Emile Zola
Das Paradies der Damen
Emile Zola

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Siebentes Kapitel

Einen Augenblick stand Denise wie versteinert auf dem Pflaster, den heißen Strahlen der Nachmittagssonne ausgesetzt. Mechanisch drehte sie ihre fünfundzwanzig Franken siebzig in der Tasche hin und her und fragte sich, was sie anfangen, wohin sie gehen solle. War es möglich, daß man einen Menschen so von einer Minute zur andern hinausstieß in diese ungeheure Stadt, ohne Stütze, ohne jede Hilfe? Sie mußte doch von etwas leben, mußte irgendwo schlafen! Um endlich wenigstens vom »Paradies der Damen« loszukommen, wandte sie sich nach der Rue de la Michodière.

Glücklicherweise stand Baudu nicht vor seiner Tür; der »Vieil Elbeuf« lag wie ausgestorben hinter seinen finsteren Schaufenstern. Sie hätte es nie gewagt, sich bei ihrem Onkel zu zeigen, denn seit ihrem Weggang tat er, als kenne er sie nicht, und in dem Unglück, das er ihr vorausgesagt hatte, wollte sie ihm nicht zur Last fallen. Plötzlich bemerkte sie einen gelben Zettel auf der anderen Seite der Straße: »Möbliertes Zimmer zu vermieten«. Das Haus sah sehr dürftig aus, und gleich darauf erkannte sie es auch mit seinen beiden niedrigen Stockwerken, seiner rostfarbenen Fassade, eingepfercht zwischen dem »Paradies der Damen« und dem ehemaligen Haus Duvillard. Auf der Schwelle seiner Regenschirmhandlung stand der alte Bourras mit seinem Prophetenhaupt und betrachtete, die Brille auf der Nase, den elfenbeinernen Knauf eines Spazierstockes. Er vermietete die beiden oberen Stockwerke, um einen Teil seiner eigenen Kosten wieder hereinzubringen.

»Sie haben ein Zimmer frei?« fragte Denise.

Er hob seine von dichten Brauen beschatteten Augen und war überrascht, als er sie vor sich stehen sah. Er kannte alle Mädchen vom »Paradies der Damen«. Nachdem er Denise mit ihrem ärmlichen Kleidchen und ihrem braven Äußeren eine Weile betrachtet hatte, sagte er:

»Das ist nichts für Sie.«

»Was kostet denn das Zimmer?« fragte Denise.

»Fünfzehn Franken monatlich.«

Sie wollte es sehen und betrat den dunklen Laden. Da er sie noch immer erstaunt ansah, erzählte sie ihm, daß sie aus dem »Paradies der Damen« ausgeschieden sei und ihrem Onkel nicht zur Last fallen wolle. Der Alte entschloß sich endlich, aus einem Hinterstübchen, das ihm als Küche und Schlafstätte diente, den Schlüssel zu holen. Von hier konnte man durch ein Fenster auf einen kleinen, dunklen Hof blicken, in den kaum ein Sonnenstrahl fiel.

»Ich gehe voraus, damit Sie nicht fallen«, sagte Bourras und betrat den feuchten Gang, der neben dem Laden hinlief. Unter fortwährenden Mahnungen stieg er die Treppe hinauf. Es war stockdunkel, erst im ersten Stock konnte Denise bei dem matten Licht eines Fensters, das auf den Hof ging, die geborstenen Stufen, die von Schmutz starrenden schwarzen Wände, die alten, schlecht schließenden, farblosen Türen erkennen.

»Wenn noch eines dieser Zimmer hier frei wäre«, sagte Bourras, »so wären Sie gut aufgehoben; aber die sind immer von solchen Damen bewohnt ...«

Im obersten Stock wohnte vorn ein Bäckergeselle, das zweite Zimmer war zu vermieten. Bourras öffnete die Tür, damit Denise es bequem besichtigen konnte. Gleich in der Ecke stand das Bett und ließ gerade so viel Raum frei, daß eine Person vorbeigehen konnte. Am anderen Ende des Zimmerchens standen eine kleine Nußbaumkommode, ein Tisch aus schwarzem Fichtenholz und zwei Stühle. Wenn ein Mieter zu Hause kochen wollte, konnte er eine kleine Feuerstelle im Kamin benutzen.

»Mein Gott«, sagte der Alte, »es ist keine Prachtwohnung, aber das Fenster geht auf die Straße.«

Denise sah überrascht zur Decke auf, wo über dem Bett in rußigen Zügen das Wort »Ernestine« zu lesen war. Offenbar hatte hier eine Vorgängerin mit einer blakenden Kerze ihren Namenszug hingemalt. Der Alte folgte ihrem Blick und meinte:

»Ja, wenn man alles instandsetzen lassen wollte, das würde viel Geld kosten ... Nun haben Sie das Zimmer also gesehen.«

»Ich werde hier schon gut aufgehoben sein«, erklärte das junge Mädchen.

Sie bezahlte die Miete für einen Monat voraus und ließ eine Stunde später durch einen Dienstmann ihren Koffer holen.

Es folgten zwei Monate schrecklicher Not. Da sie für Pépé die Pension nicht mehr bezahlen konnte, nahm sie ihn zu sich und ließ ihn auf einem alten Kanapee schlafen, das ihr Bourras lieh. Sie brauchte täglich genau dreißig Sous, die Miete inbegriffen; dabei lebte sie selbst von trockenem Brot, um nur dem Kleinen etwas Fleisch geben zu können. Die ersten zwei Wochen ging es noch leidlich; sie hatte ihre Wirtschaft mit zehn Franken begonnen, später hatte sie das Glück, die Krawattenhändlerin aufzuspüren, die ihr ihre neunzehn Franken bezahlte. Dann aber kam die bittere Not. Vergebens stellte sie sich in den verschiedenen Warenhäusern vor -- in der toten Zeit standen überall die Geschäfte still, man vertröstete sie auf den Oktober; mehr als fünftausend Angestellte, die gleich ihr entlassen waren, lagen ohne Beschäftigung auf der Straße. Nun suchte sie kleine Arbeiten zu finden; da sie aber Paris nicht kannte, verstand sie nicht an der richtigen Stelle nachzufragen und nahm Aufträge an, die die Mühe nicht lohnten und die ihr auch nicht immer bezahlt wurden. An manchen Abenden gab sie nur Pépé eine Suppe und sagte, sie habe außerhalb schon gegessen. Zuweilen kam Jean und klagte sich als Bösewicht an, der an all dem Unglück schuld sei; sie war dann gezwungen, zu lügen und ihre traurige Lage zu verheimlichen; ja sie fand sogar bisweilen Mittel, ihm ein Vierzigsoustück zuzustecken, um ihm zu beweisen, daß sie noch etwas ersparen könne. In Gegenwart der Kinder weinte sie niemals. An Sonntagen war das enge Kämmerchen von der Heiterkeit der unbekümmerten Jungen erfüllt. War dann Jean zu seinem Lehrherrn zurückgekehrt und Pépé eingeschlafen, so verbrachte sie eine schlaflose Nacht in der Sorge über den morgigen Tag.

