Heinrich Zschokke
Addrich im Moos
Heinrich Zschokke

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27.
Kriegsgefangenschaft.

Der Niederländer wandte bei diesen Worten dem Jüngling den Rücken, um sich zur Hütte und zu seinen Leuten zu begeben. Er sah aber, mit nicht geringem Erstaunen, diese und seine Pferde von bewaffneten Bauern umringt. Bald war er selbst, wie auch Fabian, von einer seitwärts herangekommenen Rotte umzingelt. Das durchdringende Geschrei eines Weibes unweit der Hütte, und ihr Hindeuten auf das gebrochene Fenster derselben verkündete den Zorn der heimgekehrten Eigentümerin. Die Bauern bemächtigten sich, unter lautem Geschrei, der Personen.

»Was soll's hier geben, Ihr Männer?« schrie Fabian von der Almen entrüstet. »Ist das ehrlicher Kriegsbrauch, Reisende auf der Straße anzufallen und wehrlose Männer gefangen zu nehmen? Oder haben wir die Gestalt der Landstreicher und Zigeuner, daß Ihr uns festhaltet? Ich bin Schweizer, wie Ihr alle, vom Berner Oberlande. Scheine ich Euch verdächtig, so bin ich allezeit bereit, Rede und Antwort zu geben. Jener Herr aber ist ein Ausländer, der mit unsern Händeln nichts zu schaffen hat; darum lasset ihn mit seinen Leuten unangetastet und in Frieden seines Weges ziehen. Ich hoffe, Ihr werdet ihn nicht ausplündern und ihn nicht zwingen, daß er in fremden Ländern über uns Schweizer klage, als wären wir ungastlich und nichts als Räuber und Gauner.«

»Was welschet der Milchbart!« rief einer der nächsten Bauern, während die einen um ihn her jauchzten, andere zankten oder sangen. »Gebt's ihm auf den gelben Schnabel. Seht Ihr's ihm nicht am Schwanze an, wie das Vöglein heißt? Ein Stadtspion ist es, der Kundschafterei treibt.«

»Werft den Schelm zu Boden!« brüllte ein anderer. »Wir . . . wir haben den größten Sieg erlebt, und die Baseler und Mühlhausener zum Lande hinausgejagt; nun soll uns der Strolch da nicht Gauner und Räuber heißen.«

»Nichts!« schrie ein dritter dazwischen. »Hier ist ein gutes Vogelnest ausgehoben. Daheim wollen wir die Alten und Jungen ordentlich rupfen, ehe wir sie braten Fort! Wir bringen sie alle nach Olten, da muß sie der Untervogt von Buchsiten beichten lassen.«

Während des Tobens der Menge und Fabians Widerstand, von welchem ein großer Teil der Bauern gar nichts hörte, verhielt sich der Herr von Groenkerkenbosch, welchem man den prächtigen Dolch aus dem Leibgürtel gerissen hatte, mit unbefangener Miene, wie ein gleichgültiger Zuschauer. Er drehte sich endlich gegen Fabian und sagte: »Wie es scheint, müssen wir also wider Willen einander doch noch Gesellschaft leisten. Wehret indessen diesen guten Leuten nicht, zu thun, was sie für Pflicht halten, und erbittert sie nicht mit vergeblichen und trotzigen Worten. Daß Ihr Euch meiner, als eines Fremden, annehmen wollt, macht Eurem Schweizergemüt alle Ehre. Sorget aber lieber für Euch selbst, denn es ist keine Gefahr für mich vorhanden.«

Fabian erwiderte ihm nichts, sondern haderte mit den Bauern fort, die nun auch Don Nardos Jäger und Mohren, beide ihrer Waffen beraubt, und auch die Pferde herbeiführten. Ihr Lärmen vermehrte sich mit ihrer Anzahl, denn es kamen immer neue Haufen herzu. Es bestanden diese Leute meistens aus jenen Solothurnern, die am vorigen Tage bei Erlisbach und unter der Schafmatt den Rückzug des Obersten Zörnli bewacht hatten. Alle glühten noch wein- und siegestrunken, und umstanden nun neugierig die Reisenden, deren ausländische Trachten ihre Aufmerksamkeit in hohem Grade beschäftigten, so wie die schwarze Haut des Mohren noch mehr ihr Erstaunen erregte.

»He!« schrien einige plötzlich, indem sie auseinandertraten, um Neuankommenden Platz zu machen. »Da bringen sie abermals einen Gefangenen. Laßt uns nur noch mehr suchen, Ihr Männer; der Berg hier wimmelt von Schelmen und Stadtleuten.«

»Den fettesten Bissen haben wir gefangen,« rief mit stolzer Lustigkeit einer der Ankommenden. »Er hat gewiß in seinem ganzen Leben heute zum ersten Male über seinen schönen Wanst geflucht, als er uns mit ihm entwischen wollte.«

Es war von keinem andern als vom würdigen Meister Heinrich Wirri die Rede, der sich eben den Schweiß vom Gesicht trocknete und aus der Tiefe seiner Brust Atem schöpfte. »Wie geht's, Meister?« redete ihn Don Nardo an. »Ihr brachet ohne Nutzen heute so früh auf.«

»Es geht, wie es kann,« erwiderte seufzend der Spielmann und zuckte die Achseln, indem er die Versammlung ringsum mit den Augen musterte. »Es geht, wie es mag, und geht doch nie recht. Ich merke nun wohl, mit Allgemach kommt man auch weit. Meinethalben, der Teufel ist im Lande los, daß niemand weiß, wo aus noch ein; mein Lebtage habe ich solche verkehrte Wirtschaft nicht gesehen. Sind die Menschen nicht närrisch geworden, so muß der Jüngste Tag unterwegs sein.«

»Schweig, Du spritzende Blutwurst!« fuhr ihn einer der Bauern an. »Oder wir warten Dir anders auf. Wovon wärest Du so feist, wenn Du nicht aus des Landvogts Schüssel unsere Hühner und Eier gegessen hättest? Nun sind wir endlich Meister, und Ihr Stadtleute sollt schweigen und Respekt vor Unsereinem haben, sage ich Euch.«

»Ihr Herren reitet jetzt auf gar hohen Gäulen,« antwortete der Meistersänger, »aber sorget, daß Ihr nicht vom Pferde auf den Esel kommet. Was meine Wenigkeit betrifft, so habt Ihr für Euren Beutel einen Fang gethan, der Euch gereuen wird. Ich bin kein Ratsherr, sondern von Profession ein Spielmann; und wer mir etwas nehmen will, muß mir's erst bringen. Schlachtet also keine Katze für einen Hasen. Aber, Ihr Herren, ich rate Euch, machte überhaupt glimpflich und spannet den Bogen nicht zu straff. Laßt mich gehen, denn ich habe Euch nichts zu leide gethan.«

»Du Fettklumpen, wir wollen Dich zum braten, nicht zum raten,« rief der vorige Bauer. »Heute spielen wir den Städtern Trumpf aus und sie müssen daran glauben. Das Recht ist auf unserer Seite und wir sind unserer Hunderttausend. Drum schweige!«

»Ich glaube, ich darf den Schnabel gebrauchen, wozu er mir gewachsen ist, so gut, wie Ihr,« antwortete der Spielmann.

