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Anekdoten unbekannter Autoren
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Das Hemd des Glücklichen

Einem persischen König war seine Gemahlin gestorben, die er von ganzem Herzen geliebt und verehrt hatte. Da verfiel er in tiefe Schmerzen, die kein Arzt heilen konnte. Als nun die Würdenträger des Hofes immer neue Mittel suchten, um den Kummer des Königs zu lindern, hörten sie einst von einem indischen Weisen, der für alles menschliche Weh und Leid unfehlbar Rat wisse.

Der König gab ihnen Erlaubnis, diesen zu befragen und sie kehrten bald mit einem Briefe heim, in dem das Mittel bezeichnet sein sollte. Der König erbrach das Schreiben und fand darin die Anweisung, er solle drei Tage lang das Hemd des Glücklichen auf dem Leibe tragen, dann werde sein Kummer schwinden. Das Mittel dünkte ihn leicht anzuwenden und er befahl, dass ihm ein solches Hemd gebracht würde.

Aber es ging damit recht wunderlich. So oft seine Diener zu jemand kamen, den das Volk als glücklich bezeichnete, wollte dieser selbst es nicht wahr haben und es ergab sich, dass der Schuh den einen hier, den andern da drückte. Da nun die Boten des Königs heimkehrten, überholte sie auf der Straße ein Wanderer, der, nach seinem Gepäck zu urteilen, ein Kesselflicker sein musste. Der sang ein Leid so kräftig wie die Lerche im Frühling.

Den hielten die Boten erwartungsvoll an und einer sprach zu dem Kesselflicker: »Wir suchen einen Glücklichen, lieber Freund, solltest du das wohl sein?« – »Ei, freilich«, antwortete der Kesselflicker, »ich bin gesund wie ein Fisch im Wasser, meine Arbeit nährt mich und ich sehe alle Tage etwas Neues und bleibe nur da, wo es mir gefällt, wie sollte ich nicht glücklich sein!« – »Nun, so ziehe flugs dein Hemd aus«, gebot ihm der Abgesandte, »denn der König braucht das Hemd des Glücklichen und wird den, der es ihm verschaffen kann, fürstlich belohnen.«

Da kratzte sich der Kesselflicker verlegen den Kopf und sprach endlich: »Ja, liebe Herren, das würde ich Euch schon gern geben, ich habe nur leider selber keins auf dem Leibe.«

So zogen denn die Boten unverrichteter Sache heim. Ob aber der König von seinen Schmerzen genas, davon ist nichts berichtet.

 


 


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