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Jizchok Lejb Perez: Wenn man sagt verrückt, glaub ...

Ihr fragt mich wegen Mojsche Josseles? Es handelt sich um eine Partie? Wen hättet ihr denn fragen sollen, wenn nicht mich? Er war doch mein Schulfreund! Gewiß! Ich kannte sogar gut seinen Vater, den Dajen; am Ende seiner Tage war er bei uns Dajen. Natürlich war er, er möchte es mir verzeihen, ein Misnagid, hat aber einen eisernen Kopf gehabt! So einer darf Misnagid sein, denn der Mensch saß direkt beim Faßzapfen!

Über die Kabbalah spottete er sogar, doch ich glaube nicht, daß es sein Ernst war. Der alte Mann wollte wohl uns junge Leute vor der Kabbalah abschrecken!

Allerdings fuhr er niemals zu einem Guten Jiden. Doch er war selbst ein Guter Jid.

Wie er zu lernen pflegte! Ein nasses Handtuch um den Kopf gebunden (er sagte, daß ihm ohne das Handtuch der Kopf zerspringen würde), ein Bein unter dem Sitz... Und unter seinen dichten, bösen Brauen sprühen Funken! Habt ihr noch Zweifel, ob Mojsche Reb Josseles von guter Familie ist? Durch und durch Aristokrat! Doch er selbst ist eigentlich gar kein Mensch. Das Herz tut mir weh, ich muß aber die Wahrheit sagen: es fehlt ihm etwas im Gehirn!

Als Junge hatte auch er einen eisernen Kopf. Am Sonntag konnte er bereits den Talmudabschnitt für die ganze Woche auswendig. Schon am Sonntag!

Aber verrückt! Sein Benehmen, seine Manieren... Hat auch dichte Augen und brennende Augen gehabt, wie sein Vater, er ruhe in Frieden. Doch sein Vater war vernünftig, und er ist verrückt. Als Junge hatte er die Gewohnheit, auf den Himmel zu schauen. Wenn zum Beispiel eine Wolke vorüberzog, sah er gleich einen verstorbenen Onkel in ihr oder einen Hohepriester, einen Ziegenbock... Alles was ihr wollt, sah er in den Wolken! Und war der Himmel klar, so sagte er, daß es der Vorhang ist, den man am Roscheschune vor den Thoraschrein hängt.

Im Winter lag er ganze Tage am Fenster und sah auf den Schnee. Brillanten, sagte er, sieht er im Schnee! Kann man denn überhaupt alles aufzählen, was er sagte? Ich will euch nicht lange aufhalten, doch die Sache war so:

Wir heirateten beide in der gleichen Woche. Ich reiste dann zum Schwiegervater, Köst essen, und er wollte Melammed werden und sah sich nach Schülern um.

Beim Schwiegervater dachte ich natürlich nicht mehr an Mojschele. Im Städtchen gab es damals Streitigkeiten, und ich nahm an ihnen großen Anteil.

Und dann hatte ich meine eigenen Sorgen: Ein Kind war mir, nicht auf euch gedacht, gestorben; und mit der Frau lebte ich nicht gut. Kurz und gut – wir ließen uns scheiden, und man begann mir neue Partien, diesmal von zu Hause, vorzuschlagen.

Ich will ihr die Kinder zurücklassen. Sie will aber nicht. Also gehen wir zum Row. Der Row beschließt, daß sie die Kinder noch drei Jahre behalten muß. Ich reise nach Hause, komme ins Bejßmedresch und treffe Mojschele.

»Wie geht es dir?«

»So...«, sagte er.

»Hast du schon Kinder?«

»Nein«, sagte er.

»Warum?«

»Weiß ich, warum?«

»Und was machst du dagegen?«

»Gar nichts!«

Wie gefällt euch diese Antwort?

»Warst du schon bei einem Guten Jiden?«

»Mein Vater fuhr niemals zu Guten Jiden, also fahre ich auch nicht.«

Habt ihr es gehört? Da sein Vater nicht gefahren ist, will er auch nicht fahren! Wieso? »Ich habe«, sagt er, »ein Vermächtnis vom Vater.« Ich traue meinen Ohren nicht! Wenn es sich um Kinderlosigkeit handelt, fahren doch sogar Christen zum Guten Jiden!

