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IV.
Die Reisenden.

Um dieselbe Stunde, als die Trapper aus der Höhle auftauchten, die Fährte der Comanchen wieder zu verfolgen, machte etwa zwanzig Meilen von ihnen entfernt ein ziemlich ansehnlicher Haufen weißer Reisenden an den Ufern des Canadian Halt, um ihr Nachtlager aufzuschlagen. Die Jäger und Gambusinos (Halbblut), die ihnen als Führer dienten, beeilten sich, das Dutzend Maulthiere abzuladen, welchen mexikanische Lanceros zum Schutz beigegeben waren. Das Gepäck wurde zu Herstellung einer ovalen Umzäunung benützt, und in Mitte derselben zündeten sie ein Feuer an, worauf die Führer, ohne sich viel um ihre Begleitet zu kümmern, in eine kleinere Gruppe zusammentraten und Vorbereitungen zu ihrem Nachtessen trafen.

Nun näherte sich ein Offizier von vier- oder fünfundzwanzig Jahren, ein Mann mit feinen charakteristischen Zügen und militärischer Haltung, achtungsvoll einem mit zwei Maulthieren bespannten und von zwei Reitern beschützten Palankin.

»Wo soll das Zelt der Sennorita aufgeschlagen werden, Excellenz?« fragte der junge Offizier den Hut abnehmend.

»Wo Ihr wollt, Capitän Aquilar, wenn es nur bald geschieht,« versetzte der Reiter zur Rechten des Palankin. »Meine Nichte ist sehr müde.«

Der letztere Sprecher war ein großer Mann mit harten, scharfgeschnittenen Zügen, einem Adlerblick und Haaren; so weiß wie der Schnee des Chimborasso. Unter seinem weiten militärischen Mantel konnte man die prachtvoll gestickte Uniform eines mexicanischen Generals erkennen.

Der Capitän verbeugte sich, kehrte zu den Lanceros zurück und ertheilte ihnen Befehl, in der Mitte des Lagerraums ein hübsches, rosenroth und blau gestreiftes Zelt, das eines der Maulthiere getragen, auszuspannen. Nachdem dies geschehen war, stieg der General ab, bot einer jungen Dame, die behend aus dem Palankin sprang, die Hand und führte sie unter das Zelt, in welchem die Aufmerksamkeit des Capitäns alle Bequemlichkeiten, die sich mit den Umständen vertrugen, für sie aufgehäuft hatte.

Nach dem General und seiner Nichte traten noch zwei Personen ein. Die eine war ein wohlbeleibtes, rothbackiges Männchen mit grüner Brille und einer blonden Perrücke, das in der Uniform eines Sanitätsbeamten fast erstickte, ungefähr fünfzig Jahre zählen mochte und sich Jerome Boniface Durieux nannte. Ein Franzose von Geburt, stand er als Obermilitärarzt in mexicanischem Dienst. Während er vom Pferde stieg, ergriff er mit einer gewissen Achtung einen großen Mantelsack, der hinter dem Sattel lag, und versorgte ihn unter dem Arm, da er sich von diesem Geräth nicht trennen zu können schien.

Die zweite Person war ein fünfzehnjähriges Mädchen mit aufgewecktem, dreistem Gesicht, aufgeworfener Nase und keckem Blick, welches der Mischlingraçe der Mestizen angehörte und der Nichte des Generals als Kammermädchen diente.

Ein schöner Neger, der den majestätischen Namen Jupiter führte, beeilte sich unter Beihülfe von zwei oder drei Gambusinos die Abendmahlzeit zu bereiten.

»Nun, Doctor,« sagte der General lächelnd zu dem dicken Herrn, der wie ein Ochse schnaubend mit seinem Mantelsack angestiegen kam und auf demselben Platz nahm, »wie findet Ihr diesen Abend meine Nichte?«

»Die Sennorita ist immer entzückend,« versetzte der Doctor galant, indem er sich den Schweiß von der Stirne wischte; »aber meint Ihr nicht auch, dass die Hitze zum Ersticken sei?«

»Nicht mehr als gewöhnlich,« entgegnete der General. »Hat Euch die heutige Reise sehr ermüdet, meine Nichte?«

»Nicht übermäßig,« versetzte die Sennorita mit einem Anflug von Gähnen. »Da wir schon einen Monat unterwegs sind, so gewöhne ich mich allmälig an diese Lebensweise, die mir allerdings im Anfang höchst beschwerlich war.«

Der General stieß einen Seufzer aus, erwiederte aber nichts weiter. Der Doctor seinerseits war damit beschäftigt, die Steine und Pflanzen, welche er im Laufe des Tages gesammelt hatte, zu ordnen, während die Mestize sich mit der Leichtigkeit eines Vogels im Zelt umthat, um die Dinge herzurichten, die ihre Gebieterin möglicherweise brauchen konnte.

