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VIII.
Die Erscheinung.

Etwa um acht Uhr Morgens beleuchtete eine heitere Herbstsonne die Prairie. Die Vögel flogen hin und her und stießen ein wirres Gezwitscher aus, während die tiefer im Laub versteckten ein melodisches Conzert bildeten. Hin und wieder hob ein Hirsch den scheuen Kopf über das hohe Gras und jagte in weiten Sprüngen davon. Zwei Reiter in der Tracht der Waldläufer folgten in scharfem Trab dem Ufer des Canadian, während mehrere schwarze, mit feuerfarbigen Augen und Brustflecken versehene Spürhunde um sie her sprangen.

Die Reiter waren Treuherz und sein Freund Belhumeur. Gegen seine Gewohnheit schien Treuherz einer lebhaften Freude Raum zu geben, denn sein Gesicht strahlte und er ließ vergnügt die Augen umherschweifen. Bisweilen hielt er an und heftete den Blick in die Ferne, als suche er am Horizont vergeblich einen Gegenstand; dann nahm er ärgerlich den Ritt wieder auf, um hundert Schritte später dasselbe Manöver zu wiederholen.

»Sei ruhig, der Platz entläuft uns nicht,« sagte endlich Belhumeur lachend.

»Caramba! ich weiß das wohl; aber ich möchte schon dort sein. Die einzigen glücklichen Augenblicke, die Gott mir schenkt, entschwinden mir da, wohin wir jetzt gehen – bei meiner Mutter, meiner theuren Mutter, die für mich alles verlassen, ohne Zaudern und Reue alles aufgegeben hat. O welch ein Glück, eine Mutter zu haben, ein Herz zu besitzen, von dem man verstanden wird, das um unserer willen allem entsagt, das nur in unserem Leben lebt, glücklich ist in unserer Freude und bei unserem Leide trauert. O, Belhumeur, um das Göttliche in der Liebe einer Mutter zu begreifen, muß man ihrer Jahre lang beraubt gewesen sein und sie inniger und anbetungswürdiger als je zuvor wieder gefunden haben. Doch wie langsam wir reisen! Jede Minute später raubt mir einen Kuß von meiner Mutter. Werden wir denn nie ankommen?«

»Da sind wir an der Furth.«

»Ich weiß nicht, was mich ankommt, aber eine geheime Furcht preßt mir das Herz zusammen. Es beschleicht mich eine Ahnung, die mich wider Willen zittern macht.«

»Verscheuch diese finsteren Gedanken, mein Freund. In wenigen Minuten werden wir bei Deiner Mutter sein.«

»Ja; und doch ist mir's, als habe die Gegend nicht ihr gewöhnliches Aussehen. Dieses Schweigen rings umher, diese Einsamkeit scheint mir nicht natürlich zu sein. In so kurzer Entfernung vom Dorf sollten wir schon das Bellen der Hunde, das Hahnengeschrei und die hundert Geräusche hören, welche die Nähe eines bewohnten Platzes anzeigen.«

»Es herrscht allerdings ein tiefes Schweigen um uns her,« sagte Belhumeur, den jetzt auch eine unbestimmte Unruhe anwandelte.

Die Reiter hatten eine Stelle erreicht, wo der Fluß eine starke Krümmung macht; aber die steilen, mit Felsen und Buschholz bedeckten Ufer gestatteten keine Fernsicht. Das Dorf konnte höchstens noch einen Büchsenschuß von der Furth, welche sie zu überschreiten sich anschickten, entlegen sein, obschon es um der Oertlichkeit willen nicht sichtbar war. Doch in demselben Augenblick, als die Pferde ihre Füße in'sWasser tauchten, stießen die Hunde jenes ihrer Raçe eigenthümliche klägliche Geheul aus, dass selbst dem Muthigsten Grauen einflößt.

»Was ist das?« murmelte Treuherz, leichenblaß werdend und entsetzt umherschauend.

