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IX.

Zwei Jahre waren verstrichen, allein die Stimme war nicht wiedergekommen. Wie würde sich die Zukunft unserem jungen Freunde stellen?

Er könne immerhin Stundenlehrer in irgend einer Schule werden, meinte Herr Gabriel, das sei doch wenigstens ein Brod, wenn auch nicht gerade um sich zu verheirathen, allein daran dachte Peter noch nicht, einen wie großen Platz auch die Tochter des Apothekers in seinem Herzen einnahm.

»Stundenlehrer!« sagte Madame Gabriel, »Schulmann! Dann werden Sie so ein langweiliger Brummbär wie mein Gabriel. Sie sind ja ein geborener Theatermensch! Werden Sie der größte Schauspieler der Welt, das ist etwas Anderes als Stundenlehrer!«

Schauspieler! Ja, das war das Ziel.

Er sprach dies in einem Brief an den Singemeister aus, sprach seine Lust und seine Hoffnung aus. Recht innig sehnte er sich nach der großen Heimathstadt, in welcher die Mutter und Großmutter lebten, die er zwei lange Jahre nicht gesehen hatte. Die Entfernung betrug nur dreißig Meilen; in sechs Stunden konnte er mit dem Schnellzug hinfahren. Weshalb hatten sie sich denn nicht gesehen?

Das ist kurz gesagt. Peter hatte beim Abschied das Versprechen geben müssen, zu bleiben, wo er hinkam, und nicht an Besuch zu denken. Seine Mutter hatte vollauf mit Waschen und Plätten zu thun; dessenungeachtet dachte sie mehrere Male daran, die große Reise zu machen, wenn sie auch schweres Geld kosten würde, aber sie wurde doch nie gemacht.

Großmutter, ja, sie hatte ein wahres Entsetzen vor den Eisenbahnen; die forderten den Zorn Gottes heraus. Nichts solle sie dazu bringen, mit Dampf zu fahren; sei sie doch auch eine alte Frau, sie würde keine Reise machen, bevor sie zum lieben Gott hinaufreise.

So sprach sie im Mai – aber im Juni reiste die alte Frau, ganz allein die dreißig langen Meilen, nach der fremden Stadt, zu den fremden Menschen, um zu Peter zu gelangen. Das war ein großes Ereigniß, das traurigste, welches Mutter und Großmutter passiren konnte.

Der Guckuck hatte ins Unendliche geguckuckt, als Peter ihn zum zweiten Male fragte: »Wie viele Jahre habe ich zu leben?« Die Gesundheit war gut und das Gemüth frisch, und das warf den goldenen Sonnenschein auch in die Zukunft hinein. Er hatte einen lieben Brief von seinem väterlichen Freund, dem Singemeister, erhalten. Peter sollte zurück nach der Hauptstadt kommen, man wolle sehen, was für ihn gethan werden, welchen Weg er einschlagen könne, wenn die Stimme fort sei.

»Treten Sie als Romeo auf!« sagte Madame Gabriel, »jetzt sind Sie alt genug für das Fach der Liebhaber und haben Fleisch auf den Knochen. Sie brauchen nicht gemalt zu werden.«

»Sei Romeo!« sagten der Apotheker und des Apothekers Tochter.

Es brausten viele Gedanken durch seinen Kopf und sein Herz. Aber: »Niemand weiß, was Morgen geschieht.«

Er saß unten im Garten, der sich bis nach der Wiese erstreckte. Es war Abend und Mondschein. Seine Wangen glühten, sein Blut glühte, die Luft fächelte herrliche Kühlung. Ueber die Wiese schwebte der Nebel dahin, der erhob sich und senkte sich, er mußte an den Tanz der Elfen denken. Da erinnerte er sich des alten Liedes vom Ritter Olaf, welcher ausritt, um Gäste zu seiner Hochzeit einzuladen, aber von den Elfen aufgehalten wurde, die ihn in ihren Tanz und in ihr Spiel hineinzogen, und das wurde sein Tod. Es war ein altes Volkslied, eine alte Dichtung; der Mondschein und der Nebel auf der Wiese gestalteten Bilder zu dem alten Liede.

Peter saß bald halb träumend und schaute dem zu. Jeder Busch schien irgend Etwas von der Gestalt des Menschen und auch Etwas von der des Thieres anzunehmen; sie standen unbeweglich da, die Nebel dagegen hoben sich wie luftige, wogende Schleier. Solches hatte Peter im Ballet auf der Bühne gesehen, wo die Elfen kreisend, schwebend mit Schleiern von Flor dargestellt werden, allein hier war es weit schöner, weit wunderbarer. Eine so große Scene konnte das Theater nicht aufweisen, eine so hohe und helle Luft, einen so strahlenden Mondschein hatte es nicht.

