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XVII.
Die Marter.

Nach Beendigung des Scalptanzes stellten sich die angesehensten Krieger des Stammes bewaffnet vor dem Pfahl auf, während die Weiber, namentlich die alten, mit Schimpfen, Stoßen, Schlagen und Haarausraufen über die Verurtheilte herfielen, die alles geduldig mit sich anfangen ließ. Sie war mit fieberhafter Spannung der Entwickelung des Scalptanzes gefolgt, da sie jeden Augenblick fürchtete, ihr Sohn möchte erscheinen und sich zwischen sie und ihre Henker werfen. Den Märtyrern des Alterthums gleich, beschuldigte sie in ihrem Innern die Indianer, daß sie mit nutzlosen Ceremonien die Zeit vergeudeten, und wenn es ihr nicht an Kräften gefehlt hätte, so würde sie ihnen wegen ihrer Langsamkeit Vorwürfe gemacht, sie verhöhnt haben.

In der That erregte es auch in den Comanchen, obschon sie die Hinrichtung für gerecht ansahen, ein widerliches Gefühl, eine wehrlose alte Frau zu martern, die ihnen nie etwas zu Leide gethan hatte. Sogar Adlerkopf schien ungeachtet seines Hasses von Gewissensbissen beunruhigt zu werden, da er nur mit Widerwillen an die letzten Vorbereitungen ging. Gleichwohl mußte die Sache zu Ende gebracht werden.

Adlerkopf näherte sich seiner Gefangenen, befreite sie von den Harpyen und redete sie mit dumpfer Stimme an:

»Weib, ich habe mein Versprechen gehalten. Dein Sohn ist nicht gekommen, und Du mußt sterben.«

»Ich danke,« hauchte sie und suchte sich an einem Baum zu halten, um nicht zusammenzubrechen.

Der Häuptling betrachtete sie, ohne sie verstanden zu haben. Auf ein Zeichen Adlerkopfs ergriffen zwei Krieger die Gefangene und fesselten sie an den Pfahl. Dann begann der Messerwurf.

Dieser besteht darin, daß jeder Krieger sein Scalpirmesser mit dem Daumen und Zeigefinger faßt und es in einer Weise schleudert, daß das Opfer nur leichte Wunden davon trägt. Es ist nämlich den Indianern beim Foltern ihrer Feinde darum zu thun, ihre Qual möglichst zu verlängern und sie sozusagen gliedweise abzuschlachten.

Die Krieger warfen ihre Messer mit so merkwürdiger Geschicklichkeit, daß sie der Unglücklichen nur leichte Streifwunden beibrachten. Das Blut strömte an ihr nieder, und mit geschlossenen Augen betete sie inbrünstig, daß einmal der ersehnte Todesstreich kommen möchte. Die Krieger, welchen ihr Körper als Zielscheibe diente, kamen allmälig in's Feuer, und an die Stelle des Mitleids trat das Verlangen, die größte Geschicklichkeit zu zeigen.

Nachdem der Messerwurf vorüber war, griffen die gewandtesten Treffer zu den Gewehren. Für diese Uebung bedurfte es eines sehr sicheren Auges, da eine voreilige Kugel leicht der ganzen Freude ein Ende machen könnte. Bei den verschiedenen Schüssen gab die Arme, welche zusammengebrochen war, kein anderes Lebenszeichen von sich, als ein krampfhaftes Zucken, das ihren Körper erschütterte.

»Machen wir ein Ende,« sagte Adlerkopf, dessen ehernes Herz sich unwillkürlich von soviel Muth und Selbstverläugnung erweicht fühlte. »Die Comanchenkrieger sind keine Jaguars. Dieses Weib hat genug gelitten, und wir können zur Schlußscene übergehen.«

Die Squaws und die Kinder, die sich noch gerne an der Folter geweidet hätten, murrten zwar; aber die Krieger theilten die Ansicht des Häuptlings, da eine Marter ohne die gewöhnlichen Hohnreden des Opfers keinen Reiz für sie hatte. Man verschonte deßhalb die Unglückliche mit dem Treiben von Splittern unter die Nägel, mit dem Abbrennen von geschwefelten Moxen zwischen den Fingern, dem Honiganstrich für das Gesicht, der die Bienen herbeilocken sollte, und den vielen andern Torturen, indem man unmittelbar zu Herrichtung des Holzstoßes überging, auf dem sie verbrannt werden sollte.

