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Indien und Persien

Indische Sprüche

Geriet ein Mensch in Mißgeschick, so kann ihm Leides tun ein Tropf.
Versank ein Elefant im Sumpf, so hüpft ein Frosch ihm auf den Kopf.

*

»Er gibt nicht Wolle, taugt auch nicht zum Fahren, nicht zu Milch und Butter;
Des großen Bauches Sättigung bewirkt nicht vieles Laub und Futter;
Hoch ist sein Rücken wie ein Berg, wie schafft man einen Sack hinauf!
Für ein paar Otterköpfchen (he, wer will ihn?) steht er hier zu Kauf.
Wir mögen ihn nicht mehr. Hinweg, hinweg mit diesem!« So ertönen
Der Bauern Worte, wenn es gilt, den Elefanten zu verhöhnen.

*

Der Eber sprach: »Bezwungen sind von mir voreinst der Tiger zehn;
Drei Elefanten wüßt' ich schon, acht Löwen siegreich zu bestehn.
Heut sollen meinen Kampf mit dir die Götter sämtlich schaun.« Drauf
Erwiderte der Löwe ihm: »Geh deines Weges, Freund! Glückauf!
Berühme dich: Im Löwenkampf hat mir der Sieg sich zugewandt!
Des Löwen und des Ebers Kraft ist klugen Leuten doch bekannt.«

*

 

Ein Opfertier spricht:

Des Himmels Früchte zu genießen, empfind' ich, Guter, kein Verlangen,
Du bist von mir, daß dies geschähe, auch nicht mit Bitten angegangen,
Ich bin zufrieden, Gras zu fressen; nicht ziemt es dir, daß du mich schlachtest.
Und wenn die bebenden Geschöpfe, die opfernd du zu Tode brachtest,
Gewißlich in den Himmel kommen, warum dann legst du nicht die Hand
An Vater, Mutter, sie zu opfern, an Sohn und wer dir sonst verwandt?

(Aus dem Sanskrit von L. Fritze)

Fabeln

Somadewa

 

1.
Die Wanze und die Laus.

In dem Bette eines Königs wohnte ungesehen lange Zeit eine Laus namens Mandavisarpini (die langsam Kriechende), die Gott weiß wie dahin gelangt war. Plötzlich kam vom Winde hergeweht eine Wanze namens Tittibha (Spornflügler) in das Bett. »Warum kommst du in meine Behausung? Mach dich fort von hier!« herrschte die Laus sie an, sobald sie dieselbe erblickte. Die Wanze bat sie demütig um die Gunst, doch einmal noch nie gekostetes Königsblut trinken zu dürfen. Die Laus fühlte sich geschmeichelt und hieß sie bleiben, doch schrieb sie ihr vor: »Freundin, du darfst den König nicht zur Unzeit beißen! Nur wenn er schläft oder der Liebe pflegt, dann darfst du anbeißen, aber nur sanft!« – »Schön,« erwiderte die Wanze, und sie gingen auseinander. Und in der Nacht, da der König eben ins Bett gegangen war, kroch die Wanze auf ihn zu und biß ihn gierig, daß er mit einem Schrei aufsprang: »Ha, es hat mich gebissen!« Schnell flüchtete sich die tückische Wanze, während die brave Laus von den Dienern des Königs gefunden und getötet wurde.

 

2.
Der Löwe und der Hase.

Es lebte einmal ein Löwe in einem Walde, und er herrschte allein da und war unbesiegt und tötete jedes Geschöpf, das er dort antraf. Da versammelten sich die Tiere jener Gegend, beratschlagten und traten mit folgendem Vorschlag vor den König der Tiere: »Wir wollen dir Tag für Tag je ein Tier zur Speise schicken. Warum solltest du dich selbst schädigen, indem du alle auf einmal tötest?« Der Löwe fand diesen Vorschlag gut und willigte ein. Da er nun täglich ein Tier zu verzehren pflegte, kam eines Tages die Reihe an einen Hasen, der von den anderen allen abgeschickt wurde zu dem bestimmten Zwecke. Unterwegs überlegte der kluge Hase: »Stark ist, wer im Unglück den Kopf nicht verliert. Mir steht der Tod bevor; einstweilen will ich sehen, ob ich mir nicht mit List helfen kann.« Mit diesen Gedanken beschäftigt, machte sich der Hase auf den Weg zum Löwen, ohne sich zu beeilen. Er kam verspätet an, und der Mähnentragende fuhr ihn an: »Holla! Wie wagst du es, die Stunde meiner Mahlzeit zu vergessen? Welche schlimmere Strafe als den Tod hättest du von mir verdient, du Schuft!« Demütig antwortete der Hase auf die Zornesworte des Löwen: »Es ist nicht meine Schuld, o Herr! Denn ich war heute nicht Herr meiner Entschließungen; auf dem Wege zu dir wurde ich von einem andern Löwen aufgehalten, von dem ich mich mit Mühe losmachen konnte.« Als er dies hörte, schlug der Löwe mit dem Schweif um sich und sprach dann mit vor Zorn rot unterlaufenen Augen: »Wer ist dieser andere Löwe? Zeige mir ihn!« – »Komm, König, und sieh!« antwortete der Hase und führte den Löwen weit ab von da vor eine Grube. Als dieser in dem hellen Wasser sein Spiegelbild erblickte, und ihm aus der Grube sein Gebrüll widerhallte, glaubte er einen Gegner vor sich zu haben, dessen Gebrüll das seine noch übertreffe; voll Begierde, ihn zu töten, stürzte sich der Tor in die Grube und kam darin um. So hatte der Hase durch seine Klugheit erst sich selbst gerettet und dann alle Tiere, die hocherfreut seinen Bericht entgegennahmen.

