Heinrich Zschokke
Addrich im Moos
Heinrich Zschokke

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15.
Mancherlei Nachricht.

Hier unterbrach ihn Addrich's Rückkehr. »Nun, Ihr Männer,« sagte dieser, »jetzt rührt Arme und Beine, statt der Zungen. Stärkt Euch noch zur Reise. Der Tisch ist rasch zum Morgenessen gedeckt, bald dann ist's Mittagszeit. An Tafelmusik fehlt's nicht, denn man läutet durch's Kulmerthal die Sturmglocken.«

»Ist der Feind in den Aargau eingedrungen?« rief Leuenberg mit ernstem, etwas entfärbtem Gesichte. »So eile jeder an seinen Platz. Vorher lasset uns aber einen Beschluß über die Zukunft fassen, damit wir einträchtig verfahren; denn um deswillen sind wir an diesem abgelegenen Orte, im Moos, zusammengetreten.«

»He, Leuenberg,« sagte Gideon spöttisch, »wie nimmst Du doch die Botschaft so kalt auf, daß Dir die Worte davon wie blasse Schneeflocken auf's Gesicht fallen.«

»Mir? Was Du nicht alles siehst!« erwiderte Leuenberg mit gezwungenem Lächeln. »Fliegen Dir etwa Funken um die Augen? . . . Ihr Herren, zur Sache! Die Zeit ist für Kindereien zu kostbar. Eile, Vater Ulli, wecke Dein Volk, und dann auf damit zum Rhein, nach Eurer Stadt. Die reichen Baseler begehren keinen Krieg, wenn sie mit silbernen und goldenen Kugeln nichts ausrichten. Sie bringen dem Ersten, der kommt, Freund, oder Feind, die Thorschlüssel entgegen, sobald man ihnen die Schlüssel ihrer eisernen Geldkästen nicht abfordert. Du, Hauptmann Renold, bleibst au Addrich's Seite, und richtest nebst den andern Hauptleuten den Aargauer Landsturm ein . . . Und Du, tapferer Christen Schybi, dessen Namen schon in den Thälern und Alpen unsers Oberlandes Weiber und Kinder preisen . . .«

»Beim Sanniklaus! Du sollst bald von mir hören!« rief Schybi. »Ich halte Dir Wort.«

»Du hältst den Bund der zehn Ämter also fest und aufrecht?« fuhr Leuenberg fort. »Und alles muß rückgängig, null und nichtig werden, was indessen zwischen Eurem Landvolk und der Stadt Luzern durch die Gesandtschaften von den sechs katholischen Orten verhandelt, vermittelt und abgeschlossen sein mag.«

»Wäret Ihr im Oberlande und Aargau,« erwiderte Schybi, »früher auf den Beinen gewesen, hätten wir niemals Unterhandlungen und Friedensvorschlägen das Ohr geliehen. Ich stände heute mit meinen braunen Entlebuchern innerhalb der Mauern von Luzern und rechnete mit Schultheiß, Rat und Hundert ab.«

»Sieh da,« sagte Addrich und schob die kleinen Fenster und Vorfenster zurück, »Felix fährt von der Höhe der Bampf herab, wie ein Pfeil. Knabe, was bringst Du neues? Trete herein!«

Nach einer kurzen Weile ging die Thür auf. Felix, ein junger Bursche, trat atemlos in's Zimmer. Man umringte ihn.

»Heda, lustig, Bürschchen!« schrie Gideon. »Hat Dir der Schrecken die Pluderhosen zu weit und die Gurgel zu enge gemacht? Warte nur, bis uns die blauen Bohnen um's Ohr pfeifen, da soll's spanische Bäuche geben und mehr Dysenterie, als im nassen Schlackerwetter der Herbsttage.«

»Es scheint, Hauptmann,« versetzte Addrich's Knecht, »Du hast die Probe schon an Dir gemacht, und bist bei den gelben Webern gewesen. Wir in den Bergen hier sind noch lange nicht Klupfi's Söhne. Steige den Berg hinauf zur Bampf, da siehst Du den Aargau und wie dort das Volk lebendig ist.«

»Welche Berichte bringst Du, Felix?« sagte Addrich.

»Meister, es wird gestürmt,« antwortete der Knecht. »Zuerst hörte ich's aus der Ferne rechts von Brugg her, dann gegen Lenzburg hin. Bald aber erschollen, links aus der Tiefe, die Glocken von Kulm und Gränichen her, oder rechts in der Nähe von Seon und Birrwyl; bald schweigen alle, bald nur einzelne, oder alle heulen durcheinander. Es ist ein Fest, das! Das Schnurren und Rollen und Trommeln läßt sich deutlich dazwischen vernehmen, wie auch einzelnes Rufen und Geschrei, als wäre aller Orten und Enden Feuer ausgebrochen.«

»Sieht man Bewegungen in den Thälern?« fragte Leuenberg.

»Nichts,« antwortete Felix. »Leute, die auf dem Felde sind, laufen quer über die Äcker den nächsten Weg zum Dorfe. Auf den Landstraßen rennt, wie eine verirrte Ameise, hier und dort ein Reiter; vermutlich sind's Müllerknechte, die Staffeten bringen.«

»Es ist Zeit für uns. Fort, fort!« rief der Untervogt von Buchsiten. »Daß wir mit heiler Haut zu den Unsern gelangen, und nicht dem Feinde in die Hände fallen.«

»Bevor Ihr den Weg antretet, Ihr Herren,« sagte Addrich, »setzet Euch mit mir zum Morgenessen. Ihr seid hier so sicher, wie in der Kirche. Die Wege sind weit, auch empfanget Ihr indessen wohl nähere Kunde über das, was vorgeht.«

»Nichts übereilt, Freunde, Addrich hat wahr gesprochen,« setzte Leuenberg hinzu. »Wir haben vielerlei Beratungen und Abrede vonnöten, und müssen ja heute nicht ins Zurzacher Schiff. Also folgen wir unserm freigebigen Wirte, wohin er uns führen will.«

