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XV.
Die Vergebung.

Das Wiedersehen von Onkel und Nichte war in hohem Grade rührend. Der seit einiger Zeit so schwer geprüfte alte Soldat fühlte sich glücklich, mit seinen Armen das Naturkind wieder zu umfangen, das seine ganze Familie ausmachte und durch ein wahres Wunder den ihr drohenden Gefahren entronnen war. Sie plauderten lange mit einander; der General erzählte ihr, wie es ihm in der Gefangenschaft ergangen, und konnte dem fragenden Mädchen gegenüber nicht ausführlich genug sein.

»Aber was ist jetzt Eure Absicht, Onkel?« lautete ihre Uebergangsfrage.

»Ach, mein Kind,« antwortete er wehmüthig und mit einem unterdrückten Seufzer, »wir müssen ohne Säumen diese schrecklichen Gegenden verlassen und nach Mexiko zurückkehren.«

Dem Mädchen wurde das Herz schwer, obschon sie in ihrem Innern die Nothwendigkeit einer schleunigen Rückkehr erkannte. Umkehren hieß von dem scheiden, den sie liebte, ohne Hoffnung auf ein mögliches Wiedersehen von dem Manne sich trennen, dessen trefflichen Charakter sie in jeder Minute traulicheren Umgangs mehr würdigen lernte, und der bereits für ihr Leben und ihr Glück zu einer Nothwendigkeit geworden war.

»Was hast Du, mein Kind? Du bist traurig und Deine Augen sind verweint,« sagte der General, ihr mit Innigkeit die Hand drückend.

»Ach, Onkel,« versetzte sie in wehmüthigem Ton, »warum sollte ich nicht traurig sein nach den Ereignissen der letzten Tage? Das Herz blutet mir.«

»Es ist wahr; wir sind die Zeugen und die Opfer von Schreckensscenen gewesen, die wohl zur Trauer stimmen können; aber Du bist noch jung, mein Kind, und in kurzer Frist werden die Unthaten, die Du künftig nicht mehr zu fürchten brauchst, nur noch als flüchtige Erinnerungen in Dir fortleben.«

»Werden wir bald aufbrechen?«

»Wo möglich morgen schon; denn was sollen wir weiter hier thun? Der Himmel selbst erklärt sich gegen mich, da er mich zwingt ein Vornehmen aufzugeben, dessen Gelingen das Glück meiner alten Tage ausgemacht haben würde. Doch Gott würdigt mich dieses Trostes nicht: sein Wille geschehe.«

»Was wollt Ihr damit sagen, Onkel?« fragte die Nichte mit Lebhaftigkeit.

»Nichts, was zur Zeit Interesse für Dich hätte. Es ist überhaupt besser, daß Du nichts davon erfährst und ich mein Leid allein trage. Ich bin alt und schon daran gewöhnt.«

»Mein armer Onkel.«

»Ich danke Dir für Deine liebevolle Theilnahme, Kind. Doch verlassen wir diesen traurigen Gegenstand und sprechen wir lieber von den tapfern Männern, gegen die wir so große Verpflichtungen haben.«

»Von Treuherz,« flüsterte Donna Luz erröthend.

»Ja, von Treuherz,« versetzte der General, »und von seiner Mutter, der würdigen Frau, der ich wegen der Wunde des armen Belhumeur noch nicht dafür danken konnte, daß sie es Dir, wie Du sagst, an nichts fehlen ließ.«

»Sie war wie eine zärtliche Mutter für mich besorgt.«

»Wie kann ich ihr und ihrem edlen Sohn je meine Schuld abtragen? Sie ist glücklich, daß sie ein solches Kind hat. Ach, mir ist diese Freude nicht gegönnt. Ich stehe allein.«

Und der General verhüllte traurig sein Gesicht mit den Händen.

»Und ich?« fragte das Mädchen.

»Ja, Du,« entgegnete er, sie mit Innigkeit umarmend; »Du bist meine liebe Tochter; aber ich habe keinen Sohn.«

»Das ist wahr,« murmelte sie träumerisch.

