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XIV.

Oft, wenn Peter am Clavier saß, klang das in Tönen aus demselben, was sich in seinem Herzen und Kopfe regte; die Töne gestalteten sich zur Melodie, welche zuweilen auch Worte trug; diese waren vom Gesange nicht zu trennen; in solcher Weise entstanden mehrere kleine Gedichte, rhythmische und voller Stimmung. Sie wurden mit gedämpfter Stimme gesungen; es war, als wenn sie scheu und furchtsam, gehört zu werden, in die Einsamkeit hinschwebten.

Wie der Wind flattert Alles dahin,
Keine bleibende Stätte beschieden;
Deine Rosen der Wangen, dahin!
Selbst die Thräne vertrocknet hienieden.

Deshalb laß nicht betrüben den Sinn,
Denn der Kummer verflattert im Winde;
Wie das Laub flattert Alles dahin,
Zeit und Menschen vergehen geschwinde.

Alles schwindet – die Jugend dahin!
Auch die Hoffnung; dein Liebstes wird schwinden;
Wie der Wind flattert Alles dahin,
Und kein Sieg an dein Herz läßt sich binden.

»Woher hast du das Lied und die Melodie?« fragte der Singemeister, als er zufällig Musik und Worte niedergeschrieben sah.

»Es kam so einmal von selbst, das und alle diese hier. Sie fliegen nicht weiter in die Welt hinaus!«

»Ein trübes Gemüth setzt auch Blüthen an!« sagte der Singemeister, »aber trübes Gemüth darf nicht regieren, jetzt setzen wir die Segel bei und steuern auf das nächste Debut. Was meinst du zu »Hamlet«, dem kummervollen jungen Prinzen von Dänemark?«

»Ich kenne Shakespeare's Tragödie,« sagte Peter, »aber noch nicht die Oper von Thomas.«

»Ophelia hätte die Oper heißen müssen«, sagte der Singemeister. »Shakespeare hat in der Tragödie die Königin uns den Tod Ophelia's erzählen lassen, und dieser ist gleichsam der Höhepunkt in der musikalischen Bearbeitung geworden; man sieht mit dem Auge und vernimmt in Tönen das, was wir früher nur als Erzählung der Königin hörten:

Es hängt ein Weidenbaum quer übern Bach,
Und spiegelt sein grau Laub im klaren Strom,
An welchem sie phantastisch Kränze wand,
Von Hahnkamm, Nesseln, Maßlieb, Purpurblumen,
Die gröber wohl der freie Schäfer namt,
Doch Todtenfinger sagt die kalte Maid.
Als an gebogne Zweig' ihr Feldgeflecht
Sie klomm zu hängen, brach ein falscher Ast;
Und sie, mit ihren rankigen Trophäen,
Fiel in den weinenden Bach. Ihr Rock, weitbauschend, trug sie,
Als Meerfräulein, ein Weilchen noch empor;
Indeß sie Bruchstück alter Lieder sang,
Wie fühllos für ihr Unglück, oder wie
Ein Fluthgeschöpf, geboren und begabt
Für dieses Element. Shakespeare's »Hamlet«, Volksausgabe von Max Moltke.

Die Oper führt uns dieses vor Augen; wir sehen Ophelia; sie kommt spielend, tanzend, das alte Volkslied vom Meermann singend, der die Menschen an sich in die Fluthen hinablockt, und während sie singt und Blumen pflückt, hört man aus dem tiefen Gewässer dieselben Töne, sie lauten wie Chorgesang lockend herauf; sie lauscht, sie lächelt, nähert sich dem Uferrand, hält sich an der hängenden Weide und beugt sich hinab, um die weißen Wasserlilien zu haschen; langsam gleitet sie auf dieselben hinaus, ruht singend auf den breiten Blättern, schaukelt auf diesen und wird vom Strom auf die Tiefe hinausgeführt, wo sie, wie die losgerissene Blume versinkt, umtönt von den Melodien der Gewässer; der Mond wirft sein melancholisches Licht über die Scene.

Es ist, als seien Hamlet, seine Mutter, ihr Buhle und der, die Rache heraufbeschwörende König nur dazu da, um zu jener großen Scene den reichen Bilderrahmen zu gestalten.

