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IX.
Diplomatie.

Von Seiten des Hauptmanns war es nach den Vorgängen eine unerhörte Kühnheit, ohne die Möglichkeit eines Widerstandes sich Leuten auszuliefern, die ihm eine blutige Rache zugedacht hatten, Auch fürchteten die Jäger in diesem Benehmen bereits eine Schlinge, und ihr Erstaunen steigerte sich in dem Maße, als sie über die Bedeutung des von dem Räuber versuchten Schrittes nachdachten. Sie sahen wohl ein, daß er sich absichtlich hatte ergreifen lassen, und daß er dafür seine guten Gründe haben mußte, namentlich nach der Mühe, die er sich gegeben, seine Fährte vor aller Augen zu verwischen und einen so geheimen Schlupfwinkel aufzusuchen, daß selbst die Indianer, diese feinen Spürer, welche sonst nichts von einer Witterung abzubringen vermag, auf die weitere Nachforschung verzichteten.

Was wollte er in der Mitte seiner unversöhnlichen Feinde? Welcher gewichtige Grund hatte ihn zu der Unklugheit veranlaßt, sich selbst in ihre Hände zu geben? Solche Fragen beschäftigten die Trapper, während sie ihren Gefangenen mit der Neugierde und Theilnahme betrachteten, welche man wider Willen auch dem verworfensten Unerschrockenen widmet, wenn er eine kühne That vollbracht hat.

»Da Ihr Euch selbst in unsere Hände gegeben habt,« redete ihn Treuherz an, »so werdet Ihr Euch ohne Zweifel nicht weigern, auf die Fragen zu antworten, die wir an Euch zu richten für gut finden werden.«

Ein Lächeln, dessen Ausdruck sich nicht beschreiben läßt, glitt über das bleiche Gesicht des Räubers.

»Ich werde nicht nur keine Antwort verweigern,« entgegnete er mit klarer, ruhiger Stimme, sondern mit eurer Erlaubniß sogar euren Fragen zuvorkommen, indem ich euch freiwillig über alles Vorgefallene Auskunft gebe. Es wird euch daraus alles klar werden, was euch noch dunkel ist und ihr euch vergeblich zu erklären gesucht habt.«

Ein Gemurmel des Staunens lief durch die Reihender Trapper, die sich nachgerade gesammelt hatten und mit Aufmerksamkeit zuhörten. Die Scene versprach im höchsten Grade interessant zu werden.

Treuherz dachte einen Augenblick nach und sagte dann zudem Räuber: »So sprecht, wir hören.«

Der Banditenführer verneigte sich und begann dann mit spöttischer Betonung seine Erzählung. Nach dem Bericht über die Wegnahme des Lagers fuhr er folgendermaßen fort:

»Das war ein guter Zug, ihr Herren, nicht wahr?Gewiß könnt ihr, die ihr in ähnlichen Dingen geübte Meister seid, mir nur darüber ein Compliment machen. Einen Umstand wißt ihr übrigens noch nicht, und den sollt ihr jetzt erfahren. Die Erbeutung der Schätze des mexikanischen Generals war für mich nur von untergeordnetem Belang; es schwebte mir ein anderes Ziel vor: ich wollte mich nämlich der Donna an bemächtigen. Von Mexiko an folgte ich der Caravane Schritt für Schritt; ich hatte ihren Führer, die Amsel, einen alten Bekannten von mir, bestochen, und während ich das Gold und die Edelsteine meinen Kameraden preisgab, verlangte ich für mich nichts als das Mädchen.«

»Und um die habt Ihr allem Anscheine nach Euch vergebliche Mühe gegeben,« unterbrach ihn Belhumeur mit spöttischem Lachen.

»Meint Ihr?« versetzte der Andere mit unverwüstlicher Ruhe. »Nun ja, für diesmal mögt Ihr Recht haben, aber es ist noch nicht aller Tage Abend, und vielleicht greife ich ein andermal besser.«

»Ihr sprecht unter hundertundfünfzig der besten Prairiebüchsen von Eurem abscheulichen Plan so zuversichtlich, als ständet Ihr im Kreis Eurer Spießgesellen und in einer Räuberhöhle, die kein Mensch zu finden weiß. Dies ist eine große Unklugheit oder vielmehr ein seltener Uebermuth,« bemerkte Treuherz strenge.

