Heinrich Zschokke
Addrich im Moos
Heinrich Zschokke

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5.
Eine neue Sendung.

Die auf dem Berge gehabte Erscheinung beschäftigte ohne Zweifel den Gedankenlauf des Junkers Mey nicht weniger, als den des Meistersängers. Letzterer wenigstens konnte den ganzen Abend nicht fertig werden, dem Verwalter beim Weinglase das kurze Abenteuer im Walde zu beschreiben

»Ich dachte sogleich,« sagte er beim Abendessen, wo er der vollen Schüssel ebenso tapfer, als der Weinflasche zusprach, zu dem Verwalter, »ich dachte sogleich, hier ist's nicht richtig. Der Junker Oberherr hätte mit dem Schweden gar nicht anbinden sollen, denn man muß nicht anfangen, was man nicht zu Ende bringen kann. Der Oberherr wurde hitzig und ging zu weit, er mußte nicht befehlen, wo er das Gehorchen nicht gebieten konnte.«

»Bei dem allen, Meister Wirri,« bemerkte der Verwalter und schüttelte ungläubig den Kopf, »werde ich aus Euren Berichten nicht klug.«

»Meint Ihr, Herr Verwalter, ich gebe Euch Mäusedreck für Pfeffer?« fiel ihm der Spielmann beleidigt ins Wort. »Es wird sich zeigen, wer recht hat. Was meine Augen gesehen haben, das habe ich gesehen. Ein blos natürlicher Mensch hätte sich nicht unterfangen, eins gegen zwei zu stehen, und dem Junker Oberherrn so frech zu antworten . . . oder seid ihr ein Freigeist?«

»Wenn Ihr mir geneigtes Gehör schenket,« erwiderte der Verwalter, »so gebe ich Euch mein mutmaßliches Gutachten über den Vorfall. Entweder, oder! Ist es nicht – wofür Gott sei! – der Teufel selbst gewesen, der den Oberherrn und Euch necken wollte, so war's vielleicht einer der Rebellen, die, dem Himmel sei's geklagt! den Untergang aller, von Gott eingesetzten Obrigkeit bezwecken. Was mir den Kerl am meisten verdächtig macht, ist der nicht außer acht zu lassende, merkwürdige Umstand, daß ihn niemand von uns bei seinem Vorbeireisen auf dem Platze bemerkt hat.«

»Das sage ich ja,« rief Wirri, »eben da liegt der Hase im Pfeffer.«

»Folglich und also,« fuhr der Verwalter fort, »hat der lose Bursch einen Schleichweg durch den Wald eingeschlagen, um dem Schlosse auszuweichen«

»Was?« fiel ihm der Spielmann noch verdrießlicher in's Wort. »Bildet Ihr Euch ein, daß wir zwei, der Junker und ich, vor einem gewöhnlichen Menschen zurückgetreten wären, trotz der blanken Plempe, die er im Arme trug? Nein, Herr, glaubt es, unser Herrgott hat wunderliche Kostgänger zwischen Himmel und Erde, und es ist nicht alles ein Bauernhaus, was ein Dach hat. Bildet Ihr Euch ein, der Junker Oberherr sei im Kote hangen geblieben, als er der Gestalt nachsetzen wollte und nicht von der Stelle konnte; oder ich sei von Eurem halben Maß Elsaßer geköpft gewesen, daß ich zehn Schritte zurücktaumelte, als mich die Feueraugen anglotzten?«

Es war schon spät, als ein Diener des Oberherrn erschien und den Meister von Aarau noch einlud, sich in dessen Zimmer zu begeben. Obwohl Wein und Müdigkeit die Macht seiner Sinne so sehr geschwächt hatten, daß das holzschnittartige Gesicht des Verwalters nur unkenntlich, wie ein grauer Schatten, vor den halbgeschlossenen Augen des Spielmanns schwamm, machte diesen die unerwartete Botschaft plötzlich nüchtern. Er folgte dem Diener, der ihm die steinerne Treppe hinaufleuchtete und eine Seitenthür öffnete.

