Heinrich Zschokke
Addrich im Moos
Heinrich Zschokke

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25.
Die Nacht in der Berghütte.

Obwohl unbewaffnet, schritt Fabian von der Almen doch herzhaft vorwärts in dem Halbdunkel des verdächtigen Hohlweges, den die Rosse und der daneben stehende Mohr, Priester und Jäger beinahe versperrten. Indem er grüßend vorbeizugehen gedachte, und mit einem Seitenblick die ungewöhnlichen Trachten der Anwesenden anschaute, redete ihn der Herr in der schwarzen Sammet-Sutane mit folgenden Worten an: »Heda, rüstiger Junggesell, wenn's Eure Eile gestattet, so gebet verirrten Reisenden einen ehrlichen Rat. Es wird Euer Schade nicht sein.«

»Habt Ihr den rechten Weg verfehlt? Wohin wollet Ihr in den Bergen hier?« fragte der Jüngling und blieb stehen.

»Wenn's ohne Flügel möglich wäre,« erwiderte Jener, »über diese Berge hinaus und über den Rhein. Ich bin ein Fremdling in diesem Lande und vorgestern von Basel in dasselbe hereingekommen. Thaleinwärts und bergaufwärts vor uns ziehen bewaffnete Haufen. Ihr aus der Ferne vernehmbares Gebrüll weissagt friedlichen Wanderern so viel Heil, als das Gebrüll hungriger Löwen . . . Oder haltet Ihr es für geraten, Junggesell, wir sollten es wagen, uns als Fremdlinge des Landes uns der Gastfreundlichkeit dieser Leute anvertrauen, die wir doch nicht beleidigt haben?«

»Herr,« versetzte Fabian, »ich möchte Euer Blut durch ein falsches Wort nicht auf mein Gewissen laden. Thut, wie Ihr wollt, doch sprecht lieber die Dachse und Füchse in diesen Löchern um Gastfreundschaft an, als jene Bauern und ihre dummblinde Wut.«

»Wer ist Führer und Oberhaupt?« fragte der Fremde weiter. »Ich könnte mich vielleicht an ihn wenden.«

»Ein Volk ohne Obrigkeit und Gesetz hat so viele Häupter als Gliedmaßen,« versetzte der Befragte. »Einer darunter, den ich kenne, wäre freilich, wenn er wollte, vielleicht im stande, Euch durchzuhelfen, allein . . .«

»Es liegt mir nicht an einem Stück Geld. Wo finde ich ihn? Wie heißt er?«

»Man nennt ihn den Addrich im Moos.« Fabian glaubte, indem er dies sagte, zu bemerken, daß der Fremde, welcher nachdenkend vor sich hinsah, bei dem Namen rasch mit dem Kopfe auffuhr. Er fragte daher: »Kennt Ihr ihn schon?«

»Durch Hörensagen, wenn es derselbe ist, welcher sein Wesen in einem der abgelegenen Bergwinkel jenseits der Aar treibt,« erwiderte der Fremde gelassen, und zeigte mit der Hand nach jener Gegend hin. »Gestern erst hörte ich seinen Namen in den Wirtshäusern des Landes beim Würfelspiel, Weinbecher und Wortwechsel oftmals nennen. Doch bei allen Heiligen des Himmels! Ich glaube, dieser Mann hätte mehr Ruhm davon, wenn er weniger berühmt wäre. Ich möchte mein Pferd nicht seinem Stalle, geschweige mein Leben seinen Händen vertrauen.«

»Mag sein, Herr,« versetzte Addrich's Freund. »Ich kenne ihn sehr gut. Er ist einer der Unglücklichen, von welchen kein Mensch Gutes redet, sondern nur Gott. Thut, wie Ihr wollt. Ich möchte Euch jedoch selbst nicht anraten, den Addrich in diesen Augenblicken zum Schutzpatron zu wählen.«

»Was soll aber aus mir und meinen Leuten diese Nacht über werden, Junggesell, da ich weder rückwärts noch vorwärts kann?«

»Herr, meines Erachtens thut Ihr wohl, das erste beste Obdach zu wählen, falls Ihr nicht lieber dort durch die tiefe Aar schwimmen, oder über jene hohen Felsen klettern wollt. Jeder Volksauflauf ist, wie ein wildes Bergwasser nach dem Gewitterregen, schnell geschwollen, schnell getrocknet. Wartet ein wenig am Ufer; morgen gehet Ihr vielleicht hindurch, ohne Euch die Sohlen zu netzen.«

»Euer Rat, Junggeselle, scheint mir unter diesen Umständen nicht übel; nur vergesst Ihr, daß ich fremd und unkundig bin, wo Wirtshaus und Dorf zu suchen sei. Ohnehin rückt die Nacht mit starken Schritten heran.«

»Ich bin, Herr, der Örtlichkeit dieses Landes so unkundig wie Ihr, und begehre ebenfalls ein Obdach. Die Märznächte sind in dieser Höhe unter freiem Himmel kühl, doch denke ich, wir sollen bei der jetzigen frechen Ausgelassenheit der Bauern lieber die Wirtshäuser und Dörfer meiden als suchen, und mit irgend einem abgelegenen Heustalle im Berge, wo wir ihn finden, vorlieb nehmen. Wenn Euch damit geholfen ist, so folget mir.«

Die Reiter bestiegen sofort ihre Pferde. Fabian ging behenden Fußes durch den Hohlweg voran; ihm nach ritt der Fremde, welchem der Mohr folgte; den Schluß machte der Jäger, welcher ein beladenes Maultier vor sich hertrieb. Der Hohlweg öffnete sich in einer wilden, einsamen Berggegend, die, als man eine gute Weile hinaufgestiegen war, zu einer kahlen, abhängigen Fläche wurde, über welche das Gebirge zur Rechten seine kalten Schatten warf. Ein einzelner Fels, im Hintergrunde hoch emporragend, trug auf seiner Spitze das Schloß Wartenfels über die graue Ebene empor. Am Saume des Himmels leuchteten in unabsehbarer Reihe noch die Firnen der Gletscher im Rosenlichte der untergegangenen Sonne, welches jedoch bald zur frostigen Perlfarbe erlosch.