Sie gingen. Die Mägde richteten das Mahl an, welches sich im Gespräche über die Dinge, die da kommen sollten, und beim Weine, der alle begeisterte, weit über die Zeit hinausdehnte, die selbst der vorsichtige Leuenberg dazu bestimmt hatte. Noch saßen sie da, lärmend durch einander scherzend, nur allein Addrich nicht, der nach seiner Gewohnheit düster blieb und schwieg, als eine der Mägde ihm sagte, daß Epiphania draußen stehe und ihn zu sprechen verlange. Wie die Gäste es hörten, rief der Untervogt von Buchsiten: »Laß Deine Nichte zu uns eintreten, Addrich. Warum verheimlichst Du sie vor unsern Augen? Wir haben die Sache wahr gefunden, die im Volke von Deinem Hause geht; Dich bedienen die zierlichsten Dirnen des Aargaues. Deine Tochter und Nichte jedoch sollen die Schönsten des Landes sein.«

»Auch läßt sich's denken,« stimmte ihm Leuenberg bei. »Dein Hauptmann Gideon Renold hat lange umhergekostet im deutschen, ungarischen und schwedischen Lande, und zuletzt hat ihn doch ein Schweizermädchen gefangen, den tapfern Helden. Mache ihn keiner eifersüchtig, rate ich Euch!«

Auf Addrichs Gebot trat Epiphania herein. Errötend und mit jungfräulicher Schüchternheit verneigte sie sich grüßend gegen die Männer, doch mit einer Art Hoheit, die man von ländlichen Schönen nicht zu erwarten pflegt. Die Fremden verstummten und erhoben sich mit unwillkürlicher Ehrerbietung von den Strohsesseln. Gideon bemerkte die Überraschung seiner Freunde in heimlichem Triumphe und grüßte Epiphania mit vertraulichem Lächeln über den Tisch hin. Sie aber, seiner nicht achtend, ging vorüber. Ihre Seele schien eines andern Gegenstandes voll. Ein Geheimnis, welches der erzwungene Ernst ihrer Mienen verbergen wollte, verkündete sich aus dem Entzücken, welches von ihren Augen widerglänzte und diesen Ernst milderte.

Sie beugte sich zu Addrichs Ohr und flüsterte leise: »Nur ein Wörtchen laß Dir allein sagen, Oheim. Deinem Hause ist an meinem Geburtstage Heil widerfahren!«

Addrich begab sich mit ihr auf die Seite.

»Berichte zuvor, wer wartet meine Kranke ab? Wie ist Leonorens Befinden?« fragte er.

»Freue Dich Addrich!« antwortete sie. »Deine Tochter lenkt zum Wege der Genesung ein. Sie wird wieder aufblühen. O geh und sieh' sie! Vom langen Schlafe findest Du sie erwacht, heiterer, stärker, als ich sie je gesehen. Ihre blassen Wangen haben wieder erröten, ihre Lippen wieder lächeln gelernt. Sie selber hat für die ausgetrocknete Lampe frisches Öl gefordert und Speise und Trank begehrt.«

»Eile zu ihr zurück,« erwiderte Addrich, ohne die Düsterkeit aus Gemüt und Antlitz zu verlieren, die da einheimisch geworden war. »Sobald die Fremden das Haus verlassen haben, komme ich zu ihr. Der Engel, welcher schon so lange über den Wolken war, senkt sich noch einmal zur Erde, um mir altem, verwaistem Manne Lebewohl zu sagen. Er will nicht bei uns verweilen, glaube mir. Meine Hoffnungen sind zerrissen und das Spinngewebe Deines Trostes stellt die Zerstörung nicht wieder her.«

»Fasse Mut, Oheim! Ich könnte Dir mehr sagen. Ich selbst würde vielleicht ungläubiger sein, als Du, wenn nicht ganz ungewöhnliche Dinge zu gleicher Zeit geschähen, die einander zu Hilfe kommen wollen, um ihre Glaubwürdigkeit gegenseitig zu beteuern.«

»Zum Beispiel, Faneli?«

»Du wirst nach Deiner Gewohnheit spotten, doch frage Änneli, frage Ruedi, den Jägerknecht. Es ist eine fremde Stimme in Deinem Hause; sie ist an meinem Kämmerlein ertönt; wir haben sie alle gehört.«

»Eine Stimme, wunderliches Mädchen? Wessen Stimme?«

»Wer kanns sagen? Wir haben sie aber alle vernommen. Die Wände plaudern nicht und die Luft ist stumm. Es war die Stimme eines Menschen, die wir hörten. Sie klang zart, wie der Ton eines sehr jungen Kindes, und doch mit einer Stärke, die uns erschreckte. Ich meine, aber spotte ja nicht, es sei der Laut eines Waldgeistes gewesen.«

Sie sagte die letzten Worte fast unhörbar leise und schüchtern, indem sie dabei ernst und furchtsam zu Addrich aufsah. Dieser schien das Gespräch abbrechen zu wollen; sein faltenreiches Gesicht zog sich dann gewöhnlich zu einem Lächeln, welches aber, vielleicht wider seinen Willen, bei ihm jedesmal eine hämische Natur annahm.

»O, dachte ich es doch, Addrich!« rief sie hastig. »Du verhöhnst mich . . . aber verhöhne die Überirdischen nicht, fürchte ihren Zorn! Weißt Du noch, wie ich sie in der Aschermittwoch-Nacht erblickt habe, als ich bei Leonoren wachte und der frischen Luft wegen das Fenster öffnen mußte? Ich sah sie damals im Mondscheine deutlich am Waldsaume auf der Wiese beim Ahorn wandeln. Doch tanzten sie nicht wie Zwerglein sonst wohl pflegen, sondern sie gingen in ihren langen Mänteln, wie wenn sie etwas suchten, still umher und dann einzeln und traurig in den Wald zurück. Das bedeutet ein Jahr des Unheils, sagte ich Dir damals. Ist es nun mit Krieg und Unruhen nicht schon eingetroffen?«

