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III.
Das Gericht.

Er hielt das Pistol vor die Brust des Andern und drückte los

Am andern Morgen ging die Sonne herrlich am Horizont auf. Der Nachtsturm hatte den Himmel vollständig gereinigt; die Vögel zwitscherten fröhlich in den Zweigen, und die ganze Natur prangte wieder in ihrem gewohnten festlichen Schmucke. Hell tönte die Glocke auf der Hacienda del Milagro, und die Peones begannen sich nach allen Richtungen zu zerstreuen, indem die einen die Pferde auf die Weide führten, die andern das Vieh nach den künstlich angelegten Prairien trieben, die einen sich auf's Feld begaben und wieder andere im Patio blieben, um die Kühe zu melken und die vom Sturm veranlaßten Beschädigungen auszubessern.

Die einzigen Ueberreste, welche von dem Unwetter der Nacht zurückgeblieben, waren zwei mächtige Jaguare, die vor dem Thore der Hacienda todt ausgestreckt lagen; nicht ferne davon bemerkte man den Körper eines bereits halb verzehrten Pferdes. No Eusebio, der überall in dem Patio umherging und die Beschäftigung eines jeden sorgfältig überwachte, ließ dem Pferd das reiche Geschirr abnehmen und es reinigen; auch ertheilte er Befehl, daß man den Jaguaren die Haut abstreife. Diesen Weisungen wurde rasch Folge gegeben.

Gleichwohl blieb No Eusebio unruhig, denn Don Ramon, der in der Hacienda sonst am frühesten aufzustehen pflegte, war noch immer nicht erschienen. Nach der niederschmetternden Anschuldigung, welche am Abend zuvor der Juez de Letras gegen den ältesten Sohn des Hacendero geschleudert, hatte Don Ramon seinen Dienern befohlen, sich zu entfernen; dann knebelte er, ungeachtet der Bitten und Thränen seiner Gattin, den Angeschuldigten und führte den Don Inigo d'Albaceyte nach einem abgelegenen Gemach des Hauses, wo sie beide bis spät in die Nacht hinein eingeschlossen blieben. Was während dieser Zeit geschah, und welchen Einfluß das Gespräch der beiden Männer auf Raphaels Schicksal übte, wußte Niemand – No Eusebio so wenig als die Uebrigen.

Nachdem Don Ramon den Richter nach einem für ihn hergerichteten Zimmer geführt und ihm gute Nacht gewünscht hatte, kehrte er zu seinem Sohne zurück, an dessen Seite die arme Mutter in Thränen zerfloß; ohne ein Wort zu sprechen, nahm er den Knaben auf den Arm, trug ihn nach seinem Schlafgemach und legte ihn neben seinem Bett auf den Boden, woran er mit dem Schlüssel die Thüre abschloß, ein Paar Pistolen unter seinem Kopfkissen verbarg und sich dann zur Ruhe niederlegte. Die Nacht war nahezu abgelaufen und Vater und Sohn warfen sich in der Dunkelheit Blicke zu, wie ein paar wilde Thiere, während die Mutter vor der Thüre draußen auf dem Boden kniete und leise um ihren Erstgeborenen schluchzte, dessen sie, wie ein schreckliches Vorgefühl sie fürchten ließ, für immer beraubt werden sollte.

»Hm,« murmelte der Mayoral vor sich hin, indem er achtlos an der erloschenen Cigarre fortsaugte, »was soll aus alledem werden? Don Ramon wird unnachsichtig sein und nichts thun, was seiner Ehre zu nahe tritt. Liefert er wohl seinen Sohn der Behörde aus? Dies gewiß nicht; aber was wird er dann thun?«

Während der würdige Mayoral noch mit solchen Betrachtungen beschäftigt war, erschienen Don Inigo Albaceyte und Don Ramon in dem Patio. Das Gesicht der beiden Männer war ernst, namentlich das des Hacendero düster wie die Nacht.

»Na Eusebio,« sagte Don Ramon kurz abgebrochen, »laßt ein Pferd satteln und vier Mann aufsitzen, daß sie diesen Cavalier nach Hermosillo begleiten.«

Der Mayoral verbeugte sich achtungsvoll und ertheilte ohne Säumen die nöthigen Befehle.

»Ich danke Euch tausendmal,« fuhr Don Ramon gegen den Richter fort, »Ihr rettet die Ehre meines Hauses.«

»Ihr braucht mir nicht so sehr zu danken, Sennor,« versetzte Don Inigo; »denn ich schwöre Euch, als ich gestern Abend die Stadt verließ, geschah es durchaus nicht in der Absicht, Euch angenehm zu sein.«

Der Hacendero machte eine Geberde.