Hier verließ Fabian die Geleise des Fahrweges und nahm seinen Weg rechts über die Halde dem nahen Gebirge zu; dann zog er längs einem ungangbaren Walde, wo er von ferne, in einer tief gelegenen Stelle desselben, etwas einer Hütte ähnliches entdeckten haben glaubte. Die Reiter folgten ihm langsamen Schrittes durch die Einöde, in lautem Gespräche unter sich, wovon Fabian jedoch nichts verstand, da sie in einer fremden Sprache redeten.

Endlich erblickten sie hinter einem Gebüsche, zwischen großen Haufen von Bergschutt liegend, ein halb zerfallenes Strohdach, darunter ein Hütte aus Baumstämmen, die zum Schutze des Viehes aufgerichtet schien. Während die Reisenden abstiegen, musterte Fabian, indem er die Runde machte, das Gebäude, und brachte die frohe Botschaft, hier sei auch eine menschliche Wohnung. Man führte die Pferde in einen leeren Stall, und ging dann dem jungen Führer in die Behausung nach, welche unmittelbar an den Stall grenzte. Es erscholl jedoch kein gastfreundliches Willkommen.

Durch die niedrige Thür traten sie gebückt in eine enge, schwarzgeräucherte Stube, wo ein schmutziges Bauernweib und einige halb erwachsene Buben und Mädchen neben einem dicken, städtisch gekleideten Herrn in seltsamer Leblosigkeit unbeweglich, starr und stumm, wie ausgestopfte, mit Lumpen behangene Gestalten, dasaßen. Es wendete sich kein Kopf, es zuckte keine Miene; keine Lippe erwiderte Fabian's Gruß. Die Augen dieser Leute hatten insgesamt ihre Richtung nach den weißen Augen und Zähnen des Mohren genommen, Plötzlich endete dies Todesschweigen in den allgemeinen Schrei: »Jesus Maria, Joseph und St. Urs!« und zugleich fuhren Weib und Kinder von ihren Sitzen, und mit der Schnelligkeit des Blitzes aus Stube und Haus, über die Wiesen davon, der städtische Herr aber ebenso schnell hinter sich durch's schmale Fenster. Obgleich der mürbe Rahmen dieses Fensters beim ersten Stoß mit allen Scheiben gewichen und herausgefallen war, so versagte dessenungeachtet der enge Raum einem so beträchtlichen Leibesumfange, wie dem des Flüchtigen, den völligen Durchgang, Fabian lief inzwischen den Entkommenden vergebens über die Halde nach. Keiner achtete seines Rufes. Die Leute waren ihm bald aus dem Gesichte und man mußte sich also zu dem Einzigen wenden, den das Fensterloch als gute Beute festhielt.

Dieser hatte es nicht an Mühe fehlen lassen, sich frei zu machen; auch mangelte es dazu nicht an baldiger guter Nachhilfe der Umstehenden. Als aber zuletzt alle Anstrengungen den Kriegsgefangenen um keinen Zoll weder vorwärts noch rückwärts gebracht hatten, stöhnte er: »Ihr guten Herren, ich danke Euch; aber hier hat der Zaun kein Loch. Ich sitze fest, wie der gebrochene Stöpsel im Flaschenhalse. Falls Ihr nicht die ganze Wand einstoßet, muß ich bis zum Jüngsten Tage in dieser Mausefalle hängen. Ich spüre sogar empfindlich, daß sich das Hexenloch jeden Augenblick enger zusammenzieht.«

Die Umstehenden konnten, trotz des Mitleidens, sich des Lachens nicht erwehren. Nur der Priester oder Kaufmann, welcher, ohne Hand anzulegen, Zuschauer geblieben war, verzog keine Miene und fragte: »Wie habt Ihr's angefangen, Euren Kopf, geschweige die ellenbreiten Schultern, hindurch zu zwängen?«

»Ja, wer sich an alles erinnern könnte, wäre ein gelehrter Mann,« ächzte der Gefangene. »Ihr andern habt gut lachen, Wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sorgen. Doch so wahr ich noch lebe, meine Mutter hat mich nicht zum Fensterladen geboren. Noch einmal frisch an's Werk, Ihr Herren, man muß den Flegel nicht aufhängen, ehe man gedroschen hat.«

»Ich bin sonst von Natur kein Hase,« sagte der endlich mit großer Not aus der Einklemmung im Fenster Erlöste, indem er tief aufatmete und sein emporgeschobenes Wams über die Fülle seines Leibes niederzog. »Wären die einfältigen Bauern nicht beim Anblicke jenes schwarzen, übrigens hübschen Gesichtes, wie die Gergesener Säue auseinander gefahren, ich hätte keinen Finger zum Fenster hinausgestreckt. Vor acht Tagen würde man mir noch leichter die Haut über die Ohren, als mein Wams über die Halskrause aufgestreift haben. Ich werde offenbar zum Gerippe, ehe ich Aarau wiedersehe. Ja, Angst und Not, Ihr Herren, fressen mehr Speck, als hundert Mäuse. Man wird mich daheim nicht wieder erkennen.«

»Von Aarau? Und seit wann habt Ihr die Stadt verlassen?« fragte der Herr des Mohren, weniger aus Neugierde als, wie es schien, um nach etwas zu fragen.