Der Oberherr saß in einem kleinen dunkeln Zimmer vor dem Kamin, dessen fast erloschenes Kohlenfeuer kaum die Sohlen der übereinandergeschlagenen Füße beleuchtete. Seitwärts glimmte eine Lampe, deren sterbender Schein das Tischchen kaum gewahr werden ließ, auf welchem Papiere umherlagen und auf welches der Junker den Arm lehnte, dessen Hand ihm die Stirn stützte. Wirris Eintritt erweckte ihn aus der träumerischen Selbstvergessenheit. Er erhob sich schweigend vom Sessel, nahm vom Gesims einen schweren silbernen Armleuchter, dessen Wachskerzen sich noch eben am letzten Aufzucken des Lampenlichts entzündeten; dann warf er einige Scheite dürren Holzes zu dem Feuer. Bald stand das ganze Gemach in freundlich-heller Beleuchtung, so daß die Vergoldung der Ränder in den Feldern des Getäfels an der Wand und Zimmerdecke im angenehmen Wiederglanz schimmerte.

»Meister,« sagte nach einigem Besinnen der Oberherr, »ich hatte den Brief ganz vergessen, den Du mir vom Dekan Nüsperli von Aarau mitgebracht hast. Eben fand ich und las denselben. Er ist mir verschiedener Umstände wegen wichtig. Ich habe alles Vertrauen zu Dir; Du kannst mir Dienste leisten und Du wirst mit meiner Erkenntlichkeit zufrieden sein. Du bist ein Mann von Kopf, der seine Aufgaben zu lösen weiß, und wo es gilt auch verschwiegen zu sein versteht.«

»Wie der Spiegel, dems Glas fehlt, denn mit Schweigen verredet sich niemand, und man hat sich eher verredet, als verthan, wie ich gar wohl weiß, Junker Oberherr!«

»Bist Du in der Gegend des Schlosses Trostburg, in den Dörfern Teufenthal oder Dürrenäsch bekannt?«

»Die Trümmer der Trostburg habe ich wohl gesehen, wenn ich am Schlosse Liebegg vorüber ins Thal nach Kulm ging. Sie ist mit den breiten Mauern, links auf dem Felsenhügel, am Eingange eines unbekannten Nebenthales recht malerisch gelegen. Die verfallenen Gemäuer scheinen nur von den Ranken des Epheus zusammengehalten zu werden.«

»Gut! Am Fuße des Schloßberges, unten, liegt Teufenthal, und zwischen die Berge hinein, im hintersten Winkel, fast auf der Höhe, das Dorf Dürrenäsch.«

»Es mag wohl sein, denn der Mensch hat oft sein Nest, wo es der Bär nicht mochte.«

»Hörtest Du nie von einem gewissen Addrich im Moos reden, der in jener Gegend wohnt? Er ist der reichste Bauer dort umher.«

»Ich erinnere mich des Menschen nicht. Vielleicht hörte ichs, vielleicht nicht. Kein Kornhaus ist groß genug, um alles zu behalten was durch die Ohren geht.«

»Man sagt wunderliche Dinge von ihm. Er soll sein Vermögen nicht auf rechten Wegen gewonnen haben; mit bösen Geistern Umgang pflegen; bildschöne Weibsbilder bei sich haben, und dergleichen. Das heißt, so geht von ihm die Rede im Volke.«

»Behüte uns, meint Ihr den? Es wohnt in dortiger Gegend einer, von dem allerlei Sage umlief, als vor mehreren Jahren die Landstraße nach Luzern unsicher war. Man will überall lieber seine Fersen sehen, als seine Klauen. Er soll vordem ein armer Lump gewesen, in einer Nacht aber steinreich geworden sein. Es heißt, der Schatz in der Trostburg sei von ihm gehoben; aber es habe das Herzblut und Leben von einem unschuldigen Christenkinde gekostet. Seitdem sei es auf der Trostburg still und gehe nicht mehr darin um. Wenn mir der Kerl im Walde begegnete, ich schlüge ein Kreuz und machte einen Umweg bis über Konstantinopel.«

»Du wirst doch das Alteweibergewäsch nicht glauben, Heini?«

»Ich glaubs zwar nicht ganz, aber, Junker Oberherr, gemein Geplärr, ist selten leer, sagt man. Auch von den schönen Weibsleuten habe ich vernommen, mit denen es nicht ganz richtig ist. Es heißt, die eine wisse alle Dinge der Zukunft, und die andere alle Dinge, die unter der Erde sind. Ja, schön sollen sie sein, aber es giebt Leute, welche behaupten, sie wären keine natürlichen Menschen.«

