Heinrich Zschokke
Addrich im Moos
Heinrich Zschokke

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43.
Böse Zusammenkunft.

Sie gingen durch die langen Reihen des Lagers bis zum Adlersberge, auf dessen östlichem Flügel die alte Burg von Brunegg lag. Es war ein trüber Morgen. Ein schwermütiges, einförmiges Grau des Himmels hing über der duftenden Frühlingslandschaft. Hier und dort stiegen Rauchsäulen von frisch angezündeten Feuern auf, bei denen die in Krieger verwandelten Landleute ihr Frühstück kochten. Man erblickte nur wenige Zelte. Die Nacht war von den meisten ohne Obdach, auf einem Bündel Heu oder Stroh zugebracht worden, doch hin und wieder sah man statt der Gezelte wohl aneinander gelehnte Bretter und Thüren, die man den Häusern, Scheuern oder Ställen benachbarter Ortschaften entnommen hatte: oder leinene Laken, große Tücher von Frachtwagen und zerschnittene Säcke über aufgesteckte Stangen ausgespannt.

Addrich und sein Begleiter gefielen sich in dem bunten Getümmel. Sie teilten mit einem der munteren Haufen das kräftige Frühstück und die kräftigen Späße. Dann begaben sie sich weiter, um auch die Vorposten des Lagers zu besuchen, welche längs der Reuß und vor der Stadt Mellingen aufgestellt sein sollten.

Nach einer starken Viertelstunde Weges über die Wiesen gelangten sie zum Gebüsche, welches die Halden der Höhe bekleidete, die sich längs dem schmalen und ebenen Reußthale hinzieht. In geringer Entfernung von ihnen lag das Städtchen Mellingen, am dunkeln Strome der Reuß, nach alter Art und Weise mit Ringmauern und Graben umgeben. Dahinter erhob sich, allmählich emporschwellend, steil und waldig das Gebirge mit dem Heitersberge, über welchen ein unebener Weg nach Zürich führt.

»Laß uns hinab ins Städtchen gehen, die Freiämtler halten es besetzt,« sagte Addrich, »denn wir sind auf den Wiesen zuweit links gegangen. Die Vorhut steht auf der Höhe, in der Nähe von Wohlenschwyl, an der Straße von Lenzburg. Verfolgen wir diesen Fußpfad! Er führt rechts und ohne Zweifel ins Dorf.«

Als sie eine Strecke fortgewandert waren, hörten sie schon aus geringer Ferne durchs Gebüsch das Rufen, Lachen und Lärmen der ländlichen Krieger ertönen. Bald führte sie ihr Pfad zu einer einsam gelegenen Hütte, welche auf einem freien Platze, am Abhang der Höhe, eine ungehemmte Aussicht über Thal, Strom und Gebirge darbot. Eine uralte Eiche, die ihre schwarzen Arme über das Strohdach streckte, schien der Unzulänglichkeit desselben gegen die Unbill der Witterung mitleidig abhelfen zu wollen, und der Hinterteil des Baues schien seine Haltbarkeit weniger der eigenen Stärke, als der Stütze eines jener ungeheuren Granitblöcke danken zu müssen, welche, durch die Fluten der Urwelt aus den Alpen hierher gewälzt. noch zur Hälfte aus dem Erdboden hervorragen.

»Ich wette,« sagte Addrich, indem er auf ein kleines hölzernes Kreuz zeigte, das den Oberteil des Giebels schmückte, »hier ist das Nest eines heiligen Tagediebes. Wir wollen dem Waldbruder einen Besuch abstatten. Man kann von solchen Leuten etwas erfahren.«

Sie traten durch die offen stehende Thür in den engen Raum, wo sich auf dem Tischchen zur Seite ein paar große, halbleere Weinflaschen, Brotstücke und geräuchertes Fleisch, die Überbleibsel des Frühstücks, oder des gestrigen Abendessens, zeigten. Rechts am Boden erblickten sie auf einem Laubsacke, statt des Waldbruders, einen jungen, schlanken Kriegsmann in tiefem Schlafe.

Addrich, der vorausgegangen war, fuhr bei diesem Anblick zurück, sah sich finster nach Fabian um und sagte: »Sehe ich recht, so ist's ein Schurke, der ein Lot Blei durch den Schädel zu bekommen nur zu sehr verdient hat. Ich gebe dem Aase einen Fußtritt, und damit gehen wir!«

Fabian erkannte im Schlafenden jetzt den Hauptmann Gideon Renold. Sein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Er wandte sich rasch ab und rief: »Fort von der Pestilenz! Was habe ich mit diesem Bösewicht?« Die Heftigkeit, mit welcher er die Worte ausstieß, weckte den Schläfer. Er fuhr mit halbem Leibe plötzlich vom Lager auf und starrte, ungewissen, ratenden Blickes, die vor ihm stehenden Gestalten an. Je deutlicher diese wurden, desto starrer wurden seine Mienen und Augen, wie die eines Menschen der, voller Entsetzen, Gespenster wahrnimmt. Sein erblaßtes Antlitz wurde durch das totenartige Veilchenblau, welches sich um seine Augen und Lippen legte, schauerlich.