»Wäret Ihr jemals in Aarau gewesen, Herr Freund,« versetzte jener, »Ihr würdet von mir zu reden wissen. Ich bin der Spielmann und Meistersänger Heinrich Wirri, oder vielmehr jetzt nur noch dessen armer Schemen und Schatten. Es mögen vier, sechs, elf Tage sein – fürwahr, es kommt kein Unglück allein, auch mein Gedächtnis magert ab – da übernahm ich einen kleinen Liebesdienst für meinen wohlehrwürdigen Herrn Dechanten Nüsperli beim Junker Oberherrn von Rued. Seitdem also . . .«

Hier unterbrach ihn der Frager mit dem Ersuchen, die Antwort einen Augenblick zu verschieben, denn es beginne finster zu werden; das Haus sei unwirtlich; er wolle also des Wirtes Stelle vertreten, da hier jeder der Anwesenden fremd zu sein scheine. Nach diesem redete er eine Weile mit dem Jäger und Mohren in einer unbekannten Sprache, welche sich darauf entfernten. Auch Fabian ging hinaus, während der Fremde und der Meistersänger, allein im Zimmer, ihr Gespräch fortsetzten. Weil es von außen kalt in die Stube zog, schob er das gebrochene Fenster, so gut es ging, wieder in das Loch und den äußern Laden davor. Dann half er den Leuten im Stalle die Pferde absatteln, warf Heu von der Bühne herab in die Krippe, während der Jäger die Reiselaterne anzündete und der Mohr die Ladung des Maultiers, nach wiederholten Gängen, in die Stube versetzte. In der Stube wurde eine große Lampe entdeckt, angezündet und auf den Tisch gestellt, über welchen der Mohr einen zierlichen Teppich breitete, um mancherlei kalte Speisen, Fleisch und Backwerk darauf zu legen; sogar ein sauberes sechs Maß haltendes Weinfäßchen mit vergoldeten Reifen und zwei silberne Trinkbecher wurden aufgestellt.

Von allen Anwesenden beobachtete niemand diese erfreulichem Anstalten mit größerer Zufriedenheit, als der Meistersänger von Aarau, obwohl er seine Freude hinter gleichgültigen Geberden und allerlei Fragen zu verstecken suchte. Während er nach der gastfreien Einladung des vornehmen Wirtes nur noch das Angriffszeichen erwartete, überraschte es ihn sehr unangenehm, als ringsum eine befremdliche Stille entstand. Er wendete seinen Kopf und sah den Geber des Mahles und dessen Gefolge, entblößten Hauptes, leise das Tischgebet verrichten. Auch Fabian war dem Beispiele gefolgt. So wollte auch Wirri nicht zurückbleiben, begann jedoch damit zu spät, als die übrigen sich schon wieder bedeckten und, außer Fabian, mit den Händen das Zeichen des Kreuzes auf Stirn, Mund und Brust machten, wodurch sie ihre Anhänglichkeit an die römisch-katholische Kirche zu erkennen gaben.

Das Essen begann, Mohr und Jäger jedoch standen zur Aufwartung ihres Gebieters hinter dessen Platze, und bereit, von Zeit zu Zeit den einzigen Silberbecher, dessen sich Fabian und der Spielmann abwechselnd bedienen mußten, im reinen Wasser zu schwenken und, wenn ihn einer geleert hatte, wieder mit Wein zu füllen.

»Noch eins, Meister Wirri,« hob der fremde Wirt an, indem er die Lobeserhebungen des Meistersängers unterbrach, mit welchen dieser die Erfindung wandernder Küchen und tragbarer Keller überhäufte, »saget – denn Ihr ließet Euch vorhin, als wir allein im Dunkel plauderten, darüber nicht aus – gesetzt, es wäre Euch im Hause des Addrich gelungen, die Epiphania nach dem Schlosse Liebegg zu entführen, würdet Ihr sie im Schlosse gelassen, oder aber dem Dechanten von Aarau, der Euch zu diesem Zweck ausgeschickt hat, übergeben haben?«

»Hm!« antwortete der Spielmann. »So oder so, wie's halt gekommen wäre. Ich habe Euch ja schon gesagt, und wäre es nicht stockfinster gewesen, Ihr müßet es gehört haben, daß mich der Hexenmeister eingesteckt und keins meiner Augen das Mädchen erblickt hat.«

»Ich setze aber den Fall,« fuhr jener fort, »Ihr hättet die Jungfrau glücklich entführt, wohin dann mit ihr?«

»Ein Fall, Herr, ist nicht aller Welt Fall. Wenn ich die arme Waise gesehen, und, zum Beispiel, sie mir und ich ihr gefallen haben würde, glaubet Ihr nicht, es wären doch wunderliche Fälle möglich gewesen? Ich hätte auch denken können, wer den Wurf hat, muß ihn nicht aus der Hand lassen, und Haben ist besser denn Hoffen. Ihr sollt wissen, ich bin noch ledigen Standes, der Junker aber hat seinen Teil und der Dechant hat's gehabt. Nun, Ihr versteht mich; Gelehrten ist gut predigen, ehrwürdiger Herr Pater. Ja, Eure kalten Braten und Pasteten sind vortrefflicher Art. Stoßen wir mit den Bechern an, Herr Pater; Silber klappt zwar; klinget doch feiner als Glas. Michaeliwein! Herrenwein!«

»Ihr irret, Meister, ich bin kein Geistlicher, sondern nur ein Laie.«

»Eins oder das andere, Hammer oder Amboß. Also stoßen wir an, Herr . . . ungenannt, unbekannt . . . Eure Paten wohnten doch auch in der Christenheit?«

»Nennt mich, wie Ihr wollt. Ich heiße Don Nardo oder nach meinem Gute Groenkerkenbusch in den Niederlanden.«

