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2. Der Beruf

Welches aber ist der andere Weg? Es ist der Weg des Berufes, der Weg hinein in dieses abhängige Arbeitsgetriebe des Lebens mit dem Entschluß, darin etwas Wertvolles zu leisten, nie etwas zu tun, was als nicht wertvoll oder gar schädlich erkannt wird, nie etwas, was der Wahrhaftigkeit unseres eigenartigen Wesens widerspricht. Ich nannte das eben den alltäglichen Weg, weil es äußerlich betrachtet der Weg ist, den die meisten Menschen gehen. Aber es ist deshalb kein minderwertiger Weg gegenüber dem andern. Im Gegenteil. Es gehört viel Kraft dazu, den schlichten Weg des bezahlten Berufes als ein eigenartiger, starker Mensch zu gehen. Der andere trotzt vielleicht Not und Elend, dafür aber geht er den täglichen Reibereien mit der Erbärmlichkeit aus dem Weg, durch die in der Arbeit des Berufes das Große und Edle hindurchgerettet werden muß.

Denn stellen wir die Frage an die Gesellschaft, unter welchen Bedingungen wir diesen Weg gehen können, so legt sie uns eine ungeheure Liste vor. Es sind darin alle Arbeiten verzeichnet, die geleistet werden müssen, damit dieses große Getriebe menschlicher Gesellschaft erhalten bleibt. »Ordne dich dieser Riesenmaschine als treibendes Rad, als bewegender und bewegter Hebel oder sonstwie ein, dann bieten wir dir dein Brot«, so spricht sie zu uns. Wie aber ist es möglich, ein eigenartiger Mensch zu sein, wenn ich mich von vornherein irgendwie in den Dienst der Gemeinschaft nicht nach meinem Willen, sondern nach ihrem Willen stellen muß, nicht ihr leisten darf, was ich für wertvoll halte, sondern was ihr wertvoll dünkt?

Und diese Abhängigkeit ist heute größer denn je. Wir reden vom Fortschritt der Kultur. Dieser Fortschritt bedeutet aber auch eine steigende Abhängigkeit des Menschen von der Gesamtheit, also auch ihren Verhältnissen, ihren Ansichten. Solange der Mensch für sich allein wirtschaftete als freier Bauer, umgeben von freien Bauern, war er unabhängig. Je mehr die Arbeitsteilung eintrat und zu der Arbeit der Kapitalismus und das Zeitalter des Verkehrs kam, desto abhängiger wurde er. Für jeden Stand ließe sich die ganze Riesenabhängigkeit schildern, die ihn zwingt, den rasenden Wettlauf mitzumachen, zu produzieren, was und wie die Gesellschaft es will, zu unterbieten, damit er ein ihr willkommenes Glied des Maschinismus ist und sie ihm seine Nahrung gibt. Wenn auch dem Kaufmann sein Gewissen verbietet, Schund zu verkaufen, wenn er auch ein wirtschaftlicher und ästhetischer Erzieher der Menschheit sein möchte, muß er ihn nicht verkaufen, da die Masse, von der er lebt, sich dahin wendet, wo sie den billigen Schund findet? Und den Kaufmann können wir zum Bilde aller Berufe machen, auch der geistigen. Karl May und Conan Doyle erwerben Millionen, und mancher echte Dichter findet kümmerlich Brot und wenig Leser. Wer etwas sein und gelten und leben will, der muß produzieren, was die Masse will, sei es auch Schund. Wie kann man in einer solchen Welt eigenartige Persönlichkeit sein?

Unter dem Drucke dieser Abhängigkeit vom »Verdienen« kommen wir alle zu einer Zeit unsers Lebens zu der Selbsttäuschung, daß Vermögen unabhängig mache, und wünschen und erstreben uns vor allem Reichtum. Der Reichtum kann unabhängig machen – den, der von seinem Gelde lebt, aber auf Durchsetzen seiner Ziele, seiner Persönlichkeit verzichtet, was schließlich die törichtste Art der Sklaverei, die unter der Bequemlichkeit ist. Will der reiche Mann etwas leisten, so ist er genau so in die Abhängigkeit verflochten und muß mit den gegebenen Verhältnissen rechnen wie die andern. Noch mehr gilt das von der angesehenen Stellung. Viele sehnen sich vor allen Dingen darnach, umgeben sich aber durch ihr Streben darnach mit so viel Verpflichtungen, daß sie – endlich oben angelangt – viel abhängiger sind als vorher. Dabei ist an sich jede höhere Stellung schon so mit Abhängigkeiten umhängt, daß nur sehr starke Menschen Herr über sie werden. Auf dieser scheinbaren Unabhängigkeit, die Reichtum und angesehene Stellung gewähren, haben nun dieselben Vertreter des Bestehenden, die jene mordende Erziehungsmethode erfanden »Jugend will austoben«, ein System aufzubauen gewußt, mit dem sie den innerlich zu binden wissen, den nicht ein starkes Sehnen nach wirklich edlen Lebensgütern davon unabhängig macht. Es ist das System äußerer Ehrungen. Gesellschaftliches Glänzen, Rang, Titel, Würde sind die Fesseln. Die Menschen werden erzogen, daß sie darin das Höchste sehen, durch das Streben darnach sich binden lassen und ihre Unabhängigkeit ganz aufgeben.

