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XV.
No Eusebio.

Die Vorsichtsmaßregeln, welche Adlerkopf zu Verbergung seiner Fährte getroffen hatte, waren wohl gut genug für Weiße, welche, mit indianischer Kriegslist nur wenig vertraut, in jenen endlosen Einöden sich kaum anders als mit dem Compaß zurechtfinden können; nicht aber für Leute, wie Treuherz und Belhumeur, welche die Spur keinen Augenblick verloren. An die Zickzackwindungen der indianischen Krieger gewöhnt, ließen sie sich nicht durch ein plötzliches Umkehren, durch Contremärsche, falsche Haltplätze und andere Finten täuschen, welche die Comanchen auf ihrem Weg in Anwendung gebracht hatten. Namentlich deutete ein Umstand, an den die Indianer nicht dachten, die Richtung ihres Marsches so deutlich an, als hätten sie denselben sorgfältig mit Meßstangen abgesteckt.

Der Leser erinnert sich, daß die Jäger unsern vor den Trümmern einer Hütte einen an einen Baum angebundenen Spürhund gefunden hatten, und daß dieser, sobald er befreit war, die Schnauze am Boden, sich beeilte, zu seinem Herrn zurückzukehren, der Niemand anders als der alte Spanier war. An eine Vertilgung der Fährte dieses Thieres dachten die Indianer aus dem einfachen Grunde nicht, weil sie des Hundes nicht achteten; sie war aber überall wahrnehmbar und wurde für gewandte Jäger, wie Treuherz und Belhumeur, zum sicher leitenden Ariadnefaden.

Letztere folgten daher, die Büchse quer vor sich auf dem Sattel und ihre Rastreros zur Seite, ganz gemächlich dem Pfad der Comanchen, welche sich nicht träumen ließen, daß sie eine solche Nachhut hätten. Treuherz machte pünktlich jeden Abend an der Stelle Halt, wo Tags zuvor Adlerkopf sein Lager aufgeschlagen hatte, denn die beiden Jäger waren den Comanchen so scharf auf den Fersen, daß letztere nur einen Vorsprung von einigen Wegstunden gewinnen konnten und auch leicht von den Trappern überholt worden wären, wenn dies in ihrer Absicht gelegen hätte. Doch Treuherz hatte seine Gründe, noch einige Zeit nachzuziehen.

Nach einem Nachtlager in einer an einem Bach gelegenen Lichtung wollten die Jäger eben wieder aufsitzen, als Treuherz, welcher den ganzen Morgen keine Sylbe gesprochen, sich mit den Worten an seinen Begleiter wandte:

»Wir können wohl noch eine Weile Platz behalten.Wir haben keine Eile, da Adlerkopf in der Nähe seines Stammes ist.«

»Das ist wahr,« versetzte Belhumeur, sich in's Gras werfend.»Wir wollen plaudern.«

»Ich hätte mir denken können, daß diese verwünschten Comanchen eine Kriegsabtheilung in der Nähe haben. Natürlich kömmt es uns nicht zu Sinne, zu zwei ein Lager von fünfhundert Kriegern anzugreifen.«

»Ganz richtig, es sind viele,« versetzte Belhumeur philosophisch; »indeß weißt Du wohl, mein lieber Freund, daß wir, wenn das Herz es uns eingibt, immerhin einen Versuch machen können. Man weiß nicht, was kommen mag.«

»Ich danke,« entgegnete Treuherz lächelnd; »aber es wird unnütz sein.«

»Wie Du willst.«

»Nur List kann uns helfen.«

»So fang an damit, ich stehe zu Diensten.«

»Ich glaube, wir haben Fallen in der Nähe?«

»Ein halbtausend wenigstens,« erwiederte der Kanadier. »Dort ist ja der große Biberteich.«

»Richtig. Seit einigen Tagen weiß ich nicht mehr recht, wo mir der Kopf steht. Die Gefangenschaft meiner Mutter macht mich zum Narren. Ich muß sie befreien, koste es, was es wolle!«

»Das ist auch meine Ansicht, Treuherz, und ich werde Dir nach Kräften an die Hand gehen.«

