unbekannt
Anekdoten unbekannter Autoren
unbekannt

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schier dreißig Jahre bist du alt

Am Morgen des 27. Januar 1889 fuhr ein Postwagen mit Brief- und Paketsendungen in den Hof des Kaiserschlosses ein. Der Postillon war in fröhlichster Stimmung. Wusste er doch, dass Kaiser Wilhelm II. an diesem Tage seinen dreißigsten Geburtstag feierte. Und als kaiserlicher Postbeamter wollte er seiner Freude lauten Ausdruck geben.

Er ergriff deshalb sein Posthorn, hielt es nach der Richtung der Fenster hin, hinter denen der Kaiser anwesend sein musste – und blies klar und deutlich die Melodie des bekanntes Liedes »Schier dreißig Jahre bist du alt« in den stillen Wintermorgen hinein.

Trotz der frühen Morgenstunde hatte sich bald eine große Menschenmenge um den Postwagen versammelt, die in lauten Hurrarufen dem hohen Geburtstagskinde die ersten Festgrüße brachte. Bald erschien auch der Kaiser am Fenster und dankte in heiterster Stimmung für die eigenartigen scherzhaften Glückwünsche.

Einige Tage später wurde der Geburtstagsgratulant zum Schlosse befohlen. Der Kaiser empfing ihn mit freundlichem Gesicht und dankte ihm durch warmen Händedruck für den scherzhaften Glückwunsch, der ihn ganz besonders erfreut hatte.

Freilich gab es dabei auch einen heiklen Augenblick. Der Kaiser fragte den Postillon nämlich, ob er am Sonntag durch den längeren Aufenthalt nicht seinen Dienst versäumt habe. Der Postillon antwortete: »Hab alles wieder nachgeholt, Majestät.« – »Na, dann ist's gut«, sagte der Kaiser, höchstlich ergötzt durch diese Antwort des biederen Berliners; und überreichte ihm einen Hundertmarkschein mit dem Wunsche, er möchte seine musikalischen Talente ja weiter vervollkommnen.

Allerdings musste der Beamte »wegen Abgabe von außerdienstlichen Signalen im Dienst« eine Ordnungsstrafe von drei Mark zahlen, die er aber gern erlegte. Wusste er doch, dass im Deutschen Reiche ein Vergehen gegen die Dienstvorschriften nicht ungestraft bleibt.

 


 


 << zurück weiter >>