Bei meinem Rebben, leben soll er, sah ich während der Jahre – ich will nicht übertreiben – über zwanzig rasierte Gesichter... Der eine legte vor den Rebben fünfzig silberne Taler hin. Es half ihm zwar so, wie einem Toten Schröpfköpfe helfen! Wie kann man auch einem Menschen helfen, der tief im Götzendienst steckt?! Er hat aber wenigstens sein mögliches getan. Doch Mojschele tut gar nichts. Ich kann noch verstehen, daß irgendein roher Bursche, ein Träger, ein Schuster, nicht fahren will. Doch er, Mojschele? Weiß er denn nicht, daß Gott zuweilen eine Strafe verhängt, nur damit der Zaddik etwas hat, was er abwenden kann? Was wäre es denn sonst für eine Welt, wenn alles streng nach dem Gesetz ginge? Doch geh einer und rede mit ihm!

Inzwischen bekam ich wieder neue Sorgen: ich unterhandelte wegen einer großen Menge Partien von zu Hause, doch es kam so, daß ich wieder in die Fremde heiratete ...

Was glaubt ihr? Man hat mich beschwindelt! Es ist sogar eine Schande, zu sagen, wie man mich beschwindelt hat. Kurz und gut – ich komme nach Hause: mein Mojschele ist schon glücklich ein Witwer. Hier fängt aber eine neue Verrücktheit an: er will nicht wieder heiraten.

Nach dem Gesetz darf man schon in den ersten sieben Trauertagen wegen einer neuen Heirat unterhandeln; Mojschele will aber ein übriges tun und sagt, daß er den ersten Trauermonat abwarten will. Und dann, wie der Monat herum ist, erklärt er, er habe Bedenken, in der Sfirozeit etwas zu beginnen. Und schließlich sagte er, er will ein ganzes Jahr warten. Und wie auch das Jahr um ist – ich habe es kaum erwarten können –, erklärt er plötzlich, daß es keine Eile hat! Wenn einer sieht, daß er ohne Frauen auskommen kann, so soll er doch heiraten, meinetwegen auch ein paar Gulden Mitgift nehmen und dann das Weib verlassen und ein Porusch werden!

Nein! Das will er nicht! Das darf er nicht! Er hat Zeit. Er will es sich noch überlegen!

Was glaubt ihr? Er lebte auch wirklich, nicht auf euch gedacht, einige Jahre wie ein Hund auf der Gasse. Denn was taugt das Leben ohne ein Weib? Ohne etwas Warmes zum Mittag, ohne ein paar Kartoffeln? Er lebte von Hering. Er saß da, unterrichtete die Kinder und aß Hering dazu. Ein schönes Leben?

Seht doch mich an, wie ich aussehe! Und wie lange, glaubt ihr, ist es her, daß mein drittes Weib verschieden ist? Kaum ein halbes Jahr!

Und nun? Wüst und leer ist es bei mir in allen Winkeln, kein sauberes Hemd für den Schabbes, das Geschäft in der Schenke ist ganz hin; kein ganzes Paar Hosen; so ist mein Leben! Doch er? Er sitzt, unterrichtet die Kinder und macht sich nichts draus!

Könnt ihr so ein Leben verstehen? Am Morgen – etwas Brot mit Zwiebel; zu Mittag – ein Stück Hering; zum Abendbrot den Rest des Herings. Er begießt sich die Hände mit einem Blechquart an der Pumpe auf dem Hofe, trocknet sie mit dem Rockschoß ab und ißt nichts als Heringe und Brot. Ihr könnt euch denken, wie er bei diesem Leben aussah: er ging einfach zugrunde! Seine Augen sah man überhaupt nicht mehr; nur zwei schwarze Löcher im Kopfe. Er hielt sich ganz gebückt und hat einen Gang, daß Gott sich erbarme!

