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VI.

Am frühen Morgen hatte er die erste Unterrichtsstunde bei Herrn Gabriel; es wurde französische Sprache getrieben.

Beim Frühstück waren nur die Pensionäre, die Kinder und die Madame zugegen; sie trank ihren zweiten Kaffee; den ersten trank sie stets im Bette; »denn das sei gar zu gesund, wenn man die Möglichkeit habe, Krämpfe zu bekommen!« Sie fragte Peter, was er heute gelesen habe. »Französisch,« antwortete er.

»Das ist eine theure Sprache!« sagte sie, »es ist die Diplomaten-Sprache und die Sprache der Vornehmen. Ich habe sie in meiner Kindheit nicht gelernt, aber wenn man mit einem gelehrten Mann zusammen lebt, so erhält man von seinen Kenntnissen so viel, als hätte man sie mit der Muttermilch eingesogen. Ich kann so z. B. alle die nöthigen Worte. Ich glaube ganz bestimmt, daß ich mich in jedweder Gesellschaft compromittiren werde!«

Der junge Madsen übte immer seinen Witz an der Madame; unter anderm waren Tischtücher und Servietten, Betttücher und Handtücher und dergleichen alle mit S. G. gezeichnet, weil Madame Sophia hieß, aber Madsen las das S. G. immer wie die Censur »Sehr gut«, und fügte überall, wo er dazu kommen konnte, mit Dinte ein Fragezeichen hinzu.

»Sie lieben Madame nicht?« fragte Peter, als der junge Madsen ihn in seinen Witz einweihte. »Sie ist so freundlich und Herr Gabriel so gelehrt.«

»Sie steckt voll Lug und Trug!« sagte Madsen, »und Gabriel ist ein Schurke! Wenn ich nur Corporal und er Rekrut wäre, oh, wie würde ich ihn fuchteln!« und dabei sah Madsen ganz blutdürstig aus, seine Lippen wurden schmäler als sonst, und das ganze Gesicht schien eine einzige Sommersprosse zu sein.

Das waren entsetzliche Worte mit anzuhören; Peter fuhr ordentlich dabei zusammen, und doch hatte Madsen ganz recht, wie er es auffaßte; er dachte nämlich so: Es ist grausam von Eltern und Lehrern, daß sie einen Menschen zwingen, seine beste, schönste Jugendzeit darauf zu verwenden, Grammatik, Namen und Jahreszahlen zu lernen, um die kein Mensch sich kümmert, anstatt ihn seine Freiheit genießen, richtig Athem schöpfen und mit der Büchse über der Schulter in Wald und Wiese umherschlendern zu lassen. »Nein, eingesperrt wird man, auf der Bank muß man sitzen und sich in einem Buch schläfrig starren; so will es Herr Gabriel, und heißt Einen faul und giebt Einem schlechte Censur und schreibt gar an die Eltern darüber! Deshalb ist Herr Gabriel ein Schurke!«

»Ja, er haut auch!« fügte Primus hinzu, der mit Madsen ganz einig zu sein schien. Das war für Peter nicht erfreulich zu hören.

Allein Peter wurde nicht »gehauen«, er war zu ausgewachsen, wie Madame sagte; er wurde nicht faul genannt, denn er war es nicht; er bekam zuletzt Stunden für sich allein, und eilte bald den beiden Anderen in Kenntnissen voraus.

»Er ist sehr befähigt!« sagte Herr Gabriel.

»Und man sieht, daß er in der Tanzschule gewesen ist,« sagte Madame.

»Wir müssen ihn in unsere dramatische Gesellschaft haben!« sagte der Apotheker, welcher mehr für das Privattheater des Städtchens als für die Apotheke lebte. Böse Zungen sagten, er sei theatertoll, er müsse von einem tollen Schauspieler gebissen sein.

»Der junge Studirende ist ein geborener Liebhaber,« sagte der Apotheker. »In zwei Jahren kann er den Romeo ausführen, ja ich glaube, daß er, wenn er gut gemalt wird und einen kleinen Schnurrbart bekommt, schon diesen Winter auftreten könnte.«

Die Tochter des Apothekers, »ein großes dramatisches Talent«, sagte der Vater, »eine wahre Schönheit«, sagte die Mutter, sollte die Julia spielen, Madame Gabriel müsse die Amme sein, und der Apotheker, welcher Director und Regisseur in einer Person war, wollte die Rolle des Apothekers übernehmen; dieselbe sei zwar klein, aber von großer Wichtigkeit.

Alles hing nun davon ab, daß man von Herrn Gabriel die Erlaubniß erhielt, daß Peter den Romeo spielen dürfe.

Man müsse versuchen, durch Madame auf ihn einzuwirken, es verstehen, sie zu gewinnen, und das verstand der Apotheker.