 

3.
Der Vogel und die Affen.

Es lebte einmal in einem Walde eine Affenherde; einst an einem kalten Tage sahen die Affen einen Leuchtkäfer, den sie für ein Feuer hielten. Sie fingen ihn, legten Laub und dürres Gras darauf und hofften, damit ein Feuer anzuzünden; einer von ihnen blies noch mit vollen Backen den Leuchtkäfer an. Dies sah der Vogel Spitzschnabel und sprach zu ihm: »Das ist ja kein Feuer, das ist ein Leuchtkäfer. Gib dir keine Mühe!« Der Affe kehrte sich nicht an diese Worte, sondern fuhr fort mit Blasen; da stieg der Vogel vom Baume, näherte sich ihm und wollte ihn mit aller Gewalt von dem törichten Beginnen abhalten. Darob erzürnte sich schließlich der Affe und warf einen Stein nach dem Spitzschnabel, daß er zermalmt wurde.

 

4.
Die Schlange und die Dirne.

Aus Furcht vor dem Vogel Garuda hatte sich eine Schlange in das Haus einer Dirne geflüchtet und dort menschliche Gestalt angenommen. Die Dirne nahm als Geschenk fünfhundert Elefanten, und der Schlangendämon gab ihr auch täglich diesen Lohn kraft seiner Zaubermacht. »Woher nimmt der Herr nur täglich so viele Elefanten, und wer ist der Herr?« Mit diesen Fragen quälte ihn das hübsche Dirnlein, bis endlich der verliebte Dämon plauderte: »Sag es aber niemand! Aus Furcht vor dem Garuda halte ich mich hier verborgen; denn ich bin ein Schlangendämon.« Und von der Buhlerin erfuhr es, als Geheimnis, die Kupplerin.

Nun kam auch dahin der Vogel Garuda, der die Welt nach Schlangen durchsuchte; er war in Menschengestalt. Er ging zur Kupplerin und sagte: »Madame, ich möchte heute im Hause ihrer Tochter bleiben. Was nimmt sie als Geschenk dafür?« Sie sprach: »Ein Schlangendämon ist hier, der gibt täglich fünfhundert Elefanten; wir haben es nicht nötig, uns für einen Tag was schenken zu lassen.« Nun wußte Garuda, daß ein Schlangendämon da sei, und betrat als Gast die Wohnung der Buhlerin. Da erblickte er auf dem Söller des Hauses die Schlange, offenbarte sich in seiner wahren Gestalt, flog auf, tötete und fraß die Schlange auf.

 

5.
Die Schlange, die sich reiten läßt.

Am Ufer eines Teiches in der Nähe einer Einsiedelei lag völlig regungslos eine alte Schlange, der es schwer fiel, Frösche zu erhaschen. Da kamen die Frösche bis auf respektvolle Entfernung heran und fragten: »Sag, warum frissest du uns nicht mehr wie sonst?« Die Schlange antwortete: »Ich kroch einem Frosche nach und biß in der Verwirrung einen Brahmanensohn in den Daumen. Er starb daran, und der Fluch seines Vaters hat mich nun zum Reittier der Frösche bestimmt. Wie kann ich euch also fressen? Im Gegenteil, ich führe euch spazieren.« Als der Froschkönig dies gehört hatte, stieg er aus dem Wasser, denn er hätte gar zu gern das Reiten versucht; furchtlos kletterte er der Schlange auf den Rücken und war ganz außer sich vor Freude. Die Lust am Reiten machte ihn und seine Genossen ganz vertraulich. Eines Tages aber stellte sich die Schlange schwach und sagte heuchlerisch: »Ohne Nahrung, o König, kann ich nicht weiter geh'n; deshalb verschaff mir Speise! Wie kann ein Diener ohne Kost besteh'n?« Der Froschkönig, der ganz vernarrt ins Reiten war, versetzte darauf: »Nun, so friß eine bemessene Zahl von meinem Gefolge!« So fraß die Schlange nach und nach die Frösche nach Belieben auf, und der König, stolz umherreitend, merkte nichts und ließ es geschehen.

