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XII.
Der schwarze Elch.

Die Sonne hatte sich kaum über den Horizont erhoben, als der General die Schilfhütte, die ihm zum Nachtlager diente, verließ, um seinen Ausflug anzutreten Er stand bereits im Bügel, da hob eine zarte Hand den Vorhang des Zeltes und Donna Luz trat heraus.

»Ah, schon auf,« sagte der General lächelnd. »Um so besser, mein Kind. So kann ich Dich doch vor meinem Aufbruch umarmen. Das bringt vielleicht Glück,« fügte er mit einem leisen Seufzer bei.

»Ihr dürft mir so nicht gehen, Onkel,« entgegnete sie, ihm ihre Stirne zum Kuß darbietend.

»Warum nicht, mein Fräulein?« sagte er heiter.

»Weil ich für Euch etwas zubereitet habe, das Ihr vorher einnehmen müßt. Nicht wahr, Ihr thut mir den Gefallen, mein guter Onkel?« sprach sie mit jenem schelmischen Lächeln verzogener Kinder, welches das Herz der Alten erfreut.

»Ei freilich, mein liebes Kind, vorausgesetzt, daß Dein Frühstück nicht lange warten läßt. Ich habe Eile.«

»Nur einige Minuten,« entgegnete das Mädchen, in das Zelt tretend.

»Sei's drum,« erwiederte er, ihr folgend.

Die Sennorita schlug erfreut die Hände zusammen. Das Frühstück war im Nu bereit und der General setzte sich mit seiner Nichte an den Tisch. Während letztere dafür Sorge trug, daß es ihrem Onkel an nichts fehlte, sah sie ihn fortwährend von unten auf mit verlegener, aber doch so liebevoller Miene an, daß der alte Soldat es zuletzt bemerken mußte.

»Laß hören,« sagte er, sie gleichfalls betrachtend; »Du hast etwas auf dem Herzen, Lucita, und Du weißt wohl, daß ich Dir nichts abzuschlagen pflege.«

»Das ist wahr, Onkel; aber doch fürchte ich, daß Ihr mir es abschlagt.«

»Nun, heraus damit,« erwiederte der alte Soldat. »Sprich ohne Furcht, denn ich kann erst antworten, wenn ich weiß, was Du willst.«

»Gut, Onkel,« sagte sie erröthend, »ich gestehe, daß mir der Aufenthalt im Lager nichts weniger als angenehm vorkommt.«

»Ich glaube das wohl; aber was kann ich machen?«

»Alles.«

»Wieso?«

»Wenn Ihr da bliebet, so wäre es schon recht; ich hätte dann Euch immer bei mir.«

»Was Du sagst, ist recht schön; aber Du weißt, daß ich alle Morgen ausreiten muß, und so kann ich nicht zugleich auch zu Hause sein.«

»O, da gäb' es ein einfaches Mittel.«

»Nun?«

»Ihr nehmt mich ganz einfach alle Morgen mit.«

»Oh!« rief der General und runzelte seine Brauen, »was verlangst Du da von mir, liebes Kind?«

»Etwas ganz Einfaches, wie mich däucht, Onkel.«

Der General gab keine Antwort und sann nach. Das Mädchen verwandte kein Auge von seinen Zügen. Endlich blickte er auf und murmelte vor sich hin:

»Am Ende hat sie Recht.«

Dann heftete er einen spähenden Blick auf seine Nichte und fügte bei:

»Es würde Dir also Freude wachem mich zu begleiten?«

»Gewiß, Onkel.«

»Gut; so rüste Dich, mein Kind. Du sollst fortan an meinen Ausflügen Theil nehmen.«

Das Mädchen fiel ihm um den Hals und gab Befehl, ihr Pferd zu satteln. Eine Viertelstunde später verließ sie mit ihrem Onkel, von der Amsel und zwei Lanceros begleitet, das Lager, um in den Wald hineinzureiten.

»Wohin wollt Ihr heute, General?« fragte der Führer.

»Führt mich zu den Hütten der Trapper, von denen Ihr mir gestern gesagt habt.«

Der Führer verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams. Der kleine Trupp rückte sachte und mit Mühe auf dem bahnlosen Grunde vorwärts, wobei die Pferde sich bald in den Linnen verstrickten, bald über die Baumwurzeln strauchelten. Donna Luz fühlte sich glücklich, da sie auf diesen Ausflügen Treuherz zu begegnen hoffte.

Plötzlich stieß die Amsel, welche den Vortrab bildete, einen Schrei aus.

»Was gibt's denn so Außerordentliches, Meister Amsel,« sagte der General, »daß Ihr es für gut haltet, Euer Schweigen zu unterbrechen?«

Der Führer trat an seine Seite, legte den Finger an die Lippen und flüsterte ihm zu:

»Ein Mensch!«

Alles machte Halt; denn das Wort »Mensch« deutet in der Wildniß fast immer einen Feind an, der von seines Gleichen mehr gefürchtet wird, als das wildeste Thier.

Auf die Meldung: »ein Mensch« machten sich der General und seine Lanceros alsbald bereit, einem plötzlichen Angriff zu begegnen, indem sie die Gewehre füllten und sich möglichst durch das Gesträuch deckten.

Etwa fünfzig Schritt von ihnen stand, die Hände auf die Mündung einer langen Büchse gestützt, ein hoher Mann mit energischen Zügen und einem freien entschiedenen Blick, welcher sie aufmerksam beobachtete. Einige Schritte von ihm labte sich sein Pferd an abgefallenen Eicheln. Es war, wie sein Herr, auf's Phantastischste herausgeputzt.

Beim Anblick dieses Mannes konnte der General einen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken.

»Zu welchem Indianerstamm gehört dieser Mensch?« fragte er den Führer.

»Er ist ein weißer Trapper.«

»In dieser Kleidung?«

»Wir sind in den Prairien,« versetzte der Führer achselzuckend.

Den Fremden schien das Zögern der Truppe zu ermüden, und da ihm darum zu thun sein mochte, zu wissen, was er von den Reisenden zu halten habe, so nahm er zuerst das Wort.

»Alle Henker, wer seid Ihr und was sucht Ihr hier?« sagte er in englischer Sprache.

»Caramba!« entgegnete der General, sein Gewehr schulternd und seinen Begleitern das Gleiche anbefehlend, »wir sind Reisende, die der lange Marsch ermüdet hat. Die Sonne brennt und wir erbitten uns die Erlaubniß, eine kleine Weile in Eurem Rancho auszuruhen.«

Auf diese spanisch gesprochenen Worte erwiederte der Trapper in derselben Zunge:

»Kommt ohne Furcht näher. Der schwarze Elch ist ein guter Kerl, wenn man ihn nicht ärgert. Nehmt vorlieb mit meiner geringen Habe, und möge sie Euch wohl bekommen.«

Bei dem Namen »schwarzer Elch« konnte der Führer eine Bewegung des Erschreckens nicht unterdrücken. Er wollte einige Worte sprechen, fand aber keine Zeit dazu, denn der Jäger warf seine Büchse über die Schultern, schwang sich in den Sattel und kam auf die Mexikaner zugeritten.

»Mein Rancho ist nur einige Schritte von hier,« sagte er zu dem General. »Wenn sich die Sennorita einen gut gewürzten Büffelrücken belieben lassen will, so bin ich in der Lage, ihr damit aufzuwarten.«

»Ich danke Euch, Caballero,« versetzte das Mädchen lächelnd; »doch ist mir jetzt Ruhe nöthiger als alles Andere.«

»Alles zu seiner Zeit,« sagte der Trapper. »Erlaubt mir, für eine Weile das Amt Eures Führers zu übernehmen.«

»Wir stehen zu Befehl,« entgegnete der General. »Reitet voran; wir folgen.«

»Also vorwärts,« sagte der Trapper, sich an die Spitze des Zugs stellend. In diesem Moment fiel jedoch zufällig sein Blick auf den Führer, und seine dichten Brauen runzelten sich.

»Hm!« murmelte er. »Was hat dies zu bedeuten? Nun, wir werden sehen.«

Und ohne sich weiter mit diesem Menschen abzugeben, ja, ohne eine Miene, daß er ihn erkannt habe, ertheilte er das Zeichen zum Aufbruch.

Das Mädchen ritt neben dem Trapper her, welcher mit ihr über das Leben in der Prairie plauderte. Plötzlich, als sie hinter einem Hügel sich wie von der übrigen Gesellschaft abgeschnitten sahen, machte der Trapper Halt, sah sich lauschend nach allen Seiten um, neigte sich dann gegen das Mädchen und legte ihr leicht seine Hand auf den rechten Arm.

»Hört mich an,« sagte er.

Donna Luz hielt unruhig und bebend das Pferd an. Der Trapper bemerkte ihre Aufregung.

»Seid unbesorgt,« sagte er; »ich bin ein ehrlicher Mann, und Ihr seid bei mir allein in der Wildniß so sicher, als knietet Ihr vor dem Hauptaltar der Cathedrale in Mexiko.«

Das Mädchen warf einen verstohlenen Blick auf den Trapper. Ungeachtet der wunderlichen Tracht hatte sein Gesicht einen so offenen Ausdruck und sein Auge war so ruhig und klar, daß sie sich vollkommen beruhigt fühlte.

»Was wollt Ihr?!« fragte sie.

»Ihr gehört zu den Fremden, die seit einigen Tagen die Prairie nach allen Richtungen durchforschen?«

»Ja.«

»Und Ihr habt so eine Art Narren mit blauer Brille und gelber Perrücke bei Euch, der zu Gott weiß welchem Zwecke Kräuter und Steine zusammenträgt, statt wie ein braver Jäger dem Biber aufzulauern oder den Hirsch zu erlegen.«

»Ich kenne den Mann, von dem Ihr sprecht. Er gehört zu unserem Trupp und ist ein sehr geschickter Arzt.«

»Ich weiß dies aus seinem eigenen Munde, denn er kommt oft in diese Gegend und wir sind gute Freunde. Er ließ mich ein Pulver einnehmen und heilte mich von einem Fieber, das mich schon zwei Monate gequält hatte.«

»Es freut mich, daß die Arznei so gut bei Euch anschlug.«

»Für diesen Dienst möchte ich Euch wohl auch eine Gefälligkeit erweisen. Hört mir aufmerksam zu, Sennorita. Ich bin nur ein armer Mann; aber hier in der Prairie wissen wir Manches, was Gott uns offenbart, weil wir ihn stets vor Augen haben. Ich möchte Euch einen guten Rath ertheilen. Der Mensch, welcher Euch zum Führer dient, ist ein Erzspitzbube und als solcher in allen Prairien des Westens bekannt. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn er Euch nicht in eine Falle zu führen sucht; denn es fehlt hier nicht an schlimmen Patronen, mit denen er zu Eurem Verderben Abrede treffen und hinterdrein Eure Habe an sich bringen kann. Beobachtet deßhalb, ohne es Euch merken zu lassen, alle Schritte Eures Führers.«

»Und dann ...«

»Ihr könnt Euch wohl denken,« unterbrach er sie, »daß ich Euch kein Mißtrauen einflößen will, um Euch hinterdrein, wenn Noth an den Mann geht, im Stich zu lassen.«

»Ich glaube Euch.«

»Gut. Wenn Ihr nun von dem Verrath Eures Führers überzeugt seid, so schickt Euren alten Narren von Doctor an mich und laßt mir durch ihn die Worte sagen: ›Schwarzer Eich, die Zeit ist da.‹ Weiter nichts. Habt Ihr's gemerkt?«

»Ja. Aber ich begreife nicht, in wiefern Ihr uns nützlich werden könnt.«

Der Trapper lächelte mit geheimnißvoller Miene.

»Hm!« sagte er; »diese paar Worte führen binnen zwei Stunden fünfzig der entschlossensten Prairiemänner an Eure Seite – Männer, welchen es, wenn meine Besorgnisse sich verwirklichen, auch auf ein Blutbad nicht ankommt, um Euch aus den Händen derer zu befreien, die Euch nachstellen.«

Es trat eine kurze Pause sein, während welcher sich Donna Luz in ein träumerisches Nachsinnen vertiefte. Der Trapper lächelte.

»Das lebhafte Interesse, das ich Euch bezeuge, darf Euch nicht Wunder nehmen,« sagte er. »Ein Mann, dem ich alle Gewalt über mich einräume, hat mir einen Eid abgenommen, daß ich über Euch wachen solle, so lang eine ernstliche Verpflichtung ihn ferne hält.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte das Mädchen neugierig; »und wer ist dieser Mann?«

»Ein Jäger, dem alle weißen Trapper der Prairie zu Gebot stehen. Er wußte, daß Ihr die Amsel zum Führer habt, und schloß daraus, daß der Mestize Euch in eine Schlinge zu führen beabsichtige.«

»Aber der Name des Jäger?« rief sie in ängstlichem Tone.

»Treuherz. Werdet Ihr mir jetzt vertrauen?«

»Ich danke Euch, mein Freund,« entgegnete das Mädchen mit Wärme. »Euer Rath soll befolgt werden. Ich will Euch an Euer Versprechen erinnern, wenn es die Noth fordert.«

»Ihr werdet gut daran thun, Sennorita, da Euch dann wohl kein anderer rettender Ausweg zu Gebot stehen dürfte. Behaltet indeß unser Gespräch für Euch und gebt Euch ja nicht das Ansehen, daß Ihr ein Einverständniß mit mir habt; denn dieser Mestizenteufel ist so schlau wie ein Biber. Wenn er etwas wittert, wird er Euch wie ein Aal aus der Hand gleiten.«

»Seid unbesorgt; ich werde stumm bleiben.«

»Denkt stets an das Eine: Treuherz wacht über Euch!«

»Er hat mir schon einmal bei dem Prairienbrand das Leben gerettet,« sagte sie bewegt.

»Aha!« murmelte der Trapper, sie mit eigenthümlichem Ausdruck betrachtend; »um so besser dann. Fürchtet nichts, Sennorita,« fügte er bei; »wenn Ihr meinem Rath pünktlich folgt, so wird Euch in der Prairie nichts begegnen, was auch immer für Verrath gegen Euch gesponnen werden möge.«

»Ich schwöre Euch,« rief die Sennorita, »daß ich nicht säumen werde, in der Stunde der Gefahr meine Zuflucht zu Euch zu nehmen.«

»Das wäre abgemacht,« sagte der schwarze Elch lächelnd. »Laßt uns jetzt auf die Andern warten.«

Der General machte seiner Nichte wegen des Vorausreitens leichte Vorwürfe; Donna Luz aber ließ sich in der Freude über die Botschaft von Treuherz auf keine Rechtfertigung ein.

Unter der Führung des Trappers zog jetzt der kleine Trupp weiter und hatte nach kurzem Ritte eine elende, aus Baumzweigen geflochtene Hütte erreicht, die kaum die Strahlen der Sonne abhielt. Indeß erwies ihr Besitzer den Fremden alle mögliche Ehre.

Ein zweiter Trapper kauerte vor dem Rancho und war eifrig mit der Zubereitung des Büffelrückens beschäftigt, welchen der schwarze Elch seinen Begleitern in Aussicht gestellt hatte. Dieser Mensch, welcher ganz so gekleidet war, wie sein Waidgefährte, mochte etwa vierzig Jahre zählen; aber die Anstrengungen und Entbehrungen seines schweren Berufs hatten unverwüstliche Furchen in sein Gesicht gegraben, so daß er viel älter aussah.

»Nehmt Platz, Sennorita, und auch Ihr, meine Herren,« sagte der schwarze Elch höflich; »mein Hauswesen ist zwar arm, aber doch groß genug, um euch Alle aufzunehmen.«

Die Reisenden nahmen die Einladung bereitwillig an, sprangen von ihren Pferden und hatten sich bald behaglich auf der mit Bären-, Elenn- und Büffelhäuten bedeckten Blätterstreu ausgestreckt. Die Ruhe wurde ihnen noch durch einige Tassen trefflichen Maycals versüßt, den der General auf seinen Ausflügen stets mit sich führte und der auch von den Trappern nach Verdienst gewürdigt wurde.

Während Donna Luz, der Führer und die Lanceros ihre Siesta hielten, bis sich die maßlose Sonnenhitze etwas gelegt hatte, bat der General seinen Wirth, ihm zu folgen, und verließ mit ihm die Hütte. In einiger Entfernung ließ er sich unter einem Ebenholzbaum nieder, forderte seinen Begleiter auf, das Gleiche zu thun, und ergriff nach einer kurzen Pause folgendermaßen das Wort:

»Mein Freund, zuerst meinen Dank für Eure Gastlichkeit; nach Erfüllung dieser Pflicht aber möchte ich einige Fragen an Euch richten.«

»Caballero,« versetzte der Trapper ausweichend, »Ihr kennt das Sprichwort der Rothhäute: ›Zwischen jedem Wort rauch dein Calumet, damit du erwägen kannst, was du sprichst.‹«

»Das Sprichwort ist gut; aber seid unbesorgt. Wie lange wohnt Ihr schon in den Prairien?«

»Seit zehn Jahren, und gebe Gott, daß ich noch so lange bleiben darf.«

»Dieses Leben gefällt Euch also?«

»Besser, als ich auszusprechen vermag. Man muß, wie ich, in frühester Jugend angefangen, allen Prüfungen sich unterzogen, alle Leiden durchgemacht und an allen Gefahren Theil genommen haben, um die berauschende Lust, die himmlische Wonne und die unbekannten Hochgenüsse zu begreifen, welche das Prairieleben bietet.«

Der General seufzte tief auf und eine Thräne rollte verstohlen in seinen grauen Bart.

»Ihr habt Recht,« sagte er wehmüthig. »Dieses Leben hat eigenthümliche Reize für den, der sie kennt. Wo seid Ihr ursprünglich zu Hause?«

»Zu Quebek, Herr. Ich bin ein Canadier.«

»Ah!«

Es folgte nun eine Pause, welche der General zuerst wieder unterbrach.

»Habt Ihr unter Euren Kameraden keine Mexikaner?«

»Mehrere.«

»Könntet Ihr mir wohl Auskunft über sie geben?«

»Dies kann nur ein Mann, welcher leider jetzt nicht hier ist.«

»Und der wäre?«

»Treuherz.«

»Treuherz!« versetzte der General lebhaft. »Ich meine, ich sollte ihn kennen.«

»Ich denke auch.«

»Das fügt sich ja recht unglücklich.«

»Vielleicht wird es Euch leichter, ihm zu begegnen, als Ihr glaubt, wenn es Euch wirklich von Interesse ist, ihn zu sehen.«

»Ich brenne vor Begier.«

»Dann wird sich bald Gelegenheit bieten.«

»Wie so?«

»Ganz einfach. Die Fallen hier herum gehören ihm, und ich beaufsichtige sie für ihn. Er kann unmöglich lange ausbleiben.«

»Gott gebe es!«, rief der General aufgeregt.

»Wenn er kommt, sollt Ihr Nachricht erhalten, vorausgesetzt, daß Ihr dann noch in Eurem Lager seid.«

»Ihr kennt das Lager meines Trupps?«

»Wir wissen alles, was in der Wildniß vorgeht,« versetzte der Trapper lächelnd.

»Ich nehme Euch beim Wort.«

»Ihr habt es.«

»Ich danke.«

In diesem Augenblick kam Donna Luz aus der Hütte heraus. Der General empfahl dem Trapper durch ein Zeichen Stillschweigen und kehrte zu seiner Nichte zurück. Die Reisenden stiegen wieder zu Pferd, dankten den Trappern für ihre herzliche Aufnahme und schlugen die Richtung nach dem Lager ein.#

Der Rückweg lief traurig genug ab; der General hatte sich über seine Unterhaltung mit dem Trapper in Gedanken vertieft, und Donna Luz träumte über die ihr gemachte Mittheilung, während der Führer, beunruhigt durch die Gespräche des schwarzen Elchs mit dem General und der Sennorita, eine geheime Ahnung hatte, daß er auf der Hut sein müsse. Nur die beiden Lanceros ritten sorglos weiter, ohne an etwas anderes zu denken, als an die Ruhe, die ihrer im Lager wartete.

Die Amsel warf unablässig scheue Blicke um sich und schien in dem dichten Gestrüpp, durch das sie ritten, Helfer zu suchen. Der Tag neigte sich zu Ende und schon ließen die geheimnißvollen Bewohner des Waldes in Zwischenräumen ihr dumpfes Heulen vernehmen.

»Haben wir noch weit?« fragte plötzlich der General.

»Kaum noch eine Stunde,« antwortete der Führer.

»Beeilen wir uns; ich möchte nicht in diesem Dickicht von der Nacht überrascht werden.«

Der Trupp holte schärfer aus, und nach einer halben Stunde hatten sie die ersten Barrikaden des Lagers erreicht. Der Capitän Aquilar und der Doctor kamen ihnen entgegen.

Das Nachtessen harrte schon lange, und man begab sich zu Tisch; die schweigsame Trauer aber, welche seit einigen Stunden auf dem General und seiner Nichte gelastet hatte, schien sich eher zu steigern als zu mindern. Die Tafelunterhaltung wurde sehr dadurch beeinträchtigt, denn die Tischgenossen verschlangen hastig die Speisen, ohne ein Wort zu sprechen, und dann trennte man sich unter dem Vorwand der Ermüdung, um scheinbar der Ruhe zu pflegen, in Wirklichkeit aber, um ungestört über die Erlebnisse des Tages nachzudenken.

Als mit der vorschreitenden Nacht der Mond unterging, breitete sich dichte Finsterniß über das schweigende Lager. Alles schlief oder schien zu schlafen; nur der Führer, welcher die erste Wache übernommen hatte, saß mit gekreuzten Armen auf einer Kiste und vertiefte sich mehr und mehr in düstere Träume.

Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter und eine Stimme flüsterte ihm leise das einzige Wort in's Ohr:

»Kennedy!«

Mit der Geistesgegenwart und der unverwüstlichen Ruhe, welche den Indianer und Mestizen nie verläßt, warf der Führer einen argwöhnischen Blick um sich, um sich zu überzeugen, daß er allein sei; dann faßte er die Hand auf seiner Schulter und führte die Person, welche ihn angeredet hatte und ihm ohne Widerstand folgte, nach einem abgeschiedenen Winkel, in welchem er gegen jede Beobachtung gesichert zu sein glaubte.

Doch in demselben Augenblick, als die beiden Männer an dem Zelt vorbeikamen, wichen sachte dessen Vorhänge auseinander und ein Schatten glitt ihnen lautlos nach. Sie hatten sich mitten in dem Gepäck niedergelassen, und eine Stimme begann so leise wie das Säuseln des Windes zu sprechen:

»Gottlob, daß Du da bist, Kennedy; ich habe Dich mit Ungeduld erwartet.«

»Wußtest Du denn, daß ich kommen würde?« versetzte der Angeredete mißtrauisch.

»Nein; aber ich hoffte es.«

»Gibt es etwas Neues?«

»Ja, und zwar viel.«

»So sprich hurtig.«

»Alles ist verloren.«

»Ha! was willst Du damit sagen?«

»Was Du gehört hast. Der General ist heute unter meiner Führung ausgeritten ...«

»Ich habe das gesehen.«

»Höll' und Tod! warum hast Du uns nicht angegriffen?«

»Wir waren nur unserer Zwei.«

»Ich wäre zu Euch gestanden und wir hätten dann gleich gegen gleich gekämpft. Der General hatte nur zwei Lanceros bei sich.«

»Das ist wahr. Ich dachte nicht an dies.«

»Jetzt wäre die Sache zu Ende, während wir sie nun wohl verloren geben müssen.«

»Warum?«

»Ha, es ist klar. Der General und seine Nichte haben weiß Gott wie lang mit dem Duckmäuser, dem schwarzen Elch, geplaudert. Du weißt, daß er mich von lang her kennt, und wahrscheinlich hat er ihnen über mich einen Floh in'sOhr gesetzt.«

»Hm, ich finde dies auch wahrscheinlich. Aber was jetzt thun?«

»So schnell als möglich handeln, damit sie keine Zeit finden, vorzubeugen.«

»Du weißt, daß ich nichts lieber thue.«

»Wo ist der Hauptmann ... zurück?«

»Seit diesem Abend. Alle unsere Leute, vierzig an der Zahl, sind in der Höhle verborgen.«

»Gut. Ach, warum seid Ihr nicht alle hier, statt Du allein; es gäbe keine bessere Gelegenheit. Alle schlafen wie die Murmelthiere; in weniger als zehn Minuten wären wir Herr über sie.«

»Du hast Recht; aber wer kann Alles voraussehen? Uebrigens wäre es nicht so, wenn man hätte mit dem Hauptmann eine Verabredung treffen können.«

»Ich glaube dies wohl; aber warum bist Du eigentlich hier?«

»Um Dir anzuzeigen, daß wir bereit sind und nur eines Zeichens von Dir harren, um zu handeln.«

»Was ist jetzt zu thun? Rathe mir.«

»Wie zum Teufel kann ich Dir rathen? Muß ich nicht zuvor wissen, wie es hier steht, wenn ich Dir sagen soll, wie Du Dich zu verhalten hast?«

Der Führer dachte mit aufwärts gerichteten Augen eine Weile nach.

»Hör',« sagte er; »es ist erst zwei Uhr.«

»Ja.«

»Du kehrst nach der Höhle zurück.«

»Sogleich?«

»Ja.«

»Gut; und dann?«

»Sagst Du dem Hauptmann, wenn es ihm recht sei, wolle ich noch in dieser Nacht das Mädchen ihm überliefern.«

»Hm; das scheint mir schwierig.«

»Du bist ein Einfaltspinsel.«

»Möglich; aber ich sehe nicht ein, wie es anzugreifen ist.«

»So gib Acht. Die Lagerwache wird nur bei Tag von den Soldaten besorgt; sie sind an das Leben in der Prairie nicht gewöhnt und würden bei Nacht nichts nützen; deßhalb ruhen sie um diese Zeit, und die Wache fällt mir und den übrigen Führern zu.«

»Sehr sinnreich,« sagte Kennedy lachend.

»Nicht wahr? Ihr setzt Euch also zu Pferd, sprengt gegen den Hügel an, und sechs der tüchtigsten Leute kommen mir zu Hülfe. Unter ihrem Beistand mache ich mich anheischig, nicht nur die Soldaten, sondern auch den General selbst während ihres Schlafes zu knebeln.«

»Das ist kein übler Gedanke.«

»Meinst Du«

»Meiner Treu, ja.«

»Gut. Sind einmal unsere Braven ordentlich im Zug, so pfeife ich, und der Hauptmann kommt mit der andern Schaar. Was dann weiter mit dem Mädchen zu geschehen hat, ist seine Sache und geht mich nichts mehr an. Wie findest Du diesen Plan?«

»Vortrefflich. Wenn der Hauptmann, wie ich glaube, Deinem Plan Beifall zollt und sich einen sicheren Erfolg davon verspricht, so werde ich, sobald wir am Fuß des Hügels angekommen sind, mit fünf entschlossenen Burschen, die ich selbst auswählen will, herauf kommen. Von welcher Seite soll ich in's Lager brechen?«

»Von der, auf welcher Du hereingekommen bist und die Du bereits kennst.«

»Und wo wirst Du sein?«

»Am Eingang; ich helfe Euch sogleich.«

»Gut; das wäre abgemacht. Hast Du mir nichts mehr zu sagen?«

»Nein«

»So will ich gehen.«

»Je bälder, desto besser.«

»Du hast immer Recht. Führ' mich an die Stelle, wo ich hinaus soll. Es ist so dunkel, daß ich mich, wenn ich allein gehe, verirren und über einen schlafenden Soldaten stolpern könnte. Dies würde unsere Sache nicht fördern.«

»Gib mir die Hand.«

»Hier.«

Die beiden Männer erhoben sich, um die Stelle der Lagerumzäunung aufzusuchen, durch welche der Sendling des Hauptmanns sich entfernen sollte.

Doch in demselben Augenblick trat eine dunkle Gestalt zwischen sie und rief ihnen mit fester Stimme zu:

»Ihr seid Verräther und müßt sterben!«

Trotz ihrer gewohnten Selbstbeherrschung blieben die beiden einen Augenblick von Schrecken betäubt stehen. Die Person,welche gesprochen hatte, ließ ihnen keine Zeit, sich zu sammeln, sondern feuerte in unmittelbarster Nähe zwei Pistolen auf sie ab. Die Elenden stießen ein lautes Geschrei ans; der eine fiel, der andere aber huschte wie eine Tigerkatze über die Verschanzungen hinweg, ehe ein zweiter Schuß auf ihn abgefeuert werden konnte.

Auf den doppelten Knall und das Geschrei der Banditen wurde das ganze Lager lebendig. Jeder eilte nach den Barrikaden: der General erreichte mit dem Capitän Aquilar zuerst die Stelle, wo die eben erzählte Scene vorgefallen war; sie fanden daselbst Donna Luz mit zwei rauchenden Pistolen, während zu ihren Füßen sich ein Mensch im Todeskampfe wälzte.

»Was bedeutet dies, Nichte? Um's Himmels willen, was ist vorgefallen? Bist Du verwundet?« fragte der General entsetzt.

»Nicht doch, Onkel,« entgegnete das Mädchen; »ich habe nur einen Verräther gestraft. Zwei Schurken complottirten im Dunkeln gegen unsere gemeinschaftliche Sicherheit; der eine ist entkommen, dieser da aber, wie ich glaube, verwundet.«

Der General beugte sich rasch zu dem Sterbenden, nieder und erkannte beim Scheine der Fackel, die er in der Hand hatte, den Führer Kennedy, von welchem die Amsel glauben machen wollte, daß er bei dem Prairiebrand lebendig verbrannt sei.

»Oh, oh!« rief er; »was soll dies heißen?«

»Soviel, Onkel,« versetzte das Mädchen, »daß wir ohne Gottes gnädigen Beistand diese Nacht von einer Räuberbande überfallen worden wären, die ganz nahe von uns im Hinterhalt liegt.«

»Dann dürfen wir keine Zeit verlieren.«

Und der General beeilte sich, unter dem Beistand des Capitäns Anstalten zu kräftiger Abwehr für den Fall zu treffen, daß ein Angriff versucht würde.

Die Amsel war geflohen; aber eine breite Blutspur ließ auf eine schwere Verwundung schließen. Bei Tag hätte man ihn verfolgen und wohl auch einholen können; aber im Finstern, und da man nicht wußte, ob Feinde in der Umgebung lauerten, wollte der General nicht dulden, daß einer der Soldaten sich aus dem Lager wage, und dem Elenden lieber die Aussicht auf Rettung gönnen. Kennedy dagegen war todt.

Als Donna Luz nicht mehr durch die Gefahr ihrer Lage in Spannung erhalten wurde, fühlte sie, daß sie dem schwächeren Geschlecht angehörte. Ihre Energie verschwand; vor ihren Augen dunkelte es und ein krampfhaftes Zittern überlief ihren Körper. Sie brach zusammen und würde zu Boden gestürzt sein, wenn sie nicht der Doctor in seinen Armen aufgefangen hätte. Er brachte die Halbohnmächtige nach dem Zelt und erwies ihr all' die Sorgfalt, welche ihr Zustand forderte.

Allmälig kam das Mädchen wieder zu sich; ihr Geist wurde ruhig und sie konnte ihre Gedanken wieder ordnen.

Eingedenk dessen, was ihr Tags zuvor der schwarze Elch empfohlen hatte, hielt sie jetzt den Augenblick für passend, den Trapper an die Erfüllung seines Versprechens zu erinnern. Sie winkte dem Doctor heran.

»Wollt Ihr mir nicht einen wichtigen Dienst leisten, lieber Doctor?«

»Verfügt über mich, Sennorita.«

»Kennt Ihr nicht den schwarzen Elch, den Trapper?«

»Ja; er wohnt unweit des Biberteichs.«

»Richtig; nach den Vorfällen dieser Nacht ist es nöthig, daß Ihr in meinem Namen ihn aufsucht.«

»Zu welchem Zwecke, Sennorita?«

»Ist's nicht genug, daß ich Euch bitte?«

»Seid ruhig; ich gehe. Aber was soll ich ihm sagen?«

»Erzählt ihm, was heute Nacht hier vorgegangen ist, und fügt dann noch einige Worte bei, die Ihr aber gut im Gedächtniß behalten müßt.«

»Ich bin ganz Ohr.«

» Schwarzer Elch, die Zeit ist da! Könnt Ihr dies merken?«

»Gewiß, Sennorita.«

»Schwört Ihr mir, meinen Auftrag zu erfüllen?«

»Ich schwöre es. Mit Sonnenaufgang suche ich den Trapper auf, erzähle ihm, was heute Nacht hier geschehen, und füge die Worte bei: ›Schwarzer Elch, die Zeit ist da.‹ Ist's so recht?«

»Vollkommen, mein guter Doctor.«

»Wohlan, Sennorita, ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß Alles so ausgerichtet werden soll.«

»Ich danke Euch,« flüsterte das Mädchen, indem sie mit sanftem Lächeln ihm die Hand drückte.

Dann sank sie, noch immer von der schrecklichen Aufregung der Nacht angegriffen, auf ihr Lager zurück und fiel bald in einen ruhigen und erquickenden Schlummer.

Mit Anbruch des Tages verließ der würdige Gelehrte trotz der warnenden Gegenvorstellungen des Generals das Lager und ritt hastig den Hügel hinab. Im Wald angelangt, legte er beide Sporen ein und jagte im Galopp der Hütte des schwarzen Elchs zu.


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