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Jizchok Lejb Perez: Elend

Sender war schon sechsmal verheiratet und will nun zum siebenten Mal heiraten!

An sein erstes Weib kann er sich kaum erinnern. Sein Vater, Reb Pessachjo, seligen Andenkens, gab ihm eines Tages eine Uhr; dann zog man ihm einen Pelz an und setzte ihm ein Streimel auf; und dann aß er die »Goldene Suppe«. Er kann sich nicht mehr erinnern, wie die Braut ausgesehen hat. Wenn er sie sich vorzustellen versucht, so sieht er ein Kleid mit silbernen Streifen, ein Stirntuch und ein Paar Ohrringe, doch kein Gesicht. Sie hat aber doch sicher auch ein Gesicht gehabt!

Dafür erinnert er sich, daß zwei oder höchstens drei Wochen vor seiner Hochzeit seine Barmizwe war. Damals nahm ihm sein Vater, ein Belzer Chussid, vor der ganzen Gemeinde das feierliche Versprechen ab, daß er im Hause des Schwiegervaters keine fremden Gebräuche annimmt, daß er nicht die Wege des Schwiegervaters geht und kein Kozker Chussid wird; daß er niemals die Stunde des Morgengebets verpaßt und jedes Jahr nach Belz fährt.

Der Stadt-Row, der auch ein Belzer war, kniff ihn nach seiner Barmizwe-Rede anerkennend in die Backe und sagte ihm, daß die Thora allein den Menschen vor der Hölle nicht bewahren könne; und er führte ihm den Fall des Wilnaer Gaons an, der ja ein großer Gelehrter gewesen sei, aber im Jenseits auf einer wenig ehrenvollen Stufe stünde! Er sitze im Vorraum des Paradieses und studiere den Talmud, während ganz einfache Menschen, die kaum Hebräisch zu lesen verstehen, über ihn hinüberspringen und direkt ins Paradies kommen. Denn das Wichtigste, sagte der Row, ist Glaube und Andacht; Glaube an Gott und Glaube an den Mann, welcher ...

An welchen Mann – das hatte er schon vergessen; doch der Schluß der Ermahnung war, daß es besser sei, Trejfes und Aas zu essen, als zum Kozker Rebben zu fahren; besser, ein Hund sein, als dem Herrn, gelobt sei sein Name, und dem Belzer Rebben zum Trotz, die Stunde des Morgengebets zu verpassen; und so weiter.

Und bald nach der Hochzeit begann für ihn die Hölle! Er wäre beinahe vor Hunger gestorben. Er war mit seinem Morgengebet schon um acht Uhr fertig, und die Leute setzten sich erst um zwei Uhr nachts essen, wenn er schon längst auf irgendeiner Bank lag und schnarchte ...

Er fing an, sich Essen zu stehlen; manchmal trank er mit Hilfe eines Strohhalmes die Milch aus, manchmal fischte er ein Stück Fleisch aus dem Topfe heraus, oder er stahl auch Geld und kaufte sich dafür sein Essen.

Der Schwiegervater traktierte ihn mit Ohrfeigen, die Schwiegermutter bedrohte ihn mit dem Schürhaken, mit dem Besen und mit jedem Ding, das ihr gerade in die Hand fiel. Und eines Nachts faßte er einen Entschluß und lief davon ... Man fing ihn aber wieder ein.

»Du Goj!« schrie ihn der Schwiegervater an: »Wer entläuft, wenn sein Weib in Kindsnöten liegt?!«

Er traute seinen Ohren nicht! Wie war das geschehen?

Am dritten Tage starb das Weib, nebbich, im Kindbett. Es tat ihm sehr weh. Doch bevor er noch Zeit hatte, sich ordentlich auszuweinen, riß ihm sein Schwiegervater die Mütze vom Kopf, zog ihm den Kaftan aus, nahm ihm die Uhr ab und warf ihn zur Tür hinaus, so daß ihm beinahe die Zähne herausflogen.