Dies falsche Einschätzen dessen, was scheinbar Unabhängigkeit gewährt, dieses Streben nach äußerer Ehre statt innerer Leistungsfähigkeit, hat schon manches Leben zerstört. Es gerade verführt zur falschen Berufswahl. Einen Beruf will man haben, in dem Ehrenstellen, Titel und Würden winken. Daher die Überschätzung der »akademischen« Berufe. Mindestens etwas will man werden, was zu dieser hohen Rangordnung Zugang gewährt, womöglich Jurist. Nur nicht Kaufmann, Bauer, Handwerker werden. Das sind geringwertige Berufe. Und diesen Ehrgeiz bezahlt man mit einem ganzen Leben, in dem man, von einer ungeliebten Arbeit gequält, für die Menschheit so gut wie nichts leistet, die inneren Kräfte seines Wesens nicht rührt, also auch nicht zur Entfaltung bringt.

Das sind dann die armseligen Kreaturen, die ihren Beruf gründlich verfehlt haben, Menschen, denen nichts unangenehmer ist als die Arbeit, die sie im Organismus der menschlichen Gemeinschaft leisten sollen. Diese Menschen mögen die höchsten Gehälter beziehen und die höchsten Titel haben, sie sind Sklaven, verdammt zu einer Arbeit, die sie mit Unlust tun. Die Folge ist auch die Sklavenart, daß man nur tut, was man muß, möglichst viel Arbeit andern zuschiebt oder ungetan läßt. Diese Sklaven sind es, die innerhalb der Verwaltung des Staates, des Schulwesens, der Kirche Feinde jeden Fortschrittes, jeden neuen Gedankens, jeder neuen Organisation der Arbeit sind. All das macht mehr Mühe! Jeder neue Gedanke will verarbeitet sein. Alle neuen Verhältnisse wollen durchschaut sein, und dann muß man über sie lesen, nachdenken, von ihnen hören. Das alles ist so mühsam.

Man braucht sich nur die geistige Art dieser Menschen und ihre Bedeutung für das Leben klar zu machen, um zu erkennen, daß ein ungeliebter Beruf, ein Beruf, den man nicht mit ganzer Seele ausfüllt, der Tod des geistigen Lebens, der Persönlichkeit ist. Vor allen Dingen gilt das von den geistigen Berufen. Gelehrter, Geistlicher, Lehrer, Richter, Arzt, Verwaltungsbeamter, Erzieher kann nur der sein, der die Probleme seines Berufes wirklich mit tiefem Ernst und innerer Freudigkeit verarbeitet. Wer das nicht tut, der tut nur so, als habe er diesen Beruf, lebt also in einer beständigen Lüge und geht daran zugrunde. Man ersäuft dann das Gewissen und damit seine Persönlichkeit in Früh- und Dämmerschoppen.

Aber nur dann führt der Weg des Berufes zur Abhängigkeit, zur Sklaverei, wenn man ihn bequem und faul, ohne Streben, ohne innere Wahrhaftigkeit geht, mit der Erbärmlichkeit und Unredlichkeit seinen Kompromiß schließt. Auf diese Weise gibt man seine Persönlichkeit preis. Nicht aber im andern Falle, wenn man eben den eisernen Willen hat, etwas Wirkliches und Wahres zu sein und zu leisten, nicht dem Schein und der Zwecklosigkeit zu arbeiten, sondern nur dem, was das eigene innere Leben bereichert und den Menschen wirklich etwas Wertvolles gibt.

Denn dies ist mit der Gebundenheit des Berufs nicht unvereinbar, sondern im Gegenteil eins. Die Arbeit, die dem Menschen wirklich innerlich etwas gibt, ihn in sich fester und stärker und tiefer macht, ist ganz gewiß etwas Wertvolles für die Gesamtheit oder ist doch eine Vorarbeit für wertvolle Leistungen in der Gesamtheit. Man darf diesen Maßstab natürlich nicht nach blinder und bequemer Liebhaberei, sondern muß ihn mit Ernst und Wahrhaftigkeit anwenden. Umgekehrt aber ist auch alle Arbeit, die einen Wert für die Gesamtheit darstellt, eine innere Bereicherung für den, der sie tut. Sie mag äußerlich gering aussehen, langweilig erscheinen. Man muß nur bis zu der Tiefe dringen, wo sie wertvoll wird. Dies Wertvolle zeigt sich schon in der Art und Weise, wie jeder Beruf seine wirklich tüchtigen Vertreter zu eigenartigen Menschen prägt.

Deshalb gilt es die Wahl des Berufes ernst, tiefernst zu nehmen. Der Mensch muß seine Kräfte, Anlagen und Interessen kennen. Es sind das ja die äußern Betätigungen, in denen sich die Eigenart seines innern Wesens zeigt. Dann muß er sich umsehn unter den vielen Berufen, die das Leben ihm zeigt, um den zu finden, der ihm entspricht. Es ist von vornherein wahrscheinlich, daß jeder Mensch einen Beruf finden kann, der seiner geistigen Art ein wirkliches Feld der freien Entwicklung und freien Betätigung bietet. Diese menschliche Gemeinschaft ist ja von Menschen geschaffen, um allen ihren Bedürfnissen und all ihrer Schaffenskraft ein Feld der Betätigung zu bieten. Es wäre wunderbar, wenn nun auf einmal ein Mensch geboren würde mit so neuen Eigenschaften, daß ihnen in dieser Gemeinschaft nicht schon das Feld vorbereitet wäre.