Dazu gesellten sich noch andere Unannehmlichkeiten. Die beiden Damen, die im ersten Stock wohnten, empfingen häufig sehr späte Besuche; zuweilen irrte sich ein Herr und stieg bis zum zweiten Stockwerk hinauf, wo er Denises Tür mit Faustschlägen bearbeitete. Da Bourras ihr gesagt hatte, sie möge nur ruhig bleiben und nicht antworten, vergrub sie ihren Kopf in das Kissen, um die Flüche der Männer nicht mehr zu hören. Dann wieder suchte ihr Nachbar, der Bäcker, mit ihr in Verbindung zu treten. Er kam erst am Morgen heim und lauerte ihr auf, wenn sie Wasser holen ging. Er machte sich sogar Löcher in die Wand, um sehen zu können, wie sie sich wusch; sie mußte daraufhin all ihre Kleider längs der Wand aufhängen. Noch mehr litt sie unter den Zudringlichkeiten auf der Straße, den fortwährenden Belästigungen der Passanten. Sobald sie hinunterging, um eine Kerze oder dergleichen zu kaufen, hörte sie rohe Worte von Männern, die sie oft bis in den dunklen Hof verfolgten, ermutigt durch das schmutzige Aussehen des Hauses. Warum hatte sie denn auch keinen Geliebten? Die Leute staunten darüber und fanden ihr Gehabe lächerlich. Sie mußte doch eines Tages nachgeben. Sie konnte sich selbst nicht erklären, wie es kam, daß sie widerstand, fortwährend bedrängt vom Hunger und von all den Begierden um sie her.

Eines Abends hatte Denise nicht einmal mehr Brot, um es in Pépés Suppe zu schneiden. Als sie heimkam, folgte ihr ein Herr. Vor dem Hauseingang wurde er frech, und sie schlug ihm in einer Anwandlung von Ekel die Tür vor der Nase zu. Oben sank sie zitternd auf einen Stuhl. Der Kleine schlief. Was sollte sie antworten, wenn er erwachte und zu essen verlangte? Sie hätte doch nur die Bewerbungen der Männer anzunehmen brauchen, und ihre Not hätte ein Ende gehabt, sie hätte Geld, Kleider, ein schönes Zimmer besessen. Es hieß schließlich, daß alle Mädchen darüber einmal hinwegkommen müßten; eine Frau konnte in Paris von ihrer Arbeit allein nicht leben. Aber ihr innerstes Wesen lehnte sich gegen eine solche Lebensweise auf.

In ihrer Erinnerung klang ein altes Lied auf von der Braut eines Matrosen, die durch ihre treue Liebe vor den Gefahren des Wartens bewahrt wird. Trug denn auch sie eine solche Liebe im Herzen, daß sie so standhaft war? Sie dachte noch immer an Hutin, aber es war eine unangenehme Erinnerung. Sie sah ihn am Morgen und am Abend unter ihrem Fenster vorübergehen. Er war jetzt Zweiter und ging nicht mehr in Gesellschaft der anderen. Er schaute niemals auf, und es war ihr, als schmerze sie die Eitelkeit dieses jungen Mannes; sie blickte ihm häufig nach, da sie keine Überraschung zu befürchten brauchte. Als sie aber merkte, daß auch Mouret jeden Tag vorüberging, befiel sie ein Zittern, sobald er sich näherte, und sie verbarg sich mit hochklopfendem Herzen. Er brauchte nicht zu wissen, wo sie wohnte; sie schämte sich dieses Hauses und litt bei dem Gedanken, daß er schlecht von ihr denken könnte, obgleich sie wußte, daß sie einander wohl schwerlich wieder begegnen würden.

Übrigens stand Denise noch immer unter dem Eindruck ihres bewegten Lebens im »Paradies der Damen«. Nur eine einfache Wand trennte sie von ihrer ehemaligen Abteilung. Auch bestimmten Begegnungen konnte sie nicht ausweichen. Sie war schon zweimal mit Pauline zusammengetroffen, die ihr ihre Dienste anbot und trostlos war, ihre Freundin unglücklich zu wissen; sie mußte Pauline sogar ihre Wohnung verheimlichen, damit diese sie nicht besuchte oder zu Baugé einlud. Noch sorgfältiger verschwieg sie ihre Lage vor Deloche; er spähte ihr nach, kannte alle ihre Nöte, wartete auf sie unter den Hauseingängen. Eines Abends wollte er ihr dreißig Franken aufdrängen, die Ersparnisse seines Bruders, wie er sagte. Diese Begegnungen führten dazu, daß sie vom »Paradies der Damen« nicht loskam, sich fortwährend mit dem Leben dort beschäftigte.

Niemand kam zu Denise herauf. Sie war daher sehr erstaunt, als es eines Tages an ihre Tür klopfte. Es war Colomban. Sie empfing ihn stehend. Er stotterte verlegen einige Worte, fragte sie, wie es ihr gehe, und erzählte vom »Vieil Elbeuf«. Bereute der Onkel seine Härte und hatte er ihn hergeschickt? Als sie den jungen Mann offen fragte, wurde er noch verlegener. Nein, nicht sein Chef habe ihn geschickt, sagte er, sondern er sei gekommen, um mit ihr über Claire zu sprechen. Er faßte allmählich Mut und fragte sie um Rat in der Meinung, daß ihm Denise bei ihrer ehemaligen Kollegin nützlich sein könnte.

Aber das war nun vollends verfehlt. Zu seiner Verzweiflung machte sie ihm auch noch Vorwürfe, daß er wegen eines so herzlosen Mädchens Geneviève kränke. Dennoch wiederholte er seine Besuche und war glücklich, wenn er sich mit jemandem unterhalten konnte, der mit Claire im gleichen Haus gearbeitet hatte. Denise selbst lebte durch diese Gespräche noch mehr im »Paradies der Damen«.

Gegen Ende September war ihre Not aufs äußerste gestiegen. Pépé war an einer bösen Erkältung erkrankt, sie hätte ihn mit Fleischbrühe füttern müssen und hatte nicht einmal Brot. Als sie eines Abends bitterlich schluchzte in einer jener fürchterlichen Stimmungen, die ein junges Mädchen in die Gosse der Großstadt oder in die Seine treiben, erschien der alte Bourras mit einem Brot und einem Topf voll Fleischbrühe.

»Nehmen Sie«, sagte er; »das ist für den Kleinen. Weinen Sie nicht so, das stört die übrigen Mieter.«

Als sie ihm schluchzend dankte, fügte er hinzu:

»Seien Sie doch still! ... Kommen Sie morgen zu mir: ich habe etwas zu tun für Sie.«

Bourras beschäftigte keine Arbeiterinnen mehr, seit das »Paradies der Damen« den schrecklichen Schlag gegen ihn geführt hatte, eine Schirmabteilung einzurichten. Er machte von da an alles selber, um seine Kosten zu verringern. Seine Kundschaft hatte indessen dermaßen abgenommen, daß es ihm selbst manchmal an Arbeit fehlte. Er mußte daher für Denise, als sie am nächsten Morgen in seinem Laden erschien, sozusagen etwas erfinden. Er konnte seine Mieter doch nicht Hungers sterben lassen.

