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6. Der Wert des Lebens

In uns liegt das, was Kraft und Glück unseres Lebens bedeutet und hervorbringt. Das hat sich uns bei dem Gang, den wir durchs Leben getan haben, ergeben. Wir müssen uns ungebrochen erhalten, als Menschen, die etwas Eigenes wollen, mit offenem Sinn für alles Lebendige und Große, die rein und stark die Welt ihrer Empfindungen ausgestalten, in denen schaffendes Leben quillt und sprudelt, das ihnen alles lebendig und froh macht von der Arbeit im Beruf bis zum Kleinsten im Leben der Familie. Das ist der Wert des Lebens.

Aber haben es die andern nicht doch besser, die sich überall anpassen können, überall das tun können, was leichtes Fortkommen, was Ehre und Vorteil verspricht? Wird nicht unser Leben ein beständiger Kampf, uns selbst zu behaupten, ein mühsames Arbeiten im Beruf, alles so genau zu kennen, daß wir uns durchsetzen können, ein Selbstgestalten bis ins Kleinste, bis zu den Formen des gesellschaftlichen Lebens, wo jene rasch sich aneignen, was die andern schufen, und damit glänzen, während wir im Dunkeln stehen? Ihr Fortkommen, ihr Glänzen in der Welt, ihr widerstandsloses, kampfloses Leben scheint zum Nachgeben zu mahnen. Sei nicht zu wahrhaftig! Du mußt auch einmal Kompromisse schließen, hie und da auf den Schein bauen können, damit du im Leben etwas erreichst!

Laß den Helden in deiner Seele nicht sterben! ruft uns Nietzsche zu. Gerade im Kampf mit diesen Versuchungen, im Überwinden der Enttäuschung, daß uns die andern äußerlich so oft voraus sind, werden wir uns der ganzen Größe des Innerlichen, Schaffenden im Menschen bewußt. Denn es macht ja erst alles strahlend und groß, während alles Äußerliche ohne dies Schaffende armselig und leer bleibt. Nur in dem, was wir sind, besteht unser Leben, nicht in dem, was wir scheinen. Wahrhaftigkeit und Eigenart, Miterleben mit allem Großen und Lebendigen, reine Ehrfurcht vor menschlichem Innenleben, ein Leben, das in allen seinen Zügen auf dieser Ehrfurcht aufgebaut ist, ein Wirken, das sie in der Welt zur Herrschaft bringen will, machen den Menschen reich, glücklich und groß. Alles andere ist Tod. Die Gebrochenen mögen alles haben – sie haben doch sich selbst nicht mehr, in dem erst alles zum leuchtenden Glück werden kann. Das Heldenhafte, Starke, Eigenartige in uns wird immer stärker, lebt sich aus in solchem Kampf und solcher Lebensgestaltung. Wir sind immer mehr wir selbst und wirken doch immer segensreicher und hingebender für die andern.

Denn so dem Eigensten leben, bewahrt am ehesten vor Egoismus. Wir lieben ja das Schaffende in uns, nicht unser kleines Ich, lieben deshalb das Schaffende in anderen und arbeiten dafür, ihm eine Stätte in der Welt zu bereiten, es nicht erdrücken zu lassen durch die äußeren Verhältnisse. Alles Eintreten für andere, für Unterdrückte, für Hebung der Bildung in allen Volksschichten, für Änderung in der Stellung der Frau, für Verselbständigung der sozial Gebundenen, für Erziehung der Verkommenen, für Reform auf allen Gebieten hat seine Wurzel in dieser Achtung vor eigenartigem, schaffendem Geistesleben. Anteilnahme an ihm will man allen ermöglichen, alle Hindernisse aus dem Weg räumen. Wer für sich dies als Höchstes erkannt hat, opfert sich dafür, es andern zu erschließen. Und er dient damit wieder dem eigenen Selbst. Denn im Zusammenleben mit den andern entfaltet sich erst der ganze Reichtum unseres eigenen Wesens. Sind die andern erbärmlich und arm, so bleiben wir selbst eng. Je mehr geistig Reiche neben uns stehen, desto mehr lebendigen Austausch, lebendiges Zusammenarbeiten in Beruf, Staat, geselligem Leben und Familie gibt es. Das aber braucht der Mensch, weil er ein schaffendes, gestaltendes Wesen ist, dessen Kräfte verkümmern, wenn die Welt ringsum kein Aufnahmegebiet für schaffendes Leben, sondern geistige Wüste ist.