»Gut, gut, Faneli! Und was erzählte Dir die Stimme Deines Schräteli?«

»Wir verstanden insgesamt deutlich die Worte: Je höher die Not, desto näher ist Gott! . . . Nun denke, als ich darauf in Leonorens Gemach trat, sah ich sie erwacht, zum ersten Male mich anlächeln, mir ihre Hand entgegenstrecken und von ihren Wangen das erste blasse Rot der Genesung schimmern, wie das Frühlicht des wiederkehrenden Morgens. Sie sagte: Wie ist mir doch so himmlisch wohl. Da rief ich: Die Verkündigung des Unsichtbaren galt also Dir! Und ich erzählte ihr darauf alles.«

Addrich schüttelte traurig lächelnd den grauen Kopf, jedoch, als wollte er Epiphania mit seinem Unglauben nicht kränken, strich er ihr mit den Fingerspitzen schmeichelnd die Wangen und sagte: »Gehe, pflege Leonore! Sobald mich die Fremden verlassen haben, bin ich bei Euch. Deine Botschaft kann mich nicht erquicken, wie herrlich sie auch aus Deinem Munde klingt. Gehe, Kind! Wenn eine Lampe erlöschen will, flammt sie noch einmal auf: auch die Schneeberge, wenn sie nach Sonnenuntergang leichenblaß dastehen, erglühen zuweilen unvermutet wieder, ehe sie in finstere Nacht fallen. Verstehst Du mich? Gehe, gehe!«

Epiphania gehorchte schweigend und kopfschüttelnd.

16.
Die Botin von Seon.

Alle Anwesenden blickten der schönen Gestalt, als sie das Zimmer verließ, mit Wohlgefallen nach und konnten, während sie sich zur Abreise rüsteten, kein Ende finden, sowohl dem Oheim, als dem Hauptmann Renold, die schmeichelhaftesten Dinge über die Jungfrau zu sagen. Über die große Zukunft indessen, welche vor den Verschwornen lag, wurde von ihnen bald das Anmutigere vergessen. Die letzten Abreden mußten genommen, die letzten Versicherungen unter herzhaftem Handschlag gegenseitig gegeben werden. Hätte nicht der sinkende Tag zu stark an die Abreise gemahnt, der Abschied wäre unter neuen Beratungen und Wortwechseln vergessen worden.

Als sie schon vor Addrichs Hause standen und ihrem gastfreundlichen Wirte beim Lebewohl noch einmal dankbar die Hand schüttelten, wurden sie durch eine neue Erscheinung aufgehalten.

Längs dem Walde, von der Höhe der Bampf herab, kam, an der Seite eines der Moosknechte, ein junges Bauernweib. Beide waren schon ziemlich nahe, als man ihrer gewahr wurde.

»Woher das Weib, Baschi?« frug Addrich den Knecht.

»Droben auf der Bampf fing ich es auf,« antwortete dieser. »Es ist mit ihm gewiß nicht richtig. Als ich es anhielt, weil ich bemerkte, es wolle zum Moos schleichen, fragte es nach dem Faneli.«

»Ei, Du falscher Gesell, Du Duckmäuser,« schrie die junge Frau zornig. »Wer ist geschlichen? Ich darf mich am Tageslicht auf offenem Wege zeigen eher als Du, dem die sieben Todsünden ins Schelmengesicht gemalt sind. Sehe doch einer! Mich aufgefangen! Wer hat Dich zum Weibel gemacht? Verdächtiges Gesindel, Deinesgleichen fängt man auf, aber nicht ehrlicher Leute Kind.«

»Eh! Warum wolltest Du mir denn droben ausweichen und Dich linksum kehren, als ich Dir in den Weg trat?« erwiderte Baschi, etwas überrascht durch die unerwarteten Ehrentitel, mit denen ihn die geläufige Zunge der Bäuerin schmückte.

»Ich kenne den Hafen am Klang,« erwiderte sie, »und sehe solchen Strick lieber am Galgen, als neben mir. Aber ich ging meiner Wege in Gottes Namen, Ihr guten Leute, und bekümmerte mich um den Tölpel nicht, der mir wie ein verlaufener Hund nachstrich.«

»Glaubet doch der Lästerzunge nicht,« unterbrach sie Baschi. »Sie ist ausgeschickt, um zu kundschaften. Das böse Gewissen schaut ihr aus den Augen.«

»Ei, behüte uns Gott!« rief das Weib. »Ich müßte schier zum Krüglein werden und zum Gläschen herausschauen. Seht doch, kundschaften! Wer in der Welt verlangt von solchem schäbigen Kerl etwas zu wissen? Ich habe an den Galgenvogel keine Frage gethan, weil ich wohl wußte, Aas sei kein Fraß. Ihm aber ging das kläffige Maul wie Müllers Rad, und er konnte des Fragens und Forschens nicht satt werden. Er weiß darum doch weder Gix noch Gax.«

»Ich habe keine Lust, mit Dir zu zanken, Weib,« schrie Baschi ärgerlich. »Man müßte vielen Brei haben, Dir den Mund zu stopfen. Heirate einen harthörigen Mann, wenn er vierzehn Tage am Leben bleiben soll. Ich will hängen, Ihr Herren, wenn die mit ihrer Dohlenzunge und ihren Sperberaugen nicht ins Moos auf Kundschaft geschickt ist. Was sie sieht, geht mit Geschrei ebenso geschwind wieder aus dem Munde, wie Wasser durchs Sieb. Ich erfuhr unterwegs auch von ihr . . .«

Das junge Weib, das jede Bewegung seiner Lippen mit den Augen verfolgte, war ihm schon zehnmal ins Wort gefallen, und unterbrach ihn auch diesmal. Addrich aber und seine Gäste beruhigten sie jedesmal mit Drohung, Bitte und dem Versprechen, sie anzuhören, sobald der Knecht zu Ende gesprochen haben würde.

»Unterwegs also vernahm ich von ihr auch,« fuhr der Knecht fort, »daß hinter Brugg vom Schaffhausener Kriegsvolk alles schwarz sei, daß die Züricher mit vielen tausend Mann über Wettingen und den Heitersberg folgen würden; daß die Mühlhausener und Baseler schon vor Aarau ständen; daß die Welschberner über Morgenthal heranzögen und geschworen hätten, die Dörfer zu verbrennen, Mann und Maus niederzumachen und des Kindes im Mutterleib nicht zu schonen. Es sei alles verloren.«

»Bist Du nun fertig?« unterbrach ihn die Frau heftig.

