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Sophie Gräfin Hatzfeld

Es war kurz nach seiner Rückkehr aus Paris, im Winter 1844/45, als Ferdinand Lassalle, derzeit schon mit Heine, Alexander von Humboldt, Frau Cosima von Bülow u. A. m. befreundet und als geistreicher Schriftsteller bekannt, mit der Gräfin Sophie Hatzfeldt-Wildenburg zusammentraf. Obwohl die Gräfin bereits vierzig Jahre zählte, war sie doch noch von entzückender Schönheit und schien ihm, dem Idealisten des Sozialismus, sehr rührend in ihrer Rolle der verfolgten Unschuld. Denn sie lag damals mit ihrem Gatten, dem Grafen Edmund von Hatzfeld-Wildenburg, in Ehescheidung. Da ihr Vater, Fürst Franz Ludwig, schon 1827 in Wien gestorben war