Addrich, der ihn jetzt in der That für krank hielt, fühlte bei dem Anblick eine Art Anwandlung von Mitleid und sprach mit sanfter Stimme und erzwungenem Scherz: »Du hier, Gideon? Was treibst Du, Faulpelz? Zum Müßiggang gehören entweder große Zinsen oder hohe Galgen.«

»Was? Galgen?« sagte halblaut und unverständlich, wie aus trockener Kehle die Töne drängend und ohne seine Stellung zu ändern, der Hauptmann. Dann aber schrie er nach einigem Besinnen plötzlich laut und wiederholt: »Mörder! Wache! Schildwache! Hilfe!«

»Menschenkind, rasest Du?« sprach Addrich. »Kennst Du mich nicht?«

»Warum überfallet Ihr mich im Schlafe?« entgegnete Gideon, indem er aufsprang, beide mißtrauisch beobachtete und links und rechts mit den Augen umherfuhr. »Wehe dem, der Hand an mich legt! Wisset, ich bin der Vorpostenkommandant und jedes Haar meines Hauptes ist bewacht, wenn ich schon im Augenblicke wehrlos bin.«

Er bewegte sich während dieser und ähnlicher Reden, ohne die Beiden aus den Augen zu lassen, rückwärts, und allmählich, wie wenn jene es nicht merken sollten, nach einem Hüttenwinkel im Hintergrunde, bückte sich dort rasch seitwärts, raffte ein am Boden liegendes Schwert auf, warf dessen Gehenk über die Schulter, bedeckte das Haupt mit seinem daneben gelegenen Hut und drückte denselben tief in die Stirn nieder.

»Jetzt, Ihr Herren,« sprach er mit jener stolzen Haltung und Festigkeit der Stimme, worin sich das Gefühl seiner Sicherheit verkündete, »jetzt will ich Euch wohlgemeint raten, auf der Stelle das Feld zu räumen und mich nicht länger zu belästigen, widrigenfalls einem wie dem andern, wegen des schnöden Überfalles, üble Belohnung bevorsteht.«

»Höre an,« sagte Addrich, »Du arger Geselle, ich vermute, Du hast Dein Quentchen Verstand beim Mordbrande am Thuner See verloren . .  und wahrhaftig! . . . das allein würde Dir noch zur größten Ehre gereichen, denn sonst wäre keine ehrliche Faser an Dir. Man müßte Dich dann nicht aufhängen, sondern nur bedauern. Auf jeden Fall hat der das Roß hinter den Wagen gespannt, der Dich als Kommandant der Vorposten hierher stellte. Ein Narr muß bewacht werden, aber nicht Wache halten, und ein Bösewicht gehört nicht unter ehrliche Leute.«

»Schweig mit Deinen schändlichen Reden, Du meineidiger Betrüger,« versetzte Gideon, »oder ich operiere Dir die Zunge im Halse, daß sie nie wieder falsch schwören soll. Ich darf allezeit mit gutem Gewissen vor ehrlichen Leuten stehen, aber Du . . .«

»O ja!« unterbrach ihn der Alte mit bitterm Lächeln, »Du darfst Dich sehen lassen, wenns finster ist, und darfst mit Deinem Gewissen prahlen, denn es ist groß genug, daß man mit einem Fuder Heu hindurchfahren könnte. Aber die Leute riechen den Brand an Dir.«

»Den Brand!« schrie der Hauptmann auffahrend. »Daß Dich hunderttausend Teufel zerreißen, denen Du Deine arme Sünderseele längst verpfändet hast! Was Brand? Und wenn man Dir einen roten Hahn über die Baracke im Moos schickt, hast Du Besseres verdient? Meinst Du, ich lasse mir von des Satans Gaukelsack, wie Du einer bist, Nasen drehen und mir pochen? Hast Du mir nicht Epiphania verheißen, und das Weibsbild dem Schnapphahn dort angehängt? Gottes Marter, Wunden und Blut! Mache Dich fort, oder ich jage Dir die Klinge durch die Gedärme!«

Addrich schüttelte den Kopf und erwiderte gelassen: »Vor Deinen schwedischen Flüchen ergreift unser einer das Hasenpanier nicht. Doch Antwort will ich Dir geben. Meine Nichte ist dieses Ehrenmannes Weib geworden, weil es der letzte Wunsch meiner sterbenden Tochter und der eigne Wille Epiphanias war. Ich hatte Dir nichts wider Epiphanias Willen zugesagt; sie aber haßte Dich von ganzem Herzen. Und wäre alles das nicht gewesen, ich hätte meines Bruders Kind eher einem Steckenknecht und Sauhirten an den Hals geworfen, als um Tonnen Goldes einem Mordbrenner gegeben; und der bist Du!«

»Gut, gut,« erwiderte Gideon höhnisch, »triumphiert nur! Ihr sollt Euren Hochzeitsschmaus mit Teufelsdreck geschmalzen finden, Nesseln im Bette und vielfüßige Lanzknechtstierchen auf der Weide haben. Du sollst wissen, was es heißt, einem tapfern Offizier nicht Wort halten. Ich habe andere Majestäten gesehen!«

»Ich deren auch,« versetzte Addrich. »Ich bin weit in der Welt herumgekommen, aber diesseits und jenseits des Meeres sah ich – auf Ehre! – keinen verdorbeneren Buschklepper und Taugenichts als Dich!«

»Mit Gunst, lasse die Ehre aus dem Spiele!« schrie Gideon bitter lachend. »Es führt heutzutage manche Ehre über das Meer und ersäuft nicht, weil sie gehängt sein will. Und jetzt macht Euch aus dem Staube . . . oder ich – hier zog er den Degen – auf Kavalierswort! Ich schicke Euch in des Teufels Rachen hinab!«

Er hatte die Worte noch nicht vollendet, als Fabian, der bisher unter der Thür schweigend dem Wortwechsel zugehört hatte, mit gezückter Klinge hervorsprang, den Alten hinter sich zurückdrängte und ausrief: »Du Molch! So stelle Dich zur Wehr!«

»O mit nichten!« erwiderte Gideon verächtlich. »Dich schone ich, denn Du bist zum Hahnrei geboren und sollst sehen, wie ich Deine Dirne meiner ganzen tapfern Mannschaft preisgebe.«

Addrich riß den Jüngling zurück und hielt ihm den Arm, indem er rief: »Fabian, beflecke Dein Schwert nicht an diesem räudigen Hunde!«