»Jetzt soll die Reihe an Dich kommen, Fräulein,« sagte Addrich mit dem Tone der Zutraulichkeit. »Rede Du jetzt. Ist es wahr, was er erzählt hat?«

»Wahr und nicht wahr,« antwortete sie. »Wie kann der faule Brunnenstock das reine Wasser wieder geben? Alles verloren? Ja, wenn unsere Männer feige Memmen wären, wie Du, zweibeiniger Hase. Gehe, laufe, die Furcht wird Dir vier Füße machen. Glaubt ihm kein Wort, Ihr Männer. Morgen zieht unser Volk mit dem Landsturm gegen Aarau, wir Weiber folgen mit Fuhrwerk und Säcken. Das Städtchen wird geplündert, denn es hält zu den Bernern. Die fremden Soldaten werden wie Engerlinge verfolgt und ausgerottet, daß von ihnen kein halbes Gebein über die Berge zurückkommt.«

»Glaubst Du,« sagte Leuenberg lächelnd, »das werde so rasch gehen?«

»O, dafür laß ich mir den Kummer nicht über das Knie wachsen,« erwiderte sie. »Es ist endlich Zeit, daß wir Rechnung machen mit den Herren und sie einmal für allemal abschaffen. Denn so können's die armen Leute nicht länger aushalten, wenn sie nicht von den Schuldenboten aufgefressen sein wollen. Ich möchte auch den Brief sehen, den unser Herrgott den Herren gegeben, daß sie Land und Leute ungestraft verschlucken, alles für sich behalten, und uns kaum Luft und Grab umsonst gönnen. Das kann nicht länger gehen und gelten. Bei meiner Treu, keine Sechswöchnerin darf ihre Schale Milch trinken, daß nicht Vögte und Weibel zuvor die Nideln davon abschlürfen. Ich hoffe aber zu Gott, man wird morgen Feierabend mit ihnen machen. Denkt an mich. Ich heiße Käthi.«

»Heiße, wie Du willst,« rief Baschi, »aber man soll Dir Hosen geben, und Kragen und JänkeDie Amts- und Kanzeltracht der reformierten Geistlichen in der Schweiz. dazu, denn Du mußt beim Landsturm gegen Bern unser Feldprediger werden.«

»Bist ein rechtschaffenes Weib. Laß ihm Ruhe, Baschi,« sagte Addrich »Wo bist Du daheim, Frau?«

»Zu Seon. Ihr kennt gewiß alle meinen Mann, den Karl Marti Gloor, Anken-Jogglis. Wir sind arme Leute und müssen es den Menschen sauer bezahlen, daß uns der liebe Herrgott geschaffen hat. Mein Mann tagelohnt in allen drei Städtchen umher, oder trägt Ware. Ich spinne Wolle und Flachs. Seit dem Tode meiner Muhme, der alten Tschöpli-Liesi, wie man sie nannte, sie war des Alt-Untervogts Schwester, halten wir zu unseren drei Geißen noch eine Kuh, die wir auf dem letzten Lenzburger Markt kauften. Das kleine Erbe von der Muhme, Gott habe sie selig! hat uns gar wohlgethan! Wußten wir doch zuzeiten kaum, wie uns mit unsern drei Kindern von einem Tag zum andern das Leben fristen.«

»Schon gut, Frauli, schon gut!« unterbrach Adam Zeltner den Strom ihrer Rede. »Wir kennen nun Deine ganze Hof- und Haushaltung, aber wissen noch nicht, wer Dir von den Schaffhausenern und Baselern bei Brugg und Aarau erzählt hat?«

»Ei, jedes Kind zu Seon wußte das schon vor anderthalb Stunden,« antwortete die Bäuerin. »Das ganze Dorf lief ja bei der Brücke zusammen, als die Glocke gezogen wurde und des Trompeters Fridi von Hunzenschwyl zu Roß daher gesprengt kam.«

Nachdem die Gäste Addrichs von dem gesprächigen Weibe alles, was sie wollten, erfahren hatten, mußte Baschi die Erzählerin unter dem Vorwande ins Haus führen, sie mit einem Abendtrunk zu erquicken. Indessen wurde draußen beraten, wie jeder mit Sicherheit wieder aus dem Moos in seine Heimat gelangen könne, denn es dünkte, bei den eingekommenen Nachrichten, keinem mehr ganz geheuer in der Gegend. Leuenberg wählte den Weg über die Bampf, in Schybis Gesellschaft, gegen Willisau und Hutwyl. Der Untervogt von Buchsiten und der alte Ulli Schad wollten versuchen, über Schöftland und Ürkheim nach Olten zu entkommen. Gideon Renold hingegen blieb, unter Einstimmung aller, zurück, damit er helfen könne, den Aargauer Landsturm zu ordnen und gegen Aarau zu führen.

17.
Das kostbare Geschenk.

Sobald Addrich seine Gäste entlassen hatte, kehrten auch er und Gideon ins Haus zurück, wo ihnen Baschis und Käthis Gezänk aus der Stube schon wieder entgegenscholl. Der Alte stiftete, nicht ohne Mühe, zwischen beiden einen Zungenstillstand, der lange genug dauerte, um der Frau die Frage vorlegen zu können, welches Geschäft sie ins Moos geführt habe?

»Meister,« rief Baschi, »ist der Teufel der Vater der Lügen, glaubt mirs, so ist hier die Mutter dazu, denn sie kann den Mund nicht öffnen. ohne daß eine Unwahrheit zur Welt kommt, so lang und breit, als das Weib selbst. Unterwegs behauptete es, mit Jungfrau Epiphania reden zu müssen, jetzt leugnet es alles.«

»Was habe ich mit Deinem Spionengesicht zu schaffen, Du aberwitziger Gesell?« entgegnete das unerschrockene Weib. »Was Dich nicht beißt, hast Du nicht zu kratzen; komme zu mir am St. Nimmertag, wenn die Schnecken bellen, dann sollst Du alles erfahren. Jetzt habe ich keine Aufträge für Dich, sondern ich suche des Moosers Bruderstochter.«

»Ruf' Epiphania herbei!« sagte Addrich zu Baschi.