»Sieh!« versetzte Belhumeur, auf einige Leichen deutend, die auf dem Fluß herunterschwammen.

»Hier ist etwas Schreckliches vorgegangen.,« rief Treuherz. »O, meine Mutter, meine Mutter!«

»Aengstige Dich nicht unnöthig,« entgegnete Belhumeur. »Sie ist lohne Zweifel in Sicherheit«

Der Tröstungen nicht achtend, die der Freund spendete, ohne selbst daran zu glauben, drückte Treuherz seinem Pferd die Sporen in die Seite und sprengte, durch das Wasser. Bald wurde ihnen Alles klar, denn sie hatten den Schauplatz einer Verwüstung erreicht, wie man sich dieselbe nicht schrecklicher denken kann.

Dorf und Fort waren nur noch ein Trümmerhaufen, aus dem eine dichte Wolke schwarzen Rauches gen Himmel wirbelte. In der Mitte des Dorfes stand ein Mast, mit angenagelten menschlichen Gliedmaßen verziert, um welche die Urubuse sich unter großem Geschrei stritten. Da und dort lagen Leichen, welche von den Geiern und wilden Thieren schon halb verzehrt waren. Ein menschliches Wesen ließ sich nirgends blicken.

»O!« rief der Jäger schaudernd, »der Himmel hat mir meine Ahnungen eingegeben. Meine Mutter, meine Mutter!«

Verzweiflungsvoll warf sich Treuherz zur Erde, bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte. Der Schmerz des abgehärteten Mannes, dessen Muth so vielfältig erprobt war und vor keiner Gefahr zurückbebte, hatte, wie der des Löwen, etwas Erschütterndes.

Belhumeur achtete das Leid seines Freundes, dem er keinen Trost bieten konnte, und ließ ihn sich ausweinen, weil er wohl wußte, daß diese eherne Natur nicht lang der Schwäche Raum geben und bald sich wieder zum Handeln aufraffen werde. Vorläufig begann er die Brandstätte zu untersuchen, ob sich nicht irgend ein Anzeichen auffinden lasse, das ihnen bei ihren späteren Nachforschungen nützlich werden konnte.

Er hatte sich noch nicht lang unter den Ruinen umgesehen, als er aus einem nahe gelegenen Gebüsch das Bellen eines Hundes zu vernehmen glaubte. Er eilte auf dasselbe zu und bemerkte einen Leithund von ihrer eigenen Raçe, welcher ihm liebkosend zwischen die Beine sprang.

»Was hat dies zu bedeuten?« sagte der Jäger. »Wer mag das arme Thier hier angebunden haben?«

Während er die Leine durchschnitt, welche den Hund festhielt, bemerkte er an dessen Hals ein viereckig zusammengelegtes und sorgfältig befestigtes Blatt Papier. Er bemächtigte sich desselben und eilte zu Treuherz zurück.

»Bruder, hoffe!« rief er ihm entgegen.

Der Jäger, welcher wohl wußte, daß der Freund nicht der Mann war, um ihn mit eiteln Tröstungen zu behelligen, wandte ihm das in Thränen gebadete Antlitz zu.

Inzwischen hatte der Hund, sobald er sich befreit sah, mit unglaublicher Schnelligkeit die Flucht ergriffen, Belhumeur aber, der dies voraussah, ihm vorher seine eigene Halsbinde umgelegt; »denn man weiß nicht, was kommen mag,« meinte der Jäger, als er das Thier verschwinden sah. Mit dieser philosophischen Betrachtung war er bei seinem Freund angelangt.

»Was gibt es?« fragte Treuherz«.

»Lies!« entgegnete Belhumeur einfach.