Wir benützen diesen Augenblick der Ruhe, um mit ein paar Worten das Portrait des Fräuleins zu zeichnen. Donna Luz de Berumdez, die Tochter einer jüngeren Schwester des Generals, war ein bezauberndes Mädchen von höchstens sechzehn Jahren. Der Glanz ihrer großen schwarzen Augen, deren dunkle Brauen lebhaft gegen das reine Weiß der Stirne abstachen, war züchtig von langen Sammtwimpern verschleiert; den kleinen Mund mit den corallrothen Lippen zierten zwei liebliche Reihen von Perlzähnen, die feine Haut hatte sich den Flaum einer reifen Frucht bewahrt, und ihre dunklen Haare könnten aufgelöst einen Schleier über den ganzen Körper bilden. Die Figur war zart und zeigte jene zierlichen wellenförmigen Linien, durch die sich die Amerikanerinnen auszeichnen, Hand und Fuß ungemein klein, und ihr Gang hatte die ungezwungene Leichtigkeit, welche an den Creolinnen so sehr anspricht. Kurz, ihr ganzes Aeußere war der Inbegriff alles Anmuthigen und Vollkommenen. Dabei hatte sie eine stets heitere, lachlustige Laune und konnte sich über jede Kleinigkeit freuen, da sie vom Leben noch nichts als das Angenehme kannte.

Gleichwohl fehlte dieser schönen Natur das Leben. Sie war eine Pandora, eh' noch Prometheus für sie das Feuer des Himmels gestohlen, – und, in der mythologischen Vergleichung fortzufahren, Amor hatte sie noch nicht mit seinem Flügel berührt, ihre Stirne sich nie gerunzelt unter dem Druck des Gedankens und ihr Herz noch nie geschlagen unter der Lockung des Verlangens. Dem Wunsche des Generals gemäß war sie in fast klösterlicher Abgeschiedenheit erzogen und aus derselben nur hervorgeholt worden, um ihn auf der Wanderung durch die Prairien zu begleiten.

Wohin die Reise ging, und warum ihr Onkel sie durchaus bei sich haben wollte – dies waren Dinge, um welche sich das Mädchen wenig kümmerte. Sie freute sich, auf einem hohen Fuße leben zu dürfen und ohne Unterlaß neue Gegenden zu sehen; da sie außerdem in Vergleichung mit ihrer bisherigen Lebensweise sich jetzt als ein freies Wesen fühlen konnte, so verlangte sie nicht weiter und versuchte es nie, ihren Onkel mit unbescheidenen Fragen zu behelligen.

Donna Luz war also zu der Zeit, in welcher wir sie kennen lernen; ein glückliches Kind, das, zufrieden mit der Gegenwart und unbekümmert um die Zukunft, wohlgemuth in den Tag hinein lebte.

Als Jupiter gebratene Hirschkeule auftrug, trat auch Capitän Aquilar ein. Der Tisch war von der Kammerzofe Phöbe gedeckt worden und hatte vier Couverte: für den General, für seine Nichte, für den Capitän und für den Doctor. Jupiter und Phöbe warteten auf.

Bis der Appetit beschwichtigt war, ging die Unterhaltung flau; dann aber begann das Fräulein, das den Doctor zu necken liebte, mit den Worten:

»Habt Ihr heute eine reiche Ernte eingebracht, Doctor?«

»Nicht sonderlich, Sennorita.«

»Ei der Tausend, und mich dünkt, es hätten doch genug Steine an unserem Wege gelegen. Es kam nur auf Euch an, eine ganze Maulthierlast aufzulesen.«

»Die Reise sollte Euch glücklich machen,« meinte der General, »denn sie bietet Euch Gelegenheit, zwanglos Eurer Liebhaberei für Pflanzen aller Art nachzuhängen.«

»'s ist nicht so arg, General. Ich gestehe, die Prairie ist nicht so reich, als ich glaubte, und hielte mich nicht die Hoffnung aufrecht, irgend eine Pflanze aufzufinden, deren Eigenschaften sich für die Wissenschaft nutzbar machen ließe, so möchte ich fast bereuen, mein Häuschen in Guadelup, wo mir das Leben in ruhiger Einförmigkeit entschwand, verlassen zu haben.«

»Pah,« entgegnete der Capitän, »wir befinden uns erst an der Grenze der Prairieen; sind wir einmal tiefer in's Innere eingedrungen, so werdet Ihr bei weitem nicht im Stande sein, die Schätze zu sammeln, die Euch jeder Schritt entgegenbringt.«

»Das gebe Gott, Capitän,« versetzte der Gelehrte mit einem Seufzer. »Könnte ich nur die Pflanze finden, die ich suche, so wollte ich mich vollkommen zufrieden geben.«

»Ist diese Pflanze denn so kostbar?« fragte Donna Luz.