»Mit Erlaubnis!« fiel Käthi Gloor ein. »Ich muß ihr den Auftrag unter vier Augen ausrichten; das hat mir der Herr ausdrückt befohlen, der mich schickt, und wenn mir . . . .«

»Was für ein Herr?« unterbrach sie Gideon, der jetzt aufmerksam wurde.

»Wen ich nicht kenne, den ich nicht nenne,« antwortete sie. »Allein das dürfet Ihr mir zutrauen, daß ich nicht schlechter Leute Briefe trage. Der Herr ist wenigstens so gut wie Ihr alle und hat vielleicht ehrlicher Weise so viel Geld als der reiche Addrich . . .« Hier unterbrach sie sich selbst und fragte: »Ist einer von Euch der Mooser?«

»Der bin ich,« sagte Addrich.

Die junge Frau erschrak, betrachtete den Alten und wurde von nun an einsilbiger in ihren Antworten, die sie auf Addrichs und Gideons dringendes und wiederholtes Fragen erteilte. Ihre Zurückhaltung erregte Gideons und Addrichs argwöhnische Neugier. Beide besprachen sich leise und führten sie dann hinauf in Epiphanias Gemach, wo Addrich seiner Nichte erzählte, daß ihr die Frau von einem Herrn geheime Mitteilungen zu machen habe.

Epiphania fragte die Bäuerin mit flüchtigem Erröten: »Nicht so, Dich schicket Fabian von der Almen?«

»Mag er heißen, wie er will,« antwortete die Frau. »Er hat mir seinen Namen nicht genannt, aber fünf Gulden für den Gang zu Dir gegeben, und wenn Du mir etwas giebst, irgend eine Schrift oder ein anderes Wahrzeichen, daß ich meinen Auftrag ausgerichtet habe, wird er unser Haus noch besser beschenken. Er ist ein reicher, freigebiger Herr und hält gewiß Wort. Sein Gesicht ist die Ehrlichkeit selbst. Wir sind blutarme Leute und können's wohl brauchen. Meine Kinder hat er geliebkost, eins nach dem andern, als wären es seine eigenen.«

»Das ist er!« rief Epiphania, in stiller Freude aufglühend »Seinen Namen weißt Du nicht? Sprach er von meinem Geburtstage und ob ich die Blumen gefunden? Warum kommt er nicht selbst? Was hält ihn zurück? Beschreibe ihn doch! Nicht so, er ist blaß und etwas abgezehrt? Das glänzende Feuer seiner Augen ist erloschen? Trägt er das blaue Sammetbarettchen, das ihm zu seinem lichtbraunen Haar so gut stand? Ach, der arme, junge Mensch, er hat viel gelitten!«

Gideon warf einen finstern Blick auf Epiphania und sagte: »Es wäre passender für Dich, Deine unschickliche Zuneigung zu unterdrücken, wenigstens in meiner und Deines Oheims Gegenwart. So redet keine verlobte Jungfrau, welcher an dem Rest ihres guten Rufes etwas gelegen ist.« . . . Dann wandte er sich zu der Bäuerin aus Seon und sprach: »Gehe nur heim, Du möchtest Dir einen schlechten Kuppelpelz verdienen, denn Du hast mit einem ausgebrochenen Schellenwerker zu schaffen gehabt, den zweifelsohne schon Steckbriefe verfolgen, Vermutlich hat er Dir, als Handgeld auf die Belohnung, fünf falsche Gulden gegeben.«

»Nein, Ihr irret Euch beide,« erwiderte das Weib. »Wenn auch der alte Herr jemals im Schellenwerk gewesen ist, so gefiele mir – bei meiner Treu! – der Vogel besser als sein Nest; bei Dir aber, Du Rohrsperling, ist mir's umgekehrt zu Mute. Sehet doch den schamlosen Gesellen! Kuppelpelz! Schaue Dich zuerst im Spiegel. Was Kuppelpelz? Ich bin guter Leute Kind und treibe vielleicht ehrlicheres Gewerb als Du. Lieber recht Nichts, als schlecht Etwas . . . . Und Du, Jüngferchen,« fuhr sie zu Epiphania gewendet mit freundlicherem Tone, indem sie geheimthuend den Kopf schüttelte, fort, »siehe Dich vor! Man muß nicht sogleich jedem zeigen, was man im Herzen oder im Sack hat. Ich darf Dir aber wohl sagen, den Du meinst, der ist's nicht, aber doch Dein Freund, trotz seiner grauen Haare, und trotz seiner dicken Schramme über die linke Backe. Er sieht auch nicht danach aus, falsche Gulden zu geben, denn er war in einem schönen Wagen nach Seon gefahren; trug ein Barettchen von schwarzem Sammet mit Goldschnüren und einen schwarzen, kostbaren Leibpelz, mit Seidenschnüren auf der Brust. Man kann nichts Vornehmeres sehen; man sollte ihn für einen Prinzen oder Schultheißen halten«

Alle horchten bei dieser Rede mit Verwunderung auf; nur Epiphania schüttelte unzufrieden das Köpfchen und sagte: »Den kenne ich nicht; der hat Dich wohl nicht zu mir gesandt.«

»Bist Du nicht,« sagte die Frau, »des Moosers Bruderskind?«

»Dieser ist mein Oheim,« antwortete Epiphania und sah den Alten an.