»Und was wären sie denn?«

»Luftbilder, Erdgeister, des Teufels Konkubinen, was weiß ich, wer?«

»Nun so siehe denn die Albernheit des Pöbels! Das eine der Mädchen ist des Addrichs wirkliche Tochter, die eine unheilbare Krankheit und sonderbare Zufälle hat. Das andere kenne ich selbst: es ist die Tochter von des Addrichs verstorbenem Stiefbruder. Sie heißt Epiphania, oder, wie man sie kurzweg nennt, Fanely und Fania. Der Dekan zu Aarau ist ihr Taufpate; ihr Vater war Amtschreiber und des Dekans Schulkamerad gewesen. Der ist vor einigen Jahren an der Lenk, im Obersimmenthal, wohin er sich in seinem Schwermut zu einem Freunde zurückgezogen hatte, nachdem er durch allerlei widrige Verhältnisse seiner Stelle verlustig geworden war, gestorben. Nun siehst Du, Meister, was vom Volksgeschwätz zu halten ist.«

»Richtig! Ein Jüngling kann viel lügen, aber zwei Zeugen lügen tausendmal mehr. Die Leute reden viel in den Tag hinein; das ist richtig. Die Fanely mag ein frommes Kind sein, wenn auch niemand den Mann lobt, unter dessen Dach es wohnt. Veilchen wachsen ja auch im Unkraut.«

»Höre mich an. Der Dekan von Aarau meldet mir mit großer Besorgnis und Unruhe, daß es mit Addrich im Moos unsicher stehen soll.«

»Was schnell aufgeht, fällt schnell wieder ab.«

»So ists nicht gemeint, Meister! Der Dekan will Nachricht haben, daß Addrich im Moos zu den Rebellen gehöre, oder sie unterstütze. Es sei der Aufruhr im Aargau nahe am Ausbruch, und Addrich sei der Haupträdelsführer, wie man sage. Mir kommts nicht unwahrscheinlich vor, denn der Kerl ist ein Meuterer von Haus aus. Dem ehrwürdigen Dekan ist in dieser Verwirrung, zumal wenn Kriegsvölker einziehen sollten, um das Schicksal der jungen Epiphanie bange und er beschwört mich, kein Mittel unversucht zu lassen, die verwaiste Tochter seines Freundes aus des Addrichs Klauen zu retten und sie zu ihm nach Aarau in Sicherheit zu bringen. Du begreifst aber, Meister Heini, das Kind ist in Aarau nicht geborgen. Wer kann wissen, wie weit im ersten Augenblicke die Verwegenheit der Rebellen, oder wie weit ihr Glück geht? Gesetzt sie brächen in die Stadt ein und gäben sie ihrer Wut preis – oder Addrich selbst wäre mit ihnen – Epiphania würde abermals unglücklich, und den geistlichen Herrn würde weder die Heiligkeit seines Amtes, noch das weiße Haar seines Hauptes vor der Rache des wilden Addrich schützen.«

»Das wäre zu fürchten, denn Zorn und Rache gehen nicht lange zu Rat.«

»Wie es kommen möge, wir müssen Epiphania retten. Das Kind soll zu meiner Familie nach Bern, in mein Haus, bis das Land wieder ruhig ist. Es ist ein reiner Engel an Seele und Gestalt. Willst Du mir helfen, solls Dich nicht gereuen. Erkläre Dich; es muß hier gehandelt werden, und sollte es hundert Gulden kosten.«

»Junker Oberherr, ich bin von jeher Euer gehorsamer Diener gewesen, und laufe für Euch durchs Feuer; aber in diesem Punkte helfen, da sehe ich das Wie nicht. Und wer das Wie nicht weiß, der findet des Juchhei nicht.«

»Ich gebe Dir morgen einen Brief an Epiphania. Du bist Spielmann, wanderst aller Orten wohlgemut umher; niemand achtet auf Dich. Von meinen Leuten aber kann ich keinen senden, denn jeder kennt diese, und einem Bauer vertraue ich nicht . . . Du wärest von allen Boten der beste. Also Du nimmst einen Vorwand, gehst ins Haus, suchst eine Gelegenheit und steckst dem Mädchen heimlich einen Brief zu, ohne daß Addrich oder sonst jemand davon Ahnung bekommt. Ihr beredet mit einander die Flucht über den Bergrücken durch den Wald nach dem Schlosse Liebegg; da haltet Ihr Euch verborgen, bis ich Epiphania abholen lasse. Ein Brief an den Junker Graviset aus Liebegg soll Dir gute Aufnahme sichern.«