»Wie, Sennorita,« rief der dicke Doctor mit Eifer, »eine Pflanze, die von dem großen Linné beschrieben und classificirt, nach ihm aber von Niemand mehr gefunden wurde, eine Pflanze also, die meinen Ruhm gründen könnte – Ihr fragt, ob sie kostbar sei?«

»Zu was dient sie?« fragte das Fräulein neugierig.

»Ja, was nützt sie?« wiederholten die Andern.

»Zu nichts,« lautete die unschuldige Antwort des Gelehrten.

Donna Luz ließ ein so silberhelles Lachen erschallen, daß eine Nachtigall sie um die süßen Töne hätte beneiden mögen.

»Und Ihr nennt eine solche Pflanze kostbar?«

»Ja, um ihrer Seltenheit willen.«

»Ah, so!«

»Hoffen wir, daß Ihr sie findet, Doctor,« sagte der General in versöhnendem Tone. »Jupiter, rufe den Häuptling der Führer herein!«

Der Neger entfernte sich und kehrte alsbald mit einem Gambusino zurück. Dieser war ein großer, breitschulteriger, kräftig gebauter Mann von ungefähr vierzig. Ohne gerade häßlich zu sein, hatte sein Gesicht etwas Abstoßendes, von dem man sich keine Rechenschaft geben konnte. Seine lauernden, schielenden Augen, welche tief in ihren Höhlen staken, glühten von einem wilden Feuer, und seine niedrige Stirne und die krausen Haare bildeten mit der Kupferfarbe seiner Haut ein durchaus nicht angenehmes Ganze. Er trug die Tracht der Waldläufer, zeigte ein kaltes, unzugängliches Wesens und war namentlich sehr wortkarg, eine Eigenschaft, welche ihm wohl wegen des Gegensatzes von den Indianern oder seinen Kameraden selbst den Namen »die Amsel« zugezogen hatte.

»Hier, mein Wackrer,« sagte der General, ihm ein bis an den Rand gefülltes Glas hinbietend, das eine Art Branntwein, von dem Fabrikationsorte Mezcal genannt, enthielt. »Trinket dies.«

Der Jäger verneigte sich, leerte das Glas, welches wohl eine halbe Flasche enthielt, auf einen Zug, fuhr dann mit dem Aermel über seinen Schnurrbart und harrte des weiteren Geheißes.

»Ich möchte einige Tage an einem sichern Platze Halt machen,« sagte der General, »um ohne Furcht vor Beunruhigung gewisse Untersuchungen anstellen zu können. Ist es hier geheuer?«

Das Auge des Führers funkelte; er heftete einen glühenden Blick auf den General.

»Nein,« lautete seine kurze Antwort.

»Warum?«

»Zuviel Indianer und wilde Thiere.«

»Wißt Ihr einen passenderen Platz?«

»Ja.«

»Weit von hier?«

»Nein.«

»Wie weit?«

»Vierzig Meilen.«

»Wie lange werden wir dazu brauchen?«

»Drei Tage.«

»Gut; so führt uns hin. Morgen mit der Sonne wollen wir aufbrechen.«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

»Gute Nacht.«

Der Jäger entfernte sich.

»Die Amsel gefällt mir,« sagte der Capitän lächelnd. »Ihre Unterhaltung ist wenigstens nicht langweilig.«

»Mir wär's lieber, sie spräche mehr,« versetzte der Doctor mit Kopfschütteln. »Ich traue den Leuten nicht, die sich immer vor dem vielen Reden in Acht nehmen. Es ist ein Beweis, daß sie etwas zu verbergen haben.«

Aus dem Zelt begab sich der Führer zu seinen Kameraden, mit denen er alsbald mit gedämpfter Stimme ein sehr lebhaftes Gespräch begann.

Dies Nacht war herrlich. Die Reisenden versammelten sich vor dem Zelt; sie plauderten zu der Cigarre, und Donna Luz unterhielt die Gesellschaft, indem sie eines der melodischen Creolenlieder sang.

Plötzlich bemerkte man am Horizonte einen röthlichen Schein, der mit jedem Augenblick sich weiter verbreitete; dazu kam ein dumpfes und anhaltendes Geräusch, ähnlich dem Rollen eines fernen Donners.

»Was ist das?« rief der General aufspringend.

»Ein Prairiebrand,« versetzte die Amsel kalt.

Auf diese so ruhig hingeworfene schreckliche Ankündigung kam das ganze Lager in Aufruhr. Man mußte mit der größten Eile fliehen, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, lebendig zu verbrennen; Einer der Gambusinos benützte die Verwirrung, um sich aus der Umzäunung zu schleichen, und verschwand in der Ebene, nachdem er zuvor sich mit der Amsel durch ein geheimnißvolles Zeichen verständigt hatte.


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