»Still, Ihr Leute, Frieden! Keinen dieser Gefangenen mißhandelt! Führt sie ab nach Olten!« rief ein wohlgekleidetes, munteres, hageres Männchen, dem alle Anwesenden Platz machten. Es war der Untervogt von Buchsiten. »Und Ihr, guter Freund,« sagte er, zum Meister Wirri gewandt, »behaltet Eure Sprüche im Sack; sie werden darin nicht fauler, als sie schon sind, und Ihr könnet keinen von uns damit weder belehren noch bethören.«

»Freilich nicht,« entgegnete Wirri. »Wenn zwei Esel einander unterrichten, wird keiner ein Doktor dabei. Ich verlange aber nichts, als was gerecht und billig ist. Ich bin ein Ehrenmann. Warum schleppt man mich mit Gewalt fort? Wenn Ihr, Herr Freund, hier etwas mehr zu befehlen habt, als ich, so gewähret Gerechtigkeit. Ich gehe nicht nach Olten; nicht von der Stelle.«

»Aber auch nicht nach Aarau,« entgegnete der Untervogt mit strenger Geberde.

»Hängen wir ihn also unterdessen zwischen beiden Städten an einen Baum auf,« rief der vorige Bauer.

»Es ist leider kein Ast stark genug, die Last zu tragen,« versetzte der Untervogt. Die Versammlung lachte aus vollem Halse und schrie:

»Doch, doch!« . . . Der Meistersänger erblaßte, schielte nach einer hohen Eiche in der Nähe und trat seinen übrigen Unglücksgefährten näher, als hoffe er von ihnen auf Schutz.

»Meister, seid klug,« sprach der Niederländer zu ihm. »Suchet lieber Eure Gnade, als Euer Recht.«

»Ja, ja!« versetzte der erschrockene Spielmann. »Ein Quentchen Gunst gilt allezeit mehr, als der schwerste Zentner Gerechtigkeit.«

»Marsch!« rief der Untervogt von Buchsiten, und der ganze Zug setzte sich, unter Trommelschlag, Jauchzen und Johlen, in Bewegung.

Die Bauern hielten einen triumphierenden Einzug in das Städtchen Olten. Hier wurden die Gefangenen an verschiedene Orte verteilt. Fabian bekam ein kleines, dunkles Gemach mit vergitterten Fenstern; vor der Thür eine Wache und einen Laubsack zum Nachtlager. Das Schicksal seiner Gefährten blieb ihm unbekannt. Am folgenden Morgen, als er durch's Fenster niederschaute, sah er mit nicht geringer Verwunderung den Herrn von Groenkerkenbosch, begleitet von seinem Mohren und Jäger, frei zur Stadt hinaus reiten.

»Glückliche Reise!« rief Fabian ärgerlich. Don Nardo sah aufwärts, nickte, ohne eine Miene zu verziehen, grüßend, und machte mit der ausgestreckten Hand eine Bewegung, wie zum Abschiede. Er verschwand.

Der Jüngling zweifelte keinen Augenblick daran, daß auch seine Freilassung schnell erfolgen würde. Er irrte aber sehr; man bewachte ihn vielmehr von Tag zu Tag strenger. Sein Wächter sprach von aufgefangenen Kundschaftern der Städte, auch wie einige dieser Leute aufgehangen worden wären, und ließ, als guter Katholik, dem Fabian merken, er thue wohl, sich von der lutherischen Ketzerei zum wahren Glauben zu bekehren, um wenigstens ein seliges Ende zu nehmen.

28.
Die Erlösung.

In der langen Weile seiner mehrwöchentlichen Verhaftung wechselte Fabian, wie Gefangene zu thun pflegen, vom Morgen bis zum Abend mit Singen und Fluchen, Ergebungen in das Verhängnis und Entwürfen zur Flucht, Vorsätzen der Rache und dichterischem Ausmalen seiner Zukunft, wenn er jemals wieder der goldenen Freiheit genösse. Es versteht sich, daß Epiphania die Bilder der Zukunft ihm im reinsten Lichtglanze verherrlichte. Doch das schwesterliche Verhältnis nahm während der Betrachtungen in der gefänglichen Einsamkeit zu Olten eine ganz andere Färbung an. Es schien, als hätten ihn Addrichs und Don Nardos Reden auf einen Gedanken geleitet, der ihm vorher, wie der Gedanke an Blutschande, abscheulich erschienen war. Er sah nun erst ein, daß ihm Epiphania, die ihm auch nicht aufs Entfernteste verwandt sei, unmöglich in ein fremdes Land und Haus folgen könne, ohne ihren guten Ruf in der Welt zu verlieren. Er dachte sie nun auch unter dem Bilde einer jungen Gattin, und konnte anfangs den keuschen Widerwillen, die innere Scham kaum überwinden, die bei diesem Worte laut wurden, welches einem Frevel an der reinen Engelsnatur der Jungfrau gleich schien. Je vertrauter ihm aber nach und nach die reizende Möglichkeit wurde, daß er Epiphania als Weib aus der Schweiz führen und sie sich durch die heiligste Weihe anschließen könne, desto mächtiger wuchs zugleich seine Furcht vor des katholischen Niederländers bedenklichen Äußerungen, und in seiner Brust der schmerzende Brand der Eifersucht gegen den schönen Gideon. Seine Ungeduld nach Freiheit ging daher zuweilen fast in Verzweiflung über. Er sprach viel mit sich selbst und überlaut; er schlug die Wände mit geballten Fäusten und rüttelte die dicken Eisenstäbe des Fenstergitters, daß die steinernen Gesimse erbebten. Die Stunden wurden ihm zu Tagen, die Tage glichen Wochen; die Wochen dehnten sich zu Jahren aus. Den Wächtern wurde bange, er werde den Verstand verlieren.

In der That hätte es geschehen können, wäre ihm nicht endlich, nach beinahe vier Wochen, der Kerker aufgeschlossen worden. Bewaffnete Bauern führten ihn in ein anderes Zimmer, wo mehrere wohlgekleidete Landleute, obwohl es noch früh war, bei Wein und Brot um einen großen runden Tisch saßen, Unter den Männern erkannte Fabian sogleich die breite Gestalt des Addrich, und neben demselben jene Person, welche sich auf dem Zuge nach Olten als der Untervogt von Buchsiten bemerkbar gemacht hatte.

Die Versammlung brach, als Fabian hereintrat, ihr bisheriges lautes Gespräch plötzlich ab, nahm ein ernsthaftes Wesen an, und suchte sich in die möglichste Würde zu setzen. Dieser hier stellte das aufgehobene Weinglas nieder, jener dort legte Brot und Messer aus der Hand und schlug die Arme untereinander, oder faltete die Finger zusammen, oder rückte den Stuhl zurück, um Knie auf Knie zu legen.

»Fabian von der Almen,« sagte Herr Adam Zeltner, der Untervogt, »obwohl wir wissen, daß Du in Deinem törichten Herzen erzbernerisch gesinnt bist, und als Sohn eines wackern Landmanns schändlicher Weise zu den Städtern hältst, wollen wir doch Gnade für Recht über Dich ergehen lassen. Du magst daraus erkennen, daß wir freien Landleute gnädiger sein können als die Herren zu Solothurn und Bern, die sich »gnädig« schelten lassen, und Verbrechen an uns suchen, um uns an Geld und Blut zu strafen. Deine wider uns und das teure Vaterland verübten Umtriebe und Helfershelferdienste hätten billig den Strang verdient, der Verrätern zukommt, aber . . .«

»Ich bin niemals ein Verräter gewesen,« unterbrach ihn Fabian.