Er schwankte herum wie eine Leiche, wie ein Schatten, und verlor ganz den Kopf. Einmal lief er an einem Sabbat mit Talis und Tfillin unter dem Arm ins Bethaus. Der Mensch geht durch die Straße, sieht Streimlach, atlassene Kaftans, geschlossene Geschäfte, und merkt nicht, daß es Sabbat ist!

»Mojschele!« schrie man ihm nach. Er hörte nichts. Und es ist ja Sabbat, man darf keine großen Schritte machen, man darf ihm nicht nachlaufen, aber alle kugeln sich vor Lachen. Schließlich warf ihm ein Schneiderjunge einen Stein nach und traf ihn in die Schulter, so daß er hinfiel...

Es ist doch wunderlich: wenn er die Kinder unterrichtete, war er bei der Sache, wie ein ganz anderer Mensch, nämlich ein Mensch wie alle Menschen: er redete, ereiferte sich, wiederholte mit den Kindern die Lektion – und war dabei doch verrückt! Er war so vertieft, daß er oft vergaß, einem Kind einen Klaps zu geben; seinen Stock hatte er schon längst verloren, und die Kinder hatten es in seinem Chejder wirklich wie im Paradiese.

Man hätte ihm den Chejder aufgelöst, aber er unterrichtete so gut, und die Kinder wußten bei ihm alles ganz ohne Püffe und Schläge! Er hatte schon einmal diese Kraft. Doch sobald er den Talmudband zuklappte, hörte er sofort auf, ein Mensch zu sein. Er vergaß zu essen, zu schlafen und selbst zu beten. Es ist noch ein Glück, daß er die Kinder um sich hatte: sie liebten ihn wie ihr eigen Leben, sie opferten sich für ihn auf, erinnerten ihn an alles und reichten ihm alles.

»Rebbe, wascht Euch!« sagt ihm ein Schüler; und er wäscht sich. »Rebbe, eßt!« Nein, essen will er nicht; er will warten; sagt er; er liebt es nicht, allein zu essen. Wißt ihr vielleicht, auf wen er warten will? Er sitzt so mit einem Heringsschwanz in der Hand, wartet, schaukelt hin und her und blickt immer auf die Tür, als ob der Prophet Elias gleich kommen würde.

Schließlich besinnt er sich, daß der Prophet Elias nur zum Seder zu kommen pflegt. Er fängt zu essen an und weint dabei. »Was weint Ihr, Rebbe?« fragen ihn die Kinder erschrocken, doch er antwortet nicht. Er kehrt das Gesicht zur Wand, und die Kinder hören, wie er weint. Manchmal geht er zum Kleiderschrank, der ihm noch vom Haushalt geblieben ist, macht ihn auf, stellt sich hin und starrt hinein; gleich als ob er ein reicher Mann wäre und sich überlegte, welchen Kaftan er heute anziehen soll: den atlassenen oder den seidenen, den gesteppten oder den nicht gesteppten. Und ich schwöre euch: im Schrank hing gar nichts außer einigen Kleidern, die ihm von der Frau geblieben waren und die kein Mensch ihm abkaufen wollte!

Die Leute im Städtchen waren alle mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt und kümmerten sich nicht um ihn. Doch ich hatte mit ihm Mitleid; zufällig wurde ich damals zum ersten Male Witwer.

Ich habe euch schon gesagt, daß man mich mit meiner zweiten Frau beschwindelt hat; furchtbar war ich hereingefallen! Sie war immer krank und krank, bis sie schließlich, nicht auf euch gedacht, starb. Also mußte ich mich nach einer neuen Frau umsehen. Denn ich hatte Kinder, und zwar, wie man sagt, »meine, deine und unsere« Kinder. Was kann ein Mann mit Kindern anfangen? Soll ich sie stillen? Schlafen legen? Waschen und füttern? Es war mir also wirklich bitter wie Galle, und für Mojschele hatte ich keine Zeit. Doch ich bin, gottlob, kein Schlemiel und heiratete zum dritten Male; nämlich die Frau, die mir erst vor einem halben Jahr – nicht auf euch gedacht und auf keinen Juden gedacht – gestorben ist. Sie war eine tüchtige Frau, für meine Schenke wie geschaffen, und hat auch keine Kinder gekriegt.