»So bin ich recht bei Dir. Komme, daß ich Dich allein spreche,« sagte die Botin,

»Nein,« versetzte Epiphania, »rede offen vor allen. Ich habe mit keinem Mann in der Welt ein Geheimnis, und will es mit keinem haben.«

Die Frau, in Verlegenheit gebracht, schien mit sich selber Rat zu halten; sie drängte sich dicht an Epiphania, der sie in's Ohr flüsterte: »Sei kein Närrchen, nimm und verbirg eilig, was ich Dir von ihm bringe. Begieb Dich nach Aarau, zum Dekan Nüsperli; dort lebst Du sicher. Dort wirst Du von dem steinreichen Herrn, von Deinem unbekannten Freunde, mehr erfahren.« Mit diesen Worten hatte sie ihr ein kleines versiegeltes Kästchen in die Hand geschoben. Epiphania legte aber dasselbe unwillig auf den Tisch. Es war von schwarzem Ebenholz, auf dem Deckel und an den Rändern künstlich mit Gold und Perlmutter ausgelegt.

»Das ist chinesische Arbeit,« sagte Addrich, indem er die Truhe, ohne sie anzurühren, betrachtete. »Ich habe dergleichen zu Tranquebar und Batavia, doch nur in den reichsten Häusern, als kostbares Schaustück gesehen.«

Hauptmann Renold nahm das Kästchen in die Hand und betrachtete es mit einer Miene, in welcher sich Erstaunen und eifersüchtiges Mißvergnügen nicht verbergen konnten. Besonders zog das Siegel seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war darin ein Muttergottesbild vorgestellt, die Brust von sieben Schwertern durchbohrt. Er schüttelte den Kopf und sagte zu Epiphania: »Hier ist ein böses Zeichen. Wenn Du nicht schon besser um die Sache Bescheid weißt als Du Dich anstellst, so sage ich Dir voraus: Dir läuft ein papistischer Hasenfuß nach, der Dich bekehren oder verkehren möchte; oder das Geschenk wird Dir von einem Prälaten geschickt, der eine junge Haushälterin braucht. Sei dem wie ihm wolle, ich rate dazu, die Truhe zu öffnen. Vielleicht giebt der Inhalt nähere Auskunft.«

»Thut, was Euch beliebt und Ihr verantworten könnet,« erwiderte die Jungfrau.

Addrich nickte zustimmend. Gideon erbrach das Siegel und öffnete das Kästchen. Das Innere desselben war mit einem Päckchen angefüllt; dieses wiederum in Papier gewickelt, ließ beim Entfalten in zierlicher Handschrift die Worte lesen: »Mein Kind, geliebte Epiphania, ziehe nach Aarau zu Deinem Taufpaten, dem wohlehrwürdigen Herrn Dechanten Nüsperli, und verweile bei ihm, bis ich komme. Erfülle mein Wort und Dein Glück. Ich bin in dieser Welt Dein wahrhafter und getroster Freund.«

Epiphania, obwohl sie nicht zu lesen verstand, betrachtete doch mit unruhiger Neugier alle einzelnen Züge der Buchstaben und sagte: »Stehet das auch wirklich so? Wer ist er denn? Lies seinen Namen!«

»Er heißt Herr Ohnenamen, weil er weder Namen noch Namenszug zugefügt hat,« versetzte Gideon lachend

»Ich beteuere,« rief Addrichs Nichte, »daß ich niemals mit einem Manne dieses Namens Bekanntschaft gemacht habe,«

Inzwischen rollte Gideon ein zartes Gewebe vom feinsten Gespinnst aus, welches für den geringen Raum, den es einnahm, eine beträchtliche Größe hatte, und schließlich ein mit seltsam gestalteten Blumen durchzeichneter Schleier war. War die Überraschung aller groß, so wurde sie es noch mehr, als zuletzt eine Schnur helldurchsichtiger, großer, orientalischer Perlen von gelblichem Wasser sichtbar wurde, dabei in ein Papier eingeschlagen zehn venetianische Dukaten. Gideon klimperte mit diesen auf dem Tische und rief: »Zum Henker! Insgesamt echte Schildfranken! Schaut her!«

Addrich, der mit wachsendem Befremden abwechselnd den Schleier und die Zahlperlen musterte, sagte: »Bettelei, das Gold da! Aber den Wert dieses Gewebes aus Indien, dieser Perlenschnur kann im ganzen Schweizerlande keiner beurteilen; es ist unschätzbar. Das ist ein Königsgeschenk. Faneli, Du bist an Deinem Geburtstage aus einer armen Waise ein reiches Mädchen geworden.«

Epiphania, die eine Zeit lang mit kindischer Verwunderung bald das indische Gespinnst, bald die schimmernde Schnur beschaut und betastet hatte, schob beides zurück und sagte: »Was soll mir das? Weib, ich nehme es nicht von Dir und Deinem Unbekannten, und könnte ich ein Königreich dafür kaufen.«

Die Frau weigerte sich, das Geschenk zurückzutragen. Man besprach die Sache, die allen mehr als rätselhaft erschien, lange. Addrich richtete eine Menge Fragen an die Überbringerin der Kostbarkeiten, ohne wegen des Absenders mehr Aufklärung zu erhalten, als er schon hatte. »Gelt,« sagte Gideon zu Epiphania mit Bitterkeit in Blick und Wort, »wenn man Dir sattsam Gewähr und Bürgschaft leisten könnte, daß Fabian der freigesprochene Spender solcher Kostbarkeiten wäre, Du würdest sie keineswegs verschmähen. Aber – so wahr Gott lebt – ich würde das Spinnenweblein alsbald in Fetzen reißen und diese blaßgelben Kirschen von Muschelglas in meiner Faust zu Staub zermalmen.«

Er hatte diese Worte noch nicht vollendet, als man eine Stimme vernahm, die dazwischen: »Fabian! Fabian!« rief. Jeder sah bestürzt umher, dann blickte einer dem andern fragend in die Augen. Es war eine zarte, klare Stimme gewesen, gleich der eines kaum einjährigen Kindes, aber Durchdringender. Es ließ sich nicht bestimmen, von welcher Seite des kleinen Gemaches sie erschollen war. Gideon ging musternd und horchend längs den Wänden hin und schob die niedrigen Doppelfenster in ihre Falze zurück, um über die Blumengeschirre hinauszuschauen, ob sich jemand eine Neckerei erlaubt habe. Er traute sie dem kecken Fabian selbst oder dem kindisch-unbesonnenen Änneli wohl zu. Frau Käthli Gloor von Seon war blaß geworden, schüttelte sich und sagte halblaut: »Alle guten Geister loben den Herrn! Man weiß wohl, in welcher Gesellschaft man ist, wenn Ratten und Mäuse deutsch reden.« Indessen hatte Addrich weder Stellung noch Miene geändert, sondern mit der ihm eigenen widerlich freundlichen Geberde, aus welcher eine Tücke zu lachen schien, sagte er zu Epiphania: »Wozu bedarf's des Kopfbrechens, wer Dir den Schatz da sendet? Dein Schrätteli meldet sich selbst an.«