»Ich wollte, ich säße schon dort! . . . Aber wenn die schöne Jungfrau Epiphania Laune hätte, mir einen Korb zu geben und nicht mit mir auf und davon wollte, was dann?«

»Dafür laß den Brief sorgen, den Du ihr von mir einhändigen wirst.«

Meister Wirri schien nicht besondern Hang und Beruf zu der neuen Sendung in sich zu fühlen, die ihm übertragen werden sollte. Indessen siegte zuletzt doch die Beredsamkeit des Oberherrn, und vielleicht mehr noch dessen Freigebigkeit, die ihm, als Vorschuß zu allfälligen Ausgaben für sich und Epiphania, einige Thaler in die hohle Hand fallen ließ, und versprach, nach gelungener Ausrichtung des Auftrags, den Meistersänger von Kopf bis zu Fuß neu zu kleiden. Doch muß die ganze Wahrheit gesagt werden. Es saß noch ein heimlicher Schalk in dem Herzen des Meistersängers, welcher ebenfalls ein Wörtchen für das Wagestück des Abenteurers hinzulegte. So oft nämlich der Oberherr von Epiphania sprach – und er mußte wohl, damit Heinrich Wirri sie genau kenne und mit keiner andern verwechsele – empfing die Beschreibung unvermerkt jenen lebhaften Farbenglanz, mit welchem zartfühlende und gute Menschen gern das Edle und Schöne schmücken, besonders wenn es fern ist, und die Gegenwart sich nur gemein zeigt. Es fehlte nicht, Wirris dichterische Einbildungskraft mußte in Flammen geraten. Er sah das Schönste des Schönen in Epiphanias jungfräulichen Reizen lebendig vor seinen inneren Sinnen schweben, und die lieblichsten Möglichkeiten und mancherlei daraus hervorsprossende Entwürfe benebelten ihn fast mehr als der Wein des Verwalters. Wirri war ein alter Junggesell, und man weiß was das zu sagen hat; dazu Dichter und mithin geborener Anbeter des Erhabenen und Schönen. Gleichwie der Oberherr zuweilen, wenn er von Epiphanias ganz eigentümlicher, wunderbarer Gemütsart redete, seines Zuhörers zu vergessen schien, so vergaß dieser hinwieder eben so oft des Redenden, sah nur das Liebliche im Schimmer der Anmut, sah den Seufzer und die Thräne der verlassenen und verlorenen Waise; fühlte sich dann als ihren Erlöser aus des Hexenmeisters Gewalt, und von ihrem Freudenblick belohnt. Seine Phantasie rechnete noch weiter. Die Dankbarkeit der Geretteten, ihre Anmut näherten sie den geheimen Wünschen des entzückten Befreiers. Konnte es zuletzt fehlen, daß der edelmütige Oberherr von Rued, der Pate zu Aarau und mancher andere Gönner eine reiche Aussteuer zusammenlegen und die stattlichste aller Hochzeiten anstellen würden?

»Ja, ja, Heini,« sagte der Oberherr, als ihn der Meistersänger wieder anhörte, lächelnd mit dem Finger drohend, »nimm Dein Herz in Obacht und blicke der Fanely nicht zu tief in die hellen Augen, sonst ists um Meister Wirris Ruhe gethan.«

»Ei, behüte uns!« rief stotternd der Meistersänger. »Euch beliebt mit mir zu scherzen. Nicht doch!

Jungferngunst und Harfenklang
Dünkt wohl gut, doch währts nicht lang.

Darüber bin ich längst hinaus; ich denke an solchen Firlefanz der jungen Welt nicht mehr. Nein, nein, in der Liebe ist wahrlich nicht alles Zucker,

Frauenlieb' ist fahrende Hab'.
Röslein heut und morgen Schabab.

Drum, will ich im Paradiese bleiben, darf ich keine Eva haben.«

Unter diesen Gesprächen war die Mitternachtsstunde herangekommen. Der Oberherr verhieß ihm auf den folgenden Morgen die Briefe.

6.
Gute Gesellschaft.

Obwohl der Meistersänger bis tief in das Licht des Tages hinein schlief, und erst spät erschien, fand er die Schreiben doch nicht ausgefertigt. Er zürnte nicht, seine Abreise verzögert zu sehen, teils weil er, obwohl vergebens, Zeuge des Schauspiels zu werden wünschte, welches ihm der schwedische Schweizer geben sollte, wenn derselbe gefangen eingebracht werben würde, teils auch, weil die Zeit der Morgenmahlzeit herannahte, was man in unsern Tagen Mittagsmahl zu nennen pflegt.