Während sie noch unter einander stritten, hörte man draußen nach dem Hauptmann schreien. Ein Haufen bewaffneter Bauern eilte herbei und drängte zur Thür mit dem Rufe: »Kommet, Hauptmann, heraus! Der Feind ist im Anzuge, der Feind!«

44.
Das Gefecht bei Mellingen.

Diese unerwartete Dazwischenkunft veränderte plötzlich die Gestalt der Dinge zwischen den drei Männern in der Waldbruderhütte. Obschon der Hauptmann noch gegen Addrich und Fabian, denen man die Degen entreißen und beide als Gefangene fortführen sollte, und zwar mit allen Flüchen wütete, die er in den deutschen Kriegen gesammelt hatte, wie nicht minder über die schlechte Disziplin seiner Soldaten, über die strafbare Entweichung seiner Schildwache, die man vierundzwanzig Stunden lang bei Wasser und Brot krumm schließen müsse . . . so hörte doch niemand auf ihn. Einer überschrie den andern mit der Botschaft, der Feind ziehe gegen Mellingen, die Stadt sei überrumpelt; man müsse ihr zu Hülfe eilen . . . Die Menge und das Gedränge vor der Hütte mehrten sich. Es kamen neue Bauernhaufen mit dem erneuten Geschrei: »Hauptmann, heraus! Mellingen ist über: wir sind verraten! Hört nur, hört, in der Stadt wird geschossen! Alles ist an die Züricher verraten und verkauft!«

Botschaften dieser Art waren allerdings ganz geeignet, den Zorn des Hauptmanns schnell abzukühlen und seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, zumal einige Stimmen aus dem Getümmel Drohungen gegen den saumseligen Kommandanten ausstießen: »Will er nicht heraus, so machen wir einen andern Hauptmann. Nun es heißt: Vogel friß oder stirb! verbirgt er sich hinter dem Zaune. Hat er vielleicht auch schon Hand und Haftgeld von den Zürichern genommen? Er soll heraus! Heraus!«

Gideon stieß den Trupp der in die Hütte Gedrungenen hastig zurück, und auch Addrich und Fabian gelangten mit dem Strome, der zur Thür hinausging, ins Freie. Gideon stellte sich dem Haufen entgegen und befahl wiederholt, zu schweigen. »Was ist das für eine Mannszucht?« schrie er. »Wisset Ihr nicht einmal, wie Ihr das Amt des Befehlshabers zu respektieren habt, daß Ihr ohne Geheiß des Offiziers alle aus dem Lager und von dem Posten laufet? Bei solcher liederlichen Wirtschaft und unziemlichen Frechheit hat der Feind beim ersten Begegnen und Scharmützel die Oberhand. Euch Gesellen muß man noch besser zu Gehorsam, Mut und Kriegsmanier gewöhnen.«

»Aber, Kommandant,« rief einer aus dem Haufen, »mache den Mund zu und sperre die Augen auf, dann siehst Du selbst von hier den Feind schon hinter der Mellinger Reußbrücke.«

»Schweige, Lotterbube, mit Deiner Anmaßung!« schrie Gideon, über den neuen Mangel an Achtung ergrimmt. »Wer sich noch einmal muckset, den sollen zehntausend Millionen Schock Donnerwetter . . .«

»Gott sei bei uns!« unterbrach ihn ein Kerl, der vorne stand. »Wir haben einen frommen Kriegshelden zum Hauptmann verlangt, aber keinen gotteslästerlichen Flucher Deines Gleichen. Ich rate Dir wohlmeinend, mache uns Deine Höllenkomplimente nicht wieder. Wir wollen gottesfürchtige Christen sein und bleiben. Der Himmel soll uns Deinetwillen nicht strafen. Vor Dir muß man bald ein Kreuz in die Diele machen.«

Diese Worte schienen die Stimmung des gesamten kriegerischen Haufens ziemlich treu auszusprechen, denn viele von ihnen murmelten halblaut und mißvergnügt unter sich und schüttelten die Köpfe, andere gingen verdrossen auseinander. Gideon spürte Übles im Anzuge. Er änderte deswegen sogleich den Ton und sagte: »He, was hier, was da? Soldaten sind gemeiniglich schlechte Pfaffen; das wißt Ihr wohl. Ihr bauet auch gern die Kirche mitten ins Dorf, hört aber lieber mit den Bechern zusammenläuten, als mit Glocken. Vorwärts, Ihr tapfern Landsleute, laßt uns dem Feind zeigen, was wir vermögen, Vorwärts, marsch!«

Der Haufe setzte sich sogleich nach der Richtung in Bewegung, von wo er gekommen war. Als Gideon ihm nacheilte, warf er zuvor noch einen mörderischen Blick auf Fabian und Addrich zurück, indem er rief: »Eure Bestrafung und Züchtigung behalte ich mir für nächste Gelegenheit vor!« Damit entfernte er sich nebst den übrigen nach dem Buschwerk, welches den Weg zum nahen Dorf bedeckte.