Mit begeisterungsvollem Lächeln erwiderte die Jungfrau:

»Spotte und läugne den Himmel mit seinen Sternen hinweg, er wölbt sich dennoch über Dir. Ich weiß, an wen ich glaube, und daß das Heer Gottes größer ist, als all die Menschenzahl aus Staub geschaffen. Das ist die Stimme, die schon zu mir geredet hat. Sage jetzt, meine Ohren hätten geträumt, Addrich.«

Gideon, von seiner fruchtlosen Untersuchung zurückkehrend, schüttelte den Kopf und sagte: »Der Teufel will uns hier einen Schabernack spielen und lacht heimlich in die Faust dazu. Fania, ich mag von Dir nicht gotteslästerliche Sachen glauben. Doch sind mir traurige Beispiele von ehrbaren und schönen Jungfrauen bekannt, die nachmals als Hexen auf dem Scheiterhaufen brannten, welche aber damit angefangen, sich zu St. Andreasnacht in Beelzebubs Namen einzusegnen, oder sich in dessen Namen um Mitternacht auf einem Kreuzwege der Länge nach niederzulegen und die Arme kreuzweis auszustrecken, oder am St. Johannisabend Farrnsamen und Alraunen zu graben, oder andere Teufelswerke zu treiben, alles, um Geld vollauf und einen Mann zu bekommen, nach dem ihr verbuhltes Herz gelüstete.«

Während der Hauptmann fortfuhr, in dergleichen sonderbaren Redensarten einigen abergläubigen Besorgnissen Luft zu machen, würdigte ihn Epiphania keines Blickes, sondern legte schweigend Schleier und Perlenschnur zusammen, auch die goldenen Schildfranken dazu, alles ins Kästchen, und steckte dasselbe, nachdem sie es wieder geschlossen hatte, in das Lederbeutelchen, welches ihr an der Seite vom Gürtel an einer dicken Seidenschnur herniederhing.

»Nun will ich,« sagte sie zu der Bäuerin, »was Du gebracht hast, als mein Eigentum empfangen und verwahren, und gegen die Unsichtbaren nicht durch Mißtrauen sündigen. Gehe heim und sage dem Geber: Du habest Dein Geschäft verrichtet; sein Geschenk aber solle unberührt bei mir liegen, bis ich wüßte wer er sei und in welchen Absichten er Dich gesandt habe.«

»Welches Zeichen soll ich ihm aber von Dir bringen, um zu beweisen, daß ich seinen Auftrag ehrlich vollzogen habe?« fragte die Bäuerin. »Er begehrte von Deiner Hand eine geschriebene Zeile oder von Deinem Haupte eine Haarlocke.«

»Hüte Dich, Fania,« rief der Hauptmann, »ihm den geringsten Teil Deines Körpers zu behändigen, und wäre es auch nur ein abgeschnittenes Stückchen von den Nägeln Deiner Hände. Du läufst Gefahr, daß damit durch die vermaledeite Nekromante oder schwarze Kunst ein gräulicher Mißbrauch getrieben werde, zum Nachteil Deines eigenen Leibes und Lebens.«

Epiphania schauderte. »Wüßte ich nur, wer es empfangen soll,« sagte sie halblaut.

Da plötzlich erklang wieder die wunderbare Stimme: »Fabian! Fabian!« Während alle, selbst Addrich, bei diesem Rufe umherblickten, jeder nach einer andern Gegend des Gemaches, nahm Epiphania eine Scheere vom Fenster, schnitt einen kleinen Teil ihres Haares ab, das sich am Halse hinter ihrem Ohre zu einer natürlichen Locke gebogen hatte, und gab es dem Weibe mit den Worten: »Den Namen führt der böse Geist nicht im Munde. Nimm hin!«

»Ich untersage es Dir, kraft meines Rechtes über Dich!« schrie der Hauptmann. »Ich will meine Braut lieber im Sarge, als in des Satans Klauen sehen.«

»Unsinniger!« rief Epiphania. »Sie haben so wenig Recht über mich, als Deine eigenen Klauen. Mit dem Namen des dreieinigen Gottes banne ich die Hölle, und mit den Namen Fabians die höllische Kunst, die Du an mir bewiesen hast. Gehe, gehe, Deine Fallstricke sind zerrissen, in denen Du mich zur Sünde hinabzustürzen dachtest. Du wirst meine Sinne nicht mehr mit Deinem Hauch betäuben, meine Gedanken nicht mehr mit Deinem Zauber besudeln.«

»Bist Du wieder irrsinnig?« rief Gideon. »So wahr ich lebe, es ist Dir schon von irgend einem Unholde angethan, daß Du mich so schändlicher Dinge beschuldigst. Auf rechtem Wege geschieht es nicht, daß Deine frühere Zuneigung in so unsinnigen Haß verwandelt worden ist. Ich fürchte, die vorwitzigen Händel, in die Du Dich mit unsichtbaren Geschöpfen eingelassen, haben Dich in eine böse Stellung gebracht . . . Addrich, Du stehst an Vaters Statt; gebiete ihr, die verdächtige Truhe zurückzugeben, und fordere von diesem Weibe die Haare zurück.«

Stolz entgegnete Epiphania: »Ich bin die Tochter von Addrichs Bruder, nicht Addrichs leibeigene Magd.«

»Addrich,« rief Gideon, »Du hast mir Epiphanias Hand zugesagt. Es ist für mich und Dich durchaus notwendig, daß Du in ihrer Gegenwart Dich offen aussprichst und von ihr kindlichen Gehorsam forderst.«

»Hilf, gerechter Himmel!« schrie Epiphania. »Wohin bin ich geraten, daß man mich verschenken oder verkaufen darf? Ihr irret jedoch beide. Ihr könnet mich mit Gewalt zum Kirchhof tragen, aber nicht in die Kirche bis zum Altar.«

Da erscholl die Stimme des Unsichtbaren wieder: »Je höher die Not, desto näher ist Gott!«

Alle wandten ihre Augen gegen das offen gebliebene Innere der Doppelfenster, wo ein buntgefleckter, niedlicher Vogel auf einem der Blumengeschirre saß, den gelben Schnabel wetzte, die purpur- und dunkelgrünschillernden Federn schüttelte und noch einmal sprach: »Je höher die Not, desto näher ist Gott!