Und aus dem Nebel hob sich deutlich eine weibliche Gestalt ab, und diese eine wurde zu drei, die drei zu vielen Hand in Hand tanzenden Mädchen. Die Luft trug sie auf die Hecke zu, wo Peter stand; sie nickten ihm zu, sie sprachen, es war wie Klänge von silbernen Glocken; die Gestalten tanzten in den Garten hinein, um ihn herum, sie hatten ihn in ihrem Kreise. Ohne dabei zu denken, tanzte er mit ihnen, aber nicht ihren Tanz, er wirbelte ringsum wie in jenem unvergeßlichen Vampyrentanz; aber an den dachte er nicht, er dachte eigentlich gar nicht mehr, sondern war von all der Herrlichkeit, die er um sich herum sah, überwältigt.

Die Wiese war ein See mit tiefen, schwarzblauen Gewässern, die in allen denkbaren Farben leuchteten; über die Gewässer dahintanzend, trugen die Elfen ihn auf ihren Schleiern nach dem anderen Ufer hinüber, wo der Hünengrabhügel seine grüne Rasendecke abgeworfen und sich zu einem Schloß von Wolken erhoben hatte; aber die Wolken waren von Marmor; blühende Bäume von Gold und kostbarem Gestein rankten sich an den mächtigen Marmorblöcken; jede Blume selbst war ein farbestrahlender Vogel, welcher mit menschlicher Stimme sang. Es war wie ein Chor von tausend und abertausend fröhlicher Kinder. War es der Himmel oder war es der Elfenberg?

Die Wände des Schlosses bewegten sich, glitten gegeneinander, – schlossen sich um ihn. Er war drinnen im Feenschloß, die Menschenwelt lag draußen. Da empfand er eine Angst, einen Schrecken, wie noch nie. Kein Ausgang war zu finden, aber vom Boden bis hoch an die Decke hinan, von allen Wänden lächelten ihn reizende junge Mädchen an; doch wie lebendig sie auch zu schauen waren, so kam ihm doch der Gedanke, daß sie nur gemalt seien. Er wollte zu ihnen sprechen, aber seine Zunge hatte keine Worte, die Sprachstimme war ganz und gar fort; kein Laut kam von seinen Lippen. Da warf er sich auf die Erde nieder, so unglücklich, wie er noch niemals früher gewesen.

Eine der Elfen trat auf ihn zu; sie meinte es gewiß gut mit ihm in ihrer Weise; sie hatte die Gestalt angenommen, die er am liebsten sehen mochte, sie ähnelte der Tochter des Apothekers; er glaubte fast, sie sei es; aber bald sah er, daß sie im Rücken hohl war, nur eine reizende Vorderseite hatte, hinten offen, gar nichts inwendig.

»Eine Stunde hier ist hundert Jahre draußen,« sagte sie, »du bist schon eine ganze Stunde hier gewesen. Alle die, welche du draußen kennst und liebst, sind gestorben! Bleibe bei uns! – ja hier bleiben mußt du, oder die Wände drücken dich zusammen, daß dir das Blut aus der Stirne spritzt!«

Und die Wände regten sich, und die Luft drinnen wurde glühend. Er bekam die Sprache.

»Mein Gott! Mein Gott! hast du mich verlassen?« rief er im tiefsten Seelenschmerz.

Da stand die Großmutter bei ihm. Sie nahm ihn in ihre Arme auf, sie küßte ihm die Stirn, sie küßte ihm den Mund.

»Mein eigener süßer Junge!« sagte sie, »der gute Gott verläßt dich nicht, er verläßt Niemand von uns, selbst den größten Sünder nicht. Gott sei Preis und Ehr' in aller Ewigkeit!«

Und sie zog ihr Gesangbuch hervor, dasselbe, aus welchem sie und Peter so manchen Sonntag gesungen hatten. Wie klang ihre Stimme, wie sang sie die Worte heraus! Alle die Elfenmädchen legten sich zur Ruh', sie hatten dieselbe gar sehr nöthig. Peter sang mit der Großmutter, wie er früher jeden Sonntag gesungen hatte; wie klang seine Stimme plötzlich kräftig und stark und dabei so weich; die Wände des Schlosses regten sich, gestalteten sich zu Wolken und Nebel; die Großmutter schritt mit ihm aus dem Berg in das hohe Gras hinaus, wo das Johanniswürmchen leuchtete und der Mond strahlte; aber wie waren seine Füße so matt, er vermochte nicht sie zu regen, zu heben, er sank in das Gras nieder, es war das weichste Bett; er ruhete so gut und erwachte beim Psalmensang.

Großmutter saß bei ihm, saß an seinem Bette in der kleinen Kammer im Hause Gabriels. Das Fieber war zu Ende, Gesundheit und Leben waren wieder zurückgekehrt.

Todtkrank war er gewesen. Unten im Garten hatten sie ihn an jenem Abend ohnmächtig aufgefunden; ein heftiges Fieber überfiel ihn; der Arzt meinte, er werde es nicht überstehen, er müsse sterben, und das wurde seiner Mutter geschrieben. Sie und Großmutter wollten und mußten zu ihm hin; Beide konnten sie jedoch nicht abkommen, und so reiste denn die alte Großmutter allein und auf der Eisenbahn.

»Das that ich einzig und allein um Peter!« sagte sie. »Ich that es in Gottes Namen, sonst hätte ich wahrlich glauben können, ich fliege mit dem bösen Geist auf Besenstiel durch die St. Johannisnacht.«


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