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Schaffen und Schauen

»Ihr werdet das Weltreich der deutschen Macht für Jahrhunderte gründen. Aber was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Was hülfe uns das Weltreich der deutschen Macht, wenn es das Weltreich des deutschen Geistes minderte? Geht ihr als die Kämpfer unseres Geistes, wie ihr die Kämpfer unseres Schwertes seid. An euren Lagerfeuern werdet ihr euch die Verse des Faust wiederholen, die großen Gestalten Schillers werden euch an den reinsten Adel der deutschen Männlichkeit erinnern, der, ein ewiges Vorbild und der größte Lehrer unseres Volkes, auch euch an seinen reinen Händen führt«, so ist der deutschen Jugend zu Beginn des Weltkrieges zugerufen worden.

Haben die Freiheitskriege und die großen Kriege des neunzehnten Jahrhunderts das Reich deutschen Geistes, das Lessing und Herder, Goethe und Schiller, Fichte und Schleiermacher, Humboldt und Kleist geschaffen, fest auf der Erde gegründet, so sind wir uns in dem Augenblick des Ausbruchs des jetzigen Krieges bewußt geworden, daß wir in ihm Schulter an Schulter mit dem stammverwandten Österreich um den Fortbestand ebendieses Reiches deutschen Geistes kämpfen gegen französische Überkultur, gegen russische Barbarei und gegen englischen Krämergeist.

Und so darf jetzt mitten im Weltkriege dieser Band aufs neue hinausgehen, der die deutsche Auffassung von Sein und Werden des Menschen, seiner Stellung und seinen Aufgaben in der Welt zusammenfassen soll.

In ungeahnter herrlicher Weise hat die Erhebung des deutschen Volkes gezeigt, daß der alte Geist, der Geist, der die Väter vor hundert Jahren geleitet, noch in ihm lebendig ist, mochte er dem sorgenden Beobachter in den letzten Jahren überwuchert scheinen von wenig erfreulichen Strömungen veräußerlichter und veräußerlichender Scheinkultur.

Nun aber gilt es, das Neugewonnene festzuhalten, auszubauen das Weltreich echten deutschen Geistes, daß wahr werde das Dichterwort:

»Und es soll an deutschem Wesen einmal noch die Welt genesen!« Denn nur dann werden wir, mag der äußere Ausgang des Krieges sein, welcher er wolle, die deutscher Auffassung entsprechende Stellung in der Welt einnehmen, die vor allem die Pflichten einer jeden kennt. Dazu will dies Buch auch in diesem Teile mithelfen, und es darf hoffen, so auch in Zukunft mit ihm die vaterländische Aufgabe zu erfüllen, der es bisher unter immer wachsender Teilnahme unserer deutschen Jugend gedient.

Wenn es den einzelnen in die Lebensbedingungen unseres Volkes einführt, nachweist, wie sein Leben mit ihnen aufs engste verknüpft ist, aufzeigt, wie er innerhalb dieser zugleich zum Wohle des Ganzen und zum eigenen Besten wirken kann, ihn seine Lebensaufgabe mit dem vollen Gefühl der Selbstverantwortung sich stellen und sie durchführen lehrt, Verständnis in ihm weckt für all das reiche Leben um ihn in Vergangenheit und Gegenwart und das Bedürfnis an ihm teilzuhaben, soweit es dem einzelnen nur möglich – dann hofft es so zugleich am besten auch dem großen Ganzen, dem Vaterland zu dienen.

Darum spricht es einmal »Von deutscher Art und Arbeit« und zum anderen von »Des Menschen Sein und Werden«.

Wie unser deutsches Volk und mit ihm jeder einzelne von der Gestaltung unseres Landes abhängig ist, wie die besondere Anlage unseres Volkes sich auswirkt, wie unser Deutsches Reich geworden und welches heute seine Stellung unter den Völkern ist, das wird oder sollte doch der ins Leben Hinaustretende sich fragen. Und da er in der oder jener Form am Wirtschaftsleben teilnehmen muß, so wird er weiter über die Grundlagen unserer Volkswirtschaft sich unterrichten wollen, über ihre heutige Gestaltung und über die Entwicklung und Bedeutung der wichtigsten für sie maßgebenden Betätigungsarten. Und er wird weiter die ordnende Macht des Staates verstehen lernen wollen nach ihrer geschichtlichen Begründung und nach den Bedingungen ihrer immer weiteren Ausdehnung, von Gebieten, die er seit alters und unumstritten pflegt, zu solchen, die, je mehr sie das Wohl und Wehe der einzelnen berühren, um so mehr den Widerstreit der Meinungen hervorrufen. Er wird aber auch nach einer Einführung in die Bestrebungen, mit denen der Staatsbürger seinerseits an der Ausgestaltung des nationalen Lebens teilnehmen will und soll, verlangen. Endlich aber wird er selbst nach Maßgabe seiner Neigungen und seiner Kräfte an einer Stelle Hand anlegen wollen an den großen Bau der deutschen Arbeit, wird einen Beruf sich wählen wollen – und da soll ihm wieder das Buch nicht sowohl dessen äußere Seiten vorführen als versuchen, ihn in sein inneres Wesen einen Einblick tun zu lassen, um seine Wahl so zu lenken, daß er in seiner Lebensarbeit innerliche Befriedigung finden kann.