Also weg mit allen äußerlichen Vorurteilen! Jeder Mensch muß den Beruf wählen, zu dem seine Anlagen und Interessen ihn befähigen. Nun teilen sich die Menschen im wesentlichen in drei Gruppen. Sie sind von Natur Denker, Herrscher oder Künstler. Das soll nicht heißen, daß man nun einfach jeden Menschen in eine dieser Gruppen einordnen kann. Jeder Mensch hat Züge aus allen drei Lebensgebieten. Der Künstler oder Herrscher könnte nicht religiös sein, wenn er nicht auch Denker wäre. Der Denker könnte die Kunst nicht nachfühlen und aufs Leben nicht wirken, wenn er nicht auch Künstler oder Herrscher wäre. Aber in jedem Menschen überwiegt einer dieser drei Züge, verschieden gemischt mit Einschlägen aus den beiden anderen Lebensbegabungen. Denker nenne ich die Menschen, die das Grübeln über Wesen und Herkunft der Dinge in ungewöhnlich starker Weise in sich tragen. Sie haben keine Ruhe bei dem alltäglichen Verlauf und der äußern Erscheinung des Lebens. Sie müssen das Geheimnis hinter allem suchen und ahnend erfassen. Dieser Trieb kann sehr verschieden befriedigt werden. Er kann sich auf Teilerscheinungen richten, kann die Natur oder Gebiete der Natur, das Menschenleben in seiner Entwicklung als Geschichte, die notwendige Ausgestaltung des Menschenwesens als Ethik untersuchen. Er kann aber auch in scharfem Forschen die gesamte Welt in ihrer Einheit und ihrem Wesen erfassen wollen als Philosophie. Er kann in tiefsinniger Gemütsahnung in der Welt den belebenden Geist zu verstehen suchen als Frömmigkeit. Ist dieser Trieb in einem Menschen stark, so ist dieser Mensch berufener Erzieher, sei es Bildner von Menschen für ein Teilgebiet, sei es Bildner des gesamten innern Wesens und seiner Ausstrahlungen. Auf jeden Fall entwickelt ein solcher Mensch in denen, die er beeinflußt, den klaren Wahrheitssinn, der unsere beste Mitgabe fürs Leben ist. Der Erzieher aber ohne dieses eigene Suchen überliefert als Lehrer trocknen Wissensstoff, in dem der Schüler nur die Langweile, nicht das Leben und das Wahre findet. Als Geistlicher macht er die Frömmigkeit zum System überlieferter Lehren. Als Philosoph quält er die Menschheit mit abstrakten Gedanken, ohne sie in ihrem innern Leben zu fördern. Als Ethiker sucht er augenblicklich geltende Vorurteile als sittliche Gesetze nachzuweisen. Er ist ein Fluch für sich und die, die er beinflussen darf.

Herrscher nenne ich die Menschen, die ein Lebensgebiet nach ihrem Willen zu gestalten vermögen. Bismarck ist ein Herrscher. Herrscher war aber auch Krupp, der aus dem Nichts seine Riesenwerke schuf und die Tausende zu einheitlicher Arbeitsleistung organisierte. Jeder große Geschäftsmann und Organisator von Betrieben, vor dessen starkem Willen neue Gebiete der Welt oder neue Wege von Verkehr und Geschäft sich erschließen, ist es. Herrscher war Dernburg, als er die Verwaltung unserer Kolonien in neue Bahnen lenkte und das gesamte deutsche Volk mit lebendiger Teilnahme für sie erfüllte. Herrscher muß jeder Verwaltungsbeamte für sein Gebiet sein. Er hat ein Stück unseres Volkslebens so zu organisieren, daß es seinen Lebenszweck erfüllen kann. Ist es auch nur ein kleines Gebiet – steht er davor ohne eine Spur durchdringender, gestaltender Willenskraft, so geht kein Leben von ihm aus, und dies Stück Volksleben versumpft. Herrscher muß auch der große Arbeiterführer sein, der diese Klasse zusammenfassen will zum Kampf ums Dasein, Herrscher der Politiker, der die Massen zum rechten Ziel der Wohlfahrt der Gesamtheit führen will. Willenskraft muß der Herrscher haben, aber auch jenen klaren Blick für die wirklichen Verhältnisse des Lebens, für das unter diesen Umständen Erreichbare wie für die Mittel, mit denen man es erreicht, wie ihn Bismarck hatte. Seine Schriften sind das größte Dokument eines solchen Herrschergeistes und die beste Bildungsschule für jeden zum Herrschen Berufenen.

Künstler nenne ich den Menschen, der mit wunderbarem Feingefühl für das Lebendige in den Dingen ausgestattet ist, der die Sprache versteht, in der alle äußere Form von dem Innern des Lebens redet, das sie hervorgebracht hat, und diese Sprache selbst reden kann. Wir alle verstehen diese Sprache des Lebens. Wo wir ein Wesen sehen, dessen Form uns eine innere Einheit verrät, wissen wir, daß Leben es schuf, sei es das Leben draußen, das Pflanze, Tier und uns schafft, sei es das Leben des schaffenden Menschen. Je nachdem, ob Nachempfinden oder Selbstschaffen überwiegt, wird die künstlerische Anlage verschieden, müssen die Mittel des Ausdrucks verschieden werden. Eine ganze Welt der Kunst hat sich so gebildet. Während nun für die andern Anlagen des Menschen auch die Berufe, die den Geistern zweiten und dritten Ranges Auswirken ihrer Anlagen gestatten, ihre gesellschaftliche Höhe behauptet haben, ist für die künstlerischen Naturen der Notstand eingetreten, daß nur die allerhöchste Leistung auf diesem Gebiete gesellschaftsfähig ist. Der Künstler zweiten und dritten Ranges, der Handwerker in allen seinen verschiedenen Betätigungen, zählt zu den »Ungebildeten«. Wer will also Handwerker werden? Viele Menschen mit großen Fähigkeiten für einen Zweig dieses Berufes werden in andere gedrängt, in denen sie zugrunde gehen, oder sie suchen Künstler zu werden und haben doch nicht die volle Kraft dazu. Dies hat rückwirkend wieder zu dem Notstand geführt, daß die Dinge des alltäglichen Lebens, die doch für unser geistiges Leben wichtiger sind als die größten Kunstwerke – wirken sie doch beständig auf uns ein –, daß diese Dinge von Menschen ohne künstlerische Begabung angefertigt werden, wir also von ungestalteter Roheit umgeben sein müssen. Es ist nur zu begrüßen, daß hier eine Wandlung eintritt. Es muß dahin kommen, daß der gebildete junge Mensch, der dazu beanlagt ist, auch Handwerker wird und werden kann, ein Künstler im Handwerk, der dementsprechend auch seine Stellung im Leben hat. Wieviel Not der Erziehung würde beseitigt, wenn wir dazu den Mut fänden. Und zugleich würde die Überlastung der andern Berufe mit ungeeigneten Elementen nachlassen.