»Sie sind eine geborene Amme!« sagte er, und glaubte ihr eine Schmeichelei zu sagen. »Die Rolle der Amme ist eigentlich die gesundeste in dem ganzen Stück!« fuhr er fort, »sie ist die Rolle des Humors. Ohne sie ist das Stück in seiner Traurigkeit nicht auszuhalten. Nur Sie, Madame Gabriel, besitzen den Humor und das Leben, die hier gleichsam sprudeln müssen!«

Sie fand dies ganz richtig, aber ihr Mann würde gewiß nie dem jungen Studirenden erlauben, das bischen Zeit zu verwenden, das doch verwendet werden müsse, um den Romeo zu spielen. Sie versprach indeß, ihn zu bearbeiten, wie sie es nannte. Der Apotheker begann sofort seine Rolle einzustudiren, namentlich an die Maske zu denken; er wollte ganz und gar Skelett, Armuth und Elend sein und doch der brave Mann; eine schwere Aufgabe; aber Madame Gabriel hatte eine noch schwerere in der »Bearbeitung« ihres Mannes; er könne es ja nicht verantworten, sagte sie, Peters Vorgesetzten gegenüber, die seine Kost und sein Logis bezahlten, daß er den jungen Menschen Tragödie spielen ließe.

Wir dürfen übrigens nicht verheimlichen, daß Peter die größte Lust dazu hatte. »Aber es geht nicht!« sagte er.

»Es giebt sich!« sagte Madame. »Laß mich ihn nur bearbeiten.« Lieber hätte sie mit Punsch tractirt, aber Punsch trank Herr Gabriel nicht gern. Eheleute sind oft ein wenig verschieden; was übrigens nicht gesagt sein soll, um Madame zu beleidigen.

»Ein Glas und nicht mehr!« meinte sie, »das erhebt das Gemüth und macht den Menschen fröhlich, und so muß es sein, so ist es der Wille Gottes mit uns!«

Peter sollte Romeo spielen; das wurde von Madame bearbeitet und durchgesetzt.

Die Leseprobe wurde beim Apotheker abgehalten. Die Künstler bekamen Chocolade und »Genien«, das heißt kleine Zwiebacke. Man bekam beim Bäcker zwölf solche für einen Dreier, und da sie so sehr klein und so viel waren, so wurde es ein Witz, sie »Genien« zu nennen.

»Das ist ein Leichtes, die Leute zum Narren zu haben!« sagte Herr Gabriel, aber er hatte doch selbst für Dieses und Jenes einen Spottnamen. Das Haus des Apothekers nannte er »Noäh Arche mit den Reinen und Unreinen« und zwar wegen der Liebe, mit welcher die Hausthiere dort in der Familie aufgenommen waren. Das Fräulein hatte ihre eigene Katze, Graciosa, reizend und vom weichsten Fell; sie lag im Fenster, im Schoße, auf dem Nähzeug, oder lief über den gedeckten Mittagstisch hin; die Apothekerfrau hatte einen Hühner- und Entenhof, einen Papagei und Canarienvögel; der Papagei überschrie sie Alle. Zwei Hunde, Flick und Flock, gingen im Zimmer umher, sie lagen auch auf Sophas und im Ehebette.

Die Leseprobe begann und wurde nur auf einen Augenblick dadurch unterbrochen, daß die Hunde das neue Kleid der Madame Gabriel besabberten, aber das geschehe aus lauter Freundlichkeit und gebe gar keine Flecke. Die Katze brachte auch ein wenig Störung, sie wollte durchaus der Darstellerin der Julia die Pfote geben, auf ihrem Kopfe sitzen und mit dem Schwanze wedeln. Die zärtliche Rede Julia's theilte sich gleich sehr zwischen der Katze und Romeo. Jedes Wort, welches Peter zu sagen hatte, war gerade so, wie er es der Tochter des Apothekers sagen wollte und sagen müsse. Wie anmuthig, wie rührend war sie, ein Kind der Natur; sie ging, wie Madame Gabriel sich ausdrückte, neben ihrer Rolle einher. Peter wurde ganz warm dabei.

Es mochte wohl der Instinkt oder etwas Höheres bei der Katze sein, was sie veranlaßte, sich auf Peter's Schulter zu setzen und dadurch die Sympathie zwischen Romeo und Julie gleichsam bildlich darzustellen.

Bei jeder späteren Probe wurde die Innigkeit voller und klarer, die Katze vertrauter, der Papagei und die Canarienvögel schreiender; Flick und Flock liefen dabei ein und aus.

Der Abend der Vorstellung kam heran. Peter war ganz Romeo, er küßte Julia direkt auf den Mund.

»Wie schön natürlich!« sagte Madame Gabriel.

»Wie unverschämt!« sagte der Stadtrath, Herr Swendsen, der reichste Bürger und dickste Mann des Städtchens. Das Wasser lief ihm aus innerer Hitze und wegen der Hitze im Hause übers Gesicht herab. Peter fand in seinen Augen keine Gnade: »So ein dummer Junge!« sagte er, »so lang, daß man ihn durchbrechen und zwei dumme Jungens aus ihm machen könnte!«

Große Bewunderung und ein Feind! Das war gut davon gekommen. Ja, Peter war ein Glücks-Peter.

Ermüdet und überwältigt von den Anstrengungen und der Huldigung des Abends, kehrte er in sein kleines Zimmer zurück. Es war über Mitternacht; Madame Gabriel klopfte an die Wand.

»Romeo! ich habe Punsch!«

Und der Trichter wurde durch die Thüre gesteckt und Peter-Romeo hielt sein Glas unter.

»Gute Nacht, Madame Gabriel!«

Aber Peter konnte nicht einschlafen; Alles, was er gesagt, und namentlich Alles, was Julia gesagt hatte, durchbrauste seinen Kopf, und als er endlich schlief, träumte ihm von Hochzeit – Hochzeit mit Fräulein Frandsen. Was man alles für wunderliches Zeug träumen kann!


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