»Pah, die Gefahr ist für mich nicht so groß, als Ihr mir glauben machen wollt. Ihr wißt, daß ich ein Mann bin, bei dem Einschüchterung nicht verfängt. Lassen wir daher die Drohungen und sprechen wir, wenn's gefällig ist, wie ernste Menschen mit einander.«

»Wir alle, die wir in dieser Höhle beisammen sind, Jäger, Trapper und Indianer, haben das Recht, im Namen der gemeinschaftlichen Sicherheit das Grenzgesetz gegen Euch in Anwendung zu bringen – Auge um Auge und Zahn um Zahn; denn Ihr seid sogar durch Euer eigenes Geständniß des Raubes, des Mordes und des versuchten Frauenraubes überführt. Wir werden nicht säumen, Euch Euer Recht angedeihen zu lassen. Was habt Ihr zu Eurer Vertheidigung vorzubringen?«

»Alles zu seiner Zeit, Treuherz. Wir können demnächst auf diesen Punkt übergehen; vorher aber möchte ich mit Eurer Erlaubniß zu Ende bringen, was ich Euch zu sagen habe. Seid nicht ungehalten, es handelt sich ja nur um einige Minuten Verzug, und ich werde selbst auf die Frage zurückkommen, deren Erledigung Euch als dem selbstgeschaffenen Richter in dieser Wildniß so sehr am Herzen liegt.«

»Dieses Gesetz ist so alt als die Welt, und geht von Gott selbst aus. Alle ehrlichen Leute haben die Verpflichtung, auf die wilden Bestien Jagd zu machen, die ihnen auf ihrem Pfad begegnen.«

»Die Vergleichung ist nicht schmeichelhaft,« erwiederte der Räuber; »da ich aber etwas hartschlägig bin, so will ich sie nicht übel nehmen. Ein für allemal, wollt Ihr mich sprechen lassen?«

»So redet und macht, daß Ihr einmal zu Ende kommt.«

»Weiter verlange ich nicht. Hört mich an. In dieser Welt faßt Jeder das Leben nach seiner Weise auf, der Eine freier, der Andere beschränkter. Was mich betrifft, so hege ich den gewiß nicht ehrgeizigen Wunsch, mit einem bescheidenen Einkommen mich in den Schooß einer unserer schönen mexikanischen Provinzen zurückzuziehen. Seit einigen Monaten befinde ich mich in Folge einiger einträglichen Unternehmungen, die ich in den Prairien durch meinen Muth und meine Gewandtheit glücklich zu Ende brachte, im Besitz einer hübschen runden Summe, die ich meiner Gewohnheit gemäß zu Erzielung des gedachten Einkommens anzulegen mich entschloß. Ich war in Mexiko, um meine Fonds meinem dortigen französischen Banquier zu überweisen, der mir sie nutzbar macht, und den ich für vorkommende Fälle auch Euch empfehlen möchte.«

»Wozu dieses Geschwätz?« unterbrach ihn Treuherz unwillig. »Wollt Ihr uns verhöhnen?«

»Durchaus nicht. Ich fahre fort. In Mexiko fügte es der Zufall, daß ich Donna Luz einen nicht unwichtigen Dienst leisten konnte.«

»Ihr?« versetzte Treuherz zornig.

»Warum nicht?« entgegnete der Andere. »Die Geschichte ist übrigens einfach. Ich rettete sie aus den Händen von vier Banditen, welche im Begriff waren, sie zu berauben. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich in sie verliebt.«

»Herr, rief der Jäger, im höchsten Zorn erglühend, »das übersteigt alle Grenzen. Donna Luz ist eine junge Dame, von der man nur mit tiefster Achtung reden darf, und ich dulde nicht, daß sie in meiner Gegenwart beschimpft werde.«

»Wir sind hier ganz der gleichen Ansicht,« erwiederte der Räuber; »doch ist es gleichwohl wahr, daß ich mich verliebte. Ich zog Erkundigungen über sie ein, erfuhr, daß sie eine Reise vorhabe, und spielte bis zum Antritt derselben, wie Ihr seht, mein Spiel nicht übel. Dann machte ich meinen Plan, der zwar, wie Ihr mir entgegenhalten werdet, vollständig fehlschlug, aber auf den ich noch nicht verzichte.«

»Und wir werden uns bemühen, gute Ordnung hineinzubringen.«

»Daran thut Ihr gut, wenn Ihr könnt.«

»Jetzt werdet Ihr wohl fertig sein?«

»Noch nicht, wenn Ihr nichts dagegen habt. Aber für das, was ich noch zu sagen habe, ist die Gegenwart von Donna Luz unerläßlich; denn von ihr allein hängt es ab, ob das Anliegen, das mich zu Euch führte, gelungen ist oder nicht.«