Der Jäger ergriff das Papier, das nur die Worte enthielt: »Wir sind Gefangene der Rothhäute. Muth! Es ist kein Unglück begegnet Deiner Mutter.«

»Gott sei gepriesen!« rief Treuherz mit Inbrunst,« indem er das Papier küßte und in seiner Brust verwahrte. »Meine Mutter lebt! Ich werde sie wiederfinden.«

Die Kunde hatte wie ein Zauber auf den Jäger gewirkt und ihm seine ganze frühere Fassung wieder gegeben.

»Beginnen wir unverweilt unsere Nachforschungen,« sagte er mit strahlendem Gesicht. »Vielleicht ist einer von den unglücklichen Ortseinwohnern dem Tod entronnen und kann uns Auskunft über das Vorgefallene geben.«

»Wir wollen sehen,« entgegnete Belhumeur.

In den Trümmern des Forts scharrten die Hunde wie wüthend.

»Machen wir dort den Anfang,« sagte Treuherz.

Sie räumten den Schutt weg und arbeiteten mit einem ihnen selbst unbegreiflichen Erfolg. Nach zwanzig Minuten entdeckten sie eine Art Fallthüre, hinter der sich schwache, unartikulirte Laute hören ließen.

»Da sind sie,« sagte Belhumeur.

»Gebe Gott, daß wir zeitig genug angelangt sind, um sie zu retten.«

Nur mit großer Mühe gelang es ihnen endlich, die Thüre zu heben; aber nun bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick dar. In einer einen häßlichen Gestank ausströmenden Höhle lagen gegen zwanzig Personen buchstäblich übereinander geschichtet. Die Jäger konnten eine Bewegung des Entsetzens nicht unterdrücken und wichen unwillkürlich zurück, traten aber sogleich wieder an den Rand des Loches, um zu sehen, ob nicht von den unglücklichen Opfern noch eines oder das andere zu retten sei.

Doch ließ sich nur an einem einzigen ein Lebenszeichen wahrnehmen; die andern waren todt. Sie schafften den Körper aus der Höhle, ließen ihn sanft auf einen Haufen dürren Laubes nieder und leisteten ihm die Hülfe, deren sein Zustand bedurfte. Die Hunde leckten dem Verwundeten Hände und Gesicht. Nach einigen Minuten machte der Mann eine leichte Bewegung, öffnete und schloß wiederholt die Augen und stieß endlich einen tiefen Seufzer aus.

Belhumeur brachte ihm den Hals seiner Lederflasche zwischen die Zähne und flößte ihm einige Tropfen Rum ein.

»Er ist übel daran,« sagte der Jäger.

»Er ist verloren,« bemerkte Treuherz.

Inzwischen war der Verwundete einigermaßen zu Kräften gekommen.

»Mein Gott,« sagte er mit schwacher, unterbrochener Stimme – »sterben; ich muß sterben.«

»Hoffet!« tröstete ihn Belhumeur.

Ein flüchtiges Roth überflog die blassen Wangen des Verwundeten, und ein trauriges Lächeln zuckte auf seinen Lippen.

»Warum soll ich leben?« entgegnete er, »die Indianer haben alle meine Kameraden elend verstümmelt und niedergemetzelt, und so wäre das Leben mir doch nur eine drückende Last.«

»Wenn Ihr vor Eurem Tod noch etwas wünscht, was wir erfüllen können, so sprecht. Auf Jägerwort, es soll geschehen.«

Die Augen des Sterbenden funkelten von einem wilden Feuer.

»Eure Flasche,« sagte er zu Belhumeur, welcher sie ihm reichte.

Er trank gierig; seine Stirne bedeckte sich mit Schweiß und ein fieberhaftes Roth glühte auf seinem Gesicht, das jetzt einen unheimlichen Ausdruck gewann.

»Hört,« sagte er mit rauher, gedämpfter Stimme, »ich war der Commandant dieses Platzes. Die Indianer haben unter Beihülfe eines elenden Mestizen, der uns an sie verkauft, das Dorf bei Nacht überfallen.«

»Wie heißt der Mensch?« fragte der Jäger lebhaft.