»Morgen Abend gehst Du zu dem schwarzen Elch und bittest ihn in meinem Namen, von weißen Jägern und Trappern aufzubieten, was er zusammenbringen kann. Inzwischen gehe ich in's Comanchenlager, um über das Lösegeld meiner Mutter zu unterhandeln. Wenn sie nicht Lust haben, sie herauszugeben, so greifen wir zu den Waffen. Wir werden dann sehen, ob zwanzig der besten Gränzerbüchsen nicht gegen fünfhundert solcher Prärieräuber Recht behalten.«

»Aber wenn sie Dich gefangen nehmen?«

»Dann schicke ich Dir meinen Hund, der Dich in der Höhle am Fluß aufsuchen wird. Seine Ankunft allein kann Dir als Meldung dienen, nach der Du handeln magst.«

Der Kanadier schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte er, »das thu ich nicht. Ich weiß, daß ich an der Seite eines so wackern und verständigen Burschen, wie Du bist; etwas nütz bin; aber ich habe eine Eigenschaft, die mir Niemand nehmen kann; nämlich meine unverbrüchliche Anhänglichkeit an Dich.«

»Ich weiß, mein Freund, daß Du mich wie ein Bruder liebst.«

»Und Du verlangst von mir, ich solle Dich wohlgemuth in die Wolfshöhle laufen lassen? ... Was sage ich? Wolfshöhle? ... die Indianer sind tausendmal ärger als Wölfe. Nein, ich sage noch einmal, das geschieht nicht. Wenn es unglücklich abliefe, so könnte ich es mir in meinem Leben nicht verzeihen.«

»So sprich deutlich,« entgegnete Treuherz ungeduldig. »Ich begreife Dich nicht.«

Belhumeur besann sich eine Weile und nahm dann das Wort:

»Du weißt, die Comanchen sind in der Prairie unsere schlimmsten Feinde; und so oft es eine Hatze auszufechten galt, hatten wir's jedesmal mit ihnen zu thun, ohne daß sie sich rühmen könnten, uns je auch nur den mindesten Vortheil abgerungen zu haben. Daher zwischen uns und ihnen jener unversöhnliche Haß, der in letzter Zeit noch einen Zuwachs erhielt durch unsere Mißhelligkeiten mit Adlerkopf, dem Du so geschickt oder ungeschickt den Arm zerschossest, während es ebenso leicht gewesen wäre, ihm das Gehirn hinauszujagen. Ich bin überzeugt, der Comanchenhäuptling hat Dir diesen Spaß sehr übel genommen, und wird ihn Dir nie verzeihen.«

Zur Sache!« unterbrach ihn Treuherz.

»Nun ja,« versetzte Belhumeur, »Adlerkopf versucht alle möglichen Mittel, um in den Besitz Deines Scalps zu kommen, und wenn Du die Unklugheit begehst, Dich in seine Hand zu geben, so wird er die Gelegenheit benützen, mit Dir vollständig abzurechnen.«

»Aber meine Mutter ist in seiner Gewalt,« erwiederte Treuherz.

»Ja, aber er kennt sie nicht,« sagte Belhumeur, »Du weißt, daß die Indianer, mit wenigen Ausnahmen, die Frauen, welche ihnen in die Hände fallen, sehr gut und rücksichtsvoll behandeln.«

»Das ist wohl wahr,« versetzte der Jäger.«

»Da nun Niemand hingehen wird, um dem Adlerkopf zu sagen, die Gefangene sei Deine Mutter, so wird sie, abgesehen von der Unruhe, welche sie um Deinetwillen haben mag, unter den Rothhäuten so sicher sein, wie auf dem Marktplatz von Quebek. Wozu also eine unkluge Handlung? Sammeln wir dafür zwanzig wackere Leute um uns und bewachen wir die Indianer, um bei der ersten Gelegenheit über sie herzufallen. Wir machen von ihnen so viel wie möglich nieder und befreien Deine Mutter. So, glaub' ich, wird die Sache besser angegriffen. Was hältst Du von meinem Gedanken?«

»Du bist der trefflichste Kerl, den es gibt,« erwiederte Treuherz. »Dein Rath ist gut, und ich werde ihn befolgen.«

»Recht so,« rief Belhumeur; »man muß mit sich reden lassen.«

»Und jetzt ...« sagte Treuherz aufstehend.

»Nun?« entgegnete Belhumeur.

»Wollen wir aufsitzen und das Indianerlager zu umgehen suchen, ohne daß wir von der Fährte abkommen. Zunächst müssen wir den Hatto unseres braven Kameraden, des schwarzen Elch, aufsuchen; er ist ein verständiger Bursche und kann uns bei unserem Vorhaben nützlich werden.«

»Gesagt, gethan!« rief Belhumeur heiter und warf sich in den Sattel.