»Wer läugnen wollte, daß Eure Namen schön wären, Herr, der hörte lieber Frösche singen, als Amseln. Allein um meiner einfältigen Zunge einen Hals oder Beinbruch zu ersparen, darf ich Euch wenigstens beim Essen in beliebter Kürze den ersten Namen, . . . . wie hieß er schon? . . . . Bom-Bardo? . . . . Bombardement . . . .«

»Don Nardo!«

»Richtig, Herr Freund . . . also angestoßen! Ihr müßt doch leben . . . Wovon war denn eigentlich die Rede?«

»Wem Ihr das Mädchen auf Addrichs Hause zugeführt haben würdet, wenn Ihr es . . .«

»Richtig! Nun, das versteht sich; in gerader Linie, wie schon gesagt, nach Aarau, in das Haus des Poeten, der bisher in allen Ehren und Züchten mit neun himmlischen Frauenspersonen Verkehr getrieben, aber gesamte neun Musen gegen eine mit Fleisch von seinem Fleisch, und Bein von seinem Bein vertauschen würde. Vorausgesetzt jedoch, sie hätte mir auch nur halb so wohl gefallen, als das herzige Ännel, welches mir in Addrichs Mördergrube guten Schinken auftischte, so wäre die Sache richtig gewesen.«

»Und ihre Einwilligung? . . .«

»Hm, wertester Herr Donner . . . oder Donnerpaar . . . dem Fisch ein Würmlein, dem Mädchen ein Mann, beide beißen die Angel an. Ich kenne das! Heiraten ist keine Drescherarbeit für die Jugend.«

»Ich möchte Euch ermuntern, Meister, den mißlungenen Versuch zu wiederholen, wenn Ihr den Mut hättet. Ich nehme Anteil an Euch. Nach Aussage des Junggesellen hier ist Addrich gerade jetzt von seiner Wohnung entfernt. Nun oder nie gelingts, das unglückliche Mädchen zu erlösen. Waget es! Bedarf es des Geldes dazu, es soll sich finden. Was meinet Ihr? Hättet Ihr Lust?«

»Glaubt's oder glaubt's nicht, ich bin zu jeder Zeit und Stunde der Mann, wertester Herr Donnerbart, der den Teufel auf der Haide fangen und, wenn's sein müßte, ihm den Schwanz abtreten würde. Allein verzeiht . . .«

»Nicht allzu vorlaut, Meister!« unterbrach ihn Fabian scherzend. »Es zweifelt niemand an Eurem Heldenmut, aber Belial könnte Euch boshafter Weise beim Wort fassen. Er spitzt das Ohr, wenn man an ihn denkt.«

Der Spielmann stutzte, warf die Augen umher und sagte halblaut: »Nun, nun! Ihr habt nicht unrecht, man soll den Gottseibeiuns nicht ans Haus malen, er kommt von selbst herein. Doch ist auch nicht alles ein Evangelium, was man bei gutem Weine spricht. Ich wollte nur andeuten daß ich keiner Tonne Goldes willen mit dem Addrich anbinden möchte, zumal in dieser gottlosen Zeit, wo er und die Bauernschelmen im Lande den Meister spielen, ehrlichen Leuten Nasen und Ohren abschneiden und die Bäuche aufschlitzen. Aber sie haben noch nicht alles im Sack, wie im Kopf.«

»Wie wird Euch der Dechant von Aarau empfangen,« fragte der Gutsherr von Groenkerkenbusch, »wenn Ihr mit leerer Hand und unverrichteter Sache zurückkommt? Ein Ehrenmann, wie Ihr zu sein scheint, soll Wort halten.«

»Richtig, Herr Freund, doch Ehrlichkeit geht bei mir zu Lande noch weit über die Ehre. Und ich werde ihm rund heraus sagen: »Man muß machen, wie man's kann, und nicht ungewachsenes Gras mähen wollen. Über Vermögen kann auch der Kaiser nicht.« – Aber Ihr da, hinter mir, macht mir doch den Becher naß; er ist trocken, wie Käfers Loch.«

»Meister,« fuhr der Herr von Groenkerkenbosch fort, »an Eurer Stelle würde ich nicht den weiten Weg vergebens gethan haben.«

»Mag sein . . . doch der beste Jäger und Hund thun manchen vergeblichen Sprung.«

»Junker Mey hätte Euch dafür reich gemacht.«

»Oho, reich! Eine fette Kirchenmaus, eine weiße Schwalbe und einen reichen Spielmann, die drei muß man im Paradiese suchen. Und wenn der ganze Schwarzwald stürbe, glaubt's, Herr Freund, ich würde keinen Tannenzapfen erben. Nein, nein, ich habe kein Glückshäubchen auf die Welt gebracht; und steckte man mir des Moguls Schatz in den Sack, ich brächte Spreu heim.«

»Lasset mit Euch reden, Meister! Erinnert Euch, Addrich ist abwesend und der Paß jetzt für Euch offen. Kehret zum Dechanten nicht ohne das Mädchen zurück. Wagt's noch einmal. Was fürchtet Ihr von Addrich? Er steht, höre ich, an der Spitze der Rottierer und kommt schwerlich mit heiler Haut davon.«

»Herr, der hat's, wie die Katze. Wie man ihn auch werfe, fällt er allezeit auf die Füße. Und wenn er das ganze Land unter und über sich kehrt, er erstickt darunter so wenig, als die Maus unter'm Heu. Nein, nein, ich kenne ihn jetzt und will meinen Balg nicht selbst zum Kürschner tragen.«

»Es könnte aber Leute geben, Meister, die Euch im schlimmsten Fall nicht im Stich lassen würden.«

»O ja doch, wenn der Wagen aufrecht geht, sitzt jeder gern darauf; wenn er umfällt, läuft alles davon. Ich kenne die Welt, Herr, und habe Merk's gegessen.«