(Deutsch von Hans Schacht)

Der Weise auf dem Tiger

Muslîch ed-Dîn Sa'dî,

Ein Frommer, dem treulich die Wahrheit sich wies,
So hört man erzählen, ersah einstens dies:
Es ritt, eine Schlange gefaßt in der Hand,
Zum Roß einen Tiger, ein Weiser durchs Land.
Sprach einer: O Mann auf dem göttlichen Weg,
O zeig zu dem Pfad, den du gingst, mir den Steg.
Wie kam's, daß der Reißende zahm nun dir geht
Und daß auf dem Heilsring dein Name nun steht?
Er sprach: Wenn ich Tiger und Schlange bezwang,
Und Elfent und Geier, nicht wundr' es dich lang:
Wenn du deinem Lenker dich nicht entziehst,
Du alles bald zu Dienste dir siehst.

Unmöglich ist es, wenn Gott nur dich liebt,
Daß jemals dem Feind in die Hand er dich gibt.
Hier hast du den Weg: zu Gott blick hinan,
Und geh: was du wünschest, das findest du dann.

(Deutsch von Otto Hauser)

 

Muslîch ed-Dîn Sa'dî, Der Schmetterling und die Kerze

Ich hört' eines Nachts, da ich Schlummer nicht fand,
Den Schmetterling sprechen, zur Kerze gewandt:
Ich liebe und brenne mit Recht, aber du,
Du weinest und brennest, wie kommt dir das zu?
Sie sagte: O Armer, der leidet wie ich,
Der Honig, mein süßer Geliebter, entwich.
Ach, wie eine Schîrîn mir ward er geraubt
Wie Ferhâd so flammt mir in Feuer das Haupt.
Sie sprach's, und von Tränen ein Strom floß zugleich
Im Schmerz ihr herab auf die Wange so bleich.
Du, Eitler, hast nimmer die Liebe erfaßt;
Du flatterst nur immer umher ohne Rast.
Du fliehst, wenn die Flamme nur leicht dich versehrt,
Ich aber harr' aus, bis ich völlig verzehrt.
Das Feuer, am Flügelrand nur spürest du's;
Ich aber verbrenne vom Kopf bis zum Fuß.
Es war, daß ein Teil nur der Nacht erst entschwand,
Da löschte die Kerze die lieblichste Hand.
Sie sprach, wie der Rauch von dem Haupt ihr entfloh:
Die Liebe, mein Sohn, wenn sie stirbt, stirbt nur so.
Ja, willst du, was Liebe ist, richtig verstehn:
Ihr Feuer darf erst mit dem Leben vergehn.

(Deutsch von Otto Hanser)

Die Nachtigall und die Rose

Hafis

Wo hast du deine Künste her, o Nachtigall? –
»Ich danke sie der Liebe zu der Rose.
Die füllt die Kehle mir mit eitel Wonneschall;
Nichts ist ja mein Gesang, der amorose,
Als innerer Musik melod'scher Widerhall,
Als meiner Brust Gekose mit der Rose.«

*

Freue dich, o Seelenvogel,
Lasse deinen Jubel schallen,
Daß du in der Rose zarte,
Liebe, süße Haft gefallen!

Nicht in eines Vogelstellers
Rohe Netze wirst du sinken,
Nicht ergriffen wirst du werden
Mörderisch von Räuberkrallen.

Zwar es hat der Dorn der Rose
Tief genug dein Herz verwundet,
Und so wirst du dich verbluten
Und hinab zu Grabe wallen.

Doch der Tod, der dich erwartet,
Ist der schönste Tod von allen;
Sterben wirst du nach dem edlen
Sterbebrauch der Nachtigallen.

(Deutsch von Daumer)

Die Liebe der Nachtigall zur Rose, diese schönste Mythe der persischen Poesie, ist bekannt. – »Das außerordentliche Vergnügen, das die persische Nachtigall an dem Wohlgeruch der Rose zu finden scheint, deren Kelch sie in klagenden, wirbelnden Tönen unermüdlich zu umflattern pflegt, gibt den orientalischen Dichtern, doch keinem mehr als dem Hafis, Veranlassung zu tausend schönen Allegorien. Man muß hiebei wissen, daß die klagende Stimme dieses lieblichen Vogels sich zuerst in der Jahreszeit vernehmen läßt, in der die Rose zu blühen beginnt. Durch eine sehr natürliche Verbindung der Vorstellungen werden daher beide als die beständigen und unzertrennlichen Gefährten des Frühlings angeführt. Auch ist es sehr wahrscheinlich, daß der Lieblingsaufenthalt der Nachtigall ein Rosengarten sei; gewiß ist, daß sie ihren Duft sehr liebt und sich dem schwelgerischen Genusse desselben zuweilen in solchem Übermaß hingibt, daß sie ganz berauscht vom Aste zu Boden sinkt.«

v. Rosenzweig zu Dschamis »Jussuf und Suleicha«.

Der Streit der Elefanten und Hasen

Anwari-Soheili

 

1.