Fabian steckte den Degen ein, dem Hauptmanne blos mit einem verächtlichen Achselzucken antwortend. »Fürwahr,« sagte er, »ich weiß Dir Dank, Addrich, daß ich diese heilige Klinge nicht mit dem Blute des schändlichen Gauchs befleckte.«

Addrich, der auf einem bemoosten Stein am Abhang des Berges Platz genommen hatte, und dort, mit Hand und Kinn auf den Knopf seines Degens gestützt, unverwandt nach Mellingen hinübersah, erwiderte kurz: »Lasse ihn fahren! Gedanken sind wohlfeile Ware, aber für den da ist mir der kleinste zu kostbar. Laß ihn.«

»Es wunderte mich längst, Addrich, daß Du ihn in Deinem Umgange, unter Deinem Dache duldetest.«

»Man duldet vieles, was die Natur duldet, und man gebraucht's, wie sie. Sie hat Adler und Aasmaden. Hätte ich manches früher gewußt! Mochte ihn doch auch Epiphania lange Zeit wohl leiden.«

»Den Gleisner? Ihr Innerstes verabscheute ihn.«

»Leonore, die arme Leonore, ebenso. Sie hatte Neigung zu ihm, bis sie den höllischen Gast erkannte. Da brach es ihr das Herz. Sie gestand es erst unlängst Epiphania, und nun erkläre ich mir manches.«

»Das fromme, stille, heilige Loreli? Das ist ganz unnatürlich!«

»Und eben deshalb in Ordnung. Die Einfälle der Natur sind nicht immer die natürlichsten Sie verbindet am liebsten, was sich am tödlichsten widerstrebt. Das Licht schleppt den Schatten nach sich, der Sommer bringt das Hagelwetter; der Weizenacker ernährt das Unkraut . . . Pestilenz, das sind die Züricher! Die Freiämtlerische Besatzung hat sich ohne Flintenschuß ergeben. Was schlagen unsere Tölpel links und rechts ihre Kalbfelle, anstatt vorzueilen und die Hand voll Züricher zurückzuklopfen?«

Während in den Ortschaften Büblikon und Wohlenschwyl auf beiden Seiten die Trommeln der Aufständischen gerührt wurden, sah man aus dem offenen Thore des Städtchens Mellingen einige Kompanien der Eidgenossen, denen auch schweres Geschütz und Reiterei folgte, in die Ebene hervormarschieren. Bald entwickelten sich dort, in ziemlicher Ordnung, einige Schlachthaufen. Als Addrich, der die feindlichen Bewegungen im Thale mit keinem Auge verließ, von ungefähr aufwärts sah, erblickte er links, auf der Straße von Baden, hinter der Stadt den langen Zug des eidgenössischen Kriegsheeres, und selbst rechts, von den Höhen des Heiterbergs hernieder, auf einzelnen lichten Stellen zwischen den Wäldern, Waffen blitzen und Fahnen flattern.

Beide betrachteten, von der Waldbruderhütte aus, ruhig das ernste Schauspiel. Aus dem Mellinger Thore rückten immer neue Scharen in die Ebene, die sich dann, unweit einer alten Kapelle, in langen Reihen auseinander rollten.

»Was denkst Du jetzt zu dem Handel?« fragte Fabian endlich.

»Er geht wie er gehen soll,« erwiderte Addrich, ohne hinwegzusehen. »Was liegt an Mellingen? Die Herrenknechte müssen herüber, damit wir sie fassen, erdrücken und hinterrücks ins Wasser stürzen können. Wertmüller meint, daß wir schwach wären; er wird bald stutzig werden.«

»Sieh hinauf, Addrich!« rief Fabian. »Siehe, die Züricher bringen den Geier mit; so sicher scheinen sie zu sein, ihm einen guten Schmaus zu bereiten.«

Wirklich schwebte in diesem Augenblicke ein großer Raubvogel hoch in der Luft über dem Städtchen und dem Heere.

»Dergleichen Tiere sollen feine Witterung haben,« erwiderte Addrich. »Die Züricher dünsten ohne Zweifel in ihrer Angst schon Leichengeruch aus.« Als er dieses mit tückischem Lächeln sprach, richtete er die Augen in die Höhe und erblickte den Raubvogel hoch über den eidgenössischen Bannern. Da fielen die heiteren Falten seines Gesichtes plötzlich finster und starr zusammen, denn es kam ihm unwillkürlich einer von den Versen in den Sinn, den die kranke Eleonore, im Wahnsinn ihrer Träume, einst um Mitternacht gesungen hatte:

Am Himmel schweben Fahnen,
Am Himmel, blau und weiß;
Sie schweben lange Bahnen
Herab zur grünen Reuß.
Aar schüttelt breite Schwingen
Vom Felsenhorst, der Aar.
Er kreist in großen Ringen.
Aar sucht die Leichenschar.

»Deine Geberde, Addrich, verrät keine so freudige Zuversicht als Deine Zunge,« sagte Fabian, der die plötzliche Verfinsterung des Alten wahrnahm.

»Hm!« brummte jener ärgerlich, und fuhr mit der Hand über die Augen hin. »Arge Gespensterseherei, wenn der Menschenverstand auf dem Gipfel seiner Höhe gerade den Aberglauben zum ersten Nachbar hat, oder wenn der alberne Zufall ein Gesicht macht, wie die Vorsehung auf dem Stuhle des Schicksals . . . Still! . . . Etwas anderes! . . . Schaue rechts unsere Mannschaft auf dem Mellinger Felde längs dem Waldhügel! Erkennst Du den Gideon, wie er immer zwanzig Schritte vor dem Haufen einhergeht? Herz hat der Teufel. Er ist Soldat mit Haut und Haar. Laß sehen, Kerl, was Du ausrichtest!«

Addrich's und Fabian's Aufmerksamkeit wurde auf's Höchste gespannt, als sie einige kleine Rotten, in allem kaum über hundert Mann, keck gegen die Züricher vor der Kapelle heranrücken sahen. Gideon Renold, in seinem eigentümlichen, stolzen Gang und seiner schwedischen Tracht, war unverkennbar. Er ließ Halt machen und richtete seine Leute. Diese schrieen den Zürichern Spottwörter zu, oder winkten ihnen mit geschwungenen Hüten, oder drückten ihren Trotz durch andere, minder ehrbare Geberden aus, wie sie der Pöbel am liebsten anwendet und am leichtesten versteht. Inzwischen löste sich aus den Schlachtreihen der Eidgenossen eine mäßige Schar, die unter Trommelschlag den Aufständischen entgegenzog. Ehe man sich noch gegenseitig mit den Kugeln erreichen konnte, wurden schon Schüsse gewechselt. Renolds Schützen standen in den vorderen Reihen; hinter denselben die Speerträger mit niedergehaltenen Spießen. Sie schienen den Feind festen Fußes erwarten zu wollen. Als die Züricher auf halber Schußweite Halt machten, wirbelten die Trommeln der Aufständischen; man hörte Gideons Befehle. Mit lautem Gebrüll, ihr Feuer verdoppelnd, stürmten die Bauern auf die Gegner; die langen Spieße der Hinterreihe streckten sich, gleich den Zähnen eines Kammes, zwischen die Glieder der Vorderreihe, weit hinaus gegen die feindliche Linie. Diese schwankte, zerriß, floh und stob aus einander.