Doch wir sind nicht nur Deutsche, wir stehen zugleich in der großen Entwicklungsreihe, die die Menschheit von Jahrtausenden her Glied an Glied reihend in unbestimmte Zeiten weiterführend zu einer innerlichen Einheit verbindet. Gerade deutsche Art ist es, sich dieses Zusammenhanges bewußt zu sein – es gibt, Gott sei Dank, kein deutsches Wort für Chauvinismus, und es soll uns immer fremd bleiben der Pharisäerstolz des Engländers. Darum verlangen wir nicht nur zu wissen, welches die Stellung des Menschen in der Natur sei, wie unser eigenes leibliches Wesen beschaffen, nach welchen Gesetzen das, was uns erst zu Menschen erhebt, unser Geistesleben, sich vollzieht, sondern wir sollen uns auch als Glied der großen Menschheit, insbesondere als der Kultureinheit zugehörig bewußt werden, zu deren Bau die Griechen einst in wunderbarer Genialität den Grund gelegt und zu dem ununterbrochen bis zum heutigen Tage die Völker Stein auf Stein gefügt – wenn wir auch zugleich stolz sind auf das, was deutsches Schaffen dazu beigetragen. Wir sollen wissen, auch wenn wir nicht selbsttätig an ihrem Ausbau teilnehmen, was des Menschen Geist in Natur und Menschenleben erforscht hat, und was er noch zu ergründen hoffen darf. Wir wollen all die Einzelergebnisse menschlichen Forschens zusammenknüpfen zu einem umfassenden Weltbild, wie es uns die Philosophie entwirft. Aber nicht nur mit dem Verstande wollen wir unsere Umwelt erfassen, sondern auch mit unserem Gefühl sie umfangen. Wir wollen durch die Religion uns den letzten Sinn des Daseins deuten lassen, und wir wollen an all den Schöpfungen der Kunst teilnehmen, mit denen von alters bis zum heutigen Tage die Menschheit versucht hat, in Natur und Leben nachschaffend einzudringen. Und wenn wir so alle Gebiete des menschlichen Lebens durchwandert, dann legen wir uns mit doppeltem Ernst die Frage vor: was bin ich, was kann und soll ich selbst in dieser Welt tun und leisten? – suchen wir Zielpunkte für unsere Lebensführung zu gewinnen.

Solchen Überblick und Einblick gewährend aber hofft das Buch auch noch ein anderes zu leisten. Die Lebensgestaltungen sind heute so ausgedehnt und verzweigt, daß es dem einzelnen unmöglich ist, mit allen Gebieten sich eingehend zu befassen. So soll ihn das Buch namentlich auch vor Einseitigkeit und vorschnellem Urteilen bewahren, ihm zeigen, daß es noch andere Lebensgebiete und andere Betrachtungsweisen gibt als die ihm naheliegenden, so soll es der Verständigung dienen zwischen den verschieden veranlagten und gerichteten Menschen, die heute leider so oft noch fehlt.

Kann das einzelne Menschenleben – wie ein Geschichtsforscher unserer Zeit es ausgesprochen – wohl »als nichts denn ein kleiner Punkt erscheinen, ein Schnittpunkt, in dem unzählige Fäden sich kreuzend zusammenlaufen, die dem Punkt seine Gestalt, seine Bedeutung geben«, so muß die Aufgabe eines jeden Menschen sein, sich all dieser Fäden bewußt zu werden, die die Stelle, an der er steht, mit der Umwelt verbinden und seine Lage in ihr bedingen. Dazu will das Buch helfen, in diesem Sinne sich der deutschen Jugend anbieten als ein Führer ins Leben.

Daß der so das Lebensziel sich Steckende der Gemeinsamkeit mit den Besten unseres Volkes sich bewußt werde, daß er in ihnen die sichersten Führer auch für die praktische Lebensgestaltung im wahren Sinne erkennen lerne, darauf soll die Auswahl der Worte am Eingang und am Schluß der Bände hinweisen, deren Absicht sich darin erschöpft, nicht irgendwie den Anspruch erhebt, nun das Beste aus dem ganzen reichen Schatz zu bieten.