Die Bäuerin Käthi Gloor bekreuzte und segnete sich bei diesem Anblick; des Hauptmanns Zunge schien vom Erstaunen gelähmt; Epiphania breitete mit freudeleuchtenden Augen ihre Arme, in der Stellung bittender Liebe, gegen das Fenster aus, und Addrich verzog lächelnd das Gesicht, indem er sagte: »Seht da den Staar! Wie kam der Tausendkünstler ins Zimmer?« Er näherte sich langsam dem Fenster und lockte den Vogel mit den Worten: »Matz! Matz!« Das zierliche Geschöpf jedoch drehte das Köpfchen behend nach allen Seiten und entflatterte in die Freiheit.

»Behüte mich Gott in Gnaden!« sagte die Bäuerin, verbeugte sich zum Abschiede grüßend gegen Epiphania und entfernte sich eiligst aus dem Zimmer mit der üblichen Redensart der Landleute: »So lebet wohl und zürnet nicht!«

»Folge dem Weibe, begleite es nach Seon,« redete Addrich hastig den Hauptmann an. »Seon liegt den Geschäften, die Dich erwarten, nicht auf dem Wege. Mir aber ist es so wichtig als Dir, zu wissen, wer das Mädchen hier so fürstlich beschenkt hat. Lasse dem Weibe die Haarlocke; Du wirst den Mann sehen, dem sie gebracht wird. Sage, Du selbst wollest Zeugnis für die richtige Bestellung ablegen. Mache das Weib unterwegs zutraulich und offenherzig: gieb Geschäfte in Seon oder Hallwyl vor. Tummle Dich! Morgen treffen wir uns vor Aarau.«

»Du hast Recht, bei Gott!« rief Gideon. »Der Umweg ist eine Kleinigkeit gegen den Gewinn der da zu machen ist. Verlasse Dich darauf, ich fange das Wild, und wäre es schlauer als der Fuchs bei der Falle.«

Er gab dem Alten die Hand zum Abschiede; als er sie aber auch Epiphania bot, trat diese schaudernd zurück und sagte: »Taste mich nicht an. Ich wollte, es lägen schon zehntausend Meilen zwischen Dir und mir.«

Er blieb eine Weile traurig und schweigend vor ihr stehen, Blicke voll Unmut und Zärtlichkeit auf sie heftend. Dann sagte er mit sichtbarer Bewegung seines ganzen Wesens: »Fania, Du hast mich blutig gekränkt. Ich habe allezeit mit hoher Achtung gegen Dich gehandelt, habe mir nie die mindeste Freiheit erlaubt. Deine Neigungen waren in Übereinstimmung mit den meinigen. Ich weiß nicht, welcher böse Geist zwischen Dich und mich getreten ist.«

»Fabian, Fabian!« rief Epiphania mit schadenfroher Miene, als könne sie damit einen Zauber bannen, der sie zu umgarnen drohe,

»Dieser schlimme und unnütze Bursche soll mich weniger als ein körperloser Schatten hindern, Dich festzuhalten. Ich habe andere Majestäten gesehen! Schweige von dem Lotterbuben; Dich hat eine bösere Macht gebunden. Wahre Dich! Und obschon Du mich in den Tod beleidigt hast, wisse es, ich liebe Dich noch, und fürwahr, ich halte Dich höher als mein Leben und meiner armen Seele Seligkeit. Lebe wohl! Gern oder ungern, Du bist die Meine. Dich laß ich nicht fahren, und müßte ich Dir in die höllische Verdammnis folgen. Mache Deine Vorbereitung zur Hochzeit und gedenke mein. Haben wir den Tyrannen den Garaus gespielt, sollen sich Geigen und Trompeten zum Brauttanz hören lassen. Gieb mir die Hand zum Abschied!«

»Gieb ihm die Hand, Thörin,« sagte Addrich, als er Epiphania Gideon den Rücken zuwenden und zum Fenster treten sah, von welchem der wunderbare Vogel verschwunden war. »Gieb ihm die Hand, damit er endlich gehe und die Spur des Weibes von Seon nicht verliere.«

»Möge er von jetzt und bis in Ewigkeit die meinige dazu verlieren,« sagte Epiphania.

»Ei, Gideon, so laß die Grillenfängerin!« rief der Alte ärgerlich. »Es steht einem Kriegsmanne übel, beim Mädchen zu faseln, während er alle Stunde in der Lage ist, dem Feinde ins Auge schauen zu müssen. Fort mit Dir! Das Vöglein will ich Dir wohl bewahren, sorge nur für den goldenen Käfig, wohinein Du es setzest. Erbeute Dir ein Schloß in Bern, und es soll Dir nicht fehlen. Fort! Deine schädliche Säumigkeit bringt Dich um die Bekanntschaft eines Nebenbuhlers in Seon.«

Er führte ihn während dieser Rede aus dem Zimmer der Jungfrau hinweg, die Stiege hinunter; ließ ihm kaum Zeit, den Degengurt über die Achsel zu werfen und den breiten Schwedenhut mit dem weißen Federbusch in die Stirn zu drücken. Er begleitete ihn eine Strecke aufwärts zum Berge hin, wo das Weib ging, und kehrte dann mit dem Zuruf: »Glückliche Verrichtung! Morgen auf Wiedersehn im Suhrfelde vor Aarau!« nach seinem Hause um.


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