Noch von einem Berufe habe ich zu reden – soll ich ihn den künstlerischen oder den herrschenden Berufen zuordnen? – dem des Bauern und Gärtners. Er hat es mit Lebendigem zu tun, mit Pflanze und Tier, und muß es zu behandeln wissen, und er hat Grund und Boden herrschend zu verwalten, um ihm den höchsten Ertrag abzuringen. Es ist kein geringer Beruf. So viele, die wohl gesund, aber doch für das Stubenhocken nicht geschaffen sind, könnten sich Leben und Glück erhalten, wenn sie sich diesem Berufe zuwendeten, im Vaterland oder draußen in unsern Kolonien.

So ist also der erste Rat für den, der das Leben wirklich bewältigen und zu einem innerlich reichen, starken Leben gestalten will: Wähle dir einen Beruf, in dem die Anlage deines Wesens sich entfalten kann. Wer das nicht tut, der gibt seine Zukunft aus der Hand. Sehr starke Willenskraft gehört dazu, seine Natur so auszugestalten, daß sie auch in einem Berufe, der ursprünglich nicht zu ihr paßte, eine reiche und freudige Wirksamkeit findet. Jeder Mensch, der einen seinem Wesen angemessenen Beruf ergreift und wirklich tüchtig darin ist, wird heute im aufstrebenden Volke sein Brot finden. Jeder Beruf gibt es auf andere Weise. Der Beamte und Privatangestellte erhält seinen Gehalt, die andern Berufe müssen unter großen Gefahren ihr Brot der unsicheren Geschäftslage abringen. Das scheint eine Schattenseite, entfesselt aber in ihnen die Eigenschaften des Herrschers in einem viel höheren Maße, prägt die Vertreter dieser Berufe zu einem eigenartiggewaltigen Typus des Menschenwesens, von dem wir andern nur lernen können. Also: Wähle deinen Beruf nach deiner Eigenart und erfüll' ihn als starker, ehrlicher Mensch! Dann ist er nicht ein unwürdiger Zwang, sondern deine Stelle in der Menschheit, wo du deine Kräfte und Eigenart zu einem Wert für sie machst, indem du nach ihnen ein Stück des Lebens gestaltest. Das ist Kraft und Glück.

Das Glück des Menschen besteht im Regen seiner angeborenen körperlichen und geistigen Kräfte. Das erfährt schon das Kind im Spiele. Es regt seine Körperkraft, es regt seine Phantasie, sein Denken und fühlt sich glücklich, es so recht zwanglos und frei tun zu können. Doch es kommt die Zeit, wo das Spiel dem Menschen nicht mehr genügt, wo uns das Leben des Kindes, so sorglos und leicht es ist, öde und inhaltslos wird. Wir müssen darüber hinaus, müssen ein Wert werden im großen Zusammenleben der Menschheit. Wir sahen, wie wir uns die Möglichkeit zu dieser Betätigung schaffen durch die rechte Wahl des Berufes. Aber auch der Beruf, der uns der allerschönste und passendste dünkte, scheint uns bald seine Schranken zu haben. Sie binden uns mit einer Macht, die wir bis dahin nicht ahnten. Jeder Beruf hat sein eigenes Gefüge, in das sich der schicken muß, der in ihm arbeiten will. Das bilden nicht nur die unbedingt notwendigen Arbeitsarten, die jeder kennen muß, der die Arbeit dieses Berufs tun will, sondern auch die Ordnungsformen, durch die man die Arbeit gleichmäßig durch den ganzen Beruf hin ordnet, die Sitten bei Arbeit und Verkehr, die Beziehungen von Vorgesetzten und Untergebenen und so vieles andre. Es kommt hinzu das feine Gewebe dessen, was in diesem Berufe die Gerechtigkeit verlangt, und was Unrecht, Übervorteilung oder Vernachlässigung wäre.

