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XII.

Madame Hof erwartete unsern Peter und er kam auch.

»Jetzt sollst du meinen Hof kennen lernen!« sagte sie, »und du sollst meinen Ofenwinkel kennen lernen. An den dachte ich nicht, als ich »Circe« und die »Rosen-Elfe der Provence« tanzte! Ja, heutzutage denken Wenige an dieses Ballet und an die kleine Frandsen. »» Sic transit gloria im Munde!«« heißt es auf Lateinisch, sagt mein Hof so witzig, wenn ich von meiner Glorien-Zeit spreche. Er liebt es sehr, Andere für Narren zu halten, aber mit Herzen!«

Der Ofenwinkel war ein freundliches, ein wenig niedriges Zimmer mit Fußteppich und mit Portraits, wie sie für einen Buchbinder paßten. Hier sah man die Bilder von Gutenberg und Franklin, sowie von Shakespeare, Cervantes, Molière und den beiden erblindeten Poeten Homer und Ossian. Unter diesen hing, hinter Glas breit eingerahmt, eine in Papier ausgeschnittene Tänzerin mit großer goldener Busennadel und in Robe von Mull, das rechte Bein gen Himmel gehoben, und unter demselben stand ein Vers:

Wer kann sich Herzen ertanzen?
Und sich mit Unschuld umkranzen? –
Fräulein Emilie Frandsen!

Das sei von Hof gedichtet, welcher die schönsten Verse, am liebsten scherzhafte, schriebe. Das Bild habe er selbst ausgeschnitten, gekleistert und genäht, noch bevor er seine erste Frau heirathete. Es hatte lange Jahre im Kasten gelegen, jetzt prangte es in der Dichtergallerie: »meinem Ofenwinkel«, wie Madame Hof ihr kleines Zimmer nannte. Hier wurden Peter und Hof einander vorgestellt.

»Ist er nicht ein schöner Mann?« sagte sie zu Peter. »Mir ist er der schönste in der ganzen Welt!«

»Ja, Sonntags, wenn ich in den Staatskleidern eingebunden bin!« sagte Hof.

»Du bist schön ohne allen Einband!« sagte sie und neigte den Kopf, indem sie ein Gefühl überkam, als spreche sie hier ein wenig zu kindlich für ihre Jahre.

»Alte Liebe rostet nicht!« sagte Herr Hof. »Wenn Feuer in alten Häusern ausbricht, brennen sie bis auf den Grund!«

»Es ist wie mit dem Vogel Phönix,« sagte Madame Hof, »man steigt jung daraus hervor. Hier ist mein Paradies! Ich mache mir gar nichts daraus, anderswo hin zu gehen! Doch ja, ein Stündchen zu deiner Mutter und Großmutter!«

»Und zu deiner Schwester,« sagte Hof.

»Nein, mein Hofeleben! dort ist kein Paradies mehr. Ich will dir nur sagen, Peter, mein Schwager lebt in kleinen Verhältnissen und vielem Ungemach, man weiß nicht, was man dort sagen darf. Man darf das Wort »Mohr« nicht nennen, weil die älteste Tochter mit Einem verlobt ist, welcher Negerblut hat; man darf nicht bucklich sagen, einer der Knaben ist das; man darf nicht von Cassendefect sprechen, mein Schwager ist in dem Fall gewesen; man darf nicht einmal »im Walde gehen« sagen; Wald ist dort ein häßlicher Laut, denn er hieß Walde, der die Verlobung mit der jüngsten Tochter rückgängig machte. Ich liebe es nicht, wenn ich aus dem Hause gehe, irgendwo zu sitzen und den Mund zu halten; darf ich nicht reden, so ziehe ich mich in mich selbst zurück und bleibe in meinem Ofenwinkel. Wäre es nicht eine Sünde, wie man sagt, ich möchte Gott bitten, daß wir so lange leben, wie mein Ofenwinkel vorhält; hier wächst man besser nach innen. Hier ist mein Paradies und das hat mir Hof geschenkt.«

»Sie hat eine Goldmühle im Munde!« sagte Hof.

»Und du hast Goldkörner im Herzen!« sagte sie.

»Mil'chen, du bist gar zu hold!
Mahle uns den Sack voll Gold!«

sagte er, und sie kitzelte ihn unter dem Kinn.

»Siehst du, Peter, den Vers hat er nun im Augenblick gemacht, der könnte ganz gut gedruckt werden.«

»Ja, und auch eingebunden werden!« sagte Hof.

In solcher Weise scherzten die beiden alten Menschen.

*

Das Jahr verstrich, erst dann begann Peter eine Rolle einzustudiren; er wählte erst »Joseph«, aber tauschte diese doch mit der des Georg Brown in der Oper »Die weiße Dame« um. Worte und Musik eignete er sich bald an, und Walter Scott's Roman, der den Stoff geliefert hat, entnahm er ein klares, volles Bild von dem jungen, lebensfrohen Offizier, der die Berge seines Heimathlandes besucht und in die Burg seiner Väter gelangt, ohne sie zu kennen; ein altes Lied erweckt die Erinnerungen seiner Kindheit, das Glück ist in deren Gefolge, und er gewinnt Burg und Braut.