Die gestern ausgesandten Boten kamen endlich zurück; aber von der Person, welche sie hatten aufsuchen sollen, war weithin nirgends eine Spur gefunden worden. Dagegen dampften um halb elf Uhr die Schüsseln auf dem Tische des Verwalters und Wirri nahm bereitwillig den ihm angewiesenen Ehrenplatz beim Mahle ein. Die Unterhaltung drehte sich vorzüglich um den verschwundenen Zögling des Helden Torstenson. Wirri, der, was er gestern durch das Feuer des Weines als Wunder erkannt, jetzt nüchtern allen Ernstes glaubte, verbarg dem Verwalter seinen Triumph darüber nicht, in dem auf der Berghöhe erschienenen Krieger ein übermenschliches Wesen vermutet zu haben. Auch der Verwalter war nicht mehr weit davon, diesem Urteile des Spielmannes beizustimmen, der vermöge seines Berufs Gelegenheit gehabt hatte, mancherlei in der Welt kennen zu lernen, was das Ruederthal nicht kannte.

Indessen, die Morgenmahlzeit war beendet. Der Oberherr übergab dem Meistersänger die verheißenen Briefe, erteilte ihm unter vier Augen einige Belehrungen, und entließ ihn mit Glückwünschen für das Wohlgelingen der Sendung.

Langsamen Schrittes bestieg dieser den Berg, und ging nicht ohne heimliches Grauen an der Stelle im Walde vorüber, auf welcher er und sein Absender den gestrigen Auftritt erlebt hatten. Er fürchtete, jeden Augenblick das furchtbar-schöne Antlitz des Schweden aus den dichten Gesträuchen hervorblicken zu sehen, doch ohne Abenteuer zog er durch den Wald, und dann auf der andern Seite zwischen Wiesen und Äckern hinab, ins heitere Kulmerthal. zum Dorfe. Hier erquickte er im Wirtshause sein müdes Gebein billigerweise noch einmal durch Speise und Trank, und nebenbei auch nicht ohne Nutzen für den Zweck seiner Reise. Er erfuhr nämlich von dem übrigens wortkargen Wirte den Aufenthalt des Addrich bestimmter. Die Wohnung dieses Mannes, über dessen Wesen sich aber der Wirt durchaus nicht, weder im Guten noch Bösen äußern wollte, mußte, den Angaben zufolge, oberhalb Teufenthal, unweit Äsch, in einer Bergschlucht, die man »im Moos« nannte, und welche sich ostwärts zwischen Tannenwäldern ausbreiten sollte, gelegen sein. Ehe sich Addrich dort angesiedelt habe, sei, wie der Kulmer Wirt berichtete, jenes schmale Thal ein ungeheurer Sumpf gewesen, daher vom gegenwärtigen Besitzer um Spottgeld erworben, und seitdem in das schönste Wiesenthal verwandelt worden. Dann habe er an der Berghalde, ganz versteckt im Walde, ein Haus gebaut, so schön als irgend eins im Dorfe.

Als hier nichts mehr zu erforschen blieb, setzte der Wanderer, welchen der Wirt immerdar nur von der Seite und, wie es schien, nicht ohne Argwohn, angehört und beobachtet hatte, und sogar später als er gewollt, den Weg durchs Thal fort. Es dunkelte der Abend schon, als er an den Trümmern des Schlosses Trostburg vorüberging und in das Seitenthal ausbog, wohin ihn seine Sendung rief. Ein frostiger Nebel strich an den Bergen hin und machte die unbekannte Gegend noch unheimlicher. Der Meistersänger, dem eine gute Herberge keine gleichgültige Sache war, und der nicht ganz ohne Grund bezweifelte, in diesem abgeschiedenen Winkel der Welt ein schmackhaftes Abendessen zu finden, überlegte schon, ob es nicht geratener sei, umzukehren und die Entführung der schönen Epiphania auf den folgenden Morgen zu verschieben, denn wie dringlich ihm auch der Oberherr das Geschäft gemacht hatte, sah er doch mit jedem Schritte vorwärts die Zahl der Bedenklichkeiten zunehmen, und weitaus nicht so große Gefahr im Verzuge als in der Übereilung.