Er kann sich nicht mehr erinnern, wie er damals nach Hause gekommen war. Jedenfalls hatten ihm die Belzer Chassidim geholfen. Damals war er vierzehn Jahre alt, und bis sechzehn blieb er zu Hause. Während dieser zwei Jahre hatte sein Vater sein Geschäft – er war Getreidemakler – ganz vernachlässigt und führte vor allerlei Rabbinergerichten Prozesse mit seinem gewesenen Mechutten. Die Mutter, die irgendeine Stelle hatte, mußte damals die ganze Familie ernähren. Der Vater wollte dem »Kozker Schwein« alle Borsten herausreißen! Er nahm bei der Mutter immerfort Geld für die Verhandlungskosten. Und er kam immer wütend nach Hause und gab Sender jedesmal vierzehn Ohrfeigen:

»So ein Aas wie du läßt sich hinauswerfen!« Und als die Mutter sich auch noch hineinmischte, war es gar nicht mehr zum Aushalten. Und Sender dankte Gott, als er wieder unter der Chuppe stand. Bevor noch die Braut erschienen war, betete er zu Gott, daß die Sache diesmal gut ablaufen möchte. Er wußte, daß sein neuer Schwiegervater ein Belzer war: also brauchte er nicht mehr Hunger zu leiden und aus den Töpfen zu stehlen. »Herr der Welt, daß sie mir nur nicht im Kindbett stirbt! Soll sie schon lieber unfruchtbar sein!«

Er weiß, daß, wenn seine erste Frau nicht gestorben wäre, er in jedem Falle die zwei Jahre »Köst« ausgehalten hätte. Und danach hätte er bei seinem Vater Köst gegessen. Alle Wunden wären verheilt ... Und er wäre nicht nackt und bloß im Winterfrost nach Hause gekommen ...

Als er sich an diesen Frost erinnerte, begann er unter der Chuppe innerlich zu weinen. Er merkte gar nicht, wie man ihn mit Schnee bewarf und mit Nadeln stach, er hörte nicht, wie die Musikanten spielten und wie der Chasen sang und sah nicht, wie man die Braut siebenmal um ihn herumführte ... Und als man ihm die Trauungsformel vorsprach, rief er in seinem Innersten aus:

»Herr der Welt! Lieber schon eine Unfruchtbare ...«

Daß er sich das wünschte, wurde zu seinem Unglück.

Sie war sogar, wie er später erzählte, ein nettes Weibchen, ein gutes Weibchen ... Tüchtig und gut ... Und hing an ihm sehr. Sie war eine lustige Person, ließ niemals den Kopf hängen und schmollte niemals. War immer gut aufgelegt, lachte viel und war manchmal so ausgelassen bei Tische, daß der Schwiegervater sogar böse wurde.

»Doch mir«, erzählte er, »mir gefiel sie sehr gut. Es war wirklich Licht in der Stube, wenn sie am Tische saß. Ihr wißt doch selbst: ein gutes Weib ist immer fröhlich. Doch was hat man davon, wenn sie unfruchtbar ist? Vielleicht ließe ich mich von ihr auch gar nicht scheiden. Und warum? Wenn man sich an jemanden hängt, so ist es schwer, sich loszureißen. Und ich hing wirklich fest an ihr; das heißt nicht an ihr – denn eine Frau ist doch nur eine Frau –, aber an ihrer Fröhlichkeit! An ihrem Lächeln, von dem es mir so warm ums Herz war. Aber erstens überschüttete mich meine Mutter mit bitteren Briefen: sie will ein Enkelkind haben! Zum Unglück war ich ihr einziges Kind, und Mutter, seligen Andenkens, konnte schon keine Kinder mehr haben! Es ging ihr also wirklich ums Leben. Jeder Brief war mit Tränen durchtränkt. Und Vater hörte vor Zorn überhaupt zu schreiben auf; er beschwerte sich aber über mich beim Rebben ... Und zuletzt war auch meine Frau ganz verändert; sie verlor ihre Fröhlichkeit, hatte oft rote Augen, und sooft sie mich ansah, seufzte sie tief auf ... Sie fürchtete wohl, daß ich mich von ihr scheiden lasse.

Wir wohnten beim Schwiegervater. Die Mitgift war noch immer bei einem Vertrauensmann hinterlegt und der Schwiegervater fürchtete, sie uns auszahlen zu müssen. Und ich kann es ihm gar nicht verübeln; ohne Kinder reißt ja die Ehe wie ein Faden. Wir lebten also von den Zinsen. Wir aßen alle zusammen; und es war mir gar nicht möglich, mit meiner Frau ohne Zeugen zu sprechen ... Und sie sah mich nur immer an und weinte. Es ging mit ihr, nebbich, von Tag zu Tag abwärts ... Kaum eine Hälfte war von ihr übriggeblieben, und diese übriggebliebene Hälfte war, daß sich Gott erbarme: grün und gelb und eingeschrumpft ... Und doch tat sie mir sehr leid, wirklich, sehr leid ... Das Herz krampfte sich in mir zusammen ...«

Tränen treten ihm in die alten Augen.