Was tut aber Gott? Sie erkältet sich mitten im Sommer, im Tammus! In der Mikwe erkältet sie sich. Sie kriegt eine Lungenentzündung, die Krankheit kostet mich einen Haufen Geld, und schließlich stirbt sie mir weg! Ja, wo bin ich stehengeblieben? Richtig: ich heiratete also die dritte Frau, und sobald sie die Schenke übernommen hatte und ich sah, daß ich mich auf sie verlassen konnte, machte ich mich daran, Mojschele zu versorgen.

»Du mußt heiraten«, sagte ich ihm, »und wenn es auch dein Tod ist, aber heiraten mußt du!«

Er hört mich wie den Row! So, denke ich mir, warte nur! Ich besprach die Sache mit den Familienvätern, und man nahm ihm an einem Tag alle Kinder weg. Denn es heißt ein für allemal: ein Melammed muß verheiratet sein. Doch mein Mojschele sagte nichts. Also keine Schüler mehr – gut!

Nun spaziert er vor der Stadt, liegt auf der Wiese am Fluß und kümmert sich um nichts. Hat er Hunger, so kommt er in die Stadt, bekommt irgendwo ein Stück Brot, wäscht sich die Hände, ißt und benscht und geht wieder fort. Ich denke mir schon, daß die Sache hoffnungslos ist. Doch am dritten Tag kommt Mojschele plötzlich ins Bejßmedresch. Er erklärt, daß er heiraten will. Glaubt ihr vielleicht, daß er zur Vernunft gekommen ist? Daß er eingesehen hat, daß ein Mensch ohne ein Weib gar nichts wert ist? Gott behüte! Er bangte nur nach den Kindern. Ohne die Kinder konnte er es nicht aushalten!

Nun, so oder so, aber er will heiraten. Und er verspricht mit Handschlag, daß er heiraten wird. Man betraut mich mit der Sache, und ich soll ihm eine Partie finden; und man gibt ihm die Kinder wieder.

Was glaubt ihr? Sobald ich die Sache in die Hand nahm, gedieh sie gut! Es war aber auch Gottes Hilfe dabei. Es trifft sich gerade eine ausgezeichnete Partie. Diese selbe Partie hatte man sogar früher mir vorgeschlagen; aber ein Schadchen – ausgelöscht sei sein Name! – hatte mir den Kopf verdreht. Stellt euch nur vor: eine steinreiche Witwe, eine Geldverleiherin – eine wahre Schmalzgrube! Sie gab Geld auf Pfänder und war eine ungemein tüchtige Person. Das ganze Geschäft führte sie nur mit dem Kopf, ohne irgendwelche Bücher, und irrte sich niemals auch nur um ein Haar zu ihrem Schaden. Und sie wollte ihn gerne nehmen – so ein Glück hatte er schon! Ich wollte etwas Geld zusammenbringen, um ihm neue Kleider zu machen, wenigstens ein Streimel zu kaufen, einen Arbekanfes ... Läßt sie mir sagen: sie will es nicht haben, daß fremde Menschen sich seiner annehmen; und sie schickt fünfundzwanzig Rubel. Man kleidete ihn ein – mit königlichem Prunk. Alles vom Besten: Schuhe und Socken, ein Streimel, zwei Arbekanfes und zwei oder drei Paar Hosen. Man machte keine langen Geschichten, stellte bald die Chuppe, und mein Mojschele strahlte unter der Chuppe wie ein Fürst. Doch sein verrücktes Gesicht ruhte keinen Augenblick, gleich als ob er Wehen hätte: die Lippen zitterten, als ob er einen bösen Blick bespräche und die Augen brannten ganz unheimlich! Wirklich verrückt! Doch bald kam ein neuer verrückter Einfall.

Erstens will es die Frau nicht haben, daß er noch weiter Kinder unterrichtet. Sie verdient beinahe zehn Rubel die Woche, was braucht sie einen Melammed zum Mann? Sitz zu Hause, lerne für dich und bade in Milch und Honig! Will er aber nicht. Er muß die Kinder unterrichten, er kann ohne die Kinder nicht leben. Sagt man ihm: Du wirst doch deine eigenen Kinder haben! Nein, er kann nicht warten und will den Chejder behalten.