»Ich werde Ihnen täglich vierzig Sous geben«, sagte er; »wenn Sie was Besseres finden, können Sie es ja annehmen.«

Sie fürchtete sich vor ihm und erledigte ihre Arbeit so rasch, daß er in Verlegenheit kam, wo er etwas anderes für sie hernehmen sollte. Die ersten Tage wagte sie kaum aufzublicken, weil sie ihn mit seinem Löwenkopf, seiner krummen Nase und seinen durchdringenden Augen unter den buschigen Brauen in ihrer Nähe wußte. Er hatte eine barsche Stimme und so verrückte Gebärden an sich, daß die Mütter im Stadtviertel ihre Kinder mit ihm einschüchterten. Die Gassenjungen schrien ihm im Vorübergehen allerlei häßliche Schimpfworte zu, die er aber nicht zu hören schien. Sein ganzer Zorn kehrte sich gegen diese Gauner, die seinen Beruf entehrten, indem sie allerlei Schund um ein Spottgeld verkauften. Denise fuhr jedesmal erschrocken zusammen, wenn er ausrief:

»Die Kunst ist beim Teufel, hören Sie? ... Es gibt keinen sauber gearbeiteten Regenschirmgriff mehr! Stöcke machen sie noch, aber keine Griffe mehr! Zeigen Sie mir einen schönen Griff, und ich zahle Ihnen zwanzig Franken!«

Darin lag sein ganzer Künstlerstolz; kein Handwerker von Paris vermochte einen solchen Griff zu schnitzen wie er, so leicht und so dauerhaft zugleich. Er bewies dabei außerordentliche Phantasie: Blumen, Früchte, Tiere, Köpfe – alles zauberten seine kunstfertigen Hände naturgetreu hervor. Ein kleines Federmesser genügte ihm, und oft sah man ihn den ganzen Tag, die Brille auf der Nase, an Buchsbaum- und Ebenholzstücken herumhantieren.

»Diese Stümper«, sagte er dann wohl, »da glauben sie einen Regenschirm gemacht zu haben, wenn sie ein Fischbeingerüst mit Seide überziehen! Ihre Griffe kaufen sie en gros – alles Fabrikarbeit! Und sie werden es auch noch los! Die Kunst ist beim Teufel, glauben Sie mir!«

Immer wieder kam er auf das »Paradies der Damen« und auf seinen Zweikampf mit ihm zu sprechen. Seit 1845 bewohnte er das Haus, für das er einen Vertrag auf dreißig Jahre laufen hatte. Er bezahlte achtzehnhundert Franken Miete, und da er aus den vier Zimmern rund tausend Franken einnahm, kam ihn der Laden auf achthundert zu stehen. Das war nicht teuer, er hatte wenig Unkosten und konnte es folglich lange aushalten. Wenn man ihn so hörte, war an seinem Sieg nicht zu zweifeln.

»Wenn sie mich auch um meinen Verdienst gebracht haben – ich will lieber zugrunde gehen, als daß ich nachgebe!«

Dabei fuchtelte er mit dem Federmesser herum, und seine langen Haare flatterten ihm um den Kopf.

»Aber«, bemerkte Denise sanft, ohne die Augen von ihrer Nadel zu erheben, »wenn man Ihnen eine ansehnliche Summe anbietet, wäre es doch vernünftiger, darauf einzugehen.«

Da brach sein grimmiger Eigensinn los.

»Niemals! Und wenn man mir den Kopf unter das Beil legte, ich würde nein sagen! Mein Vertrag läuft noch zehn Jahre, und früher sollen sie das Haus nicht haben, müßte ich selbst zwischen meinen vier leeren Wänden Hungers sterben. Sie sind schon zweimal gekommen, um mich einzuwickeln, sie haben mir zwölftausend Franken für mein Geschäft geboten und für die noch ausstehende Dauer meines Vertrages achtzehntausend Franken Ablösung, zusammen also dreißigtausend Franken. Aber nicht für fünfzigtausend gehe ich auf den Handel ein! Ich habe sie in meiner Hand, und ich werde noch erleben, daß sie vor mir am Boden liegen!«

»Dreißigtausend Franken sind eine schöne Summe«, bemerkte Denise, »Sie könnten sich dann etwas weiter weg neu einrichten ... Und was ist, wenn die andern das Haus kaufen?«

»Das Haus kaufen? Damit hat's keine Gefahr; sie haben schon im vorigen Jahr davon gesprochen und achtzigtausend Franken geboten, das Doppelte von dem, was es heute wert ist. Aber der Eigentümer, ein ehemaliger Obsthändler, ein Gauner wie sie selbst, wollte noch mehr herausschlagen. Im übrigen wissen sie recht gut, daß ich dann noch weniger nachgeben würde. Nein, nein, ich bin da, und ich bleibe da. Der Kaiser mit all seinen Kanonen kann mich hier nicht hinausbringen.«

Denise wagte nicht mehr, ihm zu widersprechen. Sonst erinnerte er sie wieder an die unwürdige Art, wie sie selbst dort drüben entlassen worden war. Wohl schon zum hundertstenmal hatte sie ihm erzählen müssen, wie sie in die Konfektionsabteilung eingetreten war, was sie anfangs zu leiden gehabt hatte; alles mußte sie wieder und wieder schildern: die kleinen, ungesunden Kammern, die schlechte Kost, den fortwährenden Kampf der Verkäufer untereinander. So sprachen die beiden vom Morgen bis zum Abend von nichts anderem als vom »Paradies der Damen«.

Denise hatte jetzt ihr tägliches Brot. Sie war dem alten Regenschirmhändler, der unter seinem rauhen Äußeren ein gütiges Herz verbarg, dafür zutiefst dankbar. Doch ihr sehnlichster Wunsch war, woanders Arbeit zu finden, denn sie sah, wie er allerhand kleine Aufträge für sie erfand, und begriff, daß er sie nur aus reiner Barmherzigkeit beschäftigte. So verflossen sechs Monate, und man war in der toten Zeit des Winterhalbjahrs angelangt. Sie war in der größten Sorge, wie sie bis zum März eine neue Stelle finden sollte, als eines Abends im Januar Deloche, der unter einem Tor auf sie gewartet hatte, ihr einen Rat gab. Warum ging sie nicht zu Robineau? Dort brauchte man vielleicht jemanden.

Robineau hatte sich im September entschlossen, das Geschäft Vinçards zu übernehmen; allerdings schwebte er nach wie vor in größter Angst, dabei die sechzigtausend Franken seiner Frau einzubüßen. Er hatte vierzigtausend Franken für die Seidenhandlung bezahlt und fing nun mit den restlichen zwanzigtausend an. Das war wenig, aber hinter ihm stand Gaujean, der ihn durch langfristigen Kredit unterstützen wollte. Seit seinem Zerwürfnis mit dem »Paradies der Damen« träumte Gaujean nur mehr davon, Konkurrenten gegen den Koloß zu schaffen; er vertraute auf den Sieg, wenn es gelang, in der Nachbarschaft mehrere Spezialgeschäfte zu errichten, in denen die Kundschaft eine reiche Auswahl fand. Nur die großen Fabrikanten in Lyon wie Dumonteil konnten sich den Forderungen der Warenhäuser beugen. Sie begnügten sich damit, ihre Webstühle laufen zu sehen, und sorgten durch um so höhere Aufschläge gegenüber den kleinen Einzelhändlern für einen gewissen Ausgleich. Aber Gaujean stand nicht so fest auf den Füßen wie Dumonteil. Er war lange Zeit nur Zwischenlieferant gewesen und besaß erst seit fünf Jahren eigene Webstühle; daneben beschäftigte er viele Handwerker, denen er das Material lieferte und die er meterweise bezahlte. So hatte ihm Dumonteil mit dem »Pariser Glück« den Rang abgelaufen, und seither versteifte Gaujean sich mehr und mehr in seinem Groll gegen das »Paradies der Damen«. Robineau war für ihn nur ein Werkzeug in dem entscheidenden Kampf gegen diese Warenhäuser, denen er vorwarf, sie ruinierten den gesamten französischen Handel.