Eines Jahres fiel in der Elefantenlandschaft auf einer der Inseln unter dem Winde zufällig kein Regen, und die Wolkenmutter träufelte keinen Tropfen aus den Brüsten des Erbarmens in den Gaumen der Lippendurstenden auf dem Kindbett des Staubes. Das Feuer der unfruchtbaren Dürre ließ die Quelle gleich dem Auge des Hartherzigen ohne Naß und trocken wurden die Wasseradern wie der begehrende Schlund des Verarmten. Die von Durstesqual kraftlos gewordenen Elefanten jammerten laut vor ihrem König, und dieser gab den Befehl, sie sollten des Wassers halber überall hineilen und in der trefflichsten Weise Nachforschungen anstellen. Nachdem die Elefanten nach allen Richtungen und Himmelsgegenden hin die Landschaft mit dem Fuß des Suchens durchmessen, gelangten sie endlich an eine Quelle, die man die Mondquelle zu nennen pflegte. Es war ein tiefer Brunnen mit einer unermeßlichen Wasserfülle, und der Elefantenkönig mit ganzem Dienergefolge und sämtlichen Heeresleuten verfügte sich, um Wasser zu schlürfen, zu dieser Quelle hin. Rings um dieselbe aber hatten sich etliche Hasen niedergelassen, und diese wurden durch die belästigende Nachbarschaft der Elefanten auf alle Weise gedrückt und geplagt. Jedem, auf dessen Kopf ein Elefant seinen Fuß setzte, wurden so derb die Ohren gezaust, daß er die Herberge des Lebens verlassen mußte, und so heftige Fußtritte zuteil, daß ihm schließlich nichts anderes als die Rückkehr in das weite Feld des Nichtseins übrig blieb.

Sprenge auf das Feld der Rennbahn nicht in allzu starkem Ritt,
Weil die Köpfe samt und sonders deines Zelters Huf zertritt!

Bei einem einzigen Anrücken der Hasen wurden viele der Hasen zerstoßen und zerschmettert, denn:

Wer kann wohl am Leben bleiben,
Willst du's so noch öfters treiben?

und am nächsten Tage gingen sie daher zu ihrem König und sprachen: »Der gerechte Fürst ist der Zufluchtsort der Bedrängten und der Retter der Hilflosen, und jeder Herrscher auf dem Throne ist dazu da, um Gerechtigkeit zu üben, nicht um selbst nur in Freuden zu leben.

Du kamst auf diesen Thron allein,
Der Unterdrückten Hort zu sein!

Gib uns unser Recht, schaffe uns gebührende Genugtuung an den Elefanten und triff Vorkehrungen, daß wir nicht länger Unbill von ihnen leiden! denn von Stunde zu Stunde kommen sie wieder und so manchen Schwachen, der zur Hälfte getötet sich unter ihrem Fuße losgerungen, treten sie zum zweiten Male darnieder.«

Du zeigtest einmal dich – und fort war gleich mir Herz, Verstand und Sinn;
Diesmal – da mir kein andres Gut geblieben – nimm die Seele hin!

Der König erwiderte: »Das ist eine bedeutsame Sache, in die nur Tollkühnheit sich kopfüber hineinzustürzen vermag. Hierbei muß jeder, der unter euch Witz und Scharfsinn besitzt, zugegen sein, damit wir Rat pflegen; denn einen Vorsatz ausführen vor der Beratung ist dem Charakter der mit Verstand begabten Glücklichen fremd.

Wer weise ist und rechte Einsicht hat,
Sieht vor der Tat sich um nach klugem Rat!«

Nun befand sich unter der Menge der Hasen ein besonders scharfsinniger, den man Behrûz (Bonjour) zu nennen pflegte, und zu dem die Leute unerschütterliches Vertrauen hatten wegen seiner Verstandesfülle, seiner trefflichen Einsicht, seines lauteren Geistes und seines vorzüglichen Gebarens. Sobald er sah, daß der König sich diese schwierige Sache angelegen sein ließ, trat er vor und sprach:

Dich quält der Untertanen Gram, sind hilflos sie im Leid:
Das ist, o Fürst, die rechte Norm für die Gerechtigkeit!
Willst Thron und Krone, Reich und Glück du voll und ganz genießen,
Laß dich für die Verlass'nen dann den Huldblick nicht verdrießen!

Wenn der König es nun für geraten findet, so möge er mich in diplomatischer Sendung an die Elefanten schicken, einen zuverlässigen treuen Mann designieren und ihn mir als Begleiter mitgeben, damit er alles sieht und hört, was ich tue und sage!« Huldvoll erwiderte der König: »In deine zweckmäßige Leitung, Treue, Redlichkeit und Pietät setze ich keinen Zweifel und werde es auch nie; und wie du sprichst und handelst, habe ich selbst häufigmals mit Augen gesehen und mit Ohren gehört.

Daß das Gepräge deines Tuns und Handelns
Ich oftmals schon erprobt, ist mir genug!
Und auf dem Prüfstein hab' ich stets gefunden,
Daß deine Barschaft echt und ohne Trug!

