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Eine Schulprüfung Friedrich Wilhelms I.

Giesebrügge ist ein Dorf in der Neumark nicht weit von der Kreisstadt Soldin. Die Gegend ist sandig, zum Teil von Mooren durchzogen, und lange Striche von Fichtenwald ziehen sich an mehreren klaren und fischreichen Seen entlang.

Es war im Jahre 1730 an einem Tage im Juli. Eine schwüle, drückende Stille, wie sie großen Gewittern vorauszugehen pflegt, lag auf der Gegend und die Sonne schien heiß von dem unbewölkten Himmel herab. Das Gewitter blieb nun zwar aus an diesem Tage, obwohl es mancher erwartet und gewünscht hatte. Aber etwas anderes traf ein, das niemand erwartet hatte, nämlich ein Besuch König Friedrich Wilhelms I.

Und diese königlichen Besuche waren gewöhnlich plötzlich und oft schrecklich wie Donner und Blitz, aber meist auch fruchtbar, wie ein Gewitterregen. Wenige Jahre vorher hatte der König eine neue Schule in Giesebrügge eingerichtet. Er hatte zum Bau des Schulhauses das Holz gegeben und einen Mann namens Wendroth geschickt, welcher Küster und Lehrer geworden war.

Bei dem früheren Küster hatten die Kinder nur den Katechismus gelernt. Nun lernten sie auch Lesen, Schreiben und Rechnen und einige andere nützliche Kenntnisse. An Widerwillen gegen die neue Schule fehlte es allerdings im Anfange bei manchen Eltern nicht. Aber Wendroth war ein fleißiger Mann, seine Kinder lernten etwas bei ihm, und so wurden auch die Abgeneigten nach und nach gewonnen.

Der König aber war gewohnt, wo er etwas Neues gegründet hatte, auch selbst nachzusehen, ob es gedieh, und ob seine Beamten fleißig waren und ihre Schuldigkeit taten. Seine Fahrten durchs Land waren bei allen faulen und gewissenlosen Leuten sehr gefürchtet. Denn plötzlich war er da, wo ihn niemand erwartete – und seinem scharfen Auge entging kein Fehler.

So wusste auch an diesem Tage in Giesebrügge und zehn Meilen in die Runde kein Mensch, dass der König unterwegs war, die Schule zu besuchen. Aber er war schon um Mitternacht aus Frankfurt an der Oder gefahren. Nur zwei Offiziere, von Pannewitz und von Blesow, begleiteten ihn. Mitten in der Morgendämmerung fuhr er in die Festung Küstrin und besichtigte die Garnison. Um sieben Uhr war die Inspektion beendet und eine Stunde später stieg der König wieder in den Wagen, um nach der Kreisstadt Soldin zu fahren.

Dort wollte der König seine Domänenkammer nachsehen. Er fang seinen Domänen- und Kammerrat, einen alten, erprobten Beamten, eben im Begriff, sich zu Tisch zu setzen. Ohne Umstände bat sich der König zu Gaste und aß mit, was vorhanden war. Sofort vom Tisch begab sich der König in die Kassen- und Arbeitsstuben. In wenig Minuten lagen die Bücher, die Rechnungen und Kassenbestände bereit. Er rechnete die wichtigsten Posten durch, indem er mit dem Zeigefinger die Reihen entlang fuhr. Hierauf ließ er sich die baren Gelder vorlegen. »Alles gut, alles in Ordnung, vortrefflich!«, sagte er, dem alten Rat auf die Schulter klopfend. »Hab's nicht anders erwartet; das mag sein bestes Lob sein. Jetzt will ich weiter. Abends komme ich noch einmal zurück. Da bitte ich mir kalten Schinken, Salat und Eier aus. Gott befohlen.«

Die Kalesche wartete schon, Pannewitz nahm neben dem Könige Platz, Blesow saß ihm gegenüber. Ohne weiteres Gefolge außer dem Leibjäger und dem Kutscher ging es nach Giesebrügge. Meister Wendroth, der Küster und Schullehrer, hatte es Tages Last in der niedern Schulstube getragen. Der Abend war nahe, die kleine Küsterwohnung lag im Garten. Die Schuljugend tummelte sich munter auf dem Platze vor der Kirche.

Wendroth schritt, in der Rechten die Gießkasse, von Beet zu Beet, als atemlos seine Frau in den Garten stürzte. »Was ist?«, schrie der Küster. »Der König ist hier, er kommt eben mit dem Schulzen die Straße herauf.« Wendroth riss eilig den Hausrock von den Schultern und stürmte, ohne zu wissen wohin, durch den Garten ins Haus. Aber als er eben die Tür öffnete, um auf die Gasse zu kommen, sank er halb in die Knie, denn vor ihm stand der König.

»Aha, das ist mir lieb«, begann Friedrich Wilhelm. »Ich finde Ihn hier im Hause.« – »Majestät«, stammelte Wendroth, »ich war in meinem Garten, solche Visitation hatte ich mir nicht vermutet.« – »Ja, ist meine Art so«, lachte der König. »Da geraten noch ganz andere Leute in Schrecken. Fasse Er sich, Er soll mir eine Stunde halten mit seinen Jungens.« Wendroth fasste sich. »Wie Majestät befehlen.«

»Der Schulbesuch ist doch gut?« – »Sehr gut, Majestät.« Der König war in die Schulstube getreten. Er musterte alles genau: Bänke, Tische, Geräte, Bücher. Dann ließ er sich die Listen geben, sah die Schreibhefte nach und prüfte einige Zeugnisse. »Was bringt Er denn den Jungen bei?« – »Lesen, Schreiben, Rechnen, die Heilige Schrift, etliche Kenntnisse in der Geografie und Naturgeschichte.« – »Gut, weiter ist nichts nötig. Nun leg Er mal los.«

Es bedurfte nicht großer Mühe, die Jungen herbeizurufen. Bald füllte sich die Schulstube mit Schülern. Sie waren alle gekommen, wie sie gingen und standen, einige mit Schürzen, wenige mit Jacken angetan, die meisten in Hemdsärmeln. Alle sahen neugierig und eifrig auf den König, der sich auf einen Stuhl niedergelassen hatte und lächelnd die wohlgenährten, meist strammen Burschen betrachtete.

