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Ich träumt', ich wär' ein Vögelein.

Ich träumt', ich wär' ein Vögelein,
Das flög über weite Lande;
Was das Herz empfand, was das Auge sah,
Zu verschweigen war nicht ich im Stande.

Ich sang die Gedanken aus tiefster Brust,
Sang Sorgen- und Freudenschätze;
Ich schwang mich über das brausende Meer
In fremde Städte und Plätze.

Eines Morgens saß ich auf grünem Zweig
Und zwitscherte meine Gesänge;
Die Blumen standen im Grase rings
Im wunderschönsten Gedränge.

Doch Eine, die war an Farb' und Duft
Die Schönste, was bald ich erkannte;
Ich sah nur auf diese, ich sang nur für sie,
Und vergaß nun die fremden Lande.

Bei ihr nur wollt' ich wohnen und bau'n,
Wenn ich nie auch die Flügel mehr schwänge;
Ich wollte zwitschern mein bestes Lied,
Bis das Herz darüber mir spränge.

Sie bog sich im Winde bescheiden hin,
Ich berührte ihr Kleidchen voll Wonne,
Ich verstand den Gedanken im Blätterduft,
Der erröthete sanft in der Sonne.

Und die Blume neigte ihr Köpfchen dann,
Ich erinn're mich stets auf's Neue;
Mir war's, als läs' ich der Liebe Huld
In ihrem Auge voll Treue.

Da kam ein Jäger, so jung und schön,
Auf der Schulter trug er die Flinte;
Der nahm meine Blume und steckte sie hübsch
Ins Knopfloch als Angebinde.

Ein Tröpfchen fiel von der Blume Blatt,
Ich glaubte, es sei eine Thräne;
Da sang ich und dacht' ich, nun schießt er mich wohl,
Der ich ja den Tod mir ersehne.

Stets duftet die Blume so schön wie je,
Seitdem sie am Rocke gesessen;
Ich aber fliege von Ort zu Ort:
O könnt' ich der Blume vergessen.

Ich trau're, doch sing' ich noch mehr wie zuvor,
Wenn in Lüften ich flattre so bange –
Vielleicht kommt einmal ein Jägersmann
Und schießt mich mitten im Sange.


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