Tatsächlich hatte Denise bei Robineau Glück. Er nahm sie sogleich auf, nachdem tags vorher eine seiner Verkäuferinnen ihn verlassen hatte, um beim »Paradies der Damen« einzutreten.

»Sie lassen einem keinen guten Angestellten«, sagte er. »Aber bei Ihnen bin ich beruhigt; Sie haben keinen Grund, die Burschen dort drüben besonders zu lieben – ganz wie ich. Sie können morgen anfangen.«

Denise war in arger Verlegenheit, als sie am Abend Bourras mitteilen mußte, daß sie ihn verlassen wolle. In der Tat wurde er böse, als er es hörte, und behandelte sie wie eine Undankbare. Als sie mit Tränen in den Augen sich gegen diesen Vorwurf wehrte, wurde er weich, behauptete aber trotzdem, daß er viel Arbeit habe und daß sie ihn gerade im ungünstigsten Augenblick verlasse.

»Und Pépé?« fragte er dann.

Das Kind war in der Tat die schwerste Sorge Denises. Sie konnte den Jungen nicht wieder zu Frau Gras geben, ihn aber auch nicht den ganzen Tag über im Zimmer eingesperrt allein lassen.

»Schon gut, ich behalte ihn«, sagte der Alte. »In meinem Laden ist der Kleine gut aufgehoben. Wir werden dann für uns beide zusammen kochen.«

Als sie sich weigern wollte, dieses Opfer anzunehmen, aus Furcht, daß das Kind ihm zur Last fallen könnte, wurde er böse.

»Alle Wetter! Sind Sie etwa gar mißtrauisch? Ich werde Ihren Kleinen nicht fressen!«

Bei Robineau fühlte Denise sich wohler. Er bezahlte allerdings nicht viel: nur sechzig Franken monatlich und die Kost, keine Verkaufsprovision. Aber sie wurde sehr gut behandelt, besonders von Frau Robineau, einer hübschen, reizvollen jungen Frau, die ihren Mann abgöttisch verehrte und nur in dieser Liebe und für diese Liebe lebte. Schon nach einem Monat gehörte Denise ebenso zur Familie wie die andere Verkäuferin, eine stille, kränkliche kleine Frau. Man tat sich vor ihnen keinen großen Zwang an, sprach in ihrer Gegenwart ungeniert von den Geschäften, besonders beim Essen, das in einem an den Laden angrenzenden Hinterzimmer eingenommen wurde. Hier war es auch, wo eines Tages beschlossen wurde, den Kampf gegen das »Paradies der Damen« aufzunehmen.

»Das wird auf die Dauer unerträglich!« erklärte Gaujean, der zu Tisch erschienen war. »Da kommen sie zu Dumonteil, sichern sich das Alleinverkaufsrecht an einem Muster, bestellen gleich dreihundert Stück, fordern einen Nachlaß von fünfzig Centimes für den Meter, und da sie bar bezahlen, bekommen sie auch noch ein hohes Skonto. Manchmal verdient Dumonteil keine zwanzig Centimes am Meter. Er arbeitet oft nur, um seine Webstühle zu beschäftigen, denn eine Fabrik, die feiert, ist so gut wie tot ... Wie sollen wir mit unseren bescheideneren Mitteln einen solchen Kampf aushalten?«

Robineau saß in Gedanken verloren da, ohne zu essen.

»Dreihundert Stück«, flüsterte er. »Und ich komme mir schon sehr verwegen vor, wenn ich zwölf Stück mit neunzig Tagen Ziel kaufe. Da können die andern leicht einen bis zwei Franken billiger auszeichnen als wir. Ich habe festgestellt, daß ihre Preise fast generell um fünfzehn Prozent niedriger sind als die unseren.«

Er war wieder einmal ganz mutlos. Seine Frau betrachtete ihn mit besorgten, zärtlichen Blicken. Ihr sagte das Geschäftsleben nicht zu, und sie konnte nicht begreifen, wie man sich derart abmühen konnte, wo es doch so leicht war, nur für das Glück und die Liebe dazusein. Aber da ihr Mann nun einmal mit Leidenschaft bei der Sache war, tat auch sie ihr Bestes.

»Und wie kommt es, daß die Fabriken sich nicht zusammentun?« fragte Robineau heftig. »Dann würden sie die Gesetze diktieren, statt sie sich diktieren zu lassen.«

»Wie das kommt?« meinte Gaujean. »Ich sagte Ihnen ja, daß die Webstühle arbeiten müssen. Wenn man überall in der Umgebung von Lyon Webereien eingerichtet hat, so kann man keinen Tag feiern, ohne sich großen Verlusten auszusetzen. Was die Warenvorräte angeht, so sind wir, die wir zuweilen kleine Unternehmer mit nur zehn bis fünfzehn Webstühlen beschäftigen, noch eher Herren der Produktion; aber die Großfabriken sind einfach auf einen raschen und sicheren Absatz angewiesen. Und darum liegen sie vor den Warenhäusern auf den Knien. Ich kenne drei oder vier, die sich um sie reißen, die zu Verlusten bereit sind, um nur ihre Aufträge zu erhalten. Dann bringen sie diese Verluste bei kleineren Geschäften wie dem Ihrigen wieder herein. Jawohl, die kleineren Geschäfte sind es allein, an denen sie gewinnen ... Gott weiß, wie das noch einmal ausgehen wird!«

Denise hatte still zugehört. In ihrer unwillkürlichen Vorliebe für das Folgerichtige und Lebenskräftige war sie insgeheim für die großen Kaufhäuser. Endlich wagte sie zu bemerken:

»Aber das Publikum ist doch zufrieden.«

Nun ging die Auseinandersetzung erst richtig los. Gewiß, meinten sie, war die Kundschaft zufrieden; schließlich war sie es, die von den niedrigen Preisen den Vorteil hatte. Allein es mußte doch jeder leben; wo käme man da hin, wenn unter dem Vorwand des Nutzens für die Allgemeinheit der Käufer auf Kosten des Herstellers gemästet werden sollte? Denise dagegen meinte, die Entwicklung sei doch ganz natürlich und gar nicht aufzuhalten: Die vielen Mittelspersonen, die Vertreter, die Aufkäufer würden verschwinden, was sein Teil zur Verbilligung der Waren beitragen werde; überdies könnten die Fabriken ohne die großen Warenhäuser längst nicht mehr existieren.

»Sie stehen also auf Seiten derer, die Sie zur Tür hinausgeworfen haben?« fragte Gaujean.

Denise errötete tief; sie war selbst überrascht über die Lebhaftigkeit ihrer Verteidigung.

»Mein Gott, nein«, sagte sie dann, »ich habe vielleicht unrecht, Sie verstehen es gewiß besser ... Ich habe nur so gesagt, was ich darüber denke. Während früher die Preise von fünfzig Häusern gemacht wurden, werden sie heute von vier oder fünfen bestimmt, die sie dank ihrem Kapital und ihrer großen Kundschaft herabgesetzt haben, und das kommt dem Publikum zugute.«

Robineau war keineswegs erzürnt. Er war nur ernst geworden und starrte auf das Tischtuch. Oft genug hatte er sich in Stunden nüchterner Erwägung gefragt, warum er diesem Zug der Zeit Widerstand leisten sollte. Aber Gaujean fing von neuem an.