»Schaffen und Schauen« – es bildet den Inhalt menschlicher Lebensarbeit und menschlicher Lebensfreude. Um das empfinden zu können, bedarf es aber zweier Dinge: offener Augen und offenen Herzens. Man muß sehen können, wo und wie es anzupacken gilt, wo und wie »von dem goldenen Überfluß der Welt« zu trinken ist. Und eben dazu möchte dieses Buch helfen. Solch verständnisvolle Anteilnahme zu erwecken an dem Schaffen und Schauen unserer Zeit, dessen Gebiete sich immer weiter ausdehnen, dessen Getriebe immer verwickelter sich gestaltet, wäre aber eine möglichst erschöpfende Darstellung der äußeren Verhältnisse nicht geeignet, selbst wenn sie ausreichend und fruchtbar aus übersehbarem Raume zu geben möglich wäre. Verständnis erwecken kann nur eine Betrachtungsweise, die in das innere Wesen der Dinge hineinzuführen, vor allem dessen geschichtliches Werden und geschichtliches Bedingtsein aufzuweisen sucht. Darum gibt unser Buch z. B. nicht etwa eine Darstellung unserer weitverzweigten Industrie, sondern es sucht darzutun, unter welchen Verhältnissen sie sich entwickelt, wie sie umgestaltend das Leben unseres Volkes wie das des einzelnen beeinflußt hat. Darum wird nicht etwa ein Überblick über unser vielgestaltiges Heerwesen gegeben, sondern es werden die Kräfte aufzuzeigen versucht, auf denen sein stolzer Bau gegründet ist – und so fort auf allen Gebieten. Zwar sind der Durchführung auch dieser Betrachtungsweise äußere Grenzen gesetzt – die Darstellung würde ja sonst wieder unübersichtlich werden. Aber es kann und soll versucht werden, die Wege zu zeigen zu solcher Betrachtungs- und Denkweise; und gerade dann würde die Darstellung ihren Zweck erreicht haben, wenn sie den einzelnen auf dem Gebiete, dem er nähere Teilnahme schenkt, über das hinauszukommen anregen und befähigen würde, was ihm hier unmittelbar geboten wird. Dazu sollen auch die Literaturangaben, die wieder auf Vollständigkeit durchaus keinen Anspruch machen, anzuleiten suchen.

Die Aufnahme, die das Buch gefunden, hat in erfreulicher Weise die Berechtigung des mit ihm Erstrebten bestätigt. Sie darf dankbar als Anerkennung des Gewollten verzeichnet werden, und sie mußte und wird auch ferner als Ansporn dienen, an dem Ausbau des Buches weiterzuarbeiten. Männer des öffentlichen Lebens und der Schule, Zeitungen und Zeitschriften der verschiedensten politischen Richtungen und mit den mannigfachsten kulturellen Zielen haben sich im wesentlichen zustimmend zu dem Buche geäußert. Vor allem aber darf aus der baldigen Notwendigkeit, wie der zweiten, so nun schon der dritten Auflage wohl gefolgert werden, daß es die Bedürfnisse wenigstens zum guten Teil erfüllt, denen es dienen will, daß es unserer ernsthaft gerichteten Jugend wirklich zu einem Führer ins Leben geworden, dem sich anzuvertrauen gern der Ältere dem Jüngeren aus eigener Erfahrung rät. Es wird aber auch bei der neuen Herausgabe des Buches die dringende Bitte wiederholt um die Mitwirkung aller, die Teilnahme hegen für die Aufgabe, die es sich gestellt hat, wie vor allem seiner Leser, zu weiterem Ausbau. Hierzu sind Urteile über das Buch als Ganzes, über Anlage und Inhalt ebenso erwünscht wie der Hinweis auf Lücken und Mängel im einzelnen. Was davon in immerhin erfreulicher Fülle bisher eingegangen war, ist auch bei der neuen Auflage sorgfältig erwogen und nach Möglichkeit berücksichtigt worden.

Und so darf das Buch denn hoffen, in erhöhtem Maße, wenn auch gewiß noch nicht in vollkommener Form, die Aufgabe zu erfüllen, die es sich gestellt: den heranwachsenden jungen Deutschen dazu anzuleiten, die Fragen aufzuwerfen, die für ihn, für jeden einzelnen in Zukunft noch mehr als bisher Lebensfragen sein müssen, die ersten Hinweise für ihre Beantwortung darzubieten, dem einzelnen Einsicht in die Grundlagen des Schaffens, in die Möglichkeiten des Schauens und damit die Freude an beiden zu geben und so mitzubilden an der Zukunft unseres Volkes, an dem Heranwachsen einer schauensdurstigen, schaffensfreudigen Jugend!

Für die Anlage des Ganzen ist der unterzeichnete Herausgeber verantwortlich, ebenso im wesentlichen für die Literaturangaben und für die Auswahl der den Bänden voran- und nachgestellten Worte aus »Denkern und Dichtern«, zu denen aber Verfasser und Freunde des Buches Beiträge geliefert haben. Über Absicht und Anlage beider, insbesondere ihre Unvollständigkeit ist oben gesprochen.

Leipzig, am 1. Dezember 1915.
Dr. Alfred Giesecke-Teubner.


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