Unter heilgesegneten Auspizien sollst du gehn und alles vorbringen, was du als dem Moment entsprechend und mit der Sachlage konvenierend erkennst, denn du weißt: der Gesandte des Pâdischâh ist seine Zunge, und jeder, der in Bezug auf irgendeinen den Titel der Schrift seines Inneren und den Dolmetsch seiner Herzensgeheimnisse kennen lernen will, kann sich volle Kenntnis darüber verschaffen aus den Reden und Handlungen seines Gesandten. Denn zeigt sich bei diesem irgendeine Trefflichkeit und Tugend und stellt sich an ihm irgendein willkommenes Kennzeichen und eine lobenswerte Handlung dem Auge dar, so folgert man daraus die treffliche Wahlbefähigung und die vollendete Kenntnis des Fürsten. Beweist jener aber Schlaffheit und sorglose Unbekümmertheit, so setzen sich die Zungen der Schmäher in Lauf und finden einen Tummelplatz zum Angriff und zur Verdächtigung des abwesenden Herrschers. Diesen Punkt haben auch die Weisen vielfach erhärtet und unberechenbaren Eifer aufgewandt, um zu zeigen, daß, will man irgend wohin einen Gesandten schicken, dieser stets der weiseste seines Volkes sein muß, der gewandteste unter allen in der Kunst der Rede und der vollkommenste derselben im Handeln. Daher pflegten auch die meisten früheren Könige die Weisen mit der diplomatischen Sendung zu beauftragen, und der erste derselben war der zweigehörnte Alexander Alexander der Große.. Dessen Brauch war es, sich zu verkleiden, selbst die Botschaft als Gesandter zu überbringen und zu sagen:

Die Starken, die mit Heldenkraft gewappnet, Löwen sich erjagen,
Sie machen selbst sich auf den Weg, dem Feind die Botschaft hinzutragen.

Und ein Großer im Reiche des Geistes hat so über das Senden von Botschaftern gesprochen:

Verstand und weiser Sinn sei dem Gesandten eigen,
Er muß beherzten Mut und Kraft im Reden zeigen!
Auf Fragen halt' er stets die Antwort so bereit,
Daß von des Rechtes Pfad er weicht zu keiner Zeit!
Er spreche offen sich und grade aus, nicht krumm,
Stets so, wie sich's geziemt vor dem Kollegium.
Wohl manchen gab's von dem ein Wort nur, rauh und scharf,
Mit Mordlust eine Welt in Schutt und Trümmer warf.
Doch zwischen Feinden selbst hat oft schon milde Rede
Der Freundschaft Grund gelegt, getilgt die blut'ge Fehde.

Behrûz entgegnete: »O König! wenngleich es mir nicht ganz an den Fundamentalkenntnissen für die diplomatische Sendung nach Maßgabe der Sachlage gebricht, so will ich doch gerne, wenn mein Pâdischâh, der Welt Zuflucht und Schirm, in Gnaden geruhen möchte, aus dem Schrein der Weisheit einige preiswürdige Juwelen auf den Faden der klugen Fürsorge zu reihen, diese zum Zierrat eines glücklichen Erfolges nehmen, mit ihnen meinen Ruhm und die Kapitalsumme meiner Hilfsleistung schmücken, bei allem, was ich tue und vollführe, in nichts von dieser erhabenen Norm weichen und nach eben derselben Richtschnur des Handelns alle Angelegenheiten zum Abschluß bringen!« Der König sprach: »O Behrûz! die beste aller Verhaltungsmaßregeln für die diplomatische Sendung und die trefflichste der Vorschriften für eine Gesandtschaftsreise ist die, daß zwar das Schwert der Zunge gleich der hellgeschliffenen Schneide mit heftiger Gewalt und durchdringender Schärfe zu Werke gehe, dennoch aber der Edelstein der schmeichelnden Höflichkeit und gefälligen Zuvorkommenheit auf seiner Fläche klar und deutlich zutage trete und das helle Licht der Milde und Humanität aus allen seinen Teilen hervorleuchte und strahle. Jedes Wort, aus dessen Beginn man Härten entnehmen könnte, muß zuletzt in Zartheit und huldvoller Güte seinen Abschluß finden, und wenn die Eingangspforte der Rede sich infolge übergroßen Eifers mit einer allzu majestätischen Sentenz eröffnet, muß der Beschluß derselben in vertraulicher, ruhiger Weise auf ein liebeerweckendes Wort und eine feine herzgewinnende Wendung hinauslaufen.

Des Hasses Samen aus der Brust reißt leicht ein sanftes zartes Wort,
Es wischt der Zunge Milde schnell die Falten aus den Brauen fort.