»Schweig, wir wissen alles,« fuhr Herr Zeltner mit fester Stimme fort. »Bist Du nicht von Bern nach Aarau mit Briefen zum Schultheißen Hagenbuch gelaufen?«

»Allerdings,« versetzte Fabian, »doch ich wußte nichts vom Inhalt dieser Briefe, und noch weniger davon, daß ich Männern, die meine Herren und Oberen sind, keinen Dienst leisten dürfe.«

»Schweige! Jetzt sind wir aber Deine Herren und Oberen; darum begnadigen wir Dich, und erwarten dagegen von Dir Ehrerbietung und dankbare Ergebenheit. Die wirst Du uns also angeloben?«

»In jeder erlaubten und gerechten Sache.«

»Es ist nichts erlaubt als das Gerechte, und wir werden nichts von Dir begehren als das Gerechte. Jedennoch möchte auf Dein Wort und Angeloben wenig zu bauen sein, wenn unsere und des werten Vaterlandes Sache nicht schon über alle Gefahr obgesiegt hätte. Darum können wir Dich ohne Furcht der Haft entlassen, selbst wenn Du in gerader Richtung von hier nach Bern zurück liefest. Zudem hat auch dieser unser lieber Nachbar und ehrenwerter Eid- und Bundesgenosse – der Untervogt deutete mit der Hand auf Addrich – gut für Dich gesagt, was Du ihm zeitlebens danken magst.«

»Ich danke meinem Freund Addrich gern, und vor Euch allen, denn ich weiß, er meint es gut mit mir und kennt mich. Hättet Ihr Euch aber, anstatt mich vier Wochen lang ohne Verhör und Untersuchung rechtswidrig festzuhalten, von meiner Unschuld früher überzeugt; hättet Ihr meine frechen Ankläger mir unter die Augen gestellt, daß sie durch meine Rechtfertigung zu Schanden gemacht worden wären: so würde ich noch lieber Eurer Gerechtigkeitsliebe als dem Addrich schuldigen Dank gesagt haben.«

»Du sträubest Dich zwar mit Deiner Unschuld, wie sieben Eier in einem Krättlein, aber glaube mir, Du keckes Bürschchen, wir haben Dich nicht um eines Gastpfennigs willen in unserem Gewahrsam gehalten. Der Erste, welcher wider Dich zeugte und uns warnte, Dich nicht aus unserer Gewalt zu lassen, war ein sehr glaubwürdiger, vornehmer Herr, der Dich nur kurze Zeit gesehen, aber dennoch genug von Dir vernommen hatte. Du wirst Dich des Edelherrn von Groenkerkenbosch erinnern, der mit Dir gefangen worden ist? Er hatte durchaus kein Interesse gegen Dich . . .«

»Der Niederträchtige! Er also? Der?« rief Fabian auffahrend. »Ihr vielklugen, gerechten Männer glaubt in Eurer Weisheit der tückischen Zunge eines wildfremden Abenteurers und kerkert darauf hin, ohne allen Beweis der Wahrheit, einen Schweizer, einen Mitlandsmann ein wie einen Verbrecher?«

»Höre, Grünschnabelchen,« rief bei diesen Worten Fabians ein alter Bauer hinterm Tisch, »habe Respekt, denke, vor wem Du stehst, und schlucke Deine unverschämten Redensarten hinunter; es wird Dir kein Kropf davon wachsen, wenn Du sie in der Kehle behältst.«

Der Untervogt winkte mit der Hand dem Alten zum Schweigen und fuhr gegen Fabian also fort: »Wenn der erste Zeuge wider Dich nicht genügt hätte, würde ein zweiter wohl hundert andere aufgewogen haben. Das ist ein erprobter Vaterlandsmann, dem die Wohlfahrt gemeinen Wesens über alle Rücksicht und Freundschaft geht, die er leider! für Dich gehegt haben mag. Er ist's, von welchem wir schon umständlich vernommen haben, wie viel die Berner Dir zahlten und aus welchen Ursachen Du ins Aargau gekommen bist. Da ist der mannhafte und tapfere Hauptmann Gideon Renold. Den wirst Du gelten lassen, hoffe ich.«

»Den lasse ich gelten als einen Schelm vom Wirbel bis auf die Sohle. Dieser Judas und ich sind von jeher Freunde gewesen wie Katze und Hund. Warum stellet Ihr mir den schwedischen Lohnknecht, der schon im Mutterleibe so giftiger Natur war, daß die im Kindsbett sterben mußte, die ihn zur Welt brachte, nicht Angesicht gegen Angesicht?«

»Wenn Du alle Ehrenmänner so schamlos lästern kannst,« fuhr der Untervogt mit Bitterkeit fort, »so lästere, wenn Du kannst, noch einen Dritten, dessen Zeugnis mit allen anderen zusammenstimmte. Die Wahrheit hat nur eine Farbe, die Liebe mancherlei. Und dieser Dritte ist der, welcher für Dein Wohlverhalten bei uns gutgesagt hat und Dein Bürge geworden ist.«

»Wie? Addrich, Du?« sagte Fabian und warf einen Blick unwilligen Erstaunens auf den Alten.

Addrich hatte schon während der letzten Reden des Untervogts die dicken Augenbraunen finster zusammengezogen und einen stechenden Blick auf den Sprecher der Versammlung geworfen. Jetzt brummte er: »Viel und erbaulich schwatzen ist selten beisammen.« Dann wandte er sich zum Jünglinge und sagte: »Nein, Fabian, ich habe keineswegs wider Dich gezeugt; denn ich wußte aus Deinem Munde, wie Du weder kalt noch warm seiest, und so wenig mit dem Volke wie mit den Städten halten magst. Du bist ein unerfahrenes Kind und hast Deine Rute wohl verdient. Erst hatten Dich die Baseler in die Klemme genommen; ich befreite Dich. Nun fielest Du in die Hand des Volkes. Wenn sich Wolf und Hund beißen, sollst Du nicht zwischen beiden hindurchspazieren wollen und sagen: ›Was geht's mich an?‹ Wer in bürgerlichen Händeln nicht zu einer der Parteien tritt, bekommt die Fäuste beider in die Haare. Hüte Dich vor dem Gideon; Du hast viel bei ihm im Salze. Ganz zufällig vernahm ich vor einigen Wochen, man halte Dich hier gefangen. Das war mir recht, und zwar Deiner eigenen Haut wegen; denn hier hast Du am sichersten gewohnt; draußen hätten Dich indessen schon Bauer oder Städter kalt gemacht. Jetzt bist Du frei. Komm zu mir ins Moos, dort bist Du geborgen; Gideon hat anderswo vollauf zu schaffen.«

Mit diesen Worten hielt Addrich die Sache für abgethan. Er stand vom Sessel auf und schloß die Sitzung der ansehnlichen Versammlung, aus welcher ihm keiner zu widersprechen wagte. Nachdem er von einem zum andern gegangen war, und mit allen noch besondere Abrede genommen hatte, nahm er Fabian zu sich und beide verließen das Haus.