»Das sind alles so Theorien ... Sie müssen etwas gegen das >Pariser Glück< tun, dem diese Burschen ihren diesjährigen Erfolg verdanken; ich habe mich mit mehreren Kollegen in Lyon besprochen und mache Ihnen ein ungewöhnlich vorteilhaftes Angebot: eine schwarze Seide, die Sie zu fünf Franken fünfzig verkaufen können. Die drüben verkaufen die ihrige zu fünf Franken sechzig, nicht wahr? Das sind zehn Centimes weniger und genügt, Ihre Konkurrenten zu ruinieren.«

»Haben Sie ein Muster mitgebracht?« fragte Robineau, schon wieder mit funkelnden Augen.

Als Gaujean aus seiner Brieftasche ein kleines Stückchen Seide hervorholte, geriet er in ausgelassene Freude und rief entzückt:

»Aber die ist ja noch schöner als das >Pariser Glück

Frau Robineau teilte die allgemeine Begeisterung völlig und erklärte, die Seide sei großartig. Auch Denise glaubte an den Erfolg. So wurde das Ende der Mahlzeit sehr vergnügt. Man sprach laut und zuversichtlich, geradeso als läge das »Paradies der Damen« schon in den letzten Zügen. Gaujean setzte ihnen auseinander, welche ungeheuren Opfer er und seine Lyoner Kollegen sich auferlegen müßten, um solch einen prachtvollen Stoff so billig zu liefern. Aber sie hätten sich geschworen, die großen Warenhäuser zu vernichten, und wenn sie selbst dabei zugrunde gingen.

Beim Kaffee erschien mit einemmal Vinçard. Er sei nur im Vorübergehen hereingekommen, um seinem Nachfolger einen guten Tag zu wünschen, versicherte er.

»Famos«, rief er, die Seide befühlend. »Sie werden Ihre Konkurrenz ruinieren, darüber gibt es keinen Zweifel. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie hier eine Goldgrube finden!«

Er erzählte weiter, daß er in Vincennes ein Restaurant eröffnen wolle. Das war ein alter Plan von ihm, und er hatte immer nur gefürchtet, sein Geschäft nicht rechtzeitig vor dem Zusammenbruch verkaufen zu können. Schon immer hatte er sein bißchen Geld in einem Wirtschaftszweig anlegen wollen, in dem er hoffte ungehindert betrügen zu können. Der Gedanke mit dem Restaurant war ihm beim Hochzeitsessen eines Vetters gekommen. Da hatten sie für das reinste Spülwasser, in dem ein paar Klöße herumschwammen, zehn Franken bezahlen müssen. Nun, und Leute, die essen und trinken wollten, gab es immer. Sein Gesicht strahlte vor Freude, daß es ihm gelungen war, den Eheleuten Robineau diesen Laden auf den Hals zu schwatzen, der ihn all sein Vermögen hätte kosten können.

»Was machen Ihre Schmerzen?« fragte Frau Robineau höflich.

»Wie, meine Schmerzen?« murmelte er erstaunt.

»Na, Ihr Rheumatismus, der Sie so plagte?«

Er erinnerte sich und errötete leicht.

»Oh ja, daran leide ich noch immer«, stotterte er, »aber die Landluft ... Sie begreifen ... Jedenfalls haben Sie ein glänzendes Geschäft gemacht. Wäre mein Rheumatismus nicht gewesen, so hätte ich mir hier in zehn Jahren zehntausend Franken Rente herausgewirtschaftet – auf Ehre!«

Vierzehn Tage später brach der Kampf zwischen Robineau und dem »Paradies der Damen« los. Er beschäftigte eine kurze Zeit ganz Paris. Robineau suchte seinen Feind mit dessen eigenen Waffen zu schlagen und hatte für seine Propaganda die Zeitungen in Anspruch genommen. Außerdem dekorierte er seine Auslagen mit aller Sorgfalt, er häufte wahre Berge der vielgerühmten Seide in seinen Schaufenstern auf, kündigte sie durch große weiße Plakate an, von denen sich in Riesenziffern der Preis von fünf Franken fünfzig Centimes abhob. Diese Zahl brachte die Frauenwelt in Aufruhr: Zehn Centimes billiger als im »Paradies der Damen«, und die Seide schien stärker, dauerhafter zu sein!

Gleich in den ersten Tagen kam ein Strom von Kunden. Frau Marty kaufte unter dem Vorwand, sie wolle sparen, Stoff für ein Kleid, das sie eigentlich nicht brauchte; Frau Bourdelais dagegen fand die Seide schön, zog es aber vor, zu warten, denn sie witterte offenbar die Dinge, die da kommen sollten. In der Tat setzte Mouret in der nächsten Woche den Preis des »Pariser Glücks« um zwanzig Centimes herab. Er hatte mit Bourdoncle und den übrigen Teilhabern eine lebhafte Auseinandersetzung gehabt, um sie zu überzeugen, daß man den Kampf aufnehmen müsse selbst auf die Gefahr hin, mit Verlust zu verkaufen; und diese zwanzig Centimes waren in der Tat schon ein Verlust, denn sie hatten vorher bereits zum Selbstkostenpreis verkauft. Dieser Schlag war hart für Robineau; er hatte nicht geglaubt, daß sein Nebenbuhler auch heruntergehen werde, denn dieser selbstmörderische Konkurrenzkampf, diese Verkäufe mit Verlust waren bisher noch nicht dagewesen. Und sofort wandte sich der Strom der Kunden, immer dem günstigeren Preis folgend, wieder nach der Rue Neuve-Saint-Augustin, während das Geschäft in der Rue Neuve-des-Petits-Champs sich leerte. Gaujean eilte aus Lyon herbei, es gab lange Beratungen, und Robineau entschloß sich zu einer Heldentat: Die Seide wurde ebenfalls um zwanzig Centimes herabgesetzt, man verkaufte sie für fünf Franken dreißig, zu einem Preis also, den niemand unterbieten konnte, ohne sich völlig zum Narren zu machen. Aber am folgenden Tag bot Mouret seinen Stoff zu fünf Franken zwanzig an. Und nun gerieten sie offenkundig in Wut. Robineau antwortete mit fünf Franken fünfzehn, worauf Mouret fünf Franken zehn ankündigte. Sie unterboten sich nur mehr um jeweils einen Sou und verloren bedeutende Summen, sooft sie dem Publikum dieses Geschenk machten. Die Kunden lachten, sie waren entzückt über diesen Zweikampf und freuten sich über die fürchterlichen Hiebe, welche die beiden einander versetzten, um dem lieben Publikum zu gefallen. Endlich wagte es Mouret, auf fünf Franken herabzugehen. Robineau, zu Boden geschmettert, setzte ebenfalls fünf Franken fest, fand aber nicht den Mut, den Gegner zu unterbieten. In dieser Lage verharrten sie. Allein wenn auch auf beiden Seiten die Ehre damit gerettet war, so war doch für Robineau die Situation mörderisch. Das »Paradies der Damen« besaß Kapital und Kredit und hatte eine große Kundschaft, die es ihm ermöglichte, die Verluste bei einem Artikel durch Gewinne bei verschiedenen anderen wieder hereinzubringen; er dagegen hatte bloß Gaujean als Stütze und war nicht in der Lage, seinen Schaden auf anderen Gebieten wettzumachen. So geriet er mit jedem Tag ein wenig mehr auf die schiefe Bahn des Bankrotts. Was ihn am meisten bedrückte, war, daß die zahlreiche Kundschaft, die ihm die Wechselfälle des Kampfes zugeführt hatten, langsam wieder zum »Paradies der Damen« zurückströmte, nachdem er sein Geld an sie verloren und so kolossale Anstrengungen gemacht hatte, sie zu gewinnen.