Die Jäger verließen die Lichtung und machten einen Umweg, um dem Indianerlager auszuweichen, von dem sie an ein Paar Stellen den Rauch bemerkten. Ihr Weg führte einer Gegend zu, in welcher aller Wahrscheinlichkeit nach der schwarze Elch philosophisch beschäftigt war, den Bibern Fallen zu legen. Der Ritt wurde unter Plaudern und Lachen gemacht, denn Belhumeurs Gründe hatten Treuherz, der die Sitten der Indianer genau kannte, überzeugt, daß seine Mutter keine Gefahr lief.

Auf einmal wurden die Spürhunde unruhig, sprangen voraus und stießen ein dumpfes Geheul wie vor Freude aus.

»Was haben unsere Rastreros?« sagte Treuherz, als er sah, daß die Thiere einen Freund witterten.

»Wahrscheinlich sind sie auf den schwarzen Elch gestoßen und werden bald mit ihm zurückkommen.«

Einige Augenblicke später bemerkten sie einen Reiter, der in vollem Galopp auf sie zukam und um den die Hunde bellend hersprangen.

»Das ist nicht der schwarze Elch,« rief Belhumeur.

»Nein,« sagte Treuherz. »Es ist No Eusebio. »Was hat dies zu bedeuten? Er ist allein. Sollte meiner Mutter ein Unglück zugestoßen sein?«

»Vorwärts!« rief Belhumeur und drückte die Sporen in die Seiten seines Thieres, daß es pfeilschnell dahin schoß.

Treuherz folgte ihm in peinlichster Unruhe. Bald waren die drei Reiter beisammen.

»O,Unglück über Unglück!« rief der Greis voll Schmerz.

»Was gibt's, No Eusebio?« fragte Treuherz. »Ums Himmels willen, sprecht!«

»Eure Mutter, Don Raphael, Eure Mutter!«

»Nun, so redet doch!«, rief der Jäger voll Herzensangst.

»Mein Gott,« rief der Alte, die Hände ringend, »es ist zu spät!«

»Ihr macht mich wahnsinnig!« rief Treuherz.

Der Greis warf ihm einen trostlosen Blick zu und sagte: »Don Raphael, Muth! Seid ein Mann!«

»Mein Gott welche Schreckensbotschaft bringt Ihr mir?«

»Eure Mutter ist Adlerkopfs Gefangene.«

»Das weiß ich.«

»Wenn Ihr nicht heute, diesen Morgen noch, Euch dem Comanchenhäuptling ausliefert, so ...«

»Nun?«

»Wird sie lebendig verbrannt!«

»Ha!« drang es herzzerreißend aus der Brust des Jägers.

Sein Freund hielt ihn, daß er nicht vom Pferde stürzte.

»Heute noch soll sie verbrannt werden, Alter?« fragte Belhumeur.

»Ja.«

»Es ist also noch Zeit?«

»Ach, es soll um Sonnenaufgang geschehen, und Ihr seht ...«

Er deutete mit einer jammervollen Geberde an den Himmel.

»Ha!« rief Treuherz mit unbeschreiblichem Ausdruck, «ich werde meine Mutter retten.«

Und gegen den Hals seines Pferdes sich vorbeugend, sprengte er mit schwindelnder Schnelligkeit davon. Die Andern folgten ihm. Er wandte sich gegen Belhumeur um.

»Wohin willst Du?«

»Ich helfe Dir Deine Mutter retten oder sterbe mit Dir.«

»So kommt« entgegnete Treuherz, seinem Pferd die Sporen gebend.

Es lag etwas Schreckliches in dem tollen Rennen der drei Männer, die in gleicher Linie mit bleichen Gesichtern, geschlossenen Lippen und funkelnden Augen über Bäche und Schluchten wegsetzten und unablässig ihre Pferde antrieben, die unter dumpfem Stöhnen, wüthendem Ausschlagen und mit von Blut und Schweiß triefenden Seiten im Raum dahin flogen. Mitunter stieß Treuherz einen, den mexikanischen Ginetes eigenthümlichen, Ruf aus, der die Thiere noch mehr aufmunterte.

»Mein Gott! mein Gott!« ächzte der Jäger aus tiefster Seele; »rette – rette meine Mutter!«


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