»Doch was sollte ich tun?! Der Rebbe hat es beschlossen, und der Schwiegervater hat darauf bestanden (allerdings hat er die ganze Mitgift zurückgenommen!). Mein Vater kam herüber ... Und wir wurden geschieden ...

Ich war damals gegen die dreißig: sieben- oder achtundzwanzig. Und mußte wieder zum Vater zurückkehren ...«

Die Geschäfte gingen damals schlecht, Geld hatte man nicht, und unser Sender wurde Melammed.

Ein Melammed muß aber verheiratet sein.

Sechs Jahre lang war er Melammed, und drei Frauen hat er in dieser Zeit gehabt. Die eine ließ sich von ihm scheiden, und von den beiden anderen ließ er sich scheiden. Die eine war ein ganz unglückliches Geschöpf. Man hatte ihn mit ihr angeführt: man redete ihm ein, sie sei eine Witwe, es stellte sich aber heraus, daß sie schon viermal geschieden war und er ihr fünfter Mann war. Eine Kleinigkeit! Man hatte ihm gesagt, sie habe nur ein Kind, sie brachte aber fünf Kinder mit! Es war noch ein Glück, daß ihr die Kinder meist starben, denn sie hatte von jedem Mann vier oder vielleicht sogar fünf Kinder gehabt.

»Und es war sehr schwer«, erzählte er, »sich von ihr scheiden zu lassen. Denn sie war so blöd, daß man weder mit ihr leben, noch sich von ihr scheiden lassen konnte ...

Ihr könnt mir glauben, ich saß ordentlich im Dreck! Was verlangte ich auch von einer Frau? Irdische Freuden? Ich war ja Melammed und hatte keine Zeit dazu. Doch so ein Klotz wie diese – das war mir schon zuviel. Man mußte sie immer kommandieren. Wenn man ihr sagte: Steh auf! – so stand sie auf; zieh dich an! – zog sie sich an; mache Feuer! Koche dies und das! – tat sie das. Doch von selbst tat sie gar nichts. Wenn ich ihr zu sagen vergaß, was sie tun sollte, so kam sie von selbst niemals darauf. Was glaubt ihr? Ich habe ihretwegen meinen Melammedberuf aufgeben müssen. Denn ich mußte auf den Markt gehen, Essen einkaufen, die Kinder anziehen. Und dazu waren es noch fremde Kinder! So ein Stück Holz von einem Menschen habe ich noch niemals gesehen! Sie hat wohl überhaupt keine Seele gehabt; ich mußte sie sogar daran erinnern, daß sie essen soll! Verflucht sei Veitel, der Schadchen! Er hat mir ja diese Kostbarkeit angehängt. Denn sie hatte im ganzen zweihundert Rubel von den Männern, die sich von ihr hatten scheiden lassen: Ein jeder von ihnen hatte sie wohl bis aufs Hemd ausgezogen! Und auch diesmal war das Geld bei einem Onkel hinterlegt, und dieser gab uns davon kaum dreizehn Prozent Zinsen.

Ich dachte schon, es sei mein Ende. Wenn ich zu ihr sprach, antwortete sie nicht; sie verstand überhaupt nicht, was man sagte! Und dann hatte sie noch eine Eigenschaft: sie konnte ihre eigenen Kinder nicht leiden! Wenn nur eines von ihnen in ihre Nähe kam, so gab es gleich Ohrfeigen, Kniffe, Püffe – das Geschrei ging in den Himmel! ... Einmal warf ich ihr aus Zorn einen Leuchter an den Kopf. Ich bereue es noch heute. Denn was konnte sie dafür? Es wird wohl eine Art Krankheit gewesen sein. Ich war mit ihr bei allen Rebbes, doch keiner hat ihr helfen können.«

Sender hatte sich durch Überlegungen über den natürlichen Gang der Dinge folgende Vorstellung gebildet: Ein Doktor (er sei von einem Rebben wohl unterschieden!) kann einen kranken Fuß heilen; aber wenn der Kranke gar keinen Fuß hat? So hinkt er eben bis an seiner Tage Ende. Ein Rebbe heilt eine kranke Seele; nun hatte man aber vergessen, ihr eine Seele einzublasen. Darum kann ihr kein Rebbe helfen, und sie bleibt bis in den Tod ein Tier.

»Was habe ich alles ausstehen müssen, ehe ich sie los wurde! Viele Rabbiner wollten eine Scheidung gar nicht zulassen. Denn sie hatte nicht so viel Verstand, daß sie in eine Scheidung hätte einwilligen können. Eine schöne Geschichte! Hätte sie Verstand, so lebte sie doch noch mit dem ersten Mann! Und als ich endlich einen Row fand, der die Sache machen wollte, so dauerte es von Pejssach bis Ssukes, bis man ihr beibrachte, was sie zu sagen hatte.