Während dieses Gespräches, welches auf gleiche Weise noch lange fortgesetzt wurde, war Fabian stumm und voller Erstaunen, hier zwei unbekannte Personen von Epiphanias Entführung reden zu hören. Beide schienen ihm die Personen zu sein, deren er sich aus Addrichs Erzählungen erinnerte, als er mit demselben von Gränichen nach Suhr und zum Gönhard gegangen war. Wirri, der Bote des Junkers von Rued und dieser Don Nardo, ohne Zweifel jener Unbekannte selbst, welcher das Weib von Seon mit den köstlichen Geschenken ins Moos herübergesandt hatte. Was aber kann den Katholiken und Niederländer bewegen, gemeine Sache mit dem alten Dechanten zu machen? dachte der Jüngling bei sich. Warum beschenkte er Epiphania so fürstlich? Hat er Absichten auf das verlassene Mädchen? Hätte er vielleicht mit seinem Golde den Dechanten geblendet und mit seiner frommen Miene diesen guten Greis überlistet? . . . Fabian, dem das Herz um so gewaltiger pochte, je länger das Gespräch fortgesponnen wurde, verwandte kein Auge von dem rätselhaften Don Nardo. Es war dies ein Mann, der hoch in den Vierzigen zu sein schien, aber auf dem blassen, feinen Gesichte noch alle Züge seines Knabenalters trug. Fein gegliedert, von mäßiger Größe, schlank und gewandt, hätte derselbe trotz seines ergrauenden dünnen Haares und der Glatze auf dem Scheitel unter Umständen noch für einen Jüngling gehalten werden können. Selbst eine etwas wulstige Narbe, die ihm von einer alten Wunde auf der linken Wange geblieben war, entstellte ihn nicht. Noch weniger aber, als das wahre Alter, verriet sein Gesicht die Gemütsart. Es war eines der regelmäßigsten und ausdruckslosesten; diese Mienen schienen niemals vom Sturm der Begierden bewegt worden zu sein. Man hätte schwören sollen, der Mann habe in seinem Leben weder gelacht noch geweint. Man sah ihn beim Reden weder heiterer noch finsterer werden, sondern stets in der gleichgiltigsten Gelassenheit. Nichts regte ihn auf, nichts machte ihn lebhafter. Sogar sein Blick hatte etwas Unteilnehmendes, Erloschenes; seine Stimme etwas Eintöniges und seine Sprache etwas Gedehntes, wie bei einem, dem das Reden Mühe macht. Nachdem Epiphanias Liebling lange Zeit alle Kunst vergebens angestrengt hatte, den Mann und dessen Absichten zu enträtseln, verfiel er auf die List, sich schläfrig zu stellen, um die Plauderer bei ihren Bechern sicher zu machen. Er erhob sich daher gähnend vom Platze, warf umherliegende Bauernkleider, die ihm zum Kopfkissen dienen konnten, in einen Winkel des Zimmers zusammen und legte sich auf den Erdboden nieder, indem er den übrigen gute Nacht wünschte. Damit verfehlte er aber seinen Zweck gänzlich; denn Don Nardo ließ alsbald den Rest der Speisen abtragen und entfernte sich im stillen mit Meister Wirri und den Dienern, um ein Lager auf dem Heuboden zu suchen.

26.
Neue Rätsel.

Der junge Mensch empfing für den Verdruß getäuschter Hoffnung bald volle Entschädigung aus der weichen Hand des Schlafes; die süßeste am Morgen, als ihn die Wünschelrute des Traumgottes in die Feenwelt führte, worin auch der Bettler einen eigenen Palast findet; verwaiste Mütter fröhlich mit verstorbenen Kindern spielen; wo jedem Seufzer der Sehnsucht voll Erbarmens die Erhörung entgegentritt. Es läßt sich leicht erraten, welchem Engel der Jüngling in diesem immergrünen Eden, zwischen den Hochgebirgen, den umrankten Felsenwänden, und den sträubenden Wasserfällen seiner Kindheitsfrühlinge begegnete. Der Traumgott aber schien diesmal gegen den ehrlichen Fabian boshafter oder gefälliger wie jemals zu werden. Denn wie er den Jüngling mit Epiphania zum ehemaligen Lieblingsplätzchen des Mädchens führte, in das Schweigen jenes heimlichen Thales am Ursprung des Simmenflusses, wo unter der nackten, himmelhohen Pyramide des Seehorns, aus schroffer Felswand, sieben krystallhelle Quellen sprudeln, erschrak Fabian zum ersten Male über etwas, das er an seiner schwesterlichen Gespielin noch nie beachtet hatte. Es war der Schrecken des Entzückens, der ihn durchbebte, denn er nahm wahr, sie sei von allen Sterblichen vielleicht die Schönste. Ihre zarte Gestalt schien aus Licht gebaut, so klar, man möchte sagen, durchsichtig, war die irdische Hülle des in ihr wohnenden Überirdischen.

Daß Fabian mit Hilfe eines Morgentraumes erst jetzt zu diesen Erinnerungen gelangen mußte, mag allerdings etwas märchenhaft klingen, doch wohl nur dem, der das geheimnisvolle Treiben der Seele nicht kennt. Der junge Mann hatte in Epiphania immer nur noch eine liebe, treue Schwester gesehen; aber welchem Bruder fällt es ein, von der Schönheit seiner Schwester entzückt zu werden? Fabian zitterte im Traum vor dem Glanze so vielen Liebreizes und sagte: »Faneli, o Faneli, wie ist mir? Wo hatte ich denn sonst die Augen? Wie schön, wie unaussprechlich lieblich bist Du!« Sie aber wandte ihm verdrießlich-lächelnd den Rücken und sagte: »Willst Du mich wieder plagen, Fabi? Können wir nicht ohne Zanken leben? So, wie Du, spricht beständig Renold, und er weiß doch, ich höre es ungern . . .« Und indem sie dieses sagte, siehe, da trat der schöne Schwede, den sie eben genannt hatte, hinter den Gesträuchen am Felsen hervor. Fabian fühlte beim Anblicke dieser Erscheinung in der Brust einen zuckenden Schmerz. Es war der Schmerz der Eifersucht, den er noch nie empfunden hatte. Er erwachte davon. Der Schmerz blieb; aber nicht weniger das Bild von Epiphanias Schönheit. Er richtete sich auf und rieb sich die Augen. Das Licht des Tages drang in blassen Strahlen durch die Spalten des Fensterladens in die ärmliche Bauernstube. Fabian that einen tiefen Seufzer und ging, noch zur Hälfte im Traume befangen, aus der Hütte ins Freie.