Zuvor aber wurde sie für einige Augenblicke losgemacht, damit sie wieder zu Athem kommen und von den ausgestandenen Aengsten sich erholen konnte. Die Unglückliche brach fast besinnungslos zusammen. Adlerkopf trat an ihre Seite.

»Meine Mutter ist tapfer,« sagte er. »Viele Krieger würden die Prüfungen nicht so muthig bestanden haben.«

Ein mattes Lächeln glitt über ihre blauen Lippen.

»Ich habe einen Sohn,« versetzte sie mit einem Blick voll inniger Freude; »ihm gelten meine Leiden.«

»Der Krieger ist glücklich, der eine solche Mutter hat.«

»Warum verschiebst Du meinen Tod? Du handelst grausam; Krieger sollten Frauen nicht so quälen.«

»Meine Mutter hat Recht; die Folter ist zu Ende.«

»Darf ich endlich sterben?« fragte sie mit einem erleichternden Seufzer.

»Ja; man richtet den Holzstoß zu.«

Unwillkürlich überflog die arme Frau ein Schauder des Entsetzens bei dieser Ankündigung.

»Mich verbrennen!« rief sie. »Warum denn verbrennen?«

»Es ist so Sitte.«

Sie ließ den Kopf auf ihre Hände sinken, erhob ihn aber bald wieder und richtete einen begeisterten Blick gen Himmel.

»Mein Gott, dein Wille geschehe!« flüsterte sie ergebungsvoll.

»Ist meine Mutter gefaßt genug, sich an den Pfahl binden zu lassen?« fragte der Häuptling mitleidig.

»Ja,« versetzte sie, entschlossen aufstehend.

»So komm',« entgegnete Adlerkopf, der seine Bewunderung nicht verbergen konnte.

Die Gefangene folgte ihm festen Schrittes; denn nun es zum Sterben kam, war all ihre Kraft zurückgekehrt. Der Häuptling führte sie zu dem Blutpfahl, an den sie zum zweitenmal gebunden wurde. Vor ihr häufte man grünes Reis auf und zündete es auf ein von Adlerkopf gegebenes Zeichen an. Anfangs wollte der Holzstoß nicht brennen, da das feuchte Material nur einen dicken Qualm verbreitete; allmälig aber loderte es heller und zuletzt flammte das Feuer mit Macht auf. Die unglückliche Frau konnte einen Ruf des Entsetzens nicht zurückhalten.

In diesem Augenblick sprengte mit verhängtem Zügel ein Reiter mitten in's Lager. Mit einem Satz war er auf dem Boden, und ehe man ihn hindern konnte, hatte er den Holzstoß auseinander geworfen und die Bande des Opfers zerschnitten.

»Oh, warum bist Du gekommen?« rief die Mutter, ihm in die Arme sinkend.

»Verzeiht mir, Mutter!« rief Treuherz. »Mein Gott, was habt Ihr leiden müssen!«

»Fort, fort, Raphael!« rief sie, ihn mit Liebkosungen überhäufend. »Laß mich statt Deiner sterben. Muß nicht eine Mutter bereitwillig das Leben lassen für ihr Kind?«

»Sprecht nicht so, Mutter; Ihr macht mich wahnsinnig,« rief Treuherz, sie verzweifelnd mit den Armen umschlingend.

Inzwischen hatte sich die durch den Jäger herbeigeführte Aufregung unter den indianischen Kriegern gelegt, und sie trugen wieder ihre gewöhnliche Gelassenheit zur Schau. Adlerkopf trat auf ihn zu.

