges ist »respektabel« oder unglückselig auf der ganzen Erde.

So zeigen sie ihre Beziehungen zu mir, und ich erkenne sie an,
Sie bringen mir Zeichen von mir selbst und beweisen deutlich ihren Anteil daran.
Ich wundere mich selbst, woher sie diese Zeichen haben können?
Bin ich selber dort vor riesigen Zeiträumen vorbeigegangen und habe sie auch lässig hinfallen lassen?

Ich selber, vorrückend, damals und jetzt und ewig?
Immer mehr sammelnd und offenbarend, mit Schnelligkeit,
Unendlich und von allerlei Gattung, gleich wie diese unter ihnen,
Nicht zu vornehm gegen diejenigen, die mir meine Erinnerungszeichen geben,
Hier suche ich mir einen aus, den ich liebe, und nun gehe ich brüderlich mit ihm.

Ein Prachtstück von einem Hengst, lebhaft und empfänglich für meine Liebkosungen,
Sein Kopf ist hoch in der Stirn, breit zwischen den Ohren,
Die Glieder glänzend und geschmeidig, der Schweif streift den Boden,
Die Augen voll funkelnder Bosheit, die Ohren fein geschnitten, geschmeidig in der Bewegung.
Seine Nüstern blähen sich, wenn meine Fersen ihn umschließen,
Seine wohlgebauten Glieder beben vor Lust, wenn wir im Kreise herumtoben.

Ich benutze dich nur eine Minute, mein Hengst, dann gebe ich dich frei,
Wozu brauche ich deine Sprünge, da ich dich selbst im Galopp überholen kann?
Selbst wenn ich sitze oder stehe, komme ich doch schneller weiter als du!

*

Ochsen, die ihr mit dem Joch und der Kette rasselt oder unter schattigem Blätterdach haltet, was ist es, das ihr in euren Augen ausdrückt?
Es scheint mir weit mehr als alles Gedruckte, das ich in meinem Leben gelesen.
Mein Schritt verscheucht Waldenterich und Ente auf meinen entlegenen, tagelangen Streifzügen.
Sie fliegen zusammen auf, langsam kreisend.
Ich glaube an diese beflügelten Zweckmäßigkeiten,
Und bekenne Rot, Weiß, Gelb, spielend in mir,
Und halte Grün und das Veilchen blau und die Federbuschkrone für absichtlich,
Und nenne die Schildkröte nicht wertlos, weil sie nicht etwas anderes ist;
Die Elster im Walde hat die Tonleiter nicht studiert und trillert doch gut genug für mich,
Und der Anblick der kastanienbraunen Stute treibt beschämend alle Albernheiten aus mir.
Der wilde Gänserich lenkt seinen Flug durch die kühle Nacht,
Ja–honk! ruft er, und es klingt wie eine Einladung,
Die Vorwitzigen mögen es für bedeutungslos halten, ich aber finde aufhorchend,
Daß es seinen Zweck und Platz hat dort oben im winterlichen Himmel.

(Deutsch von Schlaf)

siehe Bildunterschrift

Benvenuto Cellini, Jagdhund.


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