So wie wir in der Oper Faust nicht Goethe's »Faust« bekommen, so auch hier nicht Shakespeare's »Hamlet«. Das Speculative ist kein Stoff für die Musik, es ist das Liebesverhältniß dieser beiden Tragödien, welches sich zu einer Dichtung in Tönen gestaltet.«

Die Oper Hamlet wurde in Scene gesetzt. Die Darstellerin der Ophelia war hinreißend, die Sterbescene war von großer Wirkung, aber Hamlet selbst erhielt diesen Abend eine sympathetische Größe, eine Charaktervollendung, die sich mit jeder Scene steigerte, in welcher er auftrat. Man erstaunte dabei über den Umfang der Stimme des Sängers, über die Frische in den hohen, wie in den tiefen Tönen, sowie darüber, daß er mit gleich glänzendem Erfolg Hamlet und Georg Brown darzustellen vermochte.

Die Gesangspartien in der Mehrzahl der italienischen Opern sind ein Canevas, in welches der begabte Sänger und die begabte Sängerin ihre Seele und Genie hinein legen und die bunten wogenden Farben zu den Gestalten erheben, welche die Dichtung erheischt; um wie viel herrlicher müssen sie sich demnach offenbaren können, wo die Töne gelegt und geleitet sind durch Auffassung des Charakters, und das haben Gounod und Thomas verstanden.

Die Gestalt Hamlets in der Oper erhielt an diesem Abend Fleisch und Blut, sammelte und erhob sich zur Hauptperson der Dichtung. Unvergeßlich blieb die Nachtscene auf der Bastion, in welcher Hamlet den Geist seines Vaters zum ersten Male sieht; die Scene im Schlosse vor der errichteten Schaubühne, wo er die Gifttropfen der Worte ausschleudert, die entsetzliche Begegnung mit der Mutter, bei welcher der Geist des Vaters racheschreiend dem Sohne gegenüber steht, und endlich, welche Gewalt im Gesange, welche Töne beim Tode Ophelia's! War und blieb sie auch die sympathetische Lotusblume auf dem tiefen, finstern See, dessen Wellen ringsum mächtiger in die Seele des Zuschauers eingriffen, Hamlet war an diesem Abende die Hauptgestalt. Der Triumph war ein vollkommener.

»Woher hat der Mensch doch Das?« sagte die Frau des reichen Handelsherrn und dachte an Peter's Eltern und an die Großmutter in der Dachwohnung. Der Vater war Lagerpacker gewesen, brav und ehrenwerth, war als Soldat auf dem Felde der Ehre gefallen, die Mutter wäscht für die Leute, – die hätten dem Sohne keine Bildung geben können, aufgewachsen war er in der Armenschule – und was konnte wohl Großes während einer Zeit von zwei Jahren ein Provinzial-Professor ihm von höheren Schulkenntnissen beigebracht haben?

»Das ist das Genie!« sagte der Handelsherr; »das Genie! Das wird geboren – von Gottes Gnaden.«

»Freilich!« sagte die Frau und faltete bei dem Gedanken die Hände, als sie mit Peter sprach. »Sind Sie nun auch recht von demüthigem Herzen Gott dankbar für das, was er Ihnen verliehen hat?« sagte sie. »Der Himmel ist Ihnen unbegreiflich gnädig gewesen! Alles ist Ihnen gegeben. Sie wissen nicht, wie ergreifend Ihr Hamlet ist! Sie selbst haben kaum eine Vorstellung davon. Ich habe sagen hören, daß auch viele große Dichter selbst nicht wissen, was sie Herrliches geschaffen, die Philosophen müssen es ihnen erst klar machen. Woher haben Sie Ihren Hamlet heraufbeschworen?«

»Ich habe über den Charakter nachgedacht, einen Theil von dem gelesen, was über die Shakespeare'sche Dichtung geschrieben ist, und mich nachdem auf der Bühne ganz in Person und Handlung eingelebt, – ich gebe meinen Theil und der liebe Gott den seinen dazu.«

»Gott!« wiederholte sie mit einem halb vorwurfsvollen Blicke, »sprechen Sie hier nicht von Gott! Er gab Ihnen die Befähigung, aber Sie glauben doch nicht, daß er mit Theater und Oper zu schaffen hat!«