»Er ist todt! ich habe ihn zur Strafe gezogen!« entgegnete der Capitän mit dem Ausdruck stolzer Freude. »Die Indianer hatten es auf das Fort abgesehen; der Kampf war schrecklich, aber was vermochte ein Dutzend entschlossener Männer gegen ein paar Hundert? Wir beschlossen, uns bis auf den letzten Mann zu schlagen, und als die Indianer die Unmöglichkeit einsahen, sich unserer lebendig zu bemächtigen, warfen sie die ihrer Kopfhäute und Hände beraubten Einwohner zu uns herein und zündeten das Fort an.«

Die Stimme des Verwundeten wurde immer schwächer und unverständlicher; einige Tropfen Branntwein kräftigten ihn aber wieder so weit, daß er fortfahren konnte.

»Eine als Souterrain dienende Höhle zog sich unter den Gräben des Forts hin. Ich sah ein, daß Flucht unmöglich war, und ließ deßhalb meine unglücklichen Gefährten in diesen Raum hinunter steigen, indem ich hoffte, Gott werde uns noch ein Mittel der Rettung an die Hand geben. Einige Minuten später stürzte das Fort über uns zusammen; Niemand kann sich die Qualen denken, die wir in diesem verpesteten Abgrund ohne Licht und Luft durchmachten. Das Geschrei der Verwundeten, der Ruf nach Wasser und das Röcheln der Sterbenden bildete ein schreckliches Conzert, das keine Feder zu beschreiben vermag. Unsere ohnehin schon unerträglichen Leiden wurden noch erhöht durch den Mangel an Luft. Eine Art Wahnsinn bemächtigte sich unser; Einer warf sich mit Wuth auf den Andern, und es begann ein gräßlicher Kampf, der erst mit dem Tod aller Streiter ein Ende nehmen sollte. Wie lange dies dauerte, weiß ich nicht. Schon fühlte ich, daß der Tod, der bereits meine Kameraden niedergestreckt hatte, auch meiner sich bemächtigte, als Ihr kamt, um ihn auf einige Minuten abzuhalten. Gottlob, ich werde nicht ohne Rache sterben.«

Auf die fast unverständlich hervorgestoßenen Worte folgte ein düsteres Schweigen, das nur durch das Röcheln des Sterbenden unterbrochen wurde. Plötzlich richtete sich letzterer noch einmal mit dem Rest seiner Kraft auf und heftete den trüben Blick auf die Jäger.

»Die Angreifenden gehörten dem Volk der Comanchen an,« sagte er. »Ihr Häuptling heißt Adlerkopf. Schwört mir als biedere Jäger, mich zu rächen.«

»Wir«schwören es,« riefen die Beiden mit fester Stimme.

»Dank!« murmelte der Capitän und sank zurück.

Er war todt. Die Jäger betrachteten eine Weile die Leiche; um übrigens sich des peinlichen Eindrucks zu entschlagen, gingen sie an's Werk, den unglücklichen Opfern indianischer Rache die letzten Ehren zu erweisen.

Die Sonne war eben untergegangen, als sie mit ihrer Arbeit fertig wurden. Sie gönnten sich eine kurze Rast; dann aber erhob sich Treuherz wieder und bestieg sein Pferd.

»Jetzt wollen wir dem Adlerkopf wieder nach,« sagte er zu Belhumeur.

»Gut,« versetzte der Jäger.

Nachdem sie zum Abschied einen langen, wehmüthigen Blick um sich geworfen, pfiffen sie ihren Hunden und vertieften sich muthig in den Wald, in welchem die Comanchen verschwunden waren.

In diesem Augenblick erhob sich der Mond über einem Nebelmeer und goß die Fülle seines Lichtes melancholisch auf die Trümmer des amerikanischen Dorfes nieder, ob denen fortan für immer Tod und Einsamkeit herrschen sollte.


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