Aber nicht nur im Vorgesetzten und in der alten Struktur der Berufe liegt der Widerstand. Er liegt auch in den Menschen, für die man arbeitet. An vielen verborgenen und offenen Stellen unseres Wirtschaftslebens und der Verwaltung hat jeder, der Neues will, mit diesem Umstande zu rechnen. Die Menschen, denen wir die Verhältnisse ihres Lebens wahrhaftiger und dadurch ruhiger und glücklicher, stärker und edler gestalten wollen, wollen unsere Arbeit nicht. Sie sehen das Ziel nicht wie wir. Sie fürchten den inneren Kampf, der jedem Übergang in Neugestaltung vorausgeht. Am deutlichsten sieht man diese Vorgänge auf dem Gebiete des religiösen Lebens sich abspielen. Die Not hier fühlen weite Kreise in ihrer eigenen Unsicherheit und Loslösung von den alten Gemeinschaften, während sie zugleich unfähig sind, sich andere zu bilden oder andern sich anzuschließen. Jede Änderung auf diesem Gebiete wird darum nur unter dem größten Mißtrauen gegen die Neuerer und unter den allerschwersten Kämpfen durchgeführt. Selbst die innerlich Wankenden scheuen das Neue; der Kampf ist zu schwer, der sie innerlich im Neuen festmachen würde. Wie auf dem Gebiete der Frömmigkeit steht es auf jedem andern, dem der Schule, dem der Beamtenarbeit und ihrer Organisation, dem des Geschäftslebens und seiner Grundsätze wie dem des Verhältnisses von Unternehmer und Arbeiter und seiner Regelung. Überall steht diese Scheu vor dem Neuen und das Hängen an dem sogenannten Erprobten, Alten – das eben für die alten Verhältnisse zwar erprobt war, unter den neuen aber oft eine Fessel ist, den wahren Fortschritt hindernd.

Dazu kommen jene Menschen mit oft wunderbar klarem Blick, den sie nur zu haben scheinen, um selbstsüchtig äußere Vorteile für sich zu erstreben, jene gefährlichen Kreaturen, denen jeder Fortschritt paßt, wenn er ihrer Ehre oder, im Geschäftsleben, ihrem Geldbeutel dient, auch wenn er sachlich nicht begründet ist, und denen jedes Stehenbleiben recht ist, wenn es nur ihnen Vorteil bringt. Sie müssen überall die Tüchtigen und Aufrichtigen zurückzudrängen suchen.

Nun tritt der junge Mensch in diese sich drängenden Verhältnisse und Gegensätze. Seine Kräfte will er regen. Vor sich sieht er das freie Gebiet der Arbeit. Da schieben sich die alten Sitten und alten Satzungen seines Berufes zwischen ihn und die Arbeit. Er soll arbeiten wie der Vorgesetzte, und er sieht doch, daß diese Art den neuen Aufgaben nicht gerecht wird. Er soll lernen, was dieser für wichtig hält, und sieht doch, daß anderes wichtiger geworden ist, daß er nur Jahre verliert. Er soll sich behandeln lassen, wie das Sitte ist, und es empört sich sein inneres Wesen. Er soll die Menschen behandeln, wie man das gewohnt ist, und fühlt doch, daß die Menschenwürde anderes verlangt. Neue Verhältnisse von Mensch zu Mensch in dieser Arbeit verlangt er, neue Art der Arbeit braucht er. Man will nicht vom Platz, und er ist mit gehemmt. Da erlahmt die Freude am Beruf. Nach mancherlei enttäuschungsreichen Kämpfen gibt man entweder den Beruf oder die Hoffnung auf, wird ein faules Arbeitstier wie die andern auch. Die Persönlichkeit ist gebrochen.

Dagegen gibt es nur ein Mittel: gründliche und zähe Arbeit im Beruf, die alles bis auf den Grund erlernt, was von Altem und Neuem in diesem Berufe vorkommt. Man schickt sich hinein, ändert nichts an den Arbeitsmethoden, sondern erlernt sie gründlich. Bei vielem, was man bei oberflächlicher Kenntnis für unnötig hielt, sieht man den Wert. Es wächst in uns Wahrhaftigkeit gegen uns und unsre Arbeit. Wir dürfen uns nicht einbilden, Weltreformatoren zu sein, sondern müssen an der Stelle der Welt, an der wir stehen, bessernd arbeiten. Sind wir bedeutender als andere, so wird uns diese innere Bedeutung durch alle Hindernisse um so sicherer vorwärts bringen, je mehr wir uns auf das beschränken, was wir zu tun haben, und was wir gründlich verstehen. Jede Anmaßung über unsere Gaben hinaus ist eine Lüge, die uns nach außen in unklare Verhältnisse bringt, nach innen unser innerstes Wesen zerstört.

Diese Wahrhaftigkeit erspart uns den völlig fruchtlosen Versuch, etwas zu ändern, was im Getriebe der Arbeit unentbehrlich ist. Ein solcher Versuch zerstört die Achtung der anderen und die eigene Freudigkeit und ist oft der Anfang der vollen Knechtschaft. Lernt man aber ruhig, bis das Gefühl kommt, daß man seiner Arbeit bis auf den Grund sieht, das Material und seine Ansprüche kennt, dann kann man neue Wege suchen und wird bei den Mitarbeitenden und Vorgesetzten Vertrauen finden. Findet man das nicht, so behält man sein Ziel ruhig und sicher im Auge. Wer die beste Art hat, die Aufgaben zu lösen, dem kommt früher oder später die Not der Zeit, im Geschäftsleben der Zwang der Konkurrenz, im Beamtenleben die Unruhe des unrichtig geregelten Gebietes entgegen. Wer an seinem Posten als ein tüchtiger Mensch steht, wird auf ihm unentbehrlich. So ist mancher Untergebene in einer Fabrik, auf einem Bureau unentbehrlicher als sein Vorgesetzter. Je tüchtiger, desto freier ist er in seiner abhängigen Stellung.