Der langen Rede kurzer Sinn ist also der, daß des Gesandten Wort in gleicher Weise auf der Basis der Güte, wie der Strenge und des Zornes, der Sanftmut und Liebe, wie der Heftigkeit, der Gerechtigkeit und des hartnäckigen Widerstandes aufgebaut sein und stets den Pfad des Nehmens und Gebens, des Zerreißens und Zusammenfügens, des Zustandebringens und Zerstörens im Auge behalten muß, damit sowohl gegen die Herrscherwürde und die fürstliche Majestät die Rücksicht gewahrt, als auch die eigentliche Absicht der Gegner und das verborgene Geheimnis ihres Inneren in Erfahrung gebracht werde. Doch dem Weisen hinsichtlich seiner diplomatischen Sendung Aufträge erteilen, hieße Eulen nach Athen tragen. Heißt es doch in einem Verse:

Wählst du dir zum Gesandten aus den Weisen,
Laß den nur ruhig ohne Auftrag reisen!« –

 

2.

Nachdem Behrûz darauf alle Zeremonien der Aufwartung vollendet, verließ er den königlichen Hof und harrte nun geduldig aus, bis die Nacht, ins schwarze Gewand sich kleidend, den Schleier der Finsternis über das Schloß des azurblauen Sphärenkreises herniederließ, und nach kurzer Frist des Mondes Silberscheibe, die uralt ewige Tafel der göttlichen Allmacht verlassend, auf den Himmelstisch ihren glänzenden Schimmer warf.

Als moschusfarbig sich enthüllt das Lockenhaar der Nacht,
Stieg überm Dach der Mond empor in vollen Glanzes Pracht.

Sobald dann das Zentrum des Mondes nahe an die Peripherie der Mittagsgegend gelangt war, seine leuchtenden Strahlen ringsumher auf dem irdischen Staubteppich sich ausbreiteten, und die Erdoberfläche verklärt wurde von dem die Welt erhellenden Schönheitsstrahle jener Leuchte in der Zelle der bedürftigen Sterblichen – da machte sich Behrûz nach der Insel der Elefanten auf den Weg. Als er aber zu ihrem Wohnsitz gelangt war, sprach er überlegend bei sich: Komme ich ganz nahe an diese gewalttätigen Bedrücker heran, so muß ich für mein Leben fürchten, und die Gefahr des Unterganges bedroht mich, und wenn auch von ihrer Seite noch kein Angriff auf mich geschieht, so zielt doch das Schlußergebnis einer sorgfältigen Meditation dahin ab, daß man sich mit diesen tyrannischen und hoffärtigen Feinden nicht in eine nähere Begegnung einlassen darf, denn infolge ihres Übermutes und hochfahrenden Stolzes kümmern sie sich um die Armen und Gebrochenen nicht, und blieben unter dem Fuß ihrer Bedrückung auch Tausende ohnmächtig stecken und kämen um, kein einziges Staubwölkchen von diesem Mißgeschick würde sich auf ihrem trotzigen Antlitz lagern.

Steht mit uns es schlecht und traurig, was wirst du dich viel drum grämen?
Wird denn, wenn erlischt die Lampe, sich's der Ost zum Herzen nehmen?

Das Beste ist daher, daß ich mich auf eine Anhöhe begebe und die mir obliegende Botschaft von ferne ausrichte. Wird sie freundlich aufgenommen, nun gut! – richtet aber meine Fabelei bei ihnen nichts aus, so komme ich wenigstens mit heiler Haut davon!«

Nachdem er daher einen hohen Punkt bestiegen, rief er von ferne laut den König der Elefanten an und sprach: »Ich bin der Botschafter des Mondes, und den Gesandten trifft keine Verantwortung für alles, was er spricht und hört; ihm liegt einzig und allein die Bestellung ob. Und mag sich die Rede auch etwas respektwidrig und strenge erweisen, sie muß dennoch gehört werden, denn was immer der Mond mir aufgetragen, es zu mehren oder zu mindern, darüber habe ich keine freie Verfügung. Du weißt aber, daß der Mond, der die Welt durchmißt, der Vogt der Nacht ist und der Stellvertreter für den Herrscher des Tages, und will einer etwas im Widerstreit mit ihm ersinnen und seine Botschaft nicht mit dem Ohr des Verstandes wahrnehmen, so zieht er das Beil auf sein Haupt herab und arbeitet mit eigener Hand an seinem Verderben.« Der König sprang bei diesen Worten von seinem Platze auf und frug: »Und was ist der Inhalt deiner Sendung?« Behrûz erwiderte: »So spricht der Mond: Wenn einer sich an Kraft und Heeresstärke mehr dünkt als die Schwachen, sich selbst vor eitlem Stolz auf Gewalttat, ungestümen Angriff, Machtfülle und verwegenen Übermut aufbläht und die Untergebenen durch Ungerechtigkeit und Unbill aller Art ganz darniederdrücken und schwächen will, so liefert diese Art zu handeln einen sicheren Beweis für seinen schändlichen Charakter, und diese Eigenschaft stürzt ihn hinab in den tiefsten Schlund des Verderbens.