29.
Der Heimweg.

Unangefochten schritten sie durch die enge, finstere Straße zum Thore hinab und über die hölzerne Brücke, welche dort die Ufer der Aar verbindet. Als aber der Jüngling die im Goldlicht spiegelnden Wellen des Flusses, die im Morgenrot leuchtenden schroffen, mit Gebüschen bekränzen Felswände, die aufbrechenden Blüten der Kirschbäume und die malerisch verteilten Gesträuche, die grünen Matten, von himmelblauen, goldenen und purpurnen Blumen durchwirkt, erblickte und den Gesang der Lerchen hörte, hoch am Himmel, und der Amseln und Finken fröhlichen Schlag in den grünenden Zweigen der Gebüsche . . . da wurde er weich. Er seufzte ein lautes Ach! breitete seine Arme in die Luft, als könne er Erde und Himmel an das schlagende Herz ziehen: riß vom Schlehenstrauch einen der blühenden Zweige und drückte die kühlen Silberblüten desselben an den Mund, während ihm ein paar Thränen über die Wangen perlten.

»Du geberdest Dich wie ein Mädchen,« sagte Addrich, »oder ärger noch wie ein Kind, Fabian.«

»Es wäre Dir besser, Addrich, Du könntest Kind sein und meine Wonne verstehen,« antwortete Fabian. »O wie leicht ist der Atem der Freiheit und wie süß der Brautkuß der Natur! Du jammerst mich, Addrich. Du taugst nichts in diesem Gottesreich voller Herrlichkeit. Du hörst die Stimmen dieses Lebens nicht, die mich entzücken.«

»Hast recht, Fabian,« erwiderte Addrich. »Ich habe das Leben nie und das Leben hat mich nie verstanden. Meine Geburt ist ein blinder Mißgriff des Schicksals gewesen.«

»Rede nicht so, Addrich. Du mußt nicht lästern. Heute nicht!«

»Nun, so sage mir denn, Fabian, welche Weisheit hat die Blindgebornen in eine schöne Landschaft, die Taubstummen, die blödsinnigen Kretinen, in die Gesellschaft vernünftiger Geschöpfe gestellt? Und warum mußte ich, mit Wohlwollen in der Brust, und gesundem Verstande im Gehirn, unter dies Gezücht von Tigern und Eseln in Menschengestalt geworfen werden? Wer kennt mich? Wer will mich? Wer giebt mir Ersatz für den Schmerz, in dieser Welt wohnen zu müssen, an sie wider Willen gebunden zu sein, und das Los Leonorens zu tragen, nicht leben, nicht sterben zu können? . . . Fabian, ich hasse das Leben, aber in mir sträubt sich's, es zu verlassen, und ich kanns nicht enden. Der Mensch ist im wüsten Bagno der Welt Sklave eines Unbekannten; der Mensch verflucht seine Kette, kann sie aber doch nicht zerreißen und muß ohne Schutz, ohne Widerstand die zerfleischenden Streiche seines herzlosen Hüters, des Schicksals, tragen.«

»Höre, Addrich!« rief Fabian stillstehend und den Alten hastig mit beiden Armen haltend, indem seine Augen dabei freundlich leuchteten. »Höre, Addrich, ich will Dich heilen. Folge mir nach Deutschland, ich verlasse die Schweiz. Epiphania und ich wollen Deine Kinder sein und Dich, wenn Du keine Leonore mehr hast, pflegen wie einen Vater. Du wirst in einer freundlichen Einsamkeit Dich mit der Welt wieder versöhnen, wenn Du nur einmal aus den gegenwärtigen, finstern Verhältnissen herausgerissen bist. Glaube es, Addrich, Du wirst versöhnt werden und wir wollen Dein Alter weich betten.«

»O, ich bin von außen und innen eine einzige Wunde. Wohin und wie Ihr mich betten möget, auf Seide und Eiderdaunen oder auf Rosenblätter, ich muß aufschreien im Schmerz . . . Fort, fort, Fabian, in's Moos!« rief Addrich nach einem augenblicklichen Schweigen, indem er den Jüngling zurückdrängte und mit großen Schritten auf der Landstraße weiter ging. »Brechen wir davon ab! Ich kann Dir besseres sagen. Die Unternehmungen des Volkes gehen gut von statten; die Städte müssen zu Boden fallen. Ich scheide nicht von hinnen, ohne in der Welt ein löblich Werk zurück zu lassen, damit ich ihr mehr gebe, als sie mir gab.«

»Addrich, verblende Dich nicht. Du rennst dem gewissen Verderben in den Rachen und ziehst Tausende mit Dir. Ich wette, die Städte haben den Bauern noch keinen Halm breit nachgegeben.«

»Du weißt nichts. Der Handel läuft, wie er soll, stündlich, von seiner eigenen Wucht, immer stärker gedrängt. Die Städte halten das losgerissene Felsstück nicht mehr auf, das vom Berge herabrollt und, in Sätzen und Sprüngen, bald zerschmettert gesehen werden wird. Solothurn und Bern, Basel und Luzern, Aargau und die Freiämter sind in voller Bewegung. Es soll ein neuer Himmel und eine neue Erde werden.«

»Addrich, traue nicht, die Herren haben den bessern Kopf und das bessere Geld.«

»Und wir, Fabian, die bessere Faust und das bessere Recht. Die vornehmste Miene beim Spiel will jetzt Zürich annehmen. Es zog vor einigen Wochen sogar fünf Kompanien, jede zweihundert Mann stark, in die Stadt, um uns Blendwerk und Spiegelfechterei vorzumachen. Zürich wußte aber wohl, daß am See herum faule Apfel wachsen, und ließ die Mannschaft wieder auseinander gehen, obgleich die Wädenwyler und Knonauer durch gesandte Ausschüsse Treue und Glauben anboten. Es schickte auch den Bürgermeister Waser und Statthalter Hirzel nach Bern, um dort nebst den Ehrengesandten von Glarus und Schaffhausen zu vermitteln. Die setzten aber, wie der blinde Schneider, den Flicken neben das Loch.«

»Wieso? Wurde nichts ausgerichtet?«

»Nun ja, es wurde um des Leuenbergers Lumpen gehandelt, um Trattengeld und Innungszwang, Salzkauf und Gerichtsbotenlohn und dergleichen. Man schlug die Abgeordneten der Landschaft mit Ratsherrenzungen breit, gab den Bauern den Strohsack heraus und behielt die Betten. Kurz, man brachte es soweit, daß die Ausschüsse der Gemeinden vor dem großen Rate alles in die Hand gelobten, für erteilte, überschwängliche Gnade in gebührender Untertänigkeit dankten und wegen der Unordnungen vor gesessenem Rat einen Kniefall thaten. Darauf entließen die Berner sogleich ihr in die Stadt genommenes Kriegsvolk und meinten schon, es lägen alle neun Kegel zu Boden. Sie hatten sich verrechnet; wir andern waren noch da. Die Gemeinden verwarfen den Plunder allzumal, wie ihn die albernen Ausschüsse vom Markt zu Bern mitgebracht hatten. Am meisten erbitterte uns deren niederträchtiger Fußfall. Das stieß dem Fasse den Boden aus. Die Huldigung ist abgeschlagen und das Volk ärger im Harnisch, denn je. Damit machten wir dem Christen Schybi gutes Spiel, daß er wieder mit den Entlebuchern in's Feuerhorn stoßen konnte.«