Auf dieser Grundlage erheben sich dann im Geschäftsleben die gewaltigen Unternehmer und kühnen Pioniere wie für das Geldgeschäft im Anfang des 19. Jahrhunderts die Rothschilds, für das Unternehmertum in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Alfred Krupp. Sie gehen die neuen Wege. Sie können sie gehen, weil sie das Alte bis auf den Grund beherrschen und nun darüber hinaus können. Sie haben unter den furchtbaren Gefahren der neuen Anfänge, gegenüber dem Mißtrauen der Geschäftswelt und der Kunden die nötige Zähigkeit, weil sie der Sache klar auf den Grund sehen und wissen, daß sie den rechten Weg gehen, den neuen Verhältnissen besser gerecht werden als die andern. Sie haben schließlich als Lohn den Erfolg, daß sie ihr Gebiet beherrschen. Nathan Rothschild gründete das erste Bankhaus der Welt, Krupp das erste gewerbliche Großunternehmen. Schwieriger noch ist die Aufgabe des Beamten, der die Menschen einer ganzen Verwaltung oder Organisation mit einem bestimmten Geiste durchdringen und ihnen die Sicherheit geben soll, ihr Gebiet in diesem neuen Geiste zu verwalten. Denn der Unternehmer beherrscht die, die er braucht, und er riskiert nur sein Unternehmen. Der Beamte beherrscht zunächst niemanden, sondern wird beherrscht, und das Risiko trifft ein Stück Volksleben oder den Staat. Vor allem aber handelt es sich sehr oft um Dinge, die nie durch äußeren Erfolg kontrolliert werden können, weil sie Veränderungen der geistigen Kraft zum Ziel haben, so alle Maßregeln der Erziehung und Bildung, alles, was der Förderung der Frömmigkeit dient. Andere Maßregeln, die die Organisation äußerer Kräfte bezwecken, wie z. B. die Neuorganisation des preußischen Heeres in der Konfliktszeit, werden erst dann erprobt, wenn die Existenz des ganzen Staates davon abhängt oder doch Wohl und Wehe von Unzähligen; andere wieder erprobt erst eine jahrhundertelange Entwicklung. Die Verantwortung für den, der hier Neues will, ist also außerordentlich groß. Viel weitere Gebiete müssen überblickt werden. Viel mehr als bei dem, der nur sein Glück riskiert, ist die Forderung zäher Arbeit, gründlicher Kenntnis der gegebenen Verhältnisse, des bis auf den Grund der Tatsachen reichenden Blickes zu stellen. Nur wer hier ganz sicher ist, kann den neuen Weg gehen.

Aber ist es wirklich eine Förderung der Persönlichkeit, wenn man sich so den Eigentümlichkeiten und Schranken des Berufes anpaßt? In all dem Anpassen liegt doch die Gefahr, durch Rücksicht auf die äußeren Verhältnisse innerlich unwahr und klein zu werden. Diese Gefahr ist nur da für den, der schließlich Vorteil und äußere Bequemlichkeit sucht und dem zuliebe die Wirksamkeit seiner Persönlichkeit zurücktreten läßt. Wenn wir uns aber einbohren in die gegebenen Verhältnisse, um alles bis auf den Grund zu verstehen, in allen Fertigkeiten dieses einen Berufes wirklich geübt zu sein, dann erfährt unsere Persönlichkeit eine mächtige Steigerung ihrer inneren Kraft. Eine solche Steigerung bringt schon das hartnäckige Aufeinanderbeißen der Zähne gegenüber allem, was mühsam, langweilig zu erlernen ist. Zu erringen, was unsere Natur uns nicht freiwillig schenkt, stählt die Willenskraft. Das kommt uns später im Kampfe um die Gestaltung des Lebens zugute. Es erweitert aber auch unsere Natur, sie entfaltet neue Fähigkeiten. Von Tag zu Tag wird es ihr leichter, etwas zu bewältigen, was ihr ursprünglich fern lag. Es ist dies der große Vorteil eines ernsten Berufes gegenüber jeglichem Dilettantismus. All unser Erkennen wird hier der Tat verbunden, und das erst macht das Erkennen zu einer menschenbildenden Kraft. Arm ist der Mensch, der nur Wissen zusammenträgt und keine Stelle hat, wo er es zu einer gestaltenden Kraft machen kann. Wenn von uns aber nicht eine solche gestaltende Kraft ausgeht, bekommen wir nie das Gefühl, daß wir eine solche Kraft, eine Persönlichkeit sind, die ihr Eigenes will und tut.

Gründliche Ausbildung und treue Ausübung des Berufes in diesem Sinne hat also nichts zu tun mit jener Enge, die wir an dem Philister fürchten. Wer in rechter Weise in seinem Beruf steht, dem wird seine Arbeit zu einem kraftvollen Vorwärtsdrängen, Suchen von neuen Wegen, zu einem starken Gerechtigkeits- und Wahrhaftigkeitssinn, den Verhältnissen und Sitten des Berufes, anderen und sich selbst gegenüber. Dies Vorwärtsdrängen und Suchen und Arbeiten ist erst wahrhaftiges Leben, das Ringen mit den umgebenden alten Gestaltungen des Lebens und den umgebenden Menschen gibt erst das rechte klare Gefühl für das Wesen und die innere Art menschlichen Lebens.