Das, was er so gelesen, gestaltete sich ihm, als habe er es selbst erlebt, als ein Kapitel seiner eigenen Lebensgeschichte; die melodienreiche Musik setzte ihn vollends in die richtige Stimmung. Es verging indeß sehr lange Zeit, bis die ersten Proben begannen. Es habe mit seinem Auftreten keine Eile, meinte der Singemeister; endlich aber stand dieselbe bevor. Peter war nicht nur Sänger, er war Schauspieler, und die Rolle lag ganz für seine Persönlichkeit. Chor und Orchester jubelten ihm den ersten großen Beifall zu, mit größter Erwartung sah man dem Abend der Vorstellung entgegen.

»Man kann zu Hause im Schlafrock ein großer Schauspieler sein,« sagte ein wohlwollender Kamerad, »kann sehr groß bei Tageslicht, aber mittelmäßig vor den Lampen und dem vollen Hause sein. Das wird sich nun zeigen!«

Peter hatte keine Angst, sondern eine heiße Sehnsucht nach dem entscheidenden Abend. Der Singemeister dahingegen befand sich im fieberhaftesten Zustand. Peter's Mutter hatte den Muth nicht, ins Theater zu gehen, sie würde ohnmächtig vor Angst um ihren lieben Jungen werden; Großmutter war krank, sie müsse das Zimmer hüten, hatte der Arzt gesagt, aber die treue Freundin, Madame Hof, versprach ihnen noch an demselben Abend Nachricht zu bringen, wie es gegangen sei. Madame Hof müsse hin und wenn sie todtkrank wäre.

Wie lang war der Abend! Wie dehnten sich die drei, vier Stunden ins Unendliche. Die Großmutter sang einen Psalm, betete mit der Mutter zusammen zum lieben, guten Gott für den kleinen Peter, daß er auch heute Abend der Glücks-Peter sein möge. Die Zeiger an der Uhr rückten langsam von der Stelle.

»Jetzt beginnt Peter!« sagten sie. »Jetzt ist er mitten drin! Jetzt hat er's überstanden!« Mutter und Großmutter sahen einander an, aber sie sprachen kein Wort weiter.

Auf der Straße tönte Wagengerassel; die Leute fuhren vom Theater. Die beiden Frauen blickten vom Fenster herab; es gingen Leute vorüber und sprachen laut und eifrig; sie kamen aus dem Theater, sie wußten das, was Lebensfreude oder auch große Betrübniß in die hohe Dachwohnung im Hause des Handelsherrn bringen würde.

Endlich kam Jemand die Treppe hinauf. Madame Hof stürzte ins Zimmer, hinter ihr Herr Hof. Sie warf sich Mutter und Großmutter an die Brust, sprach aber kein Wort; sie weinte, sie schluchzte.

»Du lieber Gott!« sagten Mutter und Großmutter, »wie ist es Peter ergangen?«

»Laßt mich weinen!« sagte Madame Hof; sie war zu erregt, zu gerührt. »Ich kann es nicht ertragen! Ach, Ihr lieben, lieben Menschen, Ihr könnt es auch nicht ertragen!« Und die Thränen rollten ihr über die Wangen.

»Haben sie ihn ausgepfiffen?« rief die Mutter.

»Nein, das nicht!« sagte Madame Hof. »Sie haben – daß ich das erleben sollte!«

Da weinten auch die Mutter und die Großmutter.

»Mäßige dich, Emilie!« sagte Herr Hof. – »Peter hat gesiegt! hat triumphirt! Man klatschte, daß das Haus fast eingestürzt wäre. Ich fühle es noch in meinen Händen. Es war ein Beifallssturm vom Parterre bis zur Gallerie; die ganze königliche Familie klatschte mit. Aber es war auch, was man einen Tag zum Rothanstreichen nennt für die Annalen des Theaters! Das war mehr als Talent, das war Genie!«

»Ja, Genie!« sagte Madame Hof; »das sage ich auch! Gott segne dich, Hof, daß du das Wort aussprachst. Ihr lieben Menschen! Nie habe ich geglaubt, daß Jemand so singen und Comödie spielen könnte, und ich habe doch die ganze Theatergeschichte durchgelebt!« Und sie weinte aufs Neue. Die Mutter und Großmutter lächelten, während die Thränen ihnen noch in den Augen perlten.

»Und nun wünschen wir wohl zu schlafen auf diese Nachricht!« sagte Herr Hof. »Komm, komm, Emilie! Gute Nacht! Gute Nacht!«

Sie verließen die Dachwohnung und zwei glückliche Menschen dort. Aber lange blieben die beiden Frauen nicht allein. Die Thüre ging auf und Peter, welcher erst den nächsten Vormittag zu kommen versprochen hatte, trat ein. Wußte er doch mit welchen Gedanken die Alten ihn begleiteten, in welcher Ungewißheit sie noch schweben könnten; als er deshalb mit dem Singemeister vom Theater aus an der Heimath seiner Kindheit vorüberfuhr, ließ er anhalten; oben im Dache war Licht, er mußte hinauf.

»Herrlich, prächtig, Alles gut gegangen!« jubelte er, küßte Mutter und Großmutter. Der Singemeister nickte mit strahlendem Gesicht und drückte ihnen die Hände.

»Aber jetzt muß er mit mir nach Hause und muß zu Ruhe!« sagte er, und der Abendbesuch war zu Ende.

»Guter Gott im Himmel, wie bist du gnädig und gut!« sagten die beiden Frauen. Sie sprachen bis tief in die Nacht hinein von Peter. Ringsum in der großen Stadt wurde von ihm, dem jungen, schönen, wunderbar begabten Sänger gesprochen. Soweit hatte der Glücks-Peter es gebracht.


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