»Viktoria!« schrie Addrich, vom Sitze aufspringend. Sein Gesicht leuchtete glühend in der Freude; seine Gestalt schien größer geworden zu sein, so sehr streckten sich alle Glieder seines Leibes. Doch bald sanken sie wieder zusammen und sein Viktoria verlor sich in einen dumpfen Fluch, als die ihnen nachjagenden Sieger plötzlich umwandten und in zügelloser Verwirrung zurück, nach den Waldhöhen, eilten, Die Züricher hatten mehrere ihrer Feldstücke vorführen lassen und mit dem mörderischen Donner derselben die wilden Banden ihrer Feinde begrüßt. Als diese zurückprallten und flohen, zog ihnen, wie ein dunkler Schatten, die Reiterei, in geteilten Haufen sie verfolgend, über die Wiesen nach. Viele der Flüchtlinge wurden gefangen, viele verwundet und getötet. Ein Schlachthaufen der Eidgenossen nach dem andern löste sich von der Heerlinie vor Mellingen, und bewegte sich auf der Straße von Lenzburg vorwärts. Von Zeit zu Zeit drang, von ihren abgeschossenen Flinten herrührend, ein weißgrauer Nebelstreif wolkenartig aus ihren Reihen und der Blitz der Feuerschlünde verkündete den nachfolgenden Donner.

Addrich schüttelte den Kopf und sprach: »Fabian, es ist Zeit für uns, den Rückweg ins Lager anzutreten. Hier heißt's: wohlgeflohen, wohlgefochten! Den Gideon sollte man in eine Kartaune laden und in die Luft schießen. Wenn er nicht starken Rückhalt hatte, mußte er nicht mit einer Hand voll Menschen die ganze feindliche Kriegsmacht necken wollen, der Großprahler. Wir wollen dem Leuenberg treuen Bericht erstatten.«

»Höre mich, Addrich!« erwiderte Fabian. »Laß uns den Rückweg ins Moos nehmen und, was uns daheim lieb ist, retten. Der schlimme Anfang deutet auf einen schlimmen Ausgang.«

»Oho! Das heißt zu früh verzagen!« rief Addrich. »Das Ende liegt nicht im Anfange; sonst gäb's elende Musik, wenn's beim Geigenstimmen bliebe. Wir werden in wenigen Tagen anderes erleben; der Letzte hat noch nicht geschossen. Du mußt den Schybi nicht mit dem Gideon, diesem dummdreisten Beller, in Reihe und Glied stellen, oder diesen Vorposten mit unserer Armee vergleichen. Die Kugel wirft nicht nur einmal, es wird wohl noch Kegel geben.«

Unter Fortsetzung dieses Gesprächs begaben sich beide eilfertiger, als sie gekommen waren, zum Lager.

45.
Das Treffen bei Wohlenschwyl.

Bei ihrer Ankunft waren die bösen Botschaften vom Übergange Mellingens an Wertmüllers Kriegsvolk und von der Vertreibung der Vorposten aus Bädlikon und Wohlenschwyl schon ruchbar. Die Bauern standen in großen Haufen zusammen beratend auf den Feldern. Auf allen Gesichtern las man Bestürzung und Sorge. Selbst im Hauptquartier herrschte Verlegenheit; Leuenberg sprach kleinlaut, obwohl fort und fort Nachrichten vom Anwachsen seines Heeres durch frische Zuzüge einliefen. Nur Christen Schybi, lebhaft von Addrich unterstützt, hielt im Kriegsrat den erschütterten Mut der übrigen aufrecht, und man beschloß, auf die Verzweiflung und Übermacht des Volkes vertrauend, den Kampf zu bestehen.

Man fürchtete, den Feind schon in der Nacht vor dem Lager erscheinen zu sehen. Alles blieb wach und unter den Waffen. Als die Nacht aber ruhig verstrich und auch der folgende Tag – es war ein Sonntag – vorüber ging, ohne daß ein Schuß fiel, genas alles vom ersten Schrecken, und der gesunkene Mut schwoll von neuem auf. Einer wollte es dem andern an Entschlossenheit zuvorthun. Die bewaffneten zahlreichen Haufen sandten Ausschüsse an Leuenberg, mit dem Verlangen, er solle sie gegen den Feind führen. Christen Schybi bestimmte den Dienstag zum allgemeinen Angriff, und machte dem Kriegsrate seine Entwürfe bekannt. Er selbst hatte Augenschein vom Lager der Eidgenossen genommen, und es zum Teil hinter aufgeworfnen Gräben, zum Teil mit Verhauen von gefällten Bäumen und durch zwölf Stücke groben Geschützes, zehn Feldstücke, zwei Feldschlangen und zwei halbe Kartaunen gedeckt gefunden. Nun ließ er die Höhen von Häglingen mit zahlreichem Volk besetzen, welches bestimmt war, am Dienstag über die Niegelweid und Tegerig das Lager des Feindes zu umgehen, während andere Haufen Bremgarten beobachten und berennen, der Hauptangriff aber gegen Wohlenschwyl gerichtet werden sollte.