Er schwenkte wirklich wieder links, um den Rückweg zu ergreifen, blieb aber, als er hinter sich sah, wie Loths Weib versteinert stehen. Ein riesige Männergestalt, die um anderthalb Kopflängen über ihn wegsah, wie ein Bauer in einem grauen Zwillichwamms, mit weiten, faltigen, bis auf Knie reichenden Pluderhosen, stand unmittelbar vor ihm. Die nächtliche Dämmerung erlaubte ihm, das Gesicht des gewaltigen Kopfes, der zwischen den breiten Schultern emporragte, deutlich zu erkennen. Es lag in dem Gesichte allerdings etwas, was einige Besorgnis erregen konnte; ein Ausdruck von Finsternis, Härte und Wildheit, der durch die hervorstehenden Backenknochen, durch den zottigen Knebelbart unter der weit vorspringenden Nase, durch die breiten, so recht zum Zermalmen geschaffenen Kinnladen nicht wenig gehoben wurde. Am abschreckendsten blieben aber die unter buschigen Augenbrauen hervorstierenden Augen, welche aus einem scharlachroten Ringe wirklich durchbohrende Blicke sandten.

»Wohin des Weges, Landsmann?« fragte mit kräftiger, doch etwas heiserer Stimme der Mann, dessen Alter den Sechzigen nahe zu kommen schien.

»Ich gedachte nach Äsch zu gehen, wo ich Geschäfte habe,« antwortete der Spielmann, »doch ist's vielleicht noch weit dorthin; ich bin des Weges unkundig und in der hiesigen Gegend unbekannt; auch wird's schon dunkel, und die Nacht ist keines Menschen Freund.«

»Der Ort ist nicht so weit von uns; ich gehe auch dahin und begleite Dich. Komm nur mit mir!«

Der Meister gehorchte unwillkürlich. Er trabte an der Seite des bäuerischen Herkules, wie er ihn in Gedanken nannte, wieder thalaufwärts.

»Nach der Arbeit will man ruhen,« sagte Wirri. »Das Thal macht eben keinen gastfreundlichen Eindruck und es entsteht die Frage: ist hier zu Lande die Kochkunst schon entdeckt und das Wirtshaus schon erfunden?«

»Ich will Dir eine gute Herberge nachweisen, in der kein Junker Einkehr zu halten Bedenken tragen wird.«

»Das läßt sich hören! Ich möchte die Wurst nicht im Hundestalle suchen. Der Mensch und die Uhr, wenn sie gehen sollen, müssen aufgezogen sein. Ich habe meinen Teil Weges heute schon gemacht.«

»Kommst also weit her?«

»Wie man's ansieht und nimmt, guter Freund! Eigentlich, siehst Du, komme ich von Aarau; ich bin der Meistersänger und Spielmann Wirri. Vielleicht haben Dir schon Ehrenleute von mir erzählt, denn ich bin aller Welt bekannt. Nun wirst Du behaupten, von Aarau bis hierher seien keine hundert Stunden. Aber, guter Freund, kurze Beine machen den Weg lang.«

»Das ist gewiß, und der Ruederberg, von dem Du sprichst, ist keine Ebene.

»Habe ich vom Ruederberg gesprochen? Da ist mir's wie Jenem ergangen, der sich im Dunkeln versprach und bei hellem Tage des Teufels Großmutter heiraten mußte.«

»Der Junker Oberherr ist doch wohlauf? Ich kenne ihn sehr gut. Das ist mir ein kreuzbraver Herr, wie wenige im Lande sind. Für den liefe ich der Hölle durch den Rachen. Er ist doch wohlauf, der gute Herr? Oder kennst Du ihn nicht?«

»Oho, ich ihn nicht kennen! Ich bin bei ihm zu Hause wie sein eigenes Kind. Zu seiner Hochzeit machte ich einen Spruch, der wert war auf Seide gedruckt zu werden. Komme ich aber auch nach Rued, so heißt's: aufgeschüsselt, daß die Tische krachen! Und Du weißt wohl. guter Freund, nachdem der Gast ist, richtet man an.«

»Ich wäre an Deiner Stelle über Nacht bei ihm geblieben. denn Bauernküche ist keine Schloßküche.«

»Richtig, guter Freund, aber alles in der Welt hat seinen Haken und Ehr' hat Beschwer. Unsereins hat noch andere Geschäfte, als mit Gabel und Löffel.«

»Ich denke es auch; vielleicht Aufträge vom Schlosse Rued. Ich merke wohl, Du bist ein Gelehrter, und der ist großen Herren immer willkommen.«