»Ich begreife Euch nicht.«

»Das wäre vorderhand auch nutzlos; glaubt mir übrigens, Treuherz, daß Ihr bald den Schlüssel zur Lösung des Räthsels finden werdet.«

Während dieser langen Unterredung hatte der Räuber keinen Augenblick seine Ruhe verloren und stets den spöttischen Ton und das freie Wesen beibehalten, welche die Jäger in Verwirrung brachten. Er nahm sich mehr wie ein vornehmer Herr aus, der bei seinen Nachbarn auf dem Lande einen Besuch macht, als wie ein Gefangener, dem eine Kugel vor den Kopf in Aussicht steht. Aus der Gefahr schien er sich gar nichts zu machen, und während die Trapper nach Beendigung seiner Rede sich leise beriethen, drehte er sich eine Maiscigarre, zündete sie an und begann ruhig zu rauchen.

»Donna Luz hat nichts mit diesen Dingen zu schaffen,« sprach Treuherz mit schlecht verhüllter Ungeduld. »Ihre Anwesenheit ist nicht nöthig.«

»Da seid Ihr sehr im Irrthum, mein theurer Herr,« entgegnete der Räuber, eine Rauchwolke von sich blasend; »sie ist durchaus nöthig. Wollt Ihr den Grund wissen? Ihr begreift doch wohl, daß ich ein viel zu schlauer Fuchs bin, um mich von freien Stücken in eure Hände zu geben, wenn ich nicht ein Pfand besäße, das mit seinem Leben für das meinige einsteht. Dieses Pfand ist der Onkel des jungen Mädchens. Wenn ich nicht um Mitternacht in meiner Räuberhöhle, wie Ihr sie zu nennen beliebtet, und im Kreise meiner tapfern Kameraden bin, so wird genau zehn Minuten später der ehrenwerthe Herr ohne Gnade erschossen.«

Eine Aufwallung des Zorns lief durch die Reihen der Jäger.

»Ich weiß sehr wohl,« fuhr der Räuber fort, »daß Ihr für Eure Person Euch nicht sonderlich viel um das Leben des würdigen General kümmert und daß Ihr es zum Tausch gegen das meinige großmüthig opfern würdet. Aber zum Glück für mich ist meiner festen Ueberzeugung nach Donna Luz nicht Eurer Meinung und hält viel auf ihren Onkel. Habt daher die Güte, sie herauszubitten, damit sie höre, welchen Vorschlag ich zu machen habe. Die Zeit enteilt und der Weg von hier bis zu meinem Lager ist weit; komme ich zu spät dort an, so habt Ihr allein das Unglück zu verantworten, das aus dieser Zögerung erwächst.«

»Hier bin ich,« nahm jetzt Donna Luz das Wort und trat durch den Haufen hervor, hinter welchem verborgen sie alles mit angehört hatte.

Der Räuber warf seine halb abgebrannte Cigarre weg und grüßte die junge Dame mit einer achtungsvollen Verbeugung.

»Ich schätze mich glücklich, Sennorita,« sagte er, »daß Ihr mich dieser Ehre würdig achtet.«

»Spart Eure spöttischen Complimente, Herr. Ich will hören, was Ihr mir zu sagen habt.«

»Ihr beurtheilt mich falsch, Sennorita,« versetzte der Räuber; »aber ich hoffe, mich später gegen Euch zu rechtfertigen. Wie, kennt Ihr mich nicht mehr? Ich glaubte, bei Euch besser im Andenken zu stehen.«

»Es ist möglich, daß ich für Euch seine Zeit lang eine freundliche Erinnerung bewahrte,« versetzte das Mädchen aufgeregt; »aber nach dem, was seit einigen Tagen vorgefallen ist, kann ich in Euch nur einen Verbrecher erkennen.«

»Das ist ein hartes Wort, Sennorita.«

»Ihr müßt es entschuldigen, wenn ich Euch verletze; aber ich habe mich noch nicht vollständig von den Schrecken erholt, die Ihr über mich brachtet und die Euer heutiger Schritt eher verdoppelt als vermindert. Ich bitte, säumt nicht länger, mich Eure Absichten Wissen zu lassen.«