Da rief ihm der Anblick des Meistersängers, welcher am Brunnen draußen die Finger kammartig durchs krause Haar strich, die Unterhaltung des vorigen Abends ins Gedächtnis zurück. Fabian trat raschen Schrittes mit dem Morgengruße zu ihm und sagte: »Habt Ihr viel geschlafen, gut geträumt, Meister?«

»Viel und Gut ist nie beisammen,« antwortete Wirri. »Ihr sehts ja wohl, meine Bettfedern waren auf der Wiese gewachsen, und will ich sicher vor hungrigen Kühen wandern, muß ich die Eiderdaunen vom Kopfe schütteln. Unser Herr Donnrian schläft mit seinem schwarzen Teufel, der mich gestern in einen Lumpen verwandelt, womit arme Leute bei gebrochenen Fenstern den Glaserlohn sparen, noch um die Wette. Grüßet alle von mir; ich nehme den Weg unter die Füße.«

»Nur auf ein Wort noch, Meister! Ihr waret unlängst im Moos bei Addrich, Meister: wie nahm Epiphania Euren Auftrag vom Junker zu Rued auf? War er ihr willkommen?«

»Wie dem Blinden der Regenbogen. Ich habe sie nie gesehen, und sie hat mich nie gehört. Hole der Henker den rotnasigen Addrich, der mit ehrlichen Leuten umspringt, wie der Savoyarde mit dem Tanzbären. Wer mit dem was rechts anfangen will, muß ihn tot schlagen.«

»Wollts also nicht noch einmal versuchen, und den Wunsch des Herrn Groenkerkenbusch ausführen?«

»Keineswegs, Herr Freund, ich habe meine Haut nicht gestohlen; trage er die seine zu Markte, wenn sie ihm feil ist. Ich wandere nach Aarau und sage meinem wohlehrwürdigen Herrn Dechanten: für diesmal müssen wir das Plänchen aufgeben. Es gehen viele Wünsche in einen Sack, aber noch mehr ohne Glockenklang ins Grab. Hat die Mauer kein Loch, passiert niemand durch; und kann man den Karren nicht aufhalten, läßt man ihn fahren.«

»Meister, Ihr sprecht wie ein gescheiter Mann. Was aber mag diesem Fremdlinge daran liegen, das Mädchen aus des Moosers Gewalt zu ziehen? Ließ er Euch merken, warum er an Eurer Geschichte so lebhaften Anteil nimmt?«

»Er that freilich, als geschehe es mir zu lieb, und als wolle er mir nur die Leiter ans Ehebett stellen, und es ist wahr, des Dechanten Pate soll schön und tugendhaft sein. Aber es dünkte mir dabei immer, als hörte ich den Fuchs husten, und dachte: man hält manchen für einen Esel, der einen Sack trägt.«

»Weise gesprochen, Meister Wirri! Der Mann wird mir verdächtig und ich vermute fast, er habe das Mädchen irgendwo gesehen und der alte mürbe Zunder habe Feuer gefangen, ohne ans faule Holz seiner Jahre zu denken. Meint Ihr nicht?«

»Wohl möglich. Es will wohl jeder gern alt werden, aber nie alt sein. Doch,

Eine harte Nuß, ein stumpfer Zahn,
Ein junges Weib, ein alter Mann!

Kurz, ich wies ihn zurück und brach das Geschwätz überm Knie ab. Er machte ein Gesicht, als hätte er Sauerampfer gegessen, ließ mich aber in Frieden und wünschte mir »gute Nacht« ins Heu. Gebt ihm dafür einen »guten Morgen« zurück, denn ich habe Eile und trabe nach Aarau, so gut Schusters Rappen laufen mögen. Adjes, Herr Freund, gehabt Euch wohl!«

Bei diesen Worten machte der Spielmann linksum und ging über das Feld davon, ohne sich um Fabians Nachrufen weiter zu bekümmern. Fast zu gleicher Zeit kam auch Herr von Groenkerkenbosch, begleitet von seiner Dienerschaft, zum Vorschein. Er sah den Meistersänger noch in einiger Entfernung laufen und rief ihm ebenfalls nach, aber Herr Wirri schritt unaufhaltsam, ohne umzusehen, fürbaß von dannen. Fabian dagegen, welcher den Niederländer nicht verlassen wollte, ohne vorher ein wichtiges Rätsel gelöst zu sehen, das für seine Ruhe und Epiphanias Sicherheit allzu wichtig schien, trat alsbald grüßend zu ihm und führte ihn, während unbedeutender Reden und höflicher Dankesbezeigungen für die gestrige Gastfreiheit, von der Dienerschaft hinweg, auf die Seite. Dann blieb er stehen und hob ohne Umschweife folgendermaßen an: »Ehe wir uns trennen, Don Nardo, gönnt mir die Antwort auf eine Frage. In welcher Absicht stellet Ihr der Nichte Addrichs nach? Eure mit dem Aarauer Spielmann geführten Gespräche lassen vermuten, es liege Euch viel daran, sie aus den Händen des Oheims in die des Dechanten von Aarau zu bringen.«