»Nun ja, guter Freund, es geben freilich nicht alle Lumpen Papier. Es ist wahr, der Junker schenkt mir Vertrauen, aber er weiß auch, wen er an mir hat. Und wäre er mir nicht so lieb. ginge ich wohl anderswo spazieren, als auf diesem holprigen Wege, der übrigens zum Beinbrechen ganz bequem eingerichtet ist.«

»Ich werde ihm morgen Deine Freundschaft zu rühmen wissen, denn in der Frühe bin ich zu Rued. Die Bauern hier umher sind nicht drei Kreuzer wert; er muß das wissen. Alle wollen es mit den Luzerner Rebellen halten, und es ist nicht recht, daß man die hohe Obrigkeit im Stiche läßt. Es sind sogar schon . . . . aber, nun, es bleibt dabei. Ich kenne Dich nicht, doch hoffe ich, Du wirst reinen Mund halten und nicht verraten, was Du jetzt gehört hast, sonst wäre ich meines armen Lebens nicht sicher.«

»Fürchte Dich nicht, guter Freund! Ich bin ein ehrlicher, verschwiegener Mann. Zwar haben wir noch keinen Scheffel Salz mit einander verzehrt, aber wer nicht traut, dem ist nicht zu trauen. Rede nur! Ich merke schon, wir gehen einerlei Weg, und was Du mir sagst, das sagst Du dem Junker Mey. Also wag's und laß Gott walten!«

»Laß es nur gelten, Spielmann, ich bin ein einfältiger Bauersmann und könnte mich leicht um den Hals reden. Dir aber rate ich, vertraue Dich hier im Thale keiner Seele, und wenn die Leute auch die gute Zeit und die hohe Obrigkeit in den Himmel erheben.«

»Höre Nachbar, ich wäre ein böser Brunnen, wenn Du noch Wasser hineintragen müßtest. Ich traue keinem weiter, als ich ihn sehe, und weiß wohl, viele loben die alte Welt, thun aber, was der neuen gefällt. Ich kenne Deine Bauern hier zu Lande von innen und außen besser, als Du glaubst; in wenigen Tagen sollen sie aber anders pfeifen lernen.«

»Das wolle der Himmel geben, und lieber heute als morgen. Ich sehe nun wohl, Du meinst es ehrlich. Die Herren von Aarau sind mir jederzeit lieb gewesen, und wenn ich Dir und dem Junker Mey worin dienen kann mit Rat und That, so . . . aber verraten darfst Du mich nie!«

»Sollte ich zum Verräter werden, möchte ich mich lieber vorher hängen als nachher. Dein Anerbieten ist ehrenwert, guter Freund, und es ließe sich Gebrauch davon machen. Siehst Du, wer eine Geiß eingenommen hat, der muß sie hüten, und so geht's mir. Du kannst dem Junker und mir einen großen Dienst leisten; es würde Dein Schaden nicht sein.«

»Ich verlange nichts, und thue, als treuer Unterthan, nur meine Schuldigkeit gegen die hohe Obrigkeit. Das weiß Gott!«

»Nichts da, ein Dienst ist des andern wert. Doch sage mir das Eine erst: kennst Du hier in der Nachbarschaft den reichen Addrich?«

»Rede nicht so laut!«

»Warum?«

»Er ist allenthalben, sagt man.«

»Wahrhaftig . . . wie der böse Pfennig! Man sagt, er kann mehr, als Brot essen, und das ist mir nicht lieb. Glaubst Du auch, der Teufel habe ihn den Krallen?«

»Ich glaube vielmehr, er hat den Teufel in seinen Krallen.«

»Noch ärger! Was denkst Du dazu, guter Freund, ich möchte zu ihm gehen. Er hat gewisse schöne Weibspersonen im Hause, sagt man, und mit dem einen hätte ich ein Geschäft abzuthun; im Grunde nicht für mich, verstehst Du, denn ich kenne sie nicht. Nun aber scheint's mir, es sei da schwer ankommen; der Addrich bewacht sie, wie der Drache den Schatz.«

»Nicht so sehr, wie Du glaubst. Der Alte ist fast nie zu Hause; die Mägdlein thun was sie wollen und führen ihn an der Nase herum.«

»Ei, so heißt's da mit Recht: ein Weiberhaar zieht mehr, denn sieben Rosse. Das will mir wohlgefallen. Wie aber ins Haus kommen?«