»Treuherz ist ein zu edler Charakter,« fuhr der General fort, »als daß er etwas von mir annehmen würde. Was ist da zu thun? Wie entledige ich mich meiner Verpflichtungen nach den unsäglichen Diensten, die er uns erwiesen hat?«

Es folgte ein kurzes Schweigen. Donna Luz beugte sich zu ihrem Onkel nieder, küßte ihn auf die Stirne und sagte mit leiser, bebender Stimme, während sie ihr Gesicht an seiner Schulter verbarg:

»Onkel, mir kömmt ein Gedanke.«

»Sprich ohne Furcht, meine Liebe; vielleicht hat ihn Dir Gott eingegeben.«

»Ihr habt keinen Sohn, dem Ihr Euren Namen und Euren Reichthum hinterlassen könnt?«

»Ach,« murmelte er; »ich glaubte einen Augenblick, einen finden zu können, aber diese Hoffnung ist für immer verschwunden. Du weißt; daß ich allein stehe.«

»Treuherz und noch mehr seine Mutter werden nichts von Euch annehmen wollen?«

»Nein.«

»Indeß glaube ich, daß es ein Mittel gibt, sie zu verbinden und es ihnen sogar aufzudrängen.«

»Das wäre?«

»Ihr klagt ja immer, Onkel, daß Ihr keinen Sohn habt, dem Ihr Euren Namen hinterlassen könnt. Warum nehmt Ihr nicht Treuherz an Sohnes statt an?«

Der General faßte sie in's Auge; sie war von Scharlach übergossen und zitterte.

»Ei, Mädchen,« versetzte er, sie mit Zärtlichkeit umarmend, »Dein Gedanke ist nicht übel, aber nicht ausführbar.«

»Vielleicht doch,« flüsterte die Sennorita.

»Und selbst das Unmögliche angenommen,« fuhr der General fort, »seine Mutter ginge darauf ein, um ihm einen Rang in der Gesellschaft zu sichern, so würde er sich weigern. Glaubst Du denn, mein Kind, dieser in der Wildniß erzogene Mann, der sein ganzes Leben unter ergreifenden Scenen und Angesichts einer erhabenen Natur verbrachte, werde wegen einer Hand voll Goldes, das er als etwas Unnützes verachtet, auf das schöne, abenteuerliche Leben verzichten?«

»Wer weiß?« entgegnete sie, den Kopf schüttelnd.

»Gott ist mein Zeuge,« sagte der General. mit Nachdruck, »daß ich mich glücklich schätzen würde, wenn er darauf einginge, denn dann wären alle meine Wünsche erfüllt.«

»Versucht es immerhin, Onkel. Wird Euer Antrag zurückgewiesen, so habt Ihr wenigstens Treuherz bewiesen, daß Ihr nicht undankbar seid und daß Ihr seinen wahren Werth zu schätzen wißt.«

»Du willst es?« versetzte der General, der nur noch eines ermuthigenden Zuspruchs bedurfte.

»Ich bitte darum, Onkel,« versetzte sie, ihn umarmend, um ihre Freude und die Glut ihrer Wangen zu verbergen. »Ich weiß nicht, warum, aber es ist mir, als ob Ihr Euren Zweck erreichen würdet.«

»Sei es darum,« erwiederte der General mit einem wehmüthigen Seufzen. »Bitte Treuherz, daß er mit seiner Mutter zu mir komme.«

»Das soll sogleich geschehen sein,« rief sie vor Freude strahlend, hüpfte wie eine Gazelle von hinnen und war rasch hinter einer Ecke der Höhle verschwunden.

Der General senkte inzwischen gedankenvoll das Haupt und vertiefte sich in ernste Betrachtungen. Nach einigen Minuten erschien Donna Luz wieder und brachte Treuherz und dessen Mutter mit sich. Der General richtete sich auf, grüßte die Ankömmlinge höflich und gab seiner Nichte einen Wink, sich zu entfernen. Das Mädchen gehorchte mit klopfendem Herzen.

Es herrschte in diesem Theil der Höhle ein Helldunkel, das die Gegenstände nur unvollkommen unterscheiden ließ. Auch hatte Treuherzens Mutter ihren Rebozo in einer Weise angelegt, daß ihr Gesicht fast ganz verhüllt wurde.

»Ihr habt nach uns verlangt, General,« begann Treuherz. »Wie Ihr seht, haben wir uns beeilt, Eurem Wunsche zu entsprechen.«

»Ich danke Euch, mein Freund, für Eure Bereitwilligkeit,« versetzte der General. »Zuvörderst erlaubt mir, Euch meinen Dank für die wichtigen Dienste auszudrücken, die Ihr mir erwiesen habt – ebenso Eurer trefflichen Mutter für ihre zärtliche Sorgfalt gegen meine Nichte.«

»General,« entgegnete der Jäger bewegt, »ich danke Euch für diese gütigen Worte, die mich reichlich für Alles belohnen, was Ihr mir zu schulden glaubt.«

»Gleichwohl muß ich darauf bestehen, daß Ihr mir gestattet, Euch in einer andern Weise zu lohnen.«

»Mir zu lohnen?« rief der junge Mann, und eine Glutröthe überzog sein Angesicht.