Und es wäre daraus auch nichts geworden, wenn nicht die Frau des Rows. So ein weises Weib ist doch wirklich eine Krone für ihren Mann! Es war ein Vergnügen! Sie stellte sich ihr einfach gegenüber, und sobald meine Frau ja sagen mußte, nickte sie ihr mit ihrem klugen Kopf.«

Dafür haben sich die beiden andern Frauen selbst von ihm scheiden lassen. Der einen mißfiel sein verfilzter Bart. Sie sagte, sie könnte keine verfilzten Bärte leiden.

»Und was soll ich tun, wenn ich schon einen solchen Bart habe? Ich zeige ihr, wie ich jedes ausgefallene Haar in einen Talmudband hineinlege und erkläre ihr, daß der Bart ein heilig Ding ist; daß, wenn ein Jude bei seinem Barte schwört, es ein heiliger Eid ist. Sie sagt aber, daß sie sich vor meinem Bart ekelt, daß sie nichts essen kann und jeden Bissen wieder ausspeien muß!

›Was soll ich also mit dem Bart tun?‹ – frage ich sie.

›Schlage den Kopf an die Wand‹, schreit sie, ›oder gib mir einen Scheidebrief.‹

Ich wollte aber nicht nachgeben. Um nichts in der Welt! An ihr selbst lag mir gar nicht viel ... Aber ich war schon überdrüssig geworden, mich immer wieder scheiden zu lassen und von neuem zu heiraten. Wer hat die Zeit und den Kopf dazu?! Es hat mich genug Mühe gekostet, die paar Schüler zu bekommen, und nun soll ich mich schon wieder scheiden lassen und die Schüler verlieren? Und zu meinem Unglück lag das Städtchen an einem Bach, der keinen Namen hatte; also mußte man wegen jeder Scheidung in eine andere Stadt fahren! Ein schönes Geschäft! Die Familienväter suchen nach einem Vorwand, um mir ihre Kinder wegzunehmen. Sie verlangt aber den Scheidebrief. Ich sage: ›Warte doch ein Jahr oder wenigstens ein Semester ab!‹ Sie will aber nichts hören und schreit: ›Gib einen Scheidebrief!‹

Schließlich antwortete ich ihr nichts mehr darauf. Ich sitze und unterrichte die Kinder, sie stellt sich aber vor die Schüler hin und schreit: ›Einen Scheidebrief! Einen Scheidebrief!‹ Und sie fängt noch an, unsere anderthalb Teller auf den Boden zu werfen.

Es war noch mein Glück, daß sie sich ekelte, mir nahe zu kommen, sonst hätte sie mir sicher den Bart ausgerissen! Sie war ein wildes Tier; eines Fleischers Tochter und Witwe eines Schneiders – also vornehmste Familie!

Mit Mühe setzte ich es bei den Vätern durch, daß ich die Kinder im Bejßmedresch unterrichten durfte. Nun kommt sie aber auch ins Bejßmedresch und schreit an der heiligen Stätte: ›Einen Scheidebrief! Einen Scheidebrief!‹ Und was soll ich dagegen tun?!

Am Sabbat kommt sie in die Betstube, läßt die Thorarollen nicht herausheben und trägt ihre Anklage vor der ganzen Gemeinde vor!

In der zweiten Woche unterrichtete ich schon bei den Kindern im Hause. Die Familienväter hatten es unter sich ausgemacht, daß jede Woche bei einem anderen unterrichtet wurde; sie hatten mit mir schon Mitleid; aus der Betstube wurde sie schon einigemal hinausgeworfen. Nun faßte sie einen neuen Entschluß und hörte auf, Essen zu kochen, Wäsche zu waschen, die Stube zu kehren und sich selbst rein zu halten ... Was glaubt ihr? Sie setzte mir so lange zu, bis ich ihr den Scheidebrief geben mußte!