»Nur zur Thür hinein. Welches aber von den Mädchen möchtest Du?«

»Es heißt . . . ich würde es wohl kennen, wenn ich's sähe, der Junker Oberherr hat mir's auf ein Haar beschrieben. Es heißt . . . Zephanja, glaube ich. Hätten wir eine Laterne, so könnte ich Dir's sagen. Der Name steht leserlich auf dem Briefe, den ich überbringen soll.«

»Ist's sonst nichts, als dem Mädchen einen Brief zuzustecken, so gieb ihn nur her; nichts ist leichter als das.«

»Nein, guter Freund, ich muß den Sack selber zur Mühle tragen, weil ich das Mehl heimnehmen möchte. Willst Du mir helfen, so dienst Du dem Junker Oberherrn. Zwar auf den Kopf gefallen bin ich nicht, aber ich scheue den wilden Addrich, und der besten Katze kann eine Maus entrinnen. Das Mägdlein muß in Sicherheit, ehe fremdes Kriegsvolk ins Land rückt.«

»Ist das Volk schon in Aarau?«

»In drei, vier Tagen, und dann wird mit den Rebellen nicht mehr Federlesens gemacht werden; die Galgen sind gezimmert. Ich wollte, Addrich hinge schon daran, dann hätte ich die halbe Not. Willst Du mir beistehen?«

»Dem Addrich spielte ich gern einen Streich. Ich könnte unter gutem Vorwande zu ihm gehen, Dich mitnehmen, als hätte ich Dich im Berge verirrt angetroffen. Das Übrige ließe sich dann schon machen. Aber gelt, Du wirst mich nicht verraten?«

»Du mußt keine Sorge haben, daß der Schnee brennt. Stelle Deine Sache klug an; ich folge Dir.«

»Jetzt schweige, damit uns niemand hört. Du siehst dort das Feuer hinter den Bäumen; es ist eine Hammerschmiede. Dort habe ich etwas abzugeben; dann gehen wir hinauf ins Moos.«

Herr Wirri freute sich seines guten Glückes, den Meinungsgenossen, Wegweiser und freundlichen Gesellschafter in einer und derselben Person angetroffen zu haben. »Zwar,« sagte er bei sich selbst, »der Kerl sah, bei Licht betrachtet, dem Teufel nicht ganz unähnlich; man soll jedoch kein Buch nach dem Titelblatt beurteilen.«

In einer unbestimmten Entfernung flogen von Zeit zu Zeit einzelne dunkelrote Funken durch die Finsternis und ein helles Leuchten zwischen den Zweigen, das bald sichtbar wurde, bald erlosch, bezeichnete die Gegend der Cyklopenwerkstätte. Wirri's Begleiter verließ die Landstraße und schlug einen Seitenweg durch die Gebüsche ein. Der Spielmann folgte ihm geduldig bergan, wie unheimlich es auch im Walde wurde, wo ihm die Gesträuche das Gesicht jeden Augenblick wie mit Ruten peitschten, als wollten sie ihn warnend zurücktreiben. Von Zeit zu Zeit ermunterte ihn die heisere Stimme des Führers zur mutigen Nachfolge.

»Hier heißt's,« erwiderte der Meistersänger, »wer A gesagt hat, muß auch B sagen. Ich folge Dir, doch will ich keineswegs verhehlen, daß Du mich aus dem Regen in die Traufe gebracht hast. Der Fahrweg war Goldes wert, aber diesen Pfad haben die Geißen nicht für ehrliche Leute gebaut.«

Bald darauf betraten sie einen freien, von Gehölz umgebenen Köhlerplatz. Man hörte im Hintergrunde hämmern und sah die Schmiede, welche aus einer baufälligen Hütte bestand, durch deren Risse und Öffnungen der Schein des Feuers überall hindurchleuchtete. Ein paar große Hunde sprangen bellend durch die Nacht heran, schwiegen aber auf den Ruf einer unsichtbaren Person. Dann traten mehrere Menschengestalten aus der Dunkelheit hervor, die den Wegweiser vollständig umringten, vom Meistersänger entfernten und zu befragen schienen. Darauf kamen dieselben zum Meistersänger, führten ihn zur Schmiede hin und geboten ihm, auf einer Bank vor derselben niederzusitzen. Sie begleiteten die Einladung mit einer thätlichen Handleitung, die ihn sogleich zum Sitzen brachte.


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