Es bedeutet der bestimmte Beruf weiter ein Einbohren des Menschen in die gegebene verwickelte Welt menschlicher Gemeinschaft. Wer diese genial von allen Seiten auf einmal umfassen will, der erfaßt sie nie. Er will die Erde mit seinen kurzen Menschenarmen umspannen. Auf dem schlichten Weg des Berufes mit klarem Blick den Dingen auf den Grund gehen, ist ein ganz anderer, ehrlicher Weg. Jene gibt ein Erkennen gleich der alten äußerlich-naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise, die zählte, wieviel Staubgefäße und Blütenblätter eine Pflanze hat, nie aber mit ihren Lebensbedingungen, ihrem Verhältnis zur Umgebung, ihren Zellen und deren Tätigkeit, ihrer Gesamtstruktur sich beschäftigte. Das menschliche Gemeinschaftsleben als einen einheitlichen lebendigen Organismus kann nur der wirklich erfassen, der an einem Punkte die Tätigkeit der Zellen und den inneren Bau sehen, noch besser, miterleben konnte, hier kann man nicht einfach aus Büchern und Reden lernen, was andere von der Welt hielten, und nun meinen, damit hätte man sie ganz und gar erfaßt, und diese Weisheit weiterverzapfen, vielleicht neu ausgeputzt. Man stößt sich ja beständig an den Verhältnissen. Und gerade im Kampf um unsere Überzeugung von der rechten Weiterentwicklung der Gemeinschaft und in der Arbeit an dieser Weiterentwicklung erleben wir am meisten die innere und äußere Art der Gemeinschaft, in die wir hineingeboren sind. Wir reiben uns an ihren Rauheiten, straucheln an ihren Steinen, werden gedrückt von ihrer Enge und demütig vor ihrer Größe, sind manchmal traurig, darin arbeiten zu müssen ohne Erfolg, und sind wieder froh, daß alles so viel größer ist als unsere Arbeit und wir doch ein, wenn auch kleines, so doch unentbehrlich mitarbeitendes Rädchen sind. Wir werden innerlich stille und in der inneren Ruhe starke Menschen mitten im Getriebe menschlicher Arbeit, schauen mit stillen, klaren Augen hinein, bis der Augenblick an uns kommt, daß wir hineingreifen, fördern oder hemmen müssen, und dann tun wir es mit fester, geschickter Hand, weil wir das Wesen dieser gewaltigen Maschine erlebt haben in unserer eigenen Erfahrung. Und haben wir uns so in einen Punkt eingebohrt, dann stehen wir wie in einem Mittelpunkt. Wir empfinden, wie wunderbar einheitlich das ganze menschliche Gemeinschaftsleben organisiert ist. Jedes Gebiet scheint uns von dem einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt aus verständlich und belebt. Wer für ein Gebiet vor allem einmal die treibenden Kräfte, die Art menschlichen Lebens und Verhaltens, die Art des Weiterschaffens und die notwendigen Lebensbedürfnisse der Weiterentwicklung erkannt hat, der hat für die anderen Gebiete das Wesentliche, klaren Blick für das Mögliche und Unmögliche, erworben und kann viel leichter fortschreiten und das Menschheitsleben ganz erfassen als der, der immer nur von außen in die Sachen hineinschaut.

So ergibt jede ernste Berufsarbeit eine tiefe, starke Bildung, die vor aller Bücherbildung das lebendige Gefühl für die Wahrheit des Lebens voraus hat. Wieviel törichter Pessimismus ereifert sich über die Schlechtigkeit der Menschen. Er hat ihre Art und Kraft nie in einem solchen lebendigen Kampfe erprobt. Ebenso aber schwindet in diesem Kampfe jener ebenfalls törichte Optimismus, der Mensch und Welt ohne unsere Arbeit für gut hält und unter den Enttäuschungen so leicht zum Pessimismus wird. Wir erfahren, daß unsere Arbeit erst alles wahr und gut machen soll, und fühlen, daß wir nur so einen wirklichen Lebenszweck haben. Wer seinen Beruf so kennt und von seinem Berufe aus das Menschenleben – ob dessen Beruf wirklich noch eng ist?

Gibt uns der Beruf den Blick für das wahre Wesen von Welt und Mensch, so brauchen wir umgekehrt die Kenntnis von Welt und Mensch, um die ganzen weiten Zusammenhänge zu überschauen, in denen dieser Beruf steht. Wir müssen sehen lernen, wie die wirtschaftlichen Bedingungen der Menschen sich ändern, damit wir unseren Beruf diesen neuen Bedingungen anpassen, ihn unter den neuen Verhältnissen segensreich erfüllen können. Wir müssen beobachten, wie die Anschauungen des Menschen von sich, seiner Stellung zu den anderen sich ändern, damit wir nicht in unserem Berufe die Menschen behandeln und schätzen, wie das vor hundert Jahren möglich war, heute nur Erbitterung erregt und damit uns die Ausübung unseres Berufes erschwert. Wir müssen die politischen Verhältnisse überschauen, die geradeso wie die wirtschaftlichen unser Leben umspannen und beeinflussen.

Mit Recht verlangt man darum in Deutschland gründliche wissenschaftliche Ausbildung als Vorbereitung für den, der den Beruf eines Beamten ergreifen will. Dies soll ihm ermöglichen, in dem verwickelten Getriebe menschlicher Gemeinschaft, das er mit lenken soll, auf den Grund zu sehen. Darum muß er sie zu erwerben aber auch mit allem Ernst streben. War er hier nicht eifrig, so bleibt ihm jede tiefere Einsicht überhaupt verschlossen. Er kann wohl das alte Getriebe weiterführen, jede Neuerung aber bringt ihn aus dem Konzept. Er sieht weder ihre Notwendigkeit noch die Möglichkeit der Durchführung, weil ihm seine eigentliche Aufgabe und ihre letzten Bedingungen verschlossen sind. Was von den Beamten, gilt aber auch von allen anderen führenden Berufen. Wer seine Persönlichkeit zu einer starken, freiwirkenden Kraft auf irgendeinem Gebiete des Lebens machen will, der muß sich die wissenschaftliche Schulung erwerben, die den Blick für die wahren Tatsachen durch die Oberfläche der Dinge und durch den Schein hindurch gibt. Es hängt sicher mit der Verbreitung gründlicher wissenschaftlicher Bildung bei uns zusammen, daß Deutschland sich aus seiner jammervollen Lage wieder an eine der ersten Stellen im Völkerleben emporarbeiten konnte. Auch der Aufschwung in Handel und Industrie ist mit dadurch bedingt, daß in Deutschland viel mehr wissenschaftliche Schulung auf diesen Gebieten mitarbeitet als anderswo. Freilich: nicht für jedes Lebensgebiet geschieht das durch Schulen oder Hochschulen. Für viele Gebiete muß man sich die Lehrer suchen.