»Setzt Euch an meine Stelle. Ich bin vor Allem Criminalrichter. Man tödtete eine Person – ich will zugeben, einen schlimmen Burschen, aber doch einen Menschen, wie schlecht er auch sein mag. Der Mörder ist bekannt; er galoppirt bei hellem lichten Tag und Angesichts Aller mit einer unglaublichen Dreistigkeit durch die Stadt. Was soll ich thun? Ich muß ihm nachsetzen und habe auch nicht gezögert.«

»Es ist wahr,« murmelte Don Ramon und ließ den Kopf sinken.

»'s ist mir freilich schlimm dabei ergangen. Die Schurken, die mich begleiteten, haben memmenhaft im ärgsten Sturm mich im Stich gelassen, um sich weiß Gott wo zu verbergen. Um das Unglück voll zu machen, müssen zwei Jaguare, ein Paar prächtige Thiere im Grund, sich an meine Ferse heften und mich so hart bedrängen, daß ich wie ein Klotz gegen Eure Thüre strauchte. Allerdings habe ich einen davon getödtet; aber der andere war mir schon nahe genug, um mich erschnappen zu können, als Ihr mir zu Hülfe kamt. Konnte ich nun noch den Sohn des Mannes verhaften, der unter Gefährdung des eigenen Lebens das meinige rettete? Es wäre der schwärzeste Undank gewesen«

»Noch einmal, meinen Dank.«

»Nicht doch; wir sind quitt – das ist Alles. Ich spreche nicht von den paar tausend Piastern, die Ihr mir gegeben habt, weil sie dazu bestimmmt sind, meinen Luchsen den Mund zu schließen; indeß rathe ich Euch, Don Ramon, Euren Sohn sorgfältig zu überwachen, denn wenn er wieder in meine Hände fällt, so wüßte ich nicht, wie ich ihn retten könnte.«

»Seid ruhig, Don Inigo; mein Sohn wird nicht wieder in Eure Hände fallen.«

Der Hacendero sprach diese Worte mit so düsterer Stimme, daß der Richter sich schaudernd umwandte.

»Seht Euch vor, was Ihr thun wollt,« sagte er.

»Oh, fürchtet nichts,« versetzte Don Ramon. »Ich treffe blos meine Vorkehrungen, weil ich nicht wünsche, daß mein Sohn auf dem Schaffot sterbe und meinen Namen in den Staub ziehe.«

In diesem Augenblick wurde das Pferd herbeigeführt. Der Juez de Letras warf sich in den Sattel.

»Gottbefohlen denn, Don Ramon,« sagte er in nachsichtigem Tone. »Seid klug; der junge Mensch kann sich noch bessern. Er hat lebhaftes Blut, das ist Alles.«

»Lebt wohl, Don Inigo,« entgegnete der Hacendero so trocken, daß damit jede Erwiederung abgeschnitten wurde.

Der Richter schüttelte den Kopf und begann, beide Sporen einlegend, einen scharfen Trab, wobei er noch dem Hacendero mit der Hand ein Lebewohl zuwinkte. Sein Geleite folgte ihm. Don Ramon schaute ihm nach, bis der Gast seinen Blicken entschwunden war; dann begab er sich mit großen Schritten in die Hacienda zurück.

»Na Eusebio,« sagte er zu dem Mayoral, »läutet die Glocke, um die Peones und die anderen Diener der Hacienda zu versammeln.«

Der Mayoral betrachtete seinen Gebieter erstaunt und beeilte sich sodann, den erhaltenen Befehl zu vollziehen.

»Was hat dies zu bedeuten?« sprach er vor sich hin.

Auf den Ruf der Glocke eilten sämmtliche Diener herbei, ohne zu wissen, was wohl diese außerordentliche Einberufung zu bedeuten habe. Sie standen in dem Raume versammelt, welcher als Speisesaal diente. Es herrschte das tiefste Schweigen. Eine geheime Beklommenheit drückte Jedem das Herz zusammen; sie ahneten ein schreckliches Ereigniß. Nach einigen Minuten erschien auch Donna Jesusita mit ihren Kindern, Raphael ausgenommen, und nahm auf einer in einer Ecke des Saals angebrachten Erhöhung Platz. Ihr Antlitz war blaß, ihr Auge vom Weinen geröthet.

Endlich trat Don Ramon ein. Er war ganz in schwarzen Sammet ohne Stickerei gekleidet; eine schwere goldene Kette hing über seine Brust; ein breitkrämpiger, schwarzer, mit einer Adlerfeder verzierter Filzhut bedeckte sein Haupt und ein langer Degen mit einem eisernen, polirten Stichblatt war an seiner Seite befestigt. Unter der gefurchten Stirn beschatteten gerunzelte Brauen die gleich Blitzen leuchtenden Augen.