Es kam ein Tag, an dem er die Geduld verlor. Eine Kundin, Frau von Boves, war zu ihm gekommen, um sich Mäntel anzusehen, denn er hatte seinem Seidenspezialgeschäft eine Abteilung für Konfektion angefügt. Sie konnte sich nicht entschließen und beklagte sich über die Qualität der Stoffe. Endlich sagte sie:

»Das >Pariser Glück< ist aber doch viel stärker.«

Robineau hielt an sich und versicherte mit all seiner kaufmännischen Höflichkeit, daß sie sich täusche.

»So sehen Sie sich doch die Seide dieses Umhangs an«, meinte sie, »das ist ja wie Spinngewebe. Sie können sagen, was Sie wollen, Mourets Seide zu fünf Franken ist reines Leder im Vergleich mit dieser.«

Alles Blut stieg ihm zu Kopf, er preßte die Lippen zusammen und antwortete zunächst gar nichts. Er hatte nämlich den guten Einfall gehabt, für seine Konfektionsabteilung die Seide seines Konkurrenten zu kaufen. So verlor Mouret an dem Stoff, nicht er.

»Wirklich, Sie finden das ›Pariser Glück< kräftiger?« fragte er endlich.

»Hundertmal!« erwiderte Frau von Boves, »gar kein Vergleich!«

Da konnte er nicht länger an sich halten.

»Gnädige Frau«, sagte er, »diese Seide ist ›Pariser Glück‹; ich habe sie selbst gekauft!«

Frau von Boves ging sehr verdrossen weg. Die Geschichte machte die Runde, und viele Damen blieben ihm daraufhin aus. Angesichts dieses neuen Schlags packte ihn die Furcht, nicht seinetwegen, sondern um seine Frau; sie war an ein ruhiges Glück gewöhnt und konnte nicht in Armut leben. Was sollte aus ihr werden, wenn eine Katastrophe sie auf die Straße werfen würde? Es war seine Schuld, er hätte ihre sechzigtausend Franken niemals anrühren sollen! Als sie merkte, was ihn bedrückte, mußte sie ihn trösten. Gehörte denn das Geld nicht ihm ebenso wie ihr? Sie hatte ihm doch alles gegeben, und sie verlangte nicht mehr als seine Liebe.

Denise war gerührt über diese zärtliche Zuneigung. Sie bangte, denn sie sah den unvermeidlichen Zusammenbruch voraus, aber sie wagte nicht, sich einzumengen.

Im übrigen hatten sich ihre Verhältnisse sehr gebessert. Wenn sie ihren arbeitsreichen Tag beendet hatte, kehrte sie rasch in ihre Wohnung zurück, um sich um Pépé zu kümmern, für dessen Verpflegung glücklicherweise der alte Bourras sorgte. Dann gab es noch dies und das zu erledigen, Wäsche zu waschen, das eine oder andere auszubessern, kurz, sie kam selten vor Mitternacht ins Bett. Trotzdem unternahm sie zuweilen ausgedehnte Spaziergänge mit dem Kleinen. Jean wollte bei diesen Ausflügen nicht mithalten. Er zeigte sich nur mehr von Zeit zu Zeit, manchmal abends nach der Arbeit, verschwand aber bald wieder unter dem Vorwand, er habe noch andere Besuche zu machen. Er verlangte kein Geld mehr von ihr, doch er kam meist mit so trübseliger Miene an, daß sie immer ein Hundertsoustück für ihn bereithielt. Das war der einzige Luxus, den sie sich leistete.

»Hundert Sous!« rief er jedesmal freudig. »Du bist wirklich zu nett! Da ist gerade die Frau eines Papierhändlers –«

»Schweig«, unterbrach ihn dann Denise, »ich will nichts wissen!«

So verflossen drei Monate, es kam der Frühling. Denise wollte nicht mehr mit Pauline und Baugé nach Joinville gehen. Sie begegnete ihnen zuweilen in der Rue Saint-Roch, wenn sie von Robineau kam. Als sie eines Abends allein war, gestand ihr Pauline, daß sie vielleicht demnächst ihren Geliebten heiraten werde; aber sie zögerte noch, weil man im »Paradies der Damen« verheiratete Verkäuferinnen nicht gern sah.

Dieser Plan einer Heirat überraschte Denise; doch sie wagte nicht, ihrer Freundin einen Rat zu geben. Wenige Tage später sprach Colomban sie auf der Place Gaillon neben dem Brunnen an, gerade in dem Augenblick, als Claire vorüberging; Denise mußte rasch davoneilen, denn er bat sie, sie möge mit ihrer früheren Kollegin reden und sie fragen, ob sie ihn nicht zum Mann nehmen wolle. Sie begriff nicht, warum die Leute alle so sehr aufs Heiraten aus waren. Sie fühlte sich recht glücklich dabei, daß sie niemanden liebte.

»Wissen Sie, was es Neues gibt?« rief ihr eines Abends der Schirmhändler entgegen, als sie heimkehrte.

»Nein, Herr Bourras.«

»Nun, die Gauner haben das Haus Duvillard angekauft; ich bin eingeschlossen.«

Er fuchtelte wütend mit beiden Armen in der Luft herum.

»Das Ganze ist eine Schurkerei, von der ich nichts begreife. Wie es scheint, hat das Haus der Immobilienbank gehört, deren Direktor, der Baron Hartmann, dem famosen Mouret auf den Leim gegangen ist. Jetzt haben sie mich von rechts und von links, von vorne und von hinten!«

Die Sache hatte ihre Richtigkeit, die Abtretungsurkunde war am Tag vorher unterschrieben worden. Das kleine Haus Bourras', eingeklemmt zwischen dem »Paradies der Damen« und dem Haus Duvillard, geriet damit völlig in die Umklammerung des Riesen, der nun auch den Nachbarbau bezog.

»Tut nichts«, rief der Alte, »sie werden mich nicht plattdrücken können wie eine Wanze. Ich bleibe da, und wenn sie mir das Dach abtragen und mir der Regen scheffelweise ins Bett läuft!«

Als die Dinge so weit gediehen waren, ließ Mouret dem Schirmhändler neue Vorschläge machen; man wollte die Abstandssumme vergrößern, ihm sein Geschäft und seinen Vertrag um fünfzigtausend Franken abkaufen. Doch dieses Angebot verdoppelte nur die Wut des Alten. Er lehnte unter zornigen Flüchen ab. Wem stahlen diese Leute eigentlich das Geld, daß sie ihm fünfzigtausend Franken für eine Sache anboten, die nicht mehr als zehntausend wert war? Er verteidigte seinen Laden wie ein anständiges Mädchen seine Tugend, rein im Namen der Ehre, aus Achtung vor sich selbst.