»Hm, in der That, ja! Es liegt mir etwas daran,« erwiderte der Herr von Groenkerkenbosch mit gewohnter Gelassenheit, während er jedoch seinen forschenden Blick fest auf Fabians Gesicht heftete. »Ihr selbst habt gestern nicht das schönste Lied zum Lobe jenes Addrich gesungen. Das arme, unschuldige Mädchen erregte meine Teilnahme, ich möchte es frei wissen.«

»Verzeiht, Herr, es scheint, Ihr wünschet mehr, denn Ihr trachtet dieser Jungfrau auf allen Wegen nach und nicht erst seit dem gestrigen Abend. Ihr habt ja der Nichte Addrichs einen köstlichen Schleier, orientalische Perlen und zehn venetianische Dukaten durch ein Weib von Seon geschickt. Fürstliche Geschenke solcher Gattung spendet fürwahr auch kein geborener Verschwender ohne Zweck. Hegt Ihr indessen ehrliche Absicht, so dürfet Ihr sie mir vertrauen, und meine Dienste sollen Euch zu Gebote stehen.«

»Junggeselle,« antwortete der Niederländer, ohne seine Miene im leisesten zu ändern, »daß ich ehrliche Absichten habe, kann ich allerdings beteuern und im Notfalle beweisen; daß ich Euch aber vertrauen soll, dazu bedarf es wohl näherer Bekanntschaft unter uns beiden. Übrigens ist Euer offenes, redliches Gesicht ein guter Kreditbrief. Wenn Ihr mir dienen wollt, werdet Ihr mich dankbar finden.«

»Und was begehrt Ihr, Herr?«

»Nichts als die Befreiung jenes unglücklichen Mädchens aus der Gewalt seines verrufenen Oheims; Befreiung, je eher, desto besser. Noch das eine sage ich Euch: mir gilt bei allem gleich, ob die Verlassene zum Dekan von Aarau, oder anders wohin, oder auch unmittelbar zu mir gebracht werde.«

»Zu Euch, Don Nardo? Kennt Ihr diese Epiphania?«

Der Niederländer betrachtete den Jüngling eine Weile schweigend, und antwortete dann mit fester Stimme: »Ich kenne sie, und sogar sehr genau.«

»Ihr, Don Nardo? Da ertappe ich Euch auf fahlem Pferde. Wenn Ihr sie kennt, wie dürft Ihr Euch einbilden, sie werde den Oheim verlassen, um sich einem unbekannten Fremden auszuliefern? Sie weiß nichts von Euch.«

»Glaubet meinen Worten, Junggesell, sie kennt auch mich.«

Der Herr von Groenkerkenbosch sprach diese Worte mit so zuversichtlichem, ernstem Tone, daß Fabian, dem noch viel anderes auf der Zunge lag, voller Bestürzung verstummte und einen Schritt zurücktrat. Bald aber ging sein Befremden in sichtbaren Unwillen über, mit dem er sich von dem Niederländer abwandte, als wollte er ihn verlassen. Er warf ihm noch von der Seite einen Blick der tiefster Verachtung zu und sagte: »Nun ja, kennen möget Ihr sie; ja . . . der Geier kennt auch die Taube, über der er lüstern in den Lüften kreiset, bis sie sich aus der Sicherheit des Obdachs entfernt; aber die Taube kennt Euch nicht. Nie ist Euer Name zu ihren Ohren gekommen, nie von ihren frommen Lippen gefallen. Wisset, ich bin Epiphanias Bruder!«

Fabians Heftigkeit brachte den kalten Niederländer nicht aus der Fassung. Dieser erwiderte mit einer Gleichgültigkeit, als wäre von Wind und Wetter die Rede: »Junggesell, zahlt meine Aufrichtigkeit nicht mit Unwahrheit; ich kenne, wenn schon ein Fremder, Eure falsche Münze. Epiphania hat keinen Bruder.«

»Wenn auch keinen leiblichen,« erwiderte Fabian, und fühlte sich vor dem, der ihm mit Recht einer Lüge zieh, etwas verlegen, »aber,« fuhr er noch ungestümer fort, um sein Unrecht zu verdecken, oder weil sich neuer Verdruß zum vorigen Unwillen gesellte, »was habe ich mit Euch zu schaffen, oder welche Pflicht, Euch mein Verhältnis zu dem Mädchen zu offenbaren?«

»Gemach, gemach, Junggesell, ich begehre durchaus Euer Vertrauen nicht. Wer Ihr seid, läßt sich erraten; Ihr möget ohne Zweifel der verlobte Bräutigam sein. Die Schilderung, die man von Euch entworfen hat, war nicht ganz ungetreu. Mit einer kecken Gestalt und einem Gesichtchen, wie das Eure, läßt sich das Herz einer Jungfrau zur Not schon anfechten.«

»Ich hoffe,« sagte Fabian drohend und trat rasch ein paar Schritte näher, »ich hoffe, es wird Euch nicht belieben, Spott zu treiben?«

»Im Gegenteil, junger Mann,« entgegnete der Niederländer mit unveränderlichem Gleichmut, »ich weiß dem Glücke Dank, das uns beide unverhofft zusammenbrachte. Wir wollen einander näher rücken. Wenn Ihr mir zum Ziele helfet, vielleicht . . . . helfe ich Euch zu dem Eurigen. Erlöset Epiphania, dann wollen wir weiter sehen.«

»Ihr haltet uns hier zu Lande, scheints, insgesamt für sehr alberne Teufel. Gestern sprachet Ihr ungefähr auch auf diese Weise mit dem Spielmanne. Wer hat Euch Macht über die Hand Epiphanias eingeräumt?«

»Das könnt Ihr künftig erfahren, und, zählet darauf, am wenigsten wird mir Eure einstweilige Braut selbst diese Macht versagen.«

»Nun ists genug, Herr von Groenkerkenbosch, nun genug, kein Wort mehr, daß ich mich an Euch nicht versündige,« fuhr Fabian auf und seine Augen flammten von stolzem Zorn. »Wer seid Ihr, daß Ihr es waget, Eure Kurzweil mit mir zu versuchen?«

»Gemach, Junggeselle, gemach. Es ist hier um nichts weniger als um Kurzweil zu thun. Ihr solltet es meinem Ernste ansehen, daß mich der Mutwille nicht sticht. Wer Ihr seid, weiß ich, aber wer ich bin . . .«

»Weiß ich! Ein spanischer Niederländer, der mit seinem Geldsack meint, im Schweizerlande den Meister spielen zu können; ein Katholik, vielleicht ein verkappter Pfaff, der eine hübsche Nichte in seinen Haushalt braucht. Packt Euch, ehe Euch dieser Arm den Nacken bricht, und sucht für das Keuschheitsgelübde ein Wundpflaster unter Euren eigenen Heiligen!«

»Junger Mensch,« rief Don Nardo, indem die Unbeweglichkeit seiner Gesichtszüge plötzlich endete und in finstern Mißmut überging, »junger Mensch, ich gestatte Eurer unbesonnen Hitze, mich zu lästern, aber lästert nicht Brauch und Glauben einer Kirche, der anzugehören Ihr würdig seid. Ihr verkennet mich, aber ich verkenne Euch nicht. Ich will Epiphanias Glück . . . bei Gott und allen seinen Heiligen . . . ihr zeitliches und ewiges Wohl, und könnte es geschehen, mit dem ihrigen das Eurige.«

»Was?« rief Fabian, ärgerlich lachend. »Mein ewiges, ihr ewiges Wohl? Am Ende also treibt Ihr nur theologisches Kuppelgewerbe; abenteuert umher, Proselyten und Konvertiten zu machen? Ich rate Euch wohlmeinend, wahret Eure Haut im Lande Bern, und lasset den Dechanten von Aarau nicht wittern, welch ein Seelenjäger Ihr seid: Eure Heiligen würden Euch nicht vor Schandpfahl und Pranger erretten.«

»Brechen wir ab!« sagte Don Nardo mit völlig wiedergewonnener Kaltblütigkeit. »Ihr führet im Nebel vergebliche Streiche. Bleibet ohne Kummer um Euren Glauben; ich will ihn nicht in Versuchung führen. Ist es der Wille des barmherzigen Gottes, die Verirrten zur Wahrheit des ewigen Lebens in den Mutterschoß der Kirche zurückzuführen, so bedarf es meiner nicht. Ich wäre das allerunwürdigste Werkzeug seiner Hand. Ebenso bin ich ohne Kummer für Addrichs Nichte, Eure Braut. Was ich von ihr weiß, verkündet, sie ist dem Glauben, der allein selig machen kann, wohl nicht so fernstehend, als Ihr Euch einbildet. Ein frommes, helles, nach innerer Seligkeit dürstendes Gemüt, wie das ihrige, kann und wird der rufenden Mutter, wenn sie deren Stimme hört, nicht lange widerstehen. Doch das beiseite, Junggesell; besänftigt Euren unnützen Argwohn und vergeblichen Zorn. Ihr verkennet mich. Leistet mir diesen Tag noch Gesellschaft, und ich zweifle nicht, wir können Freunde werden. Dann helfe ich Euch an Eurem Glücke bauen. Wir wollen noch manches Wort von Eurer Verlobten reden; es warten wichtige Dinge auf sie, wovon Ihr selbst sie unterrichten könnt. Ihr selbst vielleicht führet sie mir zu, wenn Ihr das wahre Wohl dieser armen Waise so wünschet wie ich.«

»Da sei Gott für!« rief Fabian. »Was habt Ihr und das Mädchen miteinander gemein? Das fühle ich wohl, was es auch mit Euch sei, ganz richtig steht's bei Euch nicht, trotz Eures achtbaren Ansehens. Wo aber auch der Schalk bei Euch wohne, im Kopf oder im Herzen, Ihr sollet gewarnt sein. Hütet Euch, einer Jungfrau nachzuschleichen, mit der Ihr rechtlicher Weise nicht zu verkehren habt. Bei meiner Seele Seligkeit gelobe ich's, begegne ich Euch auf verbotener Straße, treffe ich Euch je in der Nachbarschaft vom Moos oder von Aarau, so habt Ihr Euer letztes Ave gebetet. Ihr wisset nun; ich bin ein Mann von Wort, und damit gehabt Euch wohl!«

Fabian wollte davoneilen, doch Don Nardo ergriff ihn hastig beim Arm und rief: »Es ist ein Mißverständnis zwischen uns. Ihr stoßet Euer Glück von Euch!«

Der Jüngling schleuderte den Niederländer von sich und sagte: »Fort! Mir grauet vor Euch, wie vor Satan, dem Versucher in der Wüste!«

»Vor mir?« sagte Don Nardo mit einem Zuge des Unwillens im Gesichte, welcher durch eine Art spöttischen Lächelns gemildert wurde. »Ihr müsset fürwahr ein schlechter Soldat gewesen sein und in Euren schwedischen Diensten wenig von Welt und Menschen gesehen haben. So lebt wohl, Herr Hauptmann, und vergesset die Nichte Addrichs! Sie ist für Leute Eures Schlages von Gott nicht geschaffen.«

Fabian betrachtete ihn von der Seite und sagte: »Ihr irret Euch, wie es scheint, gar sehr in meiner Person,«

»Jetzt nicht mehr; nur einen Augenblick vorhin, Junggesell, als ich die Trommel für eine Kartaune ansah, da betrog sich mein kurzes Gesicht. Genug davon! Ziehet mit Gott!«


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