Gut, behalte den Chejder. Plötzlich wird er ganz zerstreut und hört fast ganz zu sprechen auf – außer beim Unterricht mit den Kindern ... Und wenn er schon etwas sagt, so sind es immer dieselben Worte: »Es ist nicht das!« »Nicht das!« Wer ist »nicht das«, was ist »nicht das« – weiß kein Mensch.

Die Frau geht, nebbich, zugrunde, sie opfert sich für ihn auf. Sie kocht für ihn vom Schönsten und Besten; und er hebt die Augen, sieht sie so an, als ob er sie zum erstenmal sähe, seufzt schwer auf und sagt: »Es ist nicht das! Gar nicht das!«

Eines Abends bleibt er später als sonst im Bejßmedresch. Er betet nicht, noch lernt er, sondern er sitzt einfach vor dem Betpult oder geht mit großen Schritten auf und ab. Der letzte Mensch, der das Bejßmedresch verläßt, erbarmt sich seiner und fragt ihn: »Mojsche, du gehst?« Er antwortet nicht. »Warum gehst du nicht nach Hause?« Er schweigt. Der Mann packt ihn an der Schulter und schüttelt ihn. Nun erwacht er plötzlich wie ein verschlafenes Huhn und sagt: »Es ist gar nicht das!«

Es ist schlecht mit ihm! Die Frau klagt und weint mir die Ohren voll, und ich bin wirklich verantwortlich: war ich doch der Vermittler! ...

Und auch mir tut das Herz weh: die Frau hat ja so viel Auslagen gehabt; und was hat sie für ihr schönes Geld bekommen? Einen »Es ist nicht das!« Was kann ich aber helfen? Ich gebe ihr den Rat, daß sie ihn unter irgendeinem Vorwand zum Rebben bringt ... Und wir beschließen, am nächsten Roscheschune zum Rebben zu fahren. Denn am Roscheschune fahren die meisten Leute, die ganze Welt kommt zum Rebben! Und ich bin überzeugt, daß in der Zeit um Roscheschune auch die Kraft des Zaddiks größer ist. Doch vor Roscheschune passiert folgende Geschichte: Eines Abends sagt ihm die Frau vor dem Abendessen, er solle hinausgehen und die Läden zumachen; denn sie will nicht mit ihm beim offenen Fenster essen. Sie nimmt den Bolzen, er geht hinaus und seufzt im Hinausgehen: »Es ist nicht das!« Er schließt den Laden, und sie versperrt ihn von innen mit dem Bolzen. Doch er kommt nicht zurück: er ist einfach verschwunden.

Ihr könnt euch denken, was es für eine Aufregung im Städtchen gab! Man dachte sich: der Mann ist verrückt, also ging er in der Kälte zum Flusse baden und ertrank; oder er ging vor die Stadt und verirrte sich; einem Verrückten kann doch alles passieren! Man dingte Bauern, ließ den Fluß absuchen, durchstreifte die ganze Gegend – keine Spur von ihm! Daß er einfach durchgebrannt sei, glaubte kein Mensch. Es kommt ja nicht selten vor, daß ein Mensch von seinem Weibe durchbrennt. Dann ißt er aber zunächst das Abendbrot und zieht sich seinen Kaftan an. Aber wer läßt eine Schüssel Nudeln mit Bohnen auf dem Tische stehen und läuft in einem alten zerrissenen Rock weg? Die arme Agune war wirklich zu bedauern. Hat er sie denn wenig Geld gekostet? Eine anständige Hochzeit, Kleider, Schadchengebühren ... und wofür alles? Nur vier Wochen hat sie mit dem Manne zusammen gelebt. Und was war das für ein Leben? Es war gar kein Leben. Man kann zwar nicht sagen, daß er sie schlecht behandelte; kein böses Wort bekam sie von ihm zu hören. Aber auch kein gutes Wort. Gar nichts als die verrückten Worte: »Es ist nicht das!« Der Armen gerann ja auch schon so jeden Tag die Muttermilch, nun muß sie auch noch eine Agune werden!