Ungefähr vierzehn Tage lang wirkte Bourras gedankenvoll und zerstreut. Er lief fieberhaft erregt hin und her, maß die Mauern seines Hauses ab und betrachtete es von der Mitte der Straße aus mit der Miene eines Architekten. Dann kamen eines Morgens Arbeiter. Es galt den entscheidenden Kampf, er hatte den kühnen Gedanken gefaßt, das »Paradies der Damen« auf seinem eigenen Boden zu schlagen, indem er dem Geist der Zeit Zugeständnisse machte. Die Kunden, die ihm seinen dunklen Laden vorwarfen, würden sicherlich wiederkommen, wenn sie das Geschäft in frischem Glanz fänden. Vor allem wurden die Löcher und Sprünge ausgebessert und die Vorderseite neu verputzt; sodann wurde alles Holzwerk grün angestrichen. Dreitausend Franken, die Bourras als eine letzte Reserve beiseite gelegt hatte, wurden durch diese Ausgaben verschlungen. Das ganze Stadtviertel geriet in Aufruhr. Man strömte herbei, um den Alten zu betrachten, wie er inmitten dieser neuen Pracht nun vollends den Kopf verlor und sich überhaupt nicht mehr zurechtfand.

Auch er begann jetzt ganz offen den Feldzug gegen das »Paradies der Damen«. Er bot einen Schirm zu einem Franken fünfundneunzig an, Zanella auf Stahl montiert, »unverwüstlich«, wie die Etiketten besagten. Aber er wollte seinen Konkurrenten hauptsächlich mit seinen Griffen schlagen, mit einer reichen Auswahl aller erdenklichen Arten und Formen. Das »Paradies der Damen«, weniger auf Kunstfertigkeit erpicht, legte mehr Sorgfalt auf die Stoffe. Und es behielt die Oberhand. Der Alte klagte immer wieder verzweifelt, daß die Kunst beim Teufel sei und daß er künftig nur mehr zu seinem Vergnügen Griffe schnitzen könne, ohne Hoffnung, sie auch zu verkaufen.

»Es ist mein eigener Fehler!« rief er Denise zu. »Warum habe ich auch Schundartikel zu einem Franken fünfundneunzig angeboten? Ich wollte das Beispiel dieser Räuber nachahmen und gehe jetzt selbst dabei zugrunde!« –

Der Monat Juli war sehr heiß. Denise litt Qualen in ihrem engen Zimmerchen unter dem Schieferdach. Darum holte sie, wenn sie aus dem Geschäft kam, Pépé bei Herrn Bourras ab und ging, um ein wenig frische Luft zu schöpfen, in die Tuilerien, bis die Gittertore geschlossen wurden. Als sie eines Abends auf die Kastanienbäume zuschritt, blieb sie plötzlich betroffen stehen: sie glaubte einige Schritte vor sich Hutin zu sehen. Ihr Herz klopfte heftig; es war aber nicht Hutin, sondern Mouret, der jenseits des Flusses gegessen hatte und sich jetzt beeilte, zu Frau Desforges zu kommen. Bei der plötzlichen Bewegung, die das junge Mädchen machte, um ihm auszuweichen, erkannte er sie, obgleich die Dämmerung schon hereingebrochen war.

»Sie sind es, Fräulein?«

Ganz bestürzt, daß er sie eines Grußes würdigte, fand sie keine Antwort.

»Sie sind noch immer in Paris?« fragte er weiter.

»Ja.«

Sie wich langsam aus, wollte grüßen und ihren Weg fortsetzen; aber er kehrte um und folgte ihr unter den dunklen Schatten der alten Kastanien.

»Ist das Ihr Bruder?« fragte er, auf Pépé deutend.

»Ja«, antwortete sie wieder.

Sie wurde rot und dachte an die abscheulichen Verleumdungen von Marguerite und Claire. Ohne Zweifel begriff Mouret die Ursache ihres Errötens, denn er fügte lebhaft hinzu:

»Hören Sie, Fräulein, ich habe mich bei Ihnen zu entschuldigen; ja, ich hätte Ihnen gern früher schon gesagt, wie sehr ich das Unrecht bedaure, das man Ihnen zugefügt hat. Man hat Sie leichtfertig eines Fehltritts beschuldigt ... Aber schließlich ist das Unglück geschehen, und ich wollte Ihnen nur sagen, daß jetzt in unserem Haus jedermann weiß, von welcher zärtlichen Liebe Sie für Ihre Brüder erfüllt sind.«

In diesem Ton fuhr er fort und war von einer achtungsvollen Höflichkeit, welche die Verkäuferinnen vom »Paradies der Damen« an ihm nicht gewohnt waren. Die Verlegenheit Denises stieg immer höher, aber ihr Herz war von tiefer Freude erfüllt. Er wußte also, daß sie sich niemandem hingegeben hatte!

»Ich würde Ihnen gern eine Wiedergutmachung anbieten, Fräulein«, fing er wieder an; »natürlich voausgesetzt, daß Sie zu uns zurückkehren wollen.«

»Das kann ich nicht«, sagte sie; »ich danke Ihnen sehr, aber ich habe anderswo eine Beschäftigung gefunden.«

Er wußte es schon; man hatte ihm bereits mitgeteilt, wo sie arbeitete. In ruhigem Ton und liebenswürdig wie zu seinesgleichen sprach er mit ihr von Robineau, dem er volle Gerechtigkeit widerfahren ließ: ein reger, gescheiter Bursche, nur etwas zu reizbar. Er werde sicherlich mit einer Katastrophe enden, denn Gaujean habe ihm ein Unternehmen auf den Hals geladen, bei dem alle beide auf der Strecke bleiben müßten. Nun ließ Denise, der diese Vertraulichkeit Mut gab, durchblicken, daß sie in dem Kampf, der sich zwischen den Warenhäusern und dem Kleinhandel entsponnen habe, auf seiten der Großen stehe. Sie erwärmte sich, führte Beispiele an und zeigte sich vollkommen unterrichtet, ja sie legte neuartige und sehr vernünftige Gedanken an den Tag. Er hörte ihr überrascht zu, war bezaubert und versuchte, im Dunkel des Abends ihre Züge wieder zu erkennen. Sie schien mit ihrem einfachen Kleidchen und ihrem sanften Gesicht noch dieselbe zu sein; aber von dieser Einfachheit und Bescheidenheit ging ein Zauber aus, der ihn mächtig ergriff. Es war offenkundig: diese Kleine hatte sich in eine Pariserin verwandelt, sie war zur Frau erblüht, verständig und verwirrend zugleich.

»Wenn Sie aber doch eine der Unsrigen sind«, sagte er lachend, »warum bleiben Sie dann bei unseren Feinden? Man hat mir auch erzählt, daß Sie bei Bourras wohnen.«

»Das ist ein braver, ehrenwerter Mann«, murmelte sie.