Fabian schüttelte den Kopf und versetzte: »Wollt Ihr, um Recht zu erhalten, allem Recht, der Treu' und dem Glauben absagen? Hat die Luzerner Landschaft nicht mit der Stadt ihren Vertrag geschlossen und besiegelt?«

»Nicht die Landschaft, sondern nur ihr ausgesandter Ausschuß. Das Volk von Entlebuch, Willisau, Rotenburg und Rußwyl dagegen erklärt, im Vertrage müsse das Wort ›Fehler‹ ausgekratzt sein. Denn dieweil Räte und Hundert von Luzern doch selbst das Recht des Landes jetzt anerkannt haben, so war's kein Fehler des Landes, das Recht begehrt zu haben. Desgleichen sollen die ehrenrührigen Titel, welche das Badener Manifest gegen die Landschaft ausgespien hat, im offenen Druck widerrufen werden; und alle Landleute sind einmütig darin, der Wollhausener Bund müsse aufrecht erhalten bleiben und die freie Landsgemeinde gelten. Darauf haben die Herren nun ihre Tagsatzung nach Bern ausgeschrieben, oder sitzen vielleicht dort schon, über den Basilisken-Eiern brütend, beisammen.«

»Addrich, lasse Dir weissagen, jener Tag zu Baden wird nicht beschlossen, bis Köpfe gefallen sind.«

»Meinst Du? Die unsrigen, oder die ihrigen? . . . Siehe Bursch, ein Fingerhut voll Mutterwitz reicht weiter, als ein Malter Schulwitz. Wir Andern haben auch schon unsere große Tagsatzung zu Sumiswald an der Grünen abgehalten mit den Volksausschüssen zu Bern, Luzern, Aargau, Basel und Solothurn. Ich komme eben daher zurück. Es fand sich auch eine obrigkeitliche Gesandtschaft ein, die wollte nach ihrer Art versöhnen, schwänzeln, vermitteln, heucheln, streicheln, in die Ohren blasen und entzweien. Sie zog aber unverrichteter Sache ab. Klaus Leuenberg hielt sich diesmal wacker; wir wählten ihn daher einhellig zu der Bundesgenossen Obmann.«

»Und was ist beschlossen? Was habt Ihr vor?«

»Nichts, als zu handhaben, was dem einen recht und dem andern billig ist; das Volk soll das Ansehen der Obrigkeit, die Obrigkeit dagegen die Freiheiten des Volkes in Ehren halten. Keine Landschaft soll wider Wissen und Willen der übrigen Bundesgenossen gegen die Obrigkeit Waffen tragen; aber auch keine Obrigkeit einheimisches oder fremdes Kriegsvolk gegen Unterthanen ins Feld führen.«

»Und wenn der Rat von Bern, Luzern oder einem anderen Orte sich Euren Sumiswalder Gesetzen nicht unterwirft? Wenn die übrige Eidgenossenschaft Euch Truppen ins Land schickt?«

»So vertreiben wir Gewalt mit Gewalt. Das ist zu Sumiswald unter freiem Himmel mit aufgehobenen Händen beschworen und wird am großen Landtage zu Hutwyl in acht Tagen bestätigt werden. Die Unterthanen der ganzen Eidgenossenschaft sind dahin eingeladen. Sie kommen.«

»Addrich, Du gescheiter Mann, kannst Du Dich so gröblich selbst betrügen und das Scheermesser bei der scharfen Klinge fassen? Ist Euer Sumiswalder Bund nicht klarer Aufruhr gegen die Landesherrschaft? Glaubst Du, die Regierung werde anders als mit dem Degen in der Faust antworten? O, traue Deinen Bauern nicht, Du kennst sie ja. Sie sind tapfer, so lange Du das Glas füllst; treu, so lange Du Geld giebst; einig, so lange Du allein sprichst, und gehorsam, so lange der Stier nicht weiß, daß er Hörner hat.«

»Und wenn ich sage, Fabian, Du habest mehr als Recht, so sage mir: Wer hat das Volk also gezogen, daß es zur vernunftlosen Bestie geworden? Wer hat im Ebenbilde Gottes die Menschenseele erdrosselt, wenn nicht die verruchte Politik dieser Gewaltherren? Sie wollen nicht den Völkern dienen, sondern für sich Heerden mästen, um Schlachtvieh, Wolle und Milch zu gewinnen. Aus Kirchen und Schulen haben sie Werkzeuge gemacht, um den Unterthanen den Verstand, wie einen Tollwurm, auszuschneiden. Siehe, die Gewalt treibt's, wie die Prasserei, die mit eigenen Zähnen ihr Grab gräbt; sie zimmert ihren Totenbaum mit Henkersbeilen . . . Fabian, schwatze mir Dein Alltagsgeschwätz nicht mehr. Die Sache der Menschheit ist die Sache Gottes. Ich will die Sache der Menschheit rächen und mit dem Volksbunde von Sumiswald den Stanserbund der Herren zertrümmern.«

»Wahre Dich, Addrich, Du reißest, wie der blinde Simson, die Säulen des Hauses nieder, daß Du selbst mit den Fürsten und dem Volke darunter erschlagen wirst.«

»Was hat das elende Leben für einen Wert, wenn es sich nicht einmal durch einen heiligen Tod adeln läßt?«

So sprachen und stritten beide Wanderer, bis sie in die Nähe der Felder von Denikon gelangten. Hier wollte Addrich einen Fußpfad durch die Äcker einschlagen, um über die Ägerten und Waldhügel in gerader Richtung nach dem Moose zu eilen. Fabian aber versprach nachzukommen, weil er zuvor den Dechanten von Aarau über dessen und Epiphanias Verhältnisse zu dem verdächtigen Don Nardo befragen wollte. Addrich lächelte höhnisch zu Fabians Erzählung von dem Niederländer und sagte: »Dieser vornehme Landstreicher hatte Langeweile auf der Stußlinger Haide und sah, daß Du einen Milchbart trugest.«

Mit diesen Worten eilte Addrich über die Äcker, ohne das Lebewohl des Jünglings zu erwidern.

30.
Die Entlebucher.

Fabian sah dem Alten in böser Ahnung eine Zeit lang nach, schüttelte den Kopf und setzte bei der Kühlung des Frühlingsmorgens den Weg nach Aarau längs den Waldhügeln mit leichten Füßen fort. Er verzichtete von nun an darauf, eine Sinnesänderung des finstern, störrischen Alten zu bewirken, und beschloß, zufrieden zu sein, wenn er aus dem ungeheuren Schiffbruch, welcher der öffentlichen Ruhe der Schweiz bevorstand, Epiphania retten könne.

Nach kaum anderthalb Stunden lag das Städtchen Aarau mit allen Türmen, seinen Ringmauern und Thoren, sobald er aus dem wilden, schattigen Grunde der Wöschnau am Saum eines Tannenwaldes die Höhe erstiegen hatte, vor ihm. Es herrschte dort ringsum wieder das alte, friedliche Leben. Weiber und Mägde gruben, hackten und jäteten unter fröhlichem Geschwätz in Feldern und Gärten und schienen des Landsturms, der sie vor etlichen Wochen bedroht hatte, wie eines vorübergestrichenen Sommergewitters, vergessen zu haben. Niemand wehrte ihm am offenen Thore den Eintritt, von wo er sogleich durch ein enges Seitengäßchen die Richtung zur Stadtkirche und dem wohlbekannten Pfarrhause nahm.