Noch war man am Montag zur Ausführung des Plans in vollster Thätigkeit, als von den Vorposten die Meldung einlief, der Feind sei im Anzuge. Plötzlich stand alles unter Waffen. Die verworrenen Haufen scharten sich zusammen und Leuenberg zählte eine Heeresmacht von sechszehn- bis zwanzigtausend Mann. Mit Trommelschlag und fliegenden Bannern zogen die Schlachthaufen vorwärts.

Beim Anblick dieser Übermacht hielten die feindlichen Haufen still. Es waren ihrer kaum dreitausend Mann, welche unter Anführung des Obersten Wertmüller, eines Verwandten vom Oberfeldherrn der Züricher, vorgeschickt waren, die Stellung und Stärke der Empörten zu erkennen. Ein einzelner Trompeter als Herold des Züricher Befehlshabers sprengte, indem er die Trompete blies, auf der Landstraße allein gegen die vorrückenden Banden und begehrte eine Unterredung mit dem Kommandanten. Leuenberg, umringt von seinen vornehmsten Hauptleuten, gebot den Truppen, auf der ganzen Schlachtlinie Halt zu machen und vernahm das Vorbringen des Herolds. Im Namen seines Obersten lud dieser, um Blutvergießen zu vermeiden, ehe die Feindseligkeiten begännen, zu Unterhandlungen ein.

»Nichts! Kein längeres Federlesen!« rief Addrich im Kriegsrat, den Leuenberg alsbald in einiger Entfernung hinter den Truppen hielt. »Vorwärts! Umzingelt diese wenigen tausend Mann, erdrückt sie und reibt sie auf! Das schwächt den Feind fast um die Hälfte seiner Streitkräfte, bringt Bestürzung und Schrecken in die andern, die im Lager vor Mellingen zurückblieben, und giebt unsern Leuten Siegesmut.«

»Nein,« rief Schybi, dem das unerwartete Erscheinen des Feindes alle Pläne zu vereiteln drohte, »nein, nur Geduld! Nur vierundzwanzig Stunden gebt mir Frist, und morgen liefere ich Wertmüller mit seinem ganzen Lager in Eure Gewalt, denn ich habe ihn schon so gut wie im Garne. Seid Ihr zu voreilig, entschlüpft der Vogel und sieht sich besser vor. Macht ihn sicher, unterhandelt, versprecht ihm goldene Berge, Frieden, Unterwerfung, alles, was Ihr wollt; nur schaffet, daß ich Frist habe bis morgen acht Uhr.«

Addrich verschwendete seine Beredsamkeit für ungesäumten Angriff vergebens. Schybi, welcher als Kriegskundiger allgemeines Vertrauen genoß, drang durch, und Addrich selbst, nebst einem anderen aus dem Kriegsrat, empfing den Auftrag, mit dem feindlichen Anführer über einen Waffenstillstand bis zum folgenden Tage zu unterhandeln. Die Abgeordneten hatten leichtes Spiel, diesen Waffenstillstand bewilligt zu erhalten. Oberst Wertmüller von Zürich und der Schaffhausener Oberst Rühums, die ihnen schon von weitem entgegengeritten waren, bewilligten, was sie forderten, mit großer Freundlichkeit; ermahnten eifrig zum Frieden und zur Niederlegung der Waffen, und versprachen dagegen unbedingte Verzeihung für alles schon angerichtete Unglück. Sie zogen darauf ihre Gruppen wirklich zurück, und auch das Bundesheer des Landvolkes kehrte wieder zum verlassenen Lager heim.

Hier aber herrschte jetzt die größte Thätigkeit, um Schybis Entwürfe auszuführen: Wertmüllers linken Flügel zu umgehen, dessen Mitte in der Stirnseite über Büblikon und Wohlenschwyl anzugreifen und das ganze gegen die reißenden Fluten der Reuß zu werfen. Gleichzeitig sollten die weiter aufwärts bei Villmergen versammelten Schaaren des Aufstandes das Städtchen Bremgarten überfallen, und dort die Reußbrücke, wie die Stadt selbst erstürmen.

Lange vor Tagesanbruch wurde zum Aufbruch gerüstet, aber die Sonne strahlte schon hell und warm durch die aufgestiegenen Nebel der Thäler, ehe die verworrenen Banden dieses ungelenken Kriegsvolkes auseinanderzogen und einzeln über ihre Richtungslinien, Angriffspunkte und diejenigen ihrer gegenseitigen Unterstützung belehrt worden waren. Bei solcher Langsamkeit der Bewegungen hatten die eidgenössischen Feldherren im Lager von Mellingen bequeme Zeit, sich vor Überraschung zu bewahren, auch wenn nicht schon am Abend zuvor die Botschaft eingetroffen wäre, daß der Paß von Bremgarten durch anrückende Massen der Aufständischen bedroht sei. Indessen hatten auch sie nicht geringe Arbeit, ihre in Waffen und Wendungen ungeübten Streiter gehörig zu ordnen, um die gesamte Reiterei, die fünfhundert Mann stark sein mochte, dreitausend Fußgänger und acht Feldstücke, dem bedrängten Bremgarten zum Beistande aus dem Lager zu ziehen.

Gerade diese Schwerfälligkeit kam dem Oberbefehlshaber hier wohl zu statten, denn sein Verwandter, der Oberst Wertmüller, war kaum mit der Entsendung ausgerückt und seit einer Viertelstunde am linken Ufer des Reußstromes hinauf in Bewegung, als er auf die roten Schaaren des Aufstandes stieß, welche in der selben Zeit nach Schybis Anleitung daher zogen, das Lager von Mellingen von der Seite zu nehmen. Beide Heere schienen, als sie sich ganz unerwartet erblickten, gleich sehr vor einander zu erstaunen und machten Halt, ohne daß es erst geboten werden mußte. Christen Schybi, in dessen Begleitung auch Addrich mit Fabian war, weil auf dieser Seite besonders das Schicksal des Tages entschieden werden sollte, faßte sich schneller, als sein bestürzter Gegner. Er ließ die beiden Flügel seiner Schlachtreihen ihre Spitzen vorstrecken, während die Mitte ruhig blieb, um so den feindlichen Haufen wie zwischen eine Zange zu fassen, oder ganz zu umklammern und zu erdrücken.