»Laßt mich ausreden,« nahm der General wieder das Wort. »Sollte Euch der Vorschlag, den ich Euch machen möchte, nicht gefallen, so könnt Ihr mir ja eben so unverholen antworten, wie ich Euch frage.«

»So redet, General: ich höre.«

»Mein Freund, die Reise, welche ich in die Prairieen machte, hatte einen heiligen Zweck, den ich leider nicht erreichen konnte. Ihr seht selbst den Grund, denn meine Begleiter sind an meiner Seite erschlagen worden. So stehe ich fast ganz allein und bin genöthigt, eine Nachforschung aufzugeben, deren glücklicher Erfolg mir den kleinen Rest meiner Tage versüßt haben würde. Gott sucht mich bitter heim. Ich habe alle meine Kinder sterben sehen; eines, ein Sohn, ist mir vielleicht noch geblieben, aber in einem Augenblicke unbesonnenen Zornes verbannte ich ihn aus meinem Angesicht. Ich habe keinen Erben, dem ich nicht mein Vermögen, sondern meinen Namen hinterlassen könnte, der durch eine lange Reihe von Ahnen fleckenlos auf mich gekommen ist. Wollt Ihr mir die Familie ersetzen; die mir fehlt? Wollt Ihr mein Sohn sein?«

Bei den letzteren Worten hatte der General die Hand des Jägers ergriffen; Thränen perlten in seinem Auge, als er sie mit Wärme drückte.

Das unverhoffte Anerbieten kam Treuherz im höchsten Grade überraschend; das Herz klopfte ihm, und er wußte nicht, was er antworten sollte.

Da warf seine Mutter ihren Rebozo zurück. Ihr Gesicht war von Freude verklärt. Sie trat zwischen die beiden Männer, legte ihre Hand auf die Schulter des Generals, den sie festen Blicks betrachtete, und sprach mit vor Aufregung zitternder Stimme:

»Endlich, Don Ramon de Garillas, verlangt Ihr den Sohn wieder zurück, den Ihr vor zwanzig Jahren so grausam verstoßen habt.«

»Frau, was, wollt Ihr damit sagen?« entgegnete der General aus beklommener Brust.

»Nur so viel,« erwiederte sie mit majestätischem Nachdruck, »daß ich Donna Jesusita, Eure Gattin, bin, und daß Ihr in Treuherz Euren verstoßenen Sohn Raphael vor Euch habt.«

»Oh!« rief der General, auf die Kniee niederfallend und in einen Thränenstrom ausbrechend, »Verzeihung, Verzeihung, mein Sohn!«

»Vater,« rief Treuherz, der auf ihn zueilte und ihn aufzuheben versuchte, »was thut Ihr doch?«

»Mein Sohn,« entgegnete der Greis, außer sich vor Schmerz und Freude, »laß mich knieen, bis ich Deine Verzeihung erhalten habe.«

»Steht auf, Don Ramon,« sagte Donna Jesusita in mildem Tone; »schon lange birgt das Herz der Mutter und des Sohnes nur noch Liebe und Achtung für Euch.«

»Oh!« rief der Greis, der freudetrunken bald die Gattin, bald den Sohn umarmte, »das ist zu viel Glück. Ich verdiene diesen Segen nicht nach meinem grausamen Benehmen.«

»Vater,« versetzte der Jäger, »jener wohlverdienten Züchtigung verdanke ich es, wenn ich ein Ehrenmann geworden bin. Denkt an die Vergangenheit nur noch wie an einen Traum und freut Euch der Zukunft, die Euch lächelnd entgegenkommt.«

In diesem Augenblick näherte sich Donna Luz schüchtern. Sobald der General sie bemerkte, eilte er auf sie zu, ergriff sie bei der Hand und führte sie zu Donna Jesusita, welche das Mädchen in ihre Arme schloß.

»Du kannst Treuherz ohne Furcht lieben, meine Nichte,« sagte er mit vor Freude strahlendem Antlitz; »denn er ist wirklich mein Sohn. Gott hat es in seiner grenzenlosen Güte gefügt, daß ich in einem Augenblick, ihn wieder fand, als ich an einem solchen Glück schon verzweifelte.«

Das Mädchen stieß einen Freudenruf aus und verbarg ihr Gesicht an dem Busen der Donna Jesusita; die Hand aber überließ sie Don Raphael, der dieselbe, vor ihr niederfallend, mit Küssen bedeckte.

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