O streue nie in deine Brust des Übermutes Samen aus,
Und bau' in deinem Herzen auch dem Hasse nie ein wohnlich Haus!
Wie viel denn packst du auf dein Roß? Sei mit dem Sattel doch zufrieden!
Und jage nicht so schnell, denn nichts ist unveränderlich hienieden.
Urplötzlich mag der Glanz einmal von deinem Haupte ganz entweichen
Und deinen Schild urplötzlich auch der Himmelssphären Pfeil erreichen.
Denn diese Sache– sie gewinnt zum Schluß ganz andere Gestalt,
Und selbst dein eignes Handeln hast du dann nicht mehr in der Gewalt!

Und da du nun in solcher törichten Verblendung dir selbst den Vorzug vor allen übrigen Tieren eingeräumt und deine Kraft und Waffenmacht, die doch nahe dem Untergange ist, so hoch in Anschlag gebracht, ist die Sache endlich bis zu dem Punkte gediehen und so weit gekommen, daß du meine Quelle angegriffen, dein Heer an diese Stelle geführt und in äußerster Hirnbetörung dieses Wasser getrübt und verfinstert hast. Ist dir denn nicht etwa bekannt, daß selbst dem schnellfliegenden Adler, streicht er über meine Quelle dahin, der Wetterschlag der sinnverwirrenden Betäubung Flügel und Fittiche verbrennt, und dem Debarân, wenn er von der Trift des Himmelskreises her mit gebietendem Herrscherauge auf dieselbe zu blicken sich vermißt, der Arcturus die gewaltige Angriffslanze ins Auge heftet? Im Persischen besteht das Witzspiel zwischen den beiden Sternnamen darin, daß Debarân auch ain-ettaur Stierauge und Arcturus stets simâkrâmich der lanzenbewaffnete Simâk genannt wird.

Naht ein Dämon diesem Ort
Beugt er gleich das Haupt danieder;
Fliegt ein Vogel drüber hin,
Senkt herab er sein Gefieder.
Nicht mag selbst der Himmelskreis
Seiner Luft und Erd entrinnen,
Kann er nicht des höchsten Herrn
Hilf und Schutz zuvor gewinnen!

Nur infolge eines überschwenglichen Edelsinns habe ich dich einer solchen Warnungsbotschaft für würdig erachtet, und wenn du die Spur deines Tuns und Treibens allhier getilget und solcher tollkühnen Verwegenheit entsagt, mag es gut sein! – wo nicht, so komme ich in eigener Person und werde dich so demütigen, daß Seufzen und Wehklagen dein Los! Solltest du aber Zweifel in diese Botschaft setzen, so komme sogleich herzu, denn ich selbst bin in der Quelle anwesend, damit du mit eigenen Augen mich schauest und hinfort nicht mehr in der Umgebung dieser Quelle dich niederlassest.«

Verwunderung befiel den Elefantenkönig ob dieser Kunde, und als er zur Quelle gekommen, erblickte er das Bild des Mondes auf dem Wasserspiegel. Behrûz sprach zu ihm: »O König, trage ein Quantum Wasser mit dir fort, und wenn du dein Antlitz damit gewaschen, wirf dich zum Gebet nieder; vielleicht wird dann der Mond eine Regung des Erbarmens fühlen und wieder Wohlgefallen an dir haben.« Der Elefant streckte lang seinen Rüssel heraus; als aber die schwere Masse desselben ins Wasser kam und dadurch eine ziemliche Bewegung in demselben sichtbar ward, da brachte dieses aufgeregte Wasser den Elefanten auf die Idee, der Mond selber bewege sich, und laut rief er aus: »O Gesandter des Mondes! Ist etwa gar dadurch, daß ich meinen Rüssel ins Wasser gesteckt, der Mond von seiner Stelle gerückt?« Behrûz entgegnete: »Wahrlich, so verrichte um so schneller dein Gebet, damit er wieder ruhig wird!« Nachdem der Elefant durch Vollführung desselben seinen Gehorsam bewiesen und sich einverstanden damit gezeigt, daß er hinfort weder selbst mehr hierherkomme noch auch die übrigen Elefanten in den Umkreis dieser Quelle führe, überbrachte Behrûz seinem Könige die Botschaft, und alle Hasen überließen sich nun der sorglosen Ruhe. – Durch diese List ward solch gewaltiges Mißgeschick von den Häuptern jener abgewandt.

Das Rebhuhn

Abu Ishak

Wohlan, mein Lied ertöne heut
      Vom Vogel in dem seidnen Kleid!
Er freuet sich voll Jugendfeuer
      Und zeigt sein Antlitz ohne Schleier,
Das schön ist wie die Jugend zart,
      Das Aug' schmückt er nach Mädchenart,
Daß man von Wimpern nichts ersieht.
      Sein Schnabel rot wie Brustbeer glüht,
Daß man bei dessen Anblick denkt,
      Er sei mit Menschenblut getränkt.
Mit seinen Klauen kämpft voll Mut
      Er wie ein Löwe in der Wut.
Um seinen Käfig ringsherum
      Sind Bilder wie ums Heiligtum;
Und hinter seines Käfigs Tür
      Schreit stotternd er Ri Ri herfür,
Wie Ri Ri stammelt alles Wort,
      Wer mit der Zunge nicht kommt fort.
Wie's Ri Ri kichert bei dem Wein,
      Schenkt lustig man die Gläser ein.
Den Jägern dünkt er jagenswert,
      Da man sein Fleisch gar hoch verehrt.
Auf Bergen übet er sein Recht,
      Da er von kurdischem Geschlecht.
Doch ist er bei den Arabern
      Als Fremdling auch gelitten gern. –
Nun Freund, des Müh'n ist groß und fein,
      Nimm sie denn hin die Jamben mein,
Als eine Frucht der Geistesfrüchte,
      Als Probe meiner Kunstgeschichte,
Als Freundesgab'; drum sage frei,
      Was drüber deine Ansicht sei?
Ob sie dir ohne Tadel scheinen?
      Ob ich gefehlt in meinen Reimen?
Ob schön und wahr gesprochen ich?
      Wohlan denn, Freund, sag' an und sprich!