Es war dies Innenleben immer das Höchste für die Großen der Menschheit. Es als das Höchste zu erhalten, war der Inhalt ihres ganzen Ringens. Immer wieder haben sie den Zwang der Verhältnisse niedergerungen, haben sie die neuauftauchenden Lebensgebiete so geordnet, so unter ihre Herrschaft gezwungen, daß sie Raum boten für solche schaffende Menschen. Es ist dies das Große, was wir an den Menschen der Vergangenheit lieben. An intellektueller Entwicklung stehen sie uns oft nach. Ihre Kenntnis der Welt nötigt uns wohl ein Lächeln ab, ihr Denken steht auf einem für uns überwundenen Standpunkt. Wo man es uns als Wahrheit aufzwingen will, wie es in einigen religiösen Richtungen geschieht, bekämpfen wir sie. Wo aber in einem Menschen diese wunderbare Ehrlichkeit des Fühlens und Ringens sich uns erschließt, da fühlen wir, wie unser Innenleben gestärkt und froh gemacht wird. Wir ehren und lieben denselben Großen der Vergangenheit, dessen Gedanken wir in der Gegenwart bekämpfen. In seinem inneren Wesen ist er eine Kraftquelle für uns. Mit dieser innersten, besten Kraft des Menschenwesens ist ein Mann aus der grauen Vergangenheit, aus dunklen Zeiten größer als der klügste und gelehrteste unserer fortgeschrittenen Zeit, der ein haltloser Streber ist.

Die größten unserer Denker und Dichter haben dieser Tatsache erst Worte zu geben gewußt. Herder, Goethe und Schiller, Fichte und Schleiermacher haben uns darauf hingewiesen, daß dies Innere des Menschen seine Kraft und sein Glück ist. Sie lehrten uns, daß wir es fühlen und erkennen können durch ein besonderes Vermögen, das uns unsere Eigenart erschließt, die Eigenart anderer Menschen nachempfinden läßt, obwohl wir diese beiden nie mit dem Verstand erfassen, noch verstandesmäßig schildern können. Für diese dem Verstande unfaßbare Eigenart haben wir das Wort Persönlichkeit geprägt. Die Kraft, sie zu empfinden und über alles zu schätzen, ist das Gemüt. Seine Pflege macht die Welt wahr, tief und bedeutet das Glück für den Menschen in allen Gestaltungen seines Lebens. Von der Erkenntnis dieses Innenlebens und seines alles überragenden Wertes sind unsere großen Denker zu der weiteren Erkenntnis fortgeschritten, daß hier der Blick in die Wirklichkeit des schaffenden Lebens gegeben ist, der uns sonst überall verschlossen bleiben muß.

Vergeblich versucht der Verstand zu erforschen, was in der Natur alles Leben erhält, und was Leben ist. Er erkennt nur die Gesetze, nach denen es verläuft, er stellt die Bedingungen fest, unter denen es sich auswirken kann, er schaut nicht hinein in das Wesen des Schaffenden selbst, das alles hervorbringt. Wenn das Gemüt des Menschen aber hineinschaut in das Innenleben des Menschen, hineinschaut in das eigenartige Ringen und Schaffen anderer, dann erlebt es einen Blick in das Wesen aller Dinge, das hinter dem Äußern liegt.

Dann erlebt es auch, fühlt unmittelbar, daß es hier einen Wert schaut, der über allen andern Werten steht, für dessen Erhalten in Reinheit und Kraft alles andere hinzugeben kein zu hoher Preis ist. In sich und für andere muß es dies zur Ausgestaltung zu bringen suchen, dafür leben. Ehrfürchtig weiß es: hier habe ich das Höchste geschaut in mir und in den andern Menschen. Dafür muß ich arbeiten, sonst bin ich nicht würdig, ein Mensch zu sein. Mein Leben muß ich für dieses zu einer Heimat machen. Ich muß mich selbst verachten, wenn ich dieses in Gemeinheit und Erbärmlichkeit versinken lasse.

Hier habe ich das Größte geschaut, was es gibt, etwas von der schaffenden Gewalt des Lebens, das hinter allem steht. Also habe ich hier das Ewige geschaut, das wohl ein Gast ist auf Erden, aber in seiner eigenartigen Größe in der Welt der Ewigkeit seine unvergängliche Stätte haben muß.

Und eben diese Weltanschauung war es, die unsere großen Denker und Dichter, alle Helden in der Welt des Geistes erfüllte und stark machte.


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