»Mein Bruder ist willkommen,« sagte er; »ich erwartete ihn nicht.«

»Es war mir früher nicht möglich. Aber nun ich hier bin, ist doch meine Mutter frei?«

»Sie ist frei.«

»Und kann hingehen, wohin sie will?«

»Ja.«

»Nein,« rief die Gefangene; entschlossen vor den Häuptling hintretend; »es ist zu spät. Ich muß sterben; mein Sohn hat kein Recht, an meine Stelle zu treten.«

»Mutter, was sagt Ihr?«

»Die Wahrheit, Raphael. Die Stunde, zu welcher Du hättest kommen sollen, ist vorüber; Du hast kein Recht, hier zu sein und meine Hinrichtung zu hindern. Flieh', Raphael, flieh', und laß mich für Dich sterben,« fügte sie bei, indem sie unter Thränen sich in seine Arme warf.

»Mutter,« entgegnete Treuherz, »Eure Liebe für mich hat Euch den Sinn verwirrt und ich kann diesen Greuel nicht zugeben. Mir allein gebührt es, hier zu bleiben.«

»O Gott!, er will mich nicht verstehen!« rief die arme Frau schluchzend »Ich wäre so glücklich, für seine Rettung zu sterben.«

Und von der Bewegung überwältigt, sank sie ohnmächtig in die Arme ihres Sohnes. Treuherz drückte ihr einen langen und heißen Kuß auf die Stirne und übergab sie den Händen No Eusebios, der eben angelangt war.

»Geh jetzt, arme Mutter,« sagte er mit von Schmerz erstickter Stimme. »Mögest Du glücklich sein, wenn es für Dich noch ein Glück gibt ohne Dein Kind.«

Der alte Diener seufzte, drückte Treuherz krampfhaft die Hand und hob seine bewußtlose Gebieterin auf's Pferd; dann ritt er mit ihr langsam aus dem Lager, ohne daß ihn Jemand hinderte.

Treuherz sah seiner Mutter nach, bis sie seinen Blicken entschwunden war. Als endlich auch der Hufschlag des Pferdes verhallte, stieß er einen tiefen Seufzer aus, fuhr mit der Hand über die Stirne und murmelte:

»Alles ist vorbei. Gott, nimm sie in deine Obhut!«

Dann wandte er sich an die Häuptlinge, welche ihm stumm und mit achtungsvoller Bewunderung zugesehen hatten. »Comanchenkrieger,« redete er sie mit fester Stimme und flammendem Blicke an, »ihr seid lauter Feiglinge. Männer von Herz martern kein Weib.«

»Wir werden sehen,« bemerkte Adlerkopf lächelnd, »ob der Blaßgesichtsjäger so muthig ist, wie er sich anstellt.«

»Wenigstens werde ich wie ein Mann sterben,« erwiederte Treuherz stolz.

»Die Mutter des Jägers ist frei.«

»Ja. Und was wollt ihr von mir?«

»Ein Gefangener hat keine Waffen.«

»Richtig,« erwiederte er mit verächtlichem Lächeln; »ihr sollt die meinigen haben.«

»Es hat keine so große Eile, lieber Freund,« ließ sich plötzlich eine spöttische Stimme vernehmen, und Belhumeur betrat den Schauplatz, auf seinem Sattelbogen ein vier- oder fünfjähriges Kind haltend und am Schweif seines Pferdes eine ziemlich hübsche junge Indianerin nachschleppend.

»Mein Sohn! mein Weib!« rief Adlerkopf entsetzt.

»Ja,« erwiederte der Canadier höhnisch, »Dein Weib und Dein Sohn, die ich gefangen genommen habe. Ah, ist dies nicht ein guter Gegenzug?«

Auf ein Zeichen des Freundes hatte sich Treuherz mit einem Sprunge des Weibes bemächtigt, das mit Zähneklappern und mit vor Angst irren Blicken umherschaute.

»Jetzt können wir miteinander sprechen,« sagte Belhumeur mit finsterem Lächeln. »Ich glaube, das Spiel steht gleich. Was meinst Du?«

Und er drückte die Mündung einer Pistole auf die Stirne des unschuldigen Wesens, das bei der Berührung des kalten Eisens erschrocken zu schreien anfing.

»Oh!« rief Adlerkopf mit Verzweiflung, »mein Sohn! Gib mir meinen Sohn!«

»Und Dein Weib ... vergißst Du sie ganz?« erwiederte Belhumeur mit spöttischem Lächeln.

»Wir wollen jetzt Deine Bedingungen hören,« sagte Treuherz.

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