Was tut man? Man schreibt an die Rebbes. Es hilft nichts! Nun fragt man bei den Rebbes an, ob es gestattet sei, sich in diesem Falle an den misnagidschen »Magid« zu wenden ...

Der eine Rebbe schrieb, es sei gestattet. Der andere sagte, es sei nicht gestattet: man muß zwar einer Agune helfen; der Magid soll aber so leben, wie er etwas weiß! Und woher konnte er auch etwas wissen? Wenn selbst die Rebbes nichts wußten!

Und er war verschwunden, wie ins Wasser gefallen!

Man glaubte schon, er sei für immer verschwunden. Doch nein! Eines Tages erscheint ein Sendbote von ihm mit einem Scheidebrief! Meint ihr, daß er von weither kam? Nein! Aus Pischtschewka, kaum fünf Werst von unserer Stadt.

Konnte es denn jemandem einfallen, daß der Verrückte sich nur fünf Werst von der Stadt verborgen hält? Keinem Menschen kam der Gedanke, ihn so nahe zu suchen! Mit dem Scheidebrief schickte er ihr einen Schuldschein über zweihundert Gilden für ihre Auslagen. Er will, schreibt er, jede Woche einen Gilden zahlen und haftet dafür mit allen seinen Einkünften. Und den Gilden für die erste Woche schickt er gleich mit!

Nach ein paar Wochen kehrte er selbst zurück und wird wieder Melammed.

»Narr!« sage ich ihm. »Warum bist du zurückgekommen? Hast du nicht dort in Pischtschewka bleiben und die dortigen Kinder unterrichten können?«

»Ich habe gebangt!« sagt er.

»Wonach hast du gebangt?«

»Nach dem hiesigen Friedhof!« sagt er. Und er sagt es so ernst, daß es mich kalt überläuft! Habt ihr einmal gehört, daß ein Mensch nach einem Friedhof bangt? Und er pflegt ja immer die Wahrheit zu sagen.

Jeden Abend nach dem Beten geht er vor die Stadt und streift in der Nähe des Friedhofes herum. Er ist ein Kojhen und darf den Friedhof nicht betreten, darum bleibt er draußen und sieht über die Mauer auf die Grabsteine!

Was hat das zu bedeuten? – frage ich mich. Ist er vielleicht Kabbalist geworden und sucht ein Mittel, jemand Kinder zu verschaffen? Oder gar Hexenmeister?

Was soll ich euch sagen?! Es kam mir schon der Gedanke, daß er entweder ein heimlicher Zaddik ist oder seine Seele dem Bösen verschrieben hat. Weiß ich was? Ich habe einmal in meiner Jugend gehört, daß einer, der sich eine Kerze aus dem Fett einer Fehlgeburt mit einem Zissesfaden als Docht macht, alles sehen kann und doch von niemand gesehen wird. Wenn ich nicht wüßte, daß er Kojhen ist und den Friedhof gar nicht betreten darf, hätte ich geglaubt, daß er sich einer Diebsbande angeschlossen hat und an der Friedhofsmauer eine Fehlgeburt sucht. Es versteht sich, daß Mojsche Reb Josseles nicht stehlen wird. Aber ein Licht zu machen, – wäre er vielleicht doch imstande. Was tut nicht ein Mensch des Verdienstes wegen?!

Es ist aber doch nicht so! Seit vielen Wochen geht er am Friedhof herum, und doch ist noch nichts geschehen: man hört nichts und man weiß nichts!

Versteht ihr schon, was Verrücktheit heißt! Wenn man sagt: »Verrückt!«, glaub! ...

Ja, ja, Reb Vetter, Mojschele ist mein Jugendfreund, ich liebe ihn wie mein Leben ... Doch er ist, nebbich, verrückt ... Es ist schwer, ihn zu verheiraten, sehr schwer ... Ich sage zwar nicht »nein!« Ihr wollt doch wahrscheinlich an der Sache etwas verdienen – tut wie ihr wißt ...

Seht ihr: wenn ihr für mich eine Partie hättet ...


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