Aus dem Ritu Sanhara:
Die Jahreszeiten

 

Grischina (Der Sommer)

Der Eber Rudel schnauft den Weihern zu,
Und in den dicken Wust von Kot und Schlamm
Die Rüssel tauchend wühlen sie den Grund –
Sie suchen nichts als Rettung vor dem Brand,
Der aus der Sonne golden flammend strahlt;
So mächtig sengt am Mittag ihre Kraft.

Den Teich voll toter Fische floh der Storch,
Und wild sich drängend in der Wut der Flucht
Zerstampfte ihn ein Elefantenschwarm.
Der weite Teich ist nun ein Pfuhl von Schlamm,
Die Wasserlilien, ihrem zarten Schoß
Entrissen, liegen rings zerfetzt umhergestreut.

 

Varscha
(Die Regenzeit)

Im Wald die Elefanten packt die Wut,
Vernehmen sie der Wolken Donnerton,
Sie brüllen kreischend, ihrer Zähne Weiß,
Wie fleckenloser Lotos glänzend sonst
Bedeckt der Saft der Brunst, der niederfließt,
Und Bienen wolkenhaft umschwärmen ihn.

Die bunten Pfauen treibt ein heißer Drang,
Sich zu begatten – Bienen schwärmen nur
Um ihrer Schweife Blumenräder her;
Und ob sie nutzlos küssen jedes Aug,
Sie lassen doch den Pfauen keine Rast –
Die scharen sich und steigen auf zum Tanz.

siehe Bildunterschrift

Pompejanisches Mosaik. Papageien, Taube und Sumpfluchs.

 

Sarad (Der Herbst)

Die Taucherenten plätschern durch das Glas
Der klaren Flüsse, an den Ufern stelzt
Der Kranich langsam, und das Wasser strahlt
Des Lotus Farben reizender zurück;
Vom Wind getragen kommt der Sang des Schwans,
Und Lust und Liebe füllen jedes Herz.

Der Frauen schlanke Anmut ist doch nicht
So leicht wie des Flamingos Schritt am Teich,
Der zarte Mond senkt sein besiegtes Haupt
Erbleichend vor Nymphäen-Blütenschnee,
Das schönste Aug ist nicht wie Lotus schön,
Kein Liebesblick wie Wellenlächeln süß.

 

Hemanta (Der Winter)

Das Land umher, erfüllt von reifem Reis,
Die Antilopen, weidend durch das Tal,
Der Schnepfen Streichen Klagen durch die Luft –
Zu sanfter Sehnsucht stimmt es jedes Herz.

 

Vasanta (Der Frühling

Erhebt der Kokila den süßen Sang,
Trübt rauher Männer Wort ein Liebeston,
Die Mädchenkinder in den Kammern selbst,
Sie spüren jetzt: Und blühen nicht auch wir?

Berauscht vom Honig sät im Mangobaum
Der Kuckuck Küsse auf die Blüten nieder.
Die Bienen überm Lotos summen schwärmend
Und taumeln trunken tief in den Geliebten.

(Deutsch von Otto Fischer)

Mitgefühl

Rabindranath Tagore

Wenn ich nur ein kleines Hündchen wäre, nicht dein Kindchen, Mutter lieb, würdest du »Nein« zu mir sagen, wenn ich es wagte, von deiner Schüssel zu essen?

Würdest du mich wegjagen, zu mir sagend: »Mach dich fort, du garstiges, kleines Hündchen?«

Dann geh, Mutter, geh! Ich will nie mehr zu dir kommen, wenn du mich rufst, und mich nicht mehr von dir füttern lassen.

Wenn ich nur ein kleiner grüner Papagei wäre und nicht dein Kindchen, Mutter lieb, würdest du mich an der Kette halten, damit ich nicht wegfliegen kann?

Würdest du mir mit dem Finger drohen und sagen: »Was für ein undankbarer Racker von einem Vogel! Er knabbert an seiner Kette Tag und Nacht?«

Dann geh, Mutter, geh! Ich will fortlaufen in den Wald; ich will nicht mehr, daß du mich wieder in deine Arme nimmst.

(Deutsch von Hans Effenberger)


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