Als ihn die Dunkelheit des kalten Hausflures umfing, wandelte ihn ein leiser, doch angenehmer Schauer an, als träte er in die stille Wohnstätte eines Wesens, das, in frommem Umgang mit göttlichen Dingen, das Dichten und Trachten irdisch-fühlender Herzen nicht mehr kennt. Er blieb einen Augenblick schüchtern, überlegend stehen, um auf die erste Anrede und Einleitung Bedacht zu nehmen; ein Geräusch langsamer Schritte, welche seitwärts von einer Stiege herabkamen, störte ihn jedoch und er erblickte den greisen Dekan Heinrich Nüsperli selbst, der in vollem Ornat, wie er die Kanzel zu betreten pflegte, niederstieg.

Fabian entblößte das Haupt mit ehrerbietiger Verbeugung, entschuldigte seinen Eintritt und bat, da er wahrscheinlich zu ungelegener Stunde komme, einen gelegeneren Augenblick zu bestimmen. Der geistliche Herr aber reichte ihm freundlich und herzlich die Hand, sobald er den Jüngling erkannte, und ersuchte ihn, zu bleiben.

»Du kommst wie von Gott gesandt, mein Sohn,« sagte der Greis lebhaft. »Ich habe mancherlei mit Dir abzuthun und nicht ohne Kummer an Dich gedacht. Jetzt aber begleite mich in dies Zimmer. Es wartet meiner da eine Gesandtschaft der rebellischen Bauern aus dem Entlebuch, welcher ich Bescheid geben soll. Du wirst vielleicht dort auch am rechten Platze stehen und Gutes hören und zu Herzen nehmen können.«

»Entlebucher? Katholiken?« sagte Fabian verwundert, indem ihm das Verhältnis des katholischen Niederländers zum Dekan der reformierten Geistlichkeit schnell ins Gedächtnis trat.

»In diesen unsern Tagen und den letzten Zeiten soll uns keinerlei Ding mehr befremden,« sagte der Greis. »Unter Kriegsstürmen und Drangsalen der Völker bereitet sich der Weg des Herrn. Da müssen nun dieselben, welche in ihrer papistischen Blindheit die Kirche Jesu so streng verfolgt haben, in allzugroßer Herzensangst Zuflucht zu einem unwürdigen Diener des heiligen Evangeliums nehmen, um Trost und Rat zu suchen. Sie haben sich in einem bitterlichen Klageschreiben, schon vor Wochen, an Dekan und übrige Kirchen- und Schulvorgesetzte der Stadt Bern gewendet gehabt. Doch hat das vortreffliche Antwortschreiben des gelahrten Herrn Professors Leuthard ihren Erwartungen nicht entsprochen. Nun wolle mich Gott stärken! . . . Folge mir, mein Sohn!«

Der Dekan ging voran. Er trat, von Fabian begleitet, in ein geräumiges Zimmer, wo sechs bis sieben Bauern von ihren Sitzen längs der Wand aufstanden und die steifen Rücken tief verbeugten. Es waren kräftige, gewandte, untersetzte Leute, aus deren groben Gesichtszügen Trotz und Schlauheit zugleich redeten. Sie schienen in ihrer gleichförmigen Landestracht, mit den runden, kleinköpfigen Hüten, kurzen, braunen Wämsern von ungefärbter Wolle und kurzen Faltenhosen, Genossen eines und desselben Hauswesens zu sein. Der geistliche Herr reichte allen schweigend die Hand, und sprach dann mit einer Würde, die ihm, im langen Leben auf der Kanzel, eigentümlich geworden war: »Meinen freundlichen Gruß und geneigtwilligsten Dienst samt Wünschung zeitlicher und ewiger Wohlfahrt zuvor. Fromme, ehrsame und weise, vielgeliebte Herren Nachbarn aus dem Entlebuch, da Ihr das Begehren gestellt habet, mich in Euren Angelegenheiten zu befragen, so lasset mich Euer Vorbringen vernehmen.«

Der Älteste unter den Entlebuchern verneigte sich abermals mit der ganzen Hälfte des Leibes, und indem die Entfärbung seines ernsten Gesichtes einige Verlegenheit verriet, sagte er: »Wohlehrwürdiger Herr Dechant, unser Herz ist voller Betrübnis wegen des von sämtlichen Orten löblicher Eidgenossenschaft wider uns gefaßten Zornes. Wir sind aber keineswegs aus Übermut, sondern notgedrungen aufgestanden, um von unserer Obrigkeit Recht zu begehren. Ihre Amtleute haben die Geldsaugerei zur Hauptsache gemacht; sie haben die armen Landleute, ja sogar die Toten, nach deren Abschied aus diesem Leben, mit unerschwinglichen Geldbußen belegt, und uns in vielen Stücken um unsere Freiheiten gebracht, die wir doch in alten Briefen und Siegeln bewahren, wie wir sie von unsern Vätern geerbt haben. Nun aber verschreit man uns im ganzen Schweizerlande als ruchlose Rebellen, droht uns mit Krieg zu überziehen, und will uns vielleicht wieder nehmen, was wir von Gotteswegen erhalten haben. Da nun alle weltliche Obrigkeit Hand in Hand gehen will, uns zu erdrücken, wenden wir uns flehentlich an die geistliche Obrigkeit, daß sie in ihren Predigten unsere Sache beschützen und die gnädigen Herren und Oberen in gemeinsamer Eidgenossenschaft zu Frieden und Gerechtigkeit ermahnen wolle.«

Der Dekan erwiderte: »Gleichwie das Volk Gottes im Alten Testament, in wichtigen und gefährlichen Stücken, den Mund des Herrn durch die heiligen Propheten befragt hat, also kommet Ihr zu uns. Es ist wahr, die Richter und Könige in Israel haben wohl auch oft gefehlt und sind deswegen von Gott durch die Propheten gescholten worden. So spricht Jesaias: der Herr wird in's Gericht gehen mit den Ältesten seines Volkes und mit desselben Fürsten und wird sprechen: Ihr aber habet den Weingarten abgeätzet und den Raub der Armen in Euren Häusern. Was ist Euch, daß Ihr mein Volk zermalmet, spricht der Herr der Heerscharen! . . . Gleichwohl finde ich nicht, daß sich das Volk Israels damals, wie Ihr thuet, wider seine Obrigkeit empört hat. David sprach, als sein Diener Abisai den König Saul umbringen wollte: Wer will die Hand legen an den Gesalbten des Herrn? – Wohl aber finde ich, daß Gott der Herr die tyrannischen Regenten durch Überziehung von fremden Völkern und Wegführung in das babylonische Gefängnis bedroht und gestraft hat.«

Diese Worte des wohlehrwürdigen Dekans verursachten dem Sprecher aus dem Entlebuch ein leises Kopfschütteln, und indem durch den steifen Ernst seiner Mienen ein schelmisches Lächeln zuckte, versetzte er: »Das mag dem Volk Gottes ganz recht gewesen sein, aber uns Leuten im Neuen Testament und im Schweizerlande käme dergleichen ungelegen. Denn wenn fremde Volker in's Land dringen würden, gingen die Herren in den Perücken frei aus, und wir gemeinen Leute sollten für sie Haare lassen. Und wenn Schultheiß, Räte und Hundert in's babylonische Gefängnis wanderten, sollten wir für sie die Ätzungskosten zahlen, denn an der Armut will jedermann den Schuh wischen. Aber, wohlehrwürdiger Herr Dechant, nichts für ungut, der Gulden vom Bauer ist auch sechzig Kreuzer wert.«