Hinter dem Könige standen Pannewitz und Blesow. Staunend gafften die Jungen die Uniform an und leises Zittern überfiel sie denn doch. Wendroth war in ziemlich großer Unruhe. »Worin befehlen Majestät, dass ich examinieren soll?«, fragte er. »Worin Er will, 'nota bene' das Nützliche zuerst.« – »Also dann Biblische Geschichte?« – »Gut«, sagte der König.

Das Examen ging vor sich, der Jungen bestanden gut. Ebenso ging das Lesen vor sich, die Schüler waren ordentlich auf dem Posten. Beifällig nickte der König. Wendroth wurde wieder mutig. »Nun die Hauptsache fürs Leben«, sagte der König. »Rechnen! Ich werde mal die Aufgabe erteilen.« Die Tafeln waren schon in den Händen der Jungen – und diese standen, die Griffel bereithaltend, die Augen fest auf den König gerichtet, wie ein zur Attacke fertiges Bataillon.

»Wenn ein Mensch«, begann der König, »dreihundertfünfundsechzig Tage lang jeden Tag vier Taler verdient, wie viel macht das am Ende des Jahres – also nach dreihundertfünfundsechzig Tagen – wie wollt ihr das finden – durch welche Spezies?« – »Durch Multiplikation«, sagte eine Stimme. »Recht so«, rief der König, »das ist meine liebst Spezies. Rechnet das also aus, und wenn ihr es ausgerechnet habt, dann zieht von der Summe zweihundertvierzig – schreibt's auf – zweihundertvierzig ab, und dann will ich wissen, was bleibt. Vorwärts.«

Wendroth fürchtete, dass seine Jungen schlecht bestehen würden. So leicht die Aufgabe war, so sehr er auch die vier Spezies eingeübt hatte, die Anwesenheit des Königs machte ängstlich. Tiefe Stille trat ein, nur die Griffel quietschten auf den Tafeln, Wendroth lehnte an einem Tische, die Jungen rechneten, ohne zum Ziele zu kommen. Sie waren eben ängstlich, der König beobachtete genau.

Da rief eine helle Stimme: »Ich bin fertig.« Wendroth atmete auf. Wer war es? Ha, der kleine, oft zurückgesetzte Jochen Müller hielt die Tafel empor. »Na mal heraus«, rief der König. »Wie ist das nun? Was kommt heraus?« – »Ich multipliziere dreihundertfünfundsechzig mit vier; macht eintausendvierhundertsechzig; dann ab zweihundertvierzig; bleibt tausendzweihundertzwanzig.«

»Bravo!«, rief der König. »Gut gemacht. Und wenn nun zwei Leute sich in die Summe teilen, wie viel kommt auf jeden?« Kurze Pause. »Sechshundertzehn«, sagte Jochen. »Sehr gut«, rief der König, »das ist ein kluger Bengel!« Wendroth hatte seine Linke auf Jochens Kopf gelegt. »Ein sehr kluger Junge«, sagte er, »fleißig, Majestät, sehr fleißig.« – »Glaub's«, sagte der König. »Was sind die Eltern?« – »Arme Tagelöhner«, sagte der Schulmeister. »Werde nachsehen lassen«, entschied der König. »Hier, Jochen, sind zwei Dukaten, und immer ordentlich rechnen.!«

Der Jubel der Jungen war groß, der König ward umringt, und da er sich gnädig über die Leistungen aussprach, auch noch andere Aufgaben glücklich gelöst wurden, konnte Wendroth mit dem Tage zufrieden sein. Nach einer Besprechung mit dem Pastor und Schulzen stieg der König wieder in seinen Wagen. Die Dorfbewohner umstanden das Fuhrwerk. Jochen war der Held des Tages; er sollte in das Potsdamer Waisenhaus kommen. Als der König abfuhr, rief alles ein donnerndes 'Vivat!'

Abends langte der König in Soldin an. Der Domänenrat hatte den gewünschten Imbiss bereitet. »Sieht Er«, sagte der König beim Abschied, »ich habe gute meine Tagfahrt gemacht. Erst Soldaten, dann die Kassen, dann die Schule. Ich weiß wohl, da draußen im Reiche nennen sie mich einen Unteroffizier. Ja, lasset sie nur. Ich kenne mein Land, meine Mittel – und ich werde die Jungens nicht in der Dummheit aufwachsen lassen. Denn es wird der Tag kommen, wo Geld, offener Kopf mit guter Weisheit drinnen und gute preußische Soldaten notwendig sind. Und kein Engländer oder Franzose soll über uns Deutsche gebieten. Dafür will ich allen Preußenkindern Degen und Pistolen in die Wiege geben, damit sie die fremden Völker aus Deutschland abhalten helfen. Aber Geld braucht man auch dabei – und ich spare für die Zukunft. Also haltet wie bisher zusammen – und geht's einmal drauf, werden wir mit dabei sein. Adieu, ich bin zufrieden mit Ihm, brave Wirtschaft hier. Der König war sich in den Wagen und dieser rollte mit ihm davon. Das war eine Tagfahrt Friedrich Wilhelms I.

 


 


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