Das Wirbeln der Trommeln, das Knattern des Gewehrfeuers, der Donner der Feuerschlünde begann, ehe man sich erreichen und schaden konnte. Es schien, als lege man es darauf an, einander durch das Getöse in Furcht zu setzen, welches der Widerhall der Berge und Wälder ringsum hervorrief. Bald hörte man auch seitwärts, hinter den Hügeln, vom Dorfe Wohlenschwyl her, das Knattern der Flintenschüsse. Der Zeiger an der Uhr bewegte sich schneller, als das Vorschieben der Spitzen der Schlachtordnung geschah, die der befehligende Entlebucher an beiden Seiten seines Heeres sich bilden ließ. Auf der anderen Seite machte die Reiterei der Züricher seltsame Sprünge, als sie einigemal abgeschickt wurde, in die langsam nahenden Flügel des Feindes einzuhauen. Vom Flattern der Fahnen, dem Gebrülle der Schlachthaufen und dem Knattern der Schüsse auf allen Seiten wurden die Pferde scheu, welche, dem friedfertigen Gewerbe der Müller, Wirte, Ackerbürger und Fuhrleute entzogen, des Lärmens ungewohnter als die Reiter waren. Die letzteren hatten mit der Widerspenstigkeit ihrer Tiere weit mehr, als mit der Tapferkeit ihres Feindes zu schaffen. Daher sah man die Geschwader gewöhnlich schon auf halbem Wege auseinanderprallen und, einer erschrockenen Herde gleich, zurückrennen.

Indessen schien sich mit der Dauer des Treffens in beiden Heeren der Mut zu vergrößern; besonders, da jeder Teil auf seiner Seite weder Tote noch Verwundete erblickte, aber deren desto mehr in den gegenüber stehenden Schlachtreihen vermutete. Schybis Banden, die durch ihre Kriegstracht, in roten wollenen Hemden, auf dem Grün der Wiesen einen weiten, blutfarbenen Halbzirkel bildeten, rückten jetzt beherzter heran.

»Siehe Schybis glühende Zange!« rief Addrich, der mit Fabian seitwärts auf einer Höhe stand, von der er die Bewegung beider Heere überschaute. »Jetzt legt er sie an und wird die Stadtjunker garstig zusammenklemmen.«

Das Gefecht wurde wilder; die Schüsse fielen schneller. Eine weite Dampfwolke, vom Blitze der Feuerrohre und Feldstücke beständig durchzuckt, breitete sich über beide Heere aus und erfüllte den Raum zwischen ihnen. Während dessen stieg auch in nicht großer Entfernung. seitwärts, ein ungeheurer, braungrauer Rauchschwall zum Himmel. Das Dorf Wohenschwyl stand in Flammen, Thäler und Berge hallten wieder von den Donnerschlägen des Geschützes.

Addrich stand in tiefer Erwartung, ohne Bewegung, den Blick starr auf die weißlichen Nebel des Pulverdampfes und die Rotten der Kämpfenden gerichtet, welche von Zeit zu Zeit, auf Augenblicke, dazwischen sichtbar wurden und wieder verschwanden. Er empfand in dem gellenden Getöse ein Klingen in den Ohren, dessen Ton ihn an Leonorens Stimme mahnte, wie sie im kranken Traume sang, und unwillkürlich und mit heimlichem Grausen erinnerte er sich der Worte:

Sie ziehn den roten Bogen,
Ihn bricht das böse Glück.
Vor geh'n nun Feuerwogen,
Ein Blutstrom geht zurück.

In der That, der Bogen oder die glühende Zange des Entlebuchers war gebrochen, und zwar durch Wertmüllers Kartaunen und Feuerschlünde. Schybis Heerbanden waren durch ihre eigenen Bewegungen in einander verwickelt worden, während dessen Wertmüllers Schlachtlinie stillstehend ihre unveränderte Ordnung behalten hatte. Die Stückschüsse der Züricher und Schaffhausener schlugen daher verheerend in die dichten, zusammengedrängten Haufen der Bauern ein, und diese, beim Anblick der Verwüstung und des Todes, flohen mit panischem Schrecken auseinander. Als die übrigen Schlachthaufen des Aufstandes links und rechts hinter sich Äcker und Wiesen mit unzähligen Flüchtlingen überstreut sahen, wandten auch sie den Rücken, doch mit geringerer Gefahr als die Zerstreuten, denn diese wurden von den feindlichen Reitergeschwadern verfolgt, niedergehauen und gefangen. An zusammengebliebene Heerbanden wagten sich die einzelnen umherjagenden Reiter nicht, und von der unbehülflichen Masse des Fußvolkes ihrer Überwinder hatten die Eilfertigen wenig zu fürchten. Auch verfolgte Wertmüller seinen Sieg nicht weit, indem er sich entweder vor der Schwerfälligkeit seiner Scharen oder vor einem Hinterhalte des Feindes scheute.

Das Treffen hatte beinahe drei Stunden gedauert. Wohlenschwyl und einzelne Höfe und Wohnungen, wo man sich geschlagen hatte, standen in Flammen. Sieger und Besiegte kehrten in ihre vorigen Lagerstätten zurück.