Der geistliche Herr schien von der unerwarteten Antwort zwar betroffen, doch lenkte er sogleich wieder ein und sagte: »Liebe Nachbarn, um Gotteswillen gehet in Euch und denket, wie Gott in seinem heiligen geschriebenen Worte von den Obrigkeiten redet, indem er sie Götter nennt, das ist: Gottes Statthalter, wie der Apostel Paulus sie tituliert. Deswegen soll ihnen Achtung und Gehorsam bezeigt werden, ja sogar, wie der Apostel Petrus schreibt, nicht allein den gütigen, sondern auch den störrigen.«

»Ihr habt vollkommen recht und die Apostel auch,« entgegnete der Entlebucher. »Als Gottes Statthalter jedoch machen sie ihre Sache gar zu schlecht. Sie sind nicht nur störrig, sondern auch stößig. Sie werden nicht einmal rot vor Scham, wenn man sie ›gnädige Herren und Obere‹ nennt, da sie doch wohl wissen, wie unbarmherzig und rechtswidrig sie mit ihren armen Untertanen verfahren.«

»He, wohlehrwürdiger Herr,« rief ein kleiner, lebhafter Mann dazwischen, »ich erinnere mich doch auch, daß, als König Salomo gestorben war, das ganze Volk zu seinem Sohne Rehabeam kam und sprach: Mache das schwere Joch leichter, das Dein Vater uns auferlegt hat. Und als er ihnen einen harten Bescheid gegeben und gesagt hatte: Mein Vater hat Euch mit Geißeln gezüchtigt, ich aber will Euch mit Skorpionen züchtigen – sind von diesem Statthalter Gottes zehn Stämme abgefallen.«

»Ihr könnt Euch dieses Beispieles gar nicht bedienen,« antwortete der Dechant, »denn nachdem Ihr Eurer christlichen Obrigkeit mancherlei Beschwerden vorgebracht, hat sie, außer wenigem, alles bewilligt, was doch, wie Ihr selbst bekennt, Rehabeam niemals hat thun wollen.«

»Nun ja, weil ›Muß‹ ein bitteres Kraut ist,« sagte der erste Redner. »Als die Mittelsherren der sechs alten Orte einsahen, daß wir nichts als Billigkeit gesucht, haben sie uns in allen Punkten gewillfahrt. Warum erhebt man nun ein Geschrei und verklagt uns vor den Herren Eidgenossen zu Baden so heftig und lästert uns durch einen gedruckten Erlaß unbilligerweise vor der ganzen Welt als Rebellen? Darum begehren wir, daß unsere Obrigkeit durch einen anderen öffentlichen gedruckten Erlaß uns von diesen Vorwürfen befreie, und solches widerrufe. Es gehet wahrlich, unter einer Bauernkappe, ebensoviel Ehre auf zwei Füßen, als unter einem Ratsherrenhut.«

»Liebe Nachbarn,« sagte der Dekan mit sanftem, beschwichtigendem Tone, »lasset einen Unterschied gelten. Was meint Ihr, wie würde es vor der ganzen ehrbaren Welt aussehen, wenn Eure rechtmäßige Obrigkeit solchen Widerruf thun sollte? Zudem hat sie nicht Euch alle, sondern nur etliche angeklagt. Es wäre daher mein Rat, als der ich Euch, Gott weiß es! alles Gutes gönne, daß Ihr mit gebührender Unterthänigkeit bei Euren gnädigen Herren, oder bei sämtlichen Obrigkeiten der allgemeinen Eidgenossenschaft einkämet, die Bekanntmachung des Erlasses zu unterdrücken. Das badische Mandat ist ohnedies nur zu einer Zeit gemacht worden, als Ihr mit Luzern in Zwist und Spannung waret. Da nun aber der Vergleich erfolgt ist, wird sich alles andere ohne Mühe beilegen lassen.«

»Daß Ihr und die wohlehrwürdigste Geistlichkeit durch die Herren von Bern und deren Fürsprache uns dazu verhelfen wollet, ist allein unser untertäniges Gesuch bei Euch. Wir richten bei jenen in Ordnung nichts mehr aus. Sie verstehen das Befehlen aus dem Grunde, aber nicht das Überzeugen. Haben sie nun den Flegel stets im Munde, so haben wir ihn stracks bei der Hand. Gegenwehr ist nicht verboten, heißts im Entlebuch.«

»Nicht das, Ihr Herren Nachbarn, nicht das ist die Sprache christlicher Unterthanen gegen die von Gott eingesetzte Obrigkeit,« rief der alte Dekan mit Unwillen. »So haben auch die aufrührerischen Truppen des Korah, Dathan und Abiram gesprochen, und die Erde riß unter ihnen und that ihren Mund auf und verschlang sie, mit ihren Häusern und mit aller ihrer Habe. Sie fuhren lebendig in die Hölle hinunter, mit allem, was sie hatten, und die Erde deckte sie zu. Christliche, liebe Nachbarn, sehet Euch vor, und fahret nicht der Rotte Korahs nach. Der schwarze Abgrund liegt unter Euren Füßen. Wisset, und wenigstens darin sind wir allesamt einig, Ihr Herren, Katholische und Evangelisch-Reformierte, es ist ein Gott, und dieser ist die höchste Obrigkeit, König und Herr aller Dinge; und er hat sich Ebenbilder und Statthalter gesetzt, im Bereich des Toten und Lebendigen, daß eins dem andern unterthan sei der Ordnung wegen. Also muß die Sonne und der Mond mit allen Sternen des Firmaments unserm Erdball dienen, der da ist der Mittelpunkt alles Erschaffenen. Und auf Erden haben die Völker ihren Mittelpunkt am Throne und Stuhl ihrer Obrigkeit, die da sitzet an Gottes Statt. Wollet Ihr nun gegen diese Aufruhr beginnen und mit ihnen zu Gericht gehen: so wollet Ihr Könige sein und die Obrigkeit zum Schemel Eurer Füße machen; verkehrt Ihr die Ordnung und das Gesetz des Schöpfers, so lehnet Ihr Euch auf gegen Gottes Weisheit und Macht, und rufet die Schrecken des jüngsten Tages herbei, wo auch die Gestirne des Himmels ihre Stellen verlassen und im allgemeinen Aufruhr zermalmend gegen die Erde fahren. Sehet Euch vor, ihr Verirrten. Auch die Engel und Erzengel, Satan an ihrer Spitze, haben sich auflehnen wollen und Gott, der Herr, hat sie mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen. Wenn nun Gott der Engel nicht geschont, da sie gegen ihn gesündigt hatten, meinet Ihr ihm in frevelvollem Mutwillen Trotz zu bieten? Zittert, Ihr Unglücklichen! Ich sehe ein flammendes Schwert, gleich einer glühenden Rute, über Euren Scheiteln. Es ist das Schwert des grimmigen Zornes des allmächtigen Gottes!«

Hier schwieg der Greis, als wollte er eine Antwort hören, doch alle blieben stumm. Der Donner seiner Stimme schien in ihren Ohren noch fortzuhallen. Er stand da, vor den Rebellen, mit der Majestät eines Boten Gottes, und ein Sonnenstrahl, welcher während dieser Worte vom Fenster aus blendend über die ehrwürdige Gestalt sich ergoß, schien die Versinnlichung der himmlischen Erleuchtung eines frommen Innern zu sein.