»Ja gewiß glaube ich das!« antwortete Peter frei. »Auch dort ist seine Kanzel, den Menschen gegenüber, und dort hört die Mehrzahl oft besser zu, als in der Kirche.«

Sie schüttelte den Kopf. »Gott ist zugegen in Allem, was schön und gut ist, aber hüten wir uns, seinen Namen zu mißbrauchen. Es ist eine Gnade Gottes, ein großer Künstler zu werden, aber besser ist es doch, ein guter Christ zu sein!« Felix würde im Gespräch mit ihr niemals Theater und Kirche zusammen genannt haben, das fühlte sie und war dabei erfreut.

»Jetzt haben Sie sich mit meiner Mutter verdorben!« sagte Felix lächelnd.

»Das war aber durchaus nicht meine Absicht.«

»Nehmen Sie das nicht so feierlich! Sie werden wieder zu Gnaden angenommen, wenn Sie Sonntag in die Kirche gehen! Stellen Sie sich neben ihren Stuhl und blicken Sie rechts hinauf, dort in dem Pulpitur sitzt ein kleines Gesicht, das wohl des Anschauens werth ist: die hübsche Tochter der verwitweten Frau Baronin. Das ist ein gutgemeinter Rath und ich gebe Ihnen noch einen: Sie können nicht wohnen bleiben, wo Sie jetzt wohnen! Beziehen Sie doch eine größere Wohnung mit einer anständigen Treppe! oder wenn Sie den Singemeister nicht verlassen wollen, so sorgen Sie dafür, daß er besser wohnt; er hat Vermögen und kann es, und Sie haben ja ganz gute Einnahmen. Sie müssen auch eine Gesellschaft geben, eine Abendgesellschaft; ich könnte das selbst thun und werde es auch, aber Sie können einige der kleinen Tänzerinnen einladen! – Sie sind ein glücklicher Mensch! aber ich glaube, so wahr ich lebe, Sie verstehen noch gar nicht, wie ein junger Mann leben muß!«

Das verstand aber Peter gerade, in seiner Weise; mit seinem vollen, warmen jungen Herzen liebte er die Kunst, sie war seine Braut, sie beantwortete seine Liebe, erhob ihn zum Sonnenschein und zur Freude; der Mißmuth, welcher ihn gedrückt hatte, verflog bald, freundliche Augen blickten ihn an, Alle kamen ihm freundlich theilnehmend entgegen. Das Bernsteinherz, welches er noch immer auf der Brust trug und welches die Großmutter ihm umgehangen hatte, sei freilich ein Talisman; – ja, das glaubte er, denn ganz frei von Aberglauben, man könnte es auch kindlichen Glauben nennen, war er nicht. Jede geniale Natur hat etwas von demselben, glaubt an ihren Stern. Die Großmutter hatte ihm die Kraft gezeigt, die im Bernstein enthalten sei; sein Traum hatte ihm gezeigt, wie aus dem Bernsteinherzen heraus ein Baum wuchs, welcher Decke und Dach zersprengte und Herzen von Silber und Gold zu Tausenden trug; das bedeute unstreitig: im Herzen, in seinem eigenen warmen Herz liege seine Künstlermacht, durch welche er Tausende gewann und Aber-Tausende gewinnen würde.

Zwischen ihm und Felix waltete unleugbar eine Art Sympathie, wie verschiedenartig sie auch waren; Peter meinte, der Unterschied zwischen ihnen liege darin, daß Felix als der Sohn des reichen Mannes in Versuchungen aufgewachsen sei und Geld und Lust habe, sie zu kosten; er dahingegen sei glücklicher gestellt als Kind armer Leute.

Die beiden Kinder des Hauses schritten indeß weiter auf höhere Ziele zu. Felix würde bald Kammerjunker werden, und das ist die erste Stufe zum Kammerherrn, und der hat den goldenen Schlüssel hinten. Peter, der stets Glücklichere, trug schon vorn, aber unsichtbar, den goldenen Schlüssel des Genies, welcher alle Schätze der Erde und auch die der Herzen aufschließt.


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