Und die andere Frau, die von mir Scheidung verlangte, war wiederum eine andere Art Unglücksgeschöpf. Ich habe schon einmal solches Glück mit Weibern! Jeder Mist bleibt an mir hängen! Andere Leute haben in allen Dingen Glück, sogar mit Weibern; nur ich allein, nebbich, habe immer Pech. Was soll ich euch sagen? Die neue war ein solches Geschöpf, wie es in der ganzen Welt kein zweites gibt. Und wieder war es Veitel, der Schadchen! Die Erde soll ihn ausspeien! Einen solchen Frevler hat es in Israel überhaupt noch nicht gegeben! ... ›Was kann ich dafür?‹ sagte er. ›Wenn ich ein Frauenzimmer sehe, so muß ich sie verheiraten. Kann ich denn wissen, was bei ihr im Herzen vorgeht? Wie soll ich ahnen, daß sie solche Geschichten machen wird? Mir gefällt dein Bart!‹ und er stürzte mich wieder ins Unglück: diesmal gab er mir eine Stumme. In den ersten Tagen war ich darüber sogar froh: eine Frau ohne Sprache, auf alle Frommen gesagt! So ein Genuß, wirklich wie Manna und Honig! Man hat ein Weib und bekommt keinen einzigen Fluch zu hören. Das ist doch keine Kleinigkeit! Sie war auch von niedriger Abstammung, aus dem Handwerkerstande, und doch gefiel ich ihr nicht. Was sagt ihr dazu? Sie fing plötzlich an, Schojfer zu blasen: eine solche Stimme hatte sie, die wie ein Schojfer klang. Sie zerriß sich dabei beinahe die Kehle! Was ihr an mir mißfiel, weiß ich auch heute nicht. Doch sie trompetete, kratzte und schlug um sich, bis ich ihr einen Scheidebrief geben mußte... Das war aber schneller gesagt als getan. Aus lauter Bosheit bekam sie einmal einen epileptischen Anfall mitten in der Stube.

Und die nächste starb mir weg. Derselbe Schuft Veitel verkaufte mir ein Gewand aus durchfaultem Stoff: eine Schwindsüchtige! Es war gar kein übles Weib, sie spuckte aber Blut und hatte die Auszehrung ... Weiß ich was ...

Diese machte, nebbich, gar keine Ansprüche. Ein einfaches ehrliches Weib, fromm und anständig, wie ein Weib sein muß; doch die Krankheit fraß sie, nebbich, auf. Ich sage euch ja: ein Gewand aus durchfaultem Stoff! Sie wurde nicht einmal schwanger und entschlief still wie ein Huhn. Ich dachte, ich werde es nicht überleben! Hatte sie mich denn wenig gekostet? Und was habe ich von ihr gehabt? Gar nichts! Ich hab schon so ein Glück! Sie war von Anfang an zu Tode verurteilt. Und gleich in der ersten Trauerwoche kommt schon wieder Veitel, der Schadchen, ausgelöscht sei sein Name.

›Ich hab' gewußt‹, sagt er, ›daß es so kommen wird. Ich hab' mir gedacht‹, sagt er, ›du wirst das Weib nicht behalten, dafür aber eine Erbschaft machen ... Und erst jetzt wirst du richtig heiraten, wie andere Menschen. Fünfzig Taler Erbschaft‹, sagt er, ›sind doch keine Kleinigkeit! Was hast du geglaubt? Ein schönes Weib mit fünfzig Talern, ohne Kinder und ohne Fehler? Womit hast du das verdient? Mit deinen schönen Reden?‹

Im Herzen verfluchte ich ihn. Doch mit der Vernunft mußte ich zugeben, daß er recht hatte. Und dann war ich von diesem Veitel wie behext: ich war zwar Melammed, doch er führte mich in seinen Chejder.

Die Wahrheit zu sagen, hatte ich vor lauter Kummer schon beinahe den Verstand verloren, und Veitel verdrehte mir wieder den Kopf mit einer Erbschaft, mit einer sicheren Erbschaft, diesmal von hundert Talern ... Er hätte mich auch sicher überredet, eine solche Gewalt hatte er schon über mich! Aber zum Glück starb er selbst.«

»Ich bin«, sagte Sender, »schon in den Achtzigern; und doch, wenn sich gerade eine gute Partie machen würde, so hätte ich versucht, wieder zu heiraten. Heute taugt aber alles nichts! Es gibt keine richtigen Frauen mehr und auch keine richtigen Schadchonim. Ihr jungen Leute glaubt wohl, daß es für einen alten Mann gut ist, allein zu sein, so ganz allein wie ein Meilenstein an der Straße ... Hört auf! Und ohne Kinder, ganz allein ... Das wünsche ich keinem Juden und auch keinem Feind ...«

Und sein grauer verfilzter Bart beginnt zu zittern, und auch die braun-blauen Lippen zittern, die Brille läuft an, und er winkt hoffnungslos mit der Hand, als ob er sagen wollte: »Es ist zu spät! ...«


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