»Kehrt denn heim! Legt die Waffen ab! Haltet Frieden!« fuhr er nach geraumem Schweigen mit sanftem Tone fort. »Was mich anbelangt, will ich ohne Unterlaß zu Gott rufen, daß er beiden, den Unterthanen und den Obrigkeiten, seinen heiligen Geist verleihe, auf daß ihre Gedanken, ihr Sinnen und ihre Ratschläge auf unseres geliebten, allgemeinen Vaterlandes Frieden und Ruhe gerichtet werden mögen.«

Der Sprecher der Landleute erwiderte: »Euer Wohlehrwürden wohlgemeinte und fromme Vermahnung ist allerdings des Dankes wert. Wir wollen jedoch nichts gegen die hohe Obrigkeit, sondern allein gegen ihre schnöden Amtsleute, welche die Regierung belügen und das arme Volk betrügen. Wir wissen, ohne daß es noch gesagt sein muß, daß Obrigkeit sein soll; unser wohlvererbtes Recht aber soll auch sein. Gestohlene Ware darf man wieder zurücknehmen, und hätte man sie auch der Obrigkeit in den Sack gesteckt. Der Wurm, den man tritt, darf sich krümmen. Der Herrgott gab der Biene den Stachel, daß sie sich rächen könne, uns armen Leuten aber Kopf und Faust.«

»Mein ist die Rache, spricht der Herr, nicht dein!« rief der Dekan mit seiner Donnerstimme. »Gehet nicht den Weg Kains und fallet, eitlen Genusses wegen, nicht in den Irrtum Balaams. Selbst Michael der Erzengel durfte, als er mit dem Teufel über den Leichnahm Mosis zankte, das Urteil dieser Lästerung nicht fällen, sondern sprach: Der Herr strafe Dich! So gehet hin und lasset ihm das Richteramt, ihm, der da richtet die Toten.«

Der kleine spitzköpfige Entlebucher, der schon einmal geredet hatte, verzog schelmisch das Gesicht und sagte: »Das ist für uns wahrlich zu spät; denn nach dem Tode gilt das Geld nicht mehr. Wir merken leider wohl, es pfeifen, schüttelt der Bauer am Joch, Pfaffen und Junker aus gleichem Loch. Nichts für ungut!«

»Du unverschämtes Lästermaul!« rief Fabian. »Rede, solange Du hier stehest, mit geziemender Ehrerbietung, oder Du möchtest ungesegnet aus dem Tempel kommen!«

Der Entlebucher maß den Jüngling mit den Augen vom Wirbel bis zur Sohle und erwiderte: »Wir sind zum wohlehrwürdigen Herrn Dechanten geschickt, aber nicht zu seinem Siegrist. Ich mags wohl leiden, wenn auch Du gern auf dem obrigkeitlichen Schimmel reitest. Aber mir solltest Du nicht trutzen; ich kann rutzenDas Rutzen ist im Entlebuch eine Art zur Regel gemachter Rauferei der jungen Burschen, wenn sie nachts beim Chiltgehen, den Kopf mit einem Tuche verhüllt, und mit gekrümmtem Körper, zum Stoß aufeinander losgehen.

»Still!« unterbrach ihn der Dechant mit gebietendem Anstande und wandte sich zum Hauptsprecher des abgeordneten Ausschusses. »Ihr aber, liebe Nachbarn, traget Sorge für Euer zeitliches und ewiges Wohl! Schreitet nicht selbst zur Rache mit Übergehung der Euch von Gott gesetzten Herrschaft! Ermahnet Euer Volk zum Frieden und denket: Güte giebt Gut, Gewalt aber Blut. Darum haltet fest an Recht und Eid, wie es christlichen Unterthanen geziemet.«

»Dessen sind wir gewillt,« antwortete der alte Entlebucher mit stärkerer Stimme, als vorhin. »Jedoch, wohlehrwürdiger Herr, wir sind gekommen, Euch zu bitten, nicht uns allein, sondern auch den christlichen Obrigkeiten zu predigen, was ihnen geziemt. Aber Ihr gebet uns wohl zu verstehen, daß bei Euch hier zu Lande die Herren Prediger in denselben Schuhen laufen, wie die Pfaffen bei uns; sie hüten lieber die Schafe, als den Wolf. Nun denn, zürnet nicht, Herr Dechant, so ist unser Geschäft bei Euch hiermit schnell abgethan. Wir haben nicht wegen der Kinderlehre den weiten Weg gemacht. Wir wagens, und lassen Gott walten! Wer mit dem Kaiser Prozeß führt, merke ich, muß nicht bei seinem Vetter, dem Papst, klagen. Das ist in der Ordnung und der Welt Lauf. Gelobt sei Jesus Christ!«

Damit wandte sich der Redner vom Dekan hinweg und der Thür zu. Die andern folgten ihm, ohne ein Wort zu sagen, zum Hause hinaus.

»So gehts einem immer mit Leuten dieser Art,« rief der Dekan, der bestürzt und stumm dastand und den Weggehenden, bis sie das Haus verlassen hatten, unentschlossen nachsah. »Es sind Kranke, die den Arzt anrufen, aber sich klüger dünken als er, sobald die Arznei bitter schmeckt. Inzwischen ist es mir angenehm, daß Du Zeuge dieser flüchtigen und vergeblichen Unterredung gewesen bist. Gern hätte ich einen von meinen Herren Amtsbrüdern dabei gesehen; allein die Leute überstürmten mich zu hastig. Ich habe jedoch nach der Stimme meines Gewissens gesprochen und kann mich damit trösten.«

Obwohl der geistliche Herr das letztere noch verschiedene Male wiederholte, konnte er doch seine Unzufriedenheit mit dem schnellen Abbrechen eines Gespräches nicht verbergen, von dem er glänzendere Erfolge erwartet zu haben schien. Und wenn auch Fabian das Wort auf andere Dinge leitete, kam jener immer ärgerlicher auf diese vom Teufel verdorbene und abgebrochene Unterredung, wie er es nannte, zurück.

Als der Jüngling endlich, doch mit aller Bescheidenheit, dringender wurde, die Flüchtigkeit der Zeit, die nicht länger zu verschiebende Fortsetzung seines Weges in Addrichs Moos, die Notwendigkeit, mit Epiphania Erklärungen und Abreden zu nehmen, und den Zweck seines gegenwärtigen Erscheinens zur Sprache brachte, überwand der Greis schnell seinen Mißmut und sagte: »Wohlgethan, mein Sohn, daß Du mich daran erinnerst. Epiphania steht in böser Hand und in schwerer Gefahr des Leibes und der Seele. Du zwar hast, durch die Gewalt der Ruchlosen, alles verloren, und weißt nun kaum, wohin Dein Haupt legen. Doch ich fürchte für meine Pate noch schwereres Unglück. Folge mir!«

Der Dekan führte den jungen Mann hinaus, und begab sich mit ihm, um ungestörter reden zu können, eine Treppe höher, in das obere Stockwerk des Hauses, nach seinem Studierzimmer.


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