Während Fabian mit wenig Gehilfen seinen menschenfreundlichen Beruf an den Verwundeten übte, durchstrich Addrich finster die ganze Strecke des Feldlagers und fand die Bauern überall in Verzagtheit und Schrecken. Sie beratschlagten in großen Haufen, was zu thun sei? Viele verzweifelten am Gedeihen des Unternehmens, an der Möglichkeit des Widerstandes. Andere meinten, man müsse die Hände noch nicht in den Schoß legen; der Riß wäre klein und ginge noch nicht bis an den Hals, doch keiner der Hauptleute wagte mehr zu befehlen; nirgends wurde Gehorsam gefordert oder geleistet. Addrich schalt die Feigherzigen, aber seine heisere Stimme wurde kaum verstanden. Jeder dachte nur, wie er sich selbst helfen könne.

Spät abends kam Addrich zu Leuenberg ins Hauptlager, wo die Häupter des Aufstandes um den Obmann versammelt standen. Alle begrüßten ihn kleinlaut und fragten ihn um seine Meinung.

»Guter Rat ist beinahe teuer,« sagte Leuenberg. »Rede, Mooser, Du triffst immer den Nagel aus den Kopf.«

»Und gerade jetzt,« erwiderte Addrich ärgerlich, »kann der Hammer nicht fehl treffen. Entweder vorwärts zum Sieg, oder rückwärts zum Galgen; das bleibt Eure Wahl. Wir haben das Spiel nicht eher verloren, als bis wir's aufgeben. Die Memmen bekommen nur darum Schläge, weil sie dem Feinde den Rücken selbst darbieten.«

»Beim Sanniklaus, Mooser,« rief Schybi, »Du bist der einzige Mann von Herz. Ich sage, wir wollen das Junkerlager vor Mellingen noch diese Nacht mit dem Degen in der Faust erstürmen und niedermetzeln, was drin lebt.«

Addrich stimmte ihm bei und bewies die Wahrscheinlichkeit des guten Erfolges. Man haderte darüber, ohne einig zu werden, bis tief in die Nacht, und beschloß, den folgenden Morgen zu erwarten, da alsdann auch das Kriegsvolk geruht und frischere Zuversicht gewonnen haben werde. Am folgenden Tage indessen folgte eine böse Nachricht der andern. Man erfuhr, daß während der Nacht viele Bauern einzeln das Lager verlassen und den Weg in ihre Heimat angetreten hätten. Dann, daß nach langen Beratungen ein Ausschuß von vierzig Männern im Namen der Berner, Luzerner, Solothurner und Baseler Landleute früh schon den Pfarrer Hemman auf dem Dorfe Ammerswyl herbeigeholt und von ihm begleitet sich ins Lager der Eidgenossen begeben hätte, wohin auch der Bürgermeister Waser von Zürich gekommen sei. Der Ausschuß sollte reuige Unterwerfung versprechen, wenn man billige Bedingungen gestatten und künftig mit dem geplagten Landvolke so umgehen würde, daß es zu ertragen wäre.

»Da haben wir den Unglückstopf voll!« rief Addrich erbost, als er zum Obmann und den übrigen Anführern in den Saal trat. »Es ist alles aufgelöst, und daran ist Dein Hasenherz schuld, Leuenberg. Warum ließest Du den Schybi nicht in der Nacht das feindliche Lager überfallen? Jetzt säßen wir zu Mellingen oder im Paradiese beim Frühstück. Nun aber kriechen die feigen Hunde mit gesenktem Schwanz zu Kreuz.«

Leuenberg antwortete nicht, sondern ging nachdenkend und ernst im Zimmer auf und nieder.

»So fahret insgesamt zur Hölle!« rief Christen Schybi. »Glückliche Reise! Ich gehe zu meinen Entlebuchern und Luzernern; die bringe ich mit drei Worten herum. Wir kapitulieren nicht und ziehen heim.«

Damit entfernte er sich. Leuenberg erblaßte; Addrichs Augen funkelten von innerem Grimme und sein Gesicht glühte im Zorne dunkelrot. Er drückte sich mit geballter Faust den Hut über die Stirn und rief: »He, Obmann des festen Bundes, hast Du noch einen Entschluß im Sack, wie er dem Manne geziemt, oder nur breite Worte nach Deiner Art im Munde?«

»Wenn einer verderben soll, so muß alles dazu helfen,« sagte Leuenberg mit schwacher Stimme.

»So verdirb und stirb!« schrie Addrich mit Verachtung und Unwillen. »Ich gehe zu meinen Oberländern; sie werden keine Lust haben, sich vor den Thoren von Mellingen aufknüpfen zu lassen. Die Männer aus Saanenland haben Mark in den Knochen.« Damit ging er und schmetterte die Thür hinter sich zu, daß das Haus bebte.

Mittags kamen die Abgeordneten aus Wertmüllers Lager zurück. Sie sagten, man müsse die Waffen niederlegen, auseinander gehen und die Bundesbriefe ausliefern. Alle Beschwerde solle gütlich abgethan oder zu rechtlichem Urteil gestellt werden. Wer Gehorsam leiste, komme ohne Strafe davon.

Die bewaffneten Haufen, je nach den verschiedenen Gegenden und Kantonen geordnet, traten beratend zusammen. Nach langem Geschrei erklärte sich eine Rotte nach der andern zur Unterwerfung geneigt. Nur die aus dem Kanton Luzern verschmähten die angebotene Gnade und stellten sich mit ihrem Gepäck in Reihe und Glied, wie zum kriegerischen Abzuge, auf. Ebenso sah man die Oberländer auf einer andern Seite, weit entfernt von Unterwerfung, sich zum bewaffneten Zuge nach ihren heimatlichen Gebirgen rüsten.

Noch pflog Leuenberg mit den übrigen Häuptern Rat, als die Bauern schon vor seinem Quartier die weiße Fahne aufsteckten und durch einige Kanonenschüsse den Eidgenossen verkündeten, daß die Bedingungen angekommen wären.


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