»Lassen Sie's gut sein, er ist ein alter Narr, der mich zwingt, ihn zu ruinieren, während ich ein Vermögen opfern wollte, um ihn loszuwerden. Vor allem aber gehören Sie da nicht hin, sein Haus hat einen üblen Ruf, er vermietet an Personen ...«

Doch er merkte, daß das junge Mädchen in Verlegenheit geriet, und beeilte sich hinzuzufügen:

»Man kann natürlich immer anständig bleiben, und das ist um so verdienstvoller, wenn man arm ist.«

Sie gingen wieder einige Schritte schweigend nebeneinander her. Pépé blickte von Zeit zu Zeit zu seiner Schwester auf, erstaunt, wie glühend heiß ihre Hand war. Mouret fuhr fort:

»Wollen Sie meine Vermittlerin bei dem Alten sein? Ich hatte ohnehin die Absicht, ihm morgen ein neues Angebot zu machen, diesmal von achtzigtausend Franken ... Reden Sie mit ihm, machen Sie ihm klar, daß er Selbstmord begeht. Er wird vielleicht auf Sie hören, da er ja Ihr Freund ist, und Sie werden ihm einen echten Dienst erweisen.«

»Gut«, erwiderte Denise lächelnd. »Ich werde die Botschaft bestellen, aber ich bezweifle, daß ich Erfolg haben werde.«

Wieder schwiegen sie. Mouret versuchte, von ihrem Onkel Baudu zu sprechen, aber er unterbrach sich sofort, als er sah, daß das dem jungen Mädchen unangenehm war. Sie schritten nebeneinander dahin und kamen endlich in der Richtung der Rue de Rivoli in eine Allee, wo es noch heller war. Als sie aus dem dunklen Schatten der Bäume hervortraten, war es ihnen, als erwachten sie plötzlich. Er begriff, daß er sie nicht länger zurückhalten konnte.

»Guten Abend, Fräulein!«

»Guten Abend, Herr Mouret.«

Aber er ging nicht. Er hob die Augen und sah vor sich an der Ecke der Rue d'Algers die hell erleuchteten Fenster von Frau Desforges, die ihn erwartete. Dann blickte er wieder auf Denise, die in dem matten Licht der Dämmerung neben ihm ging. Sie war so zart und schmächtig im Vergleich zu Henriette; wie kam es nur, daß sie trotzdem sein Herz höher schlagen ließ? Es war offenbar eine dumme Laune ...

»Der Kleine wird müde«, sagte er, um nur etwas zu sagen.

»Und vergessen Sie nicht: unser Haus steht Ihnen offen. Sie brauchen nur zu kommen, ich verschaffe Ihnen jede Genugtuung, die Sie wünschen. Guten Abend!«

»Guten Abend!«

Als Mouret sie verlassen hatte, kehrte Denise in den dunklen Schatten der Kastanien zurück und eilte lange ziellos zwischen den mächtigen Baumstämmen umher; ihr Gesicht glühte, und der Kopf summte ihr von wirren Gedanken. Sie hatte Pépé ganz vergessen, doch als sie eine Stunde später mit dem Kind die Rue de la Michodière hinaufging, trug ihr Gesicht wieder den Ausdruck innerer Gefaßtheit.

»Kreuzdonnerwetter!« schrie ihr Bourras schon von weitem entgegen, »diese Kanaille von Mouret hat tatsächlich mein Haus gekauft!«

Er war außer sich, stand mitten im Laden und fuchtelte so wütend herum, als wollte er alles zertrümmern.

»Dieser Lumpenkerl! ... Der Obsthändler hat es mir geschrieben. Sie glauben gar nicht, was er ihm dafür abgenommen hat: hundertfünfzigtausend Franken, viermal soviel, wie es wert ist! Auch ein richtiger Dieb, dieser Obsthändler! Denken Sie sich, er hat sich auf die Verschönerungen berufen, die ich an dem Haus vorgenommen habe! Werden diese Leute nicht bald aufhören, mit mir ihr Spiel zu treiben?«

Der Gedanke, daß das Geld, das er auf die Verschönerungen und Ausbesserungen verwendet hatte, nun dem Obsthändler zugute gekommen war, erfüllte ihn mit Wut. Jetzt war also Mouret sein Hauseigentümer, ihm hatte er künftig die Miete zu bezahlen, bei ihm, dem verabscheuten Konkurrenten, sollte er künftig wohnen!

Denise stand verblüfft da und vermochte kein Wort hervorzubringen. Sie wartete geduldig das Ende des Donnerwetters ab. Als Bourras ruhiger geworden war, entschloß sie sich, den Auftrag Mourets auszurichten.

»Ich bin soeben jemandem begegnet«, begann sie; »ja, aus dem ›Paradies der Damen‹, jemandem, der sehr gut unterrichtet ist. Es scheint, daß man vorhat, Ihnen achtzigtausend Franken anzubieten.«

Er unterbrach sie mit schneidender Stimme.

»Achtzigtausend Franken? Nicht für eine Million jetzt!«

Sie wollte ihn zur Vernunft bringen, allein in dem Augenblick, als sie von seinen Interessen zu sprechen begann, öffnete sich die Ladentür, und sie wich stumm und bleich zurück: es war Onkel Baudu mit seinem gelben, gealterten Gesicht. Bourras faßte seinen Nachbarn beim Mantelknopf und schrie ihm ins Gesicht, ohne ihn erst zu Wort kommen zu lassen:

»Wissen Sie, was diese Leute in ihrer Unverschämtheit mir anbieten? Achtzigtausend Franken! So weit sind diese Banditen gekommen! Sie glauben, daß ich mich verkaufe wie eine Dirne ... Kaum gehört ihnen das Haus, so meinen sie schon, sie könnten alles haben!«

»Es ist also wahr?« fragte Baudu bedrückt. »Man hat es mir erzählt, und ich wollte eben von Ihnen Näheres erfahren.«

»Achtzigtausend Franken!« wiederholte Bourras. »Warum nicht hunderttausend? Dieses Geld bringt mich am meisten auf. Glauben die denn, daß ich für ihr Geld eine Schurkerei begehen werde? Sie sollen es nicht haben, Kreuzdonnerwetter, niemals, niemals, hören Sie?«

Da brach Denise ihr Schweigen und sagte sanft:

»In neun Jahren, wenn Ihr Vertrag abläuft, bekommen sie es doch.«

Trotz der Gegenwart ihres Onkels beschwor sie den Alten, das Angebot anzunehmen. Der Kampf sei aussichtslos geworden, er kämpfe gegen eine erdrückende Übermacht. Es wäre Wahnsinn, das Vermögen zurückzuweisen, das sich ihm darbiete. Bourras aber schüttelte hartnäckig den Kopf. In neun Jahren hoffte er tot zu sein, um das Ende nicht mit ansehen zu müssen.

»Da hören Sie es, Herr Baudu«, fuhr er dann fort, »Ihre Nichte hält es auch mit diesen Leuten, sie ist damit betraut, mich fertigzumachen; sie hält es mit diesen Räubern, auf Ehrenwort!«

Der Onkel schien bisher die Anwesenheit Denises nicht bemerkt zu haben. Jetzt hob er den Kopf, wandte sich langsam um und sah sie an. Seine dicken Lippen bebten. Er bereute es wohl, daß er ihr in ihrer Not nicht beigestanden hatte. Der Anblick Pépés, der auf einem Sessel schlief, während sich diese stürmische Szene abspielte, mochte ihn vollends umstimmen.

»Denise«, sagte er schlicht, »komm doch morgen zu uns zum Essen und bring den Kleinen mit ... Meine Frau und Geneviève haben mich gebeten, dich einzuladen.«

Sie wurde rot und küßte ihn voller Dankbarkeit. Als er ging, rief ihm Bourras, glücklich über diese Versöhnung, nach:

»Treiben Sie ihr die Fehler wieder aus, es steckt doch viel Gutes in ihr! ... Meinetwegen kann das Haus einstürzen, mich sollen sie in jedem Fall unter den Trümmern finden!«


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