»Ich bin trostlos, von Euch so falsch verstanden zu werden. Ich beschwöre Euch, das Vorgefallene nur auf Rechnung der Gewalt meiner Leidenschaft zu schreiben, und glaubt mir ...«

»Herr, Ihr beschimpft mich!« unterbrach ihn das Mädchen mit Stolz. »Was kann gemein sein zwischen mir und dem Führer eines Räuberhaufens?«

Bei dieser schneidenden Zurechtweisung überflog ein fieberisches Roth das Gesicht des Räubers, der sich zornig in die Lippe biß; er faßte sich jedoch, drängte seine Gefühle zurück und entgegnete mit ruhiger, achtungsvoller Stimme:

»Sei es darum, Sennorita; vernichtet mich, ich habe es verdient.«

»Und um mir diese Gemeinplätze vorzutragen, habt Ihr meine Gegenwart verlangt? In diesem Fall werdet Ihr selbst es für passend finden, daß ich mich zurückziehe. Ein Mädchen von meinem Stand ist weder an solche Manieren gewöhnt, noch darf es solchen Reden Gehör schenken.«

Sie schickte sich an, zu Treuherzens Mutter zurückzukehren, die ihr schon entgegenkam.

»Noch einen Augenblick, Sennorita,« rief der Räuber mit Ungestüm. »Wenn Ihr kein Ohr habt für meine Bitten, so hört meine Befehle.«

»Eure «Befehle?« brüllte der Jäger, auf ihn zustürzend. »Hast Du vergessen, wer Du bist, Elender?«

»Wozu bedarf es der Drohungen, meine Herren?« entgegnete der Räuber mit fester Stimme, indem er die Arme über der Brust kreuzte, den Kopf aufwarf und die Umstehenden mit verächtlichen Blicken maß, »ihr wißt wohl, daß ihr nichts gegen mich vermögt und daß mir kein Haar gekrümmt werden darf.«

»Das ist zuviel!« rief der Jäger.

»Haltet, Treuherz,« sagte Donna Luz, vor ihn hintretend, »dieser Mensch ist Eures Zornes nicht würdig. Er gefällt mir in der Rolle des Räubers besser; wenigstens sehen wir ihn jetzt ohne Maske.«

»Ja, ohne Maske,« rief der Räuber wuthentbrannt. »So hört mich denn an, thörichtes Mädchen. Nach drei Tagen komme ich wieder –Ihr seht, wie gut ich bin,« fügte er mit einem finstern Lächeln bei, »da ich Euch Zeit zum Nachdenken lasse. Wenn Ihr dann nicht einwilligt, mir zu folgen, so stirbt Euer Onkel des grausamsten Martertodes, und zum letzten Andenken werde ich Euch seinen Kopf schicken.«

Ungeheuer!« rief die junge Dame entsetzt.

»Jeder freit nach seiner eigenen Weise,«, erwiederte er mit einem teuflischen Lächeln. »Ich habe geschworen, daß Ihr mein Weib werden sollet.«

Die Sennorita hörte nichts mehr von diesen Worten. Von Schmerz überwältigt, war sie besinnungslos niedergesunken; aber Treuherzens Mutter und No Eusebio hatten sie in ihren Armen aufgefangen.

»Genug jetzt!« rief Treuherz mit furchtbarer Stimme, indem er seine Hand auf die Schulter des Räubers legte. »Dankt Gott, daß Ihr mit ganzen Gliedern wieder aus unseren Händen kommt.«

»In drei Tagen um dieselbe Stunde werdet Ihr mich wieder sehen, meine Herren,« entgegnete er verächtlich.

»Bis dahin könnte sich das Blatt wenden,« bemerkte Belhumeur.

Der Räuber antwortete darauf nur mit seinem spöttischen Lachen und verließ die Höhle mit festen und ruhigen Schritten, als ob nichts vorgefallen wäre. Ja, er ließ sich nicht einmal herab, zurückzuschauen, so sicher war er der tiefen Erregung, die er veranlaßt, und der Wirkung, welche er hervorgebracht hatte.

Kaum war er verschwunden, als auch Belhumeur, der schwarze Elch und Adlerkopf vermittelst der anderen Ausgänge die Höhle verließen, um seine Fährte aufzunehmen. Treuherz blieb eine Weile gedankenvoll stehen; dann aber wandte er sich bleichen Antlitzes und mit bekümmerter Stirn zu Donna Luz, um nach ihrem Zustand zu sehen.


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