Die dazu gehörende Schärfung des Willens ist natürlich nicht mit oberflächlicher Beschäftigung zu erreichen. Halbes, auswendig gelerntes Wissen ist ein Vorhang, der uns die wahre Wirklichkeit verdeckt. Es läßt die vielen Menschen entstehen, die in der Wissenschaft wie in einem Nebellande wohnen und den Tatsachen gegenüber versagen. Gründliches Durchdringen aber auch nur eines Gebietes gibt jenen Blick in die Zusammenhänge der Dinge, der im praktischen Leben vorwärts führt. Aber ein Verrat an sich und an seinem Volke ist es, eine leitende Stellung zu begehren, ohne die für sie unentbehrliche wissenschaftliche Schulung zu besitzen. Jeder begeht den, der sich sein Examen durch Schwindel ermöglicht oder nur durch oberflächlichen Firnis, statt durch gediegene Arbeit. Denn er steht dann in seinem Berufe ohne Verständnis und muß doch beständig Verständnis heucheln. Das macht die hohlen Charaktere. Er ist statt ein Förderer eine Last auf seinem Gebiete, die von den wirklich Sachverständigen noch mitgeschleppt werden muß.

Solche vertiefte Schulung ist heute auf jedem Gebiete des Lebens notwendig. Jedes ist so unübersehbar geworden, daß klarer Blick bis auf den Grund nur dem möglich ist, der die Erfahrung anderer sich zu eigen macht, am Blicke anderer seinen Blick schärft. Das gilt für den Beamten wie für den Kaufmann und Unternehmer, für den Bauer und Handwerker. Der Handwerker oder Bauer, der heute noch wie sein Vater und Großvater arbeitet, ist dem Untergange geweiht. Maschine und Kunsthandwerk haben die Aufgaben des Handwerkers, künstliche Düngung und aufkommende Viehwirtschaft die des Bauern, die Veränderung der sozialen Verhältnisse die Arbeiterverhältnisse beider gründlich geändert. Das zu erkennen, sich dem anpassen zu können, bedarf es einer gewissen allgemeinen Bildung. Bei den Unternehmern fehlt heute noch vielfach die Schulung für die wichtige Frage ihres Verhältnisses zu ihren Arbeitskräften. Sie denken nicht daran, daß es hier schon gesammelte und verarbeitete Erfahrung gibt, die ihnen manchen neuen Blick eröffnen würde.

So führt uns also der Beruf selbst schon auf doppeltem Wege über sich hinaus: was wir in ihm erfahren, hilft uns Welt und Menschen verstehen; um ihn recht erfüllen zu können, müssen wir Welt und Menschen kennen. So ergänzen sich Leben und Wissen, Schaffen und Schauen – unnütz zu streiten, was für die Ausbildung der Persönlichkeit wertvoller sei! Die Gaben sind verschieden verteilt: wenn das Genie den klaren Blick in die Zusammenhänge der Dinge verbindet mit der Willenskraft, der Erkenntnis entsprechend den Widerständen in sich und in der Umwelt zum Trotz zu handeln, wird unter den anderen Menschen der eine mehr der Erweiterung dieser, der andere der Stärkung jener in der Schule der Wissenschaft oder des Lebens bedürfen.

So stellt der Beruf gleichsam den Brennpunkt dar, in dem es gilt, was man draußen gesehen und gelernt hat, zu sammeln und nach Maßgabe der eigenen Kräfte das empfangene Licht auszustrahlen, so erscheint er als Betätigung des Triebes, etwas zu leisten nach der Eigenart des eigenen Wesens für das Innenleben der Gemeinschaft. Dies Bewußtsein macht den Menschen zum kraftvollen, stetig wachsenden Organismus inneren, schaffenden Lebens, es läßt ihn wachsen an Wahrhaftigkeit, innerer Kraft und Reichtum, während das äußerliche Tun ihn verzehrt. Wer wirklich für das Innenleben arbeitet, den bereichert seine Arbeit, wer um des Äußeren willen allein arbeitet, der wird leer. In diesem Sinne kann jeder Beruf geübt werden, mag die Art, in der man dem Innenleben dient, in jedem eine andere sein. Die einen helfen ihm in seiner Gemeinschaft zur Herrschaft über die rohen Kräfte der Natur, bauen also an der Grundlage, über der es sich immer fester, gewaltiger und ausgedehnter erhebt. Die anderen schaffen den Verkehr über immer weitere Gruppen menschlichen Lebens hin, daß sie alle immer mehr zur Einheit in Leben und Lebensäußerungen, in gemeinsamer Bezwingung der Natur verschmelzen, die anderen bilden am Innenleben selbst, erschließen seinem beherrschenden Blick in der Wissenschaft, seiner gestaltenden Kraft in Kunst und Leben immer neue Gebiete, suchen die Gemeinschaft mehr und mehr zur wahrhaftigen Stätte dieses Höchsten zu machen.


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