Ein Schreckensschauder überrieselte die Versammelten. Don Ramon Garillas hatte sein richterliches Gewand angelegt. Sollte also Gericht gehalten werden? Ueber wen?

Don Ramon nahm an der Seite seiner Gemahlin Platz und machte ein Zeichen. Der Mayoral entfernte sich und trat bald darauf mit Raphael wieder ein. Der Knabe erschien baarhauptig und seine Hände waren auf dem Rücken festgebunden. Mit niedergeschlagenen Augen und bleichem Gesichte trat er vor seinen Vater, den er achtungsvoll grüßte.

In der Zeit, in welcher unsere Geschichte spielt, hatten überall, wo ein Besitzthum von den Centralbehörden entfernt und den stetigen Angriffen der Wilden ausgesetzt war, die Familienhäupter jenes patriarchalische Ansehen, welches unter dem Einfluß unserer verderbten Civilisation mehr und mehr hinschwindet, in seiner vollen Reinheit bewahrt. Ein Vater war König in seinem Haus; sein Urtheilsspruch ließ keine Appellation zu und wurde ohne Murren oder Widerstand vollzogen.

Die Angehörigen der Hacienda kannten den festen Charakter und unbeugsamen Willen des Gebieters; sie wußten, daß er nie verzieh und daß die Ehre ihm theurer war als das Leben. Deßhalb sahen sie auch mit klopfendem Herzen einem schrecklichen Auftritt entgegen, der zwischen Vater und Sohn vor ihnen spielen sollte.

Don Ramon erhob sich und überschaute düsteren Blickes die Anwesenden.

»Hört Ihr Alle,« begann er mit nachdrucksvoller Stimme, »ich stamme aus einem alten christlichen Geschlecht, dessen Ahnen sich nie befleckt haben. Die Ehre ist in meinem Hause immer als das höchste Gut geachtet worden, und dieser Ehre der makellosen Hinterlassenschaft meiner Vorfahren, die auch ich rein zu erhalten verpflichtet bin, hat mein Erstgeborner, der Erbe meines Namens, ein unauslöschliches Brandmal angeheftet. Er zündete gestern in Folge eines Spielstreites unter Gefährdung der ganzen Stadt ein Haus an und tödtete einen Menschen, der sich seiner Flucht widersetzen wollte, durch einen Messerstoß. Was muß man von einem Knaben denken, der, ungeachtet seines zarten Alters, die Leidenschaften einer wilden Bestie in sich birgt? Doch, so wahr Gott lebt, es soll Gerechtigkeit geschehen – strenge Gerechtigkeit!«

Nach diesen Worten kreuzte Don Ramon die Arme über der Brust und schien sich zu sammeln. Niemand wagte ein Wort zu Gunsten des Angeschuldigten vorzubringen. Die Häupter waren gesenkt, und Jeder athmete schwer auf.

Raphael war wegen seiner Unerschrockenheit, die vor keinem Hinderniß zurückbebte, wegen seiner Geschicklichkeit in Lenkung eines Pferdes und in Führung von Waffen jeder Art, hauptsächlich aber wegen seines freimüthigen und edlen Wesens, das einen Grundzug seines Charakters bildete, bei den Dienern seines Vaters sehr beliebt. Ueberhaupt mochte in einem Lande, wo das Leben eines Menschen nur als eine Kleinigkeit angesehen wird, Jeder in seinem Innern geneigt sein, den jungen Menschen zu entschuldigen, und in seiner Unthat nur den geringen Ausbruch eines heißen Blutes zu sehen.

Donna Jesusita erhob sich. Sie hatte sich stets ohne Murren dem Willen ihres Gemahles unterworfen, den sie lange Jahre hindurch zu achten gewohnt war. Der Gedanke zwar, jetzt einen Widerstand zu versuchen, erschien ihr schrecklich und goß einen eisigen Schauder in Ihre Adern; aber alle Liebesgewalt ihrer Seele drängte sich in ihrem Herzen zusammen. Sie hegte eine abgöttische Verehrung für ihre Kinder, namentlich aber für Raphael, dessen unbändiger Charakter besonders der mütterlichen Sorgfalt bedurfte.

»Sennor,« redete sie ihren Gatten mit von Thränen erstickter Stimme an, »bedenkt, daß Raphael Euer Erstgeborener ist, und daß der Fehler, den er beging, wie schwer er auch sein mag, in den Augen eines Vaters Entschuldigung finden sollte. Seht mich hier« – sie warf sich auf die Knie nieder, faltete die Hände und brach in ein Schluchzen aus – »zu Euren Füßen. Ich flehe Euer Mitleid an. Gnade, Sennor, Gnade für meinen Sohn!«

Don Ramon hob kalt seine Gattin, deren Antlitz von Thränen überströmte, auf und nöthigte sie, ihren Platz auf dem Fauteuil wieder einzunehmen.

»Hauptsächlich als Vater darf ich dem Mitleid keinen Raum geben,« sagte er. »Raphael ist ein Mörder und Mordbrenner; er ist nicht mehr mein Sohn!«

»Was habt Ihr im Sinne?« rief Donna Jesusita in höchstem Entsetzen.

»Was kümmert das Euch, Sennora?« erwiederte Don Ramon barsch. »Die Sorge für meine Ehre geht allein mich an. Euch genüge es, zu wissen, daß dieser Fehler der letzte ist, den Euer Sohn begangen hat.«

»Ha!« rief sie außer sich, »so wollt Ihr also selbst an ihm zum Henker werden?«

»Ich bin sein Richter,« erwiederte der unbeugsame Mann mit schrecklicher Stimme. »No Eusebio, haltet zwei Pferde bereit.«

»Mein Gott, mein Gott« rief die arme Frau, sich auf ihren Sohn stürzend und ihn mit ihren Armen umschlingend, »will mir denn Niemand zu Hülfe kommen?«

Alle Anwesenden waren erschüttert. Selbst Don Ramon wischte sich eine Thräne ab.

»Oh!« rief die Mutter in eitler Freude, »Gott hat das Herz dieses ehernen Mannes erweicht!«

»Ihr seid im Irrthum, Sennora,« unterbrach sie Don Ramon, indem er sie rauh zurückstieß.

»Euer Sohn ist nicht mehr mein; er gehört der Gerechtigkeit.«

Dann warf er seinem Sohn einen eisigen Blick zu.

»Don Raphael,« fuhr er mit einem furchtbaren Nachdruck fort, ob dem der junge Mensch unwillkürlich erbebte, »von diesem Augenblick an gehört Ihr nicht mehr zu der Gesellschaft, die Ihr durch Eure Verbrechen verletzt habt. Ich verurtheile Euch, unter den wilden Thieren zu leben und zu sterben.«

Bei diesem schrecklichen Spruch wankte Donna Jesusita einige Schritte vorwärts, brach aber dann plötzlich zusammen. Sie war ohnmächtig geworden.

Bisher hatte Raphael mit Mühe die Aufregung, welche sein Inneres durchwühlte, zurückgedrängt; jetzt aber konnte er sich nicht mehr länger halten. Mit Thränen im Auge stürzte er sich auf seine Mutter und stieß einen herzzerreißenden Schrei aus:

»Mutter! meine Mutter!«

»Kommt!« sagte Don Ramon, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte.

Der Knabe hielt an und taumelte wie ein Betrunkener.

»O seht – seht doch, Sennor,« rief er unter lautem Schluchzen; »meine Mutter stirbt.«

»Ihr habt sie getödtet,« entgegnete der Hacendero kalt.

Raphael wandte sich um, als sei er von einer Schlange gestochen worden. Dann warf er seinem Vater einen Blick von seltsamem Ausdruck zu. Sein Antlitz war bleich, und er erwiederte durch die geschlossenen Zähne:

»Tödtet mich, Sennor, denn ich schwöre Euch – wie Ihr ohne Erbarmen seid gegen meine Mutter und mich, ebenso wenig werde ich, wenn ich mit dem Leben davon komme, später Mitleid haben mit Euch.«

Don Ramon schlenderte ihm einen Blick der Verachtung zu.

»Fort,« sagte er.

»Fort!« wiederholte der Knabe mit Festigkeit.

Donna Jesusita, die allmälig wieder zur Besinnung kam, sah noch, wie im Traum, ihren Sohn sich entfernen.

»Raphael! Raphael!« rief sie mit kreischender Stimme.

Der Knabe hielt einen Augenblick an; dann stürzte er sich auf sie, umarmte sie mit wilder Innigkeit und kehrte wieder zu seinem Vater zurück.

»Jetzt kann ich sterben,« sprach er. »Ich habe meiner Mutter Lebewohl gesagt.«

Sie entfernten sich.

Die Zeugen dieser Scene gingen gleichfalls auseinander, ohne daß sie es wagten, sich ihre Gedanken mitzutheilen; aber tiefer Schmerz lastete auf allen.

Unter den Liebkosungen ihres Sohnes hatte die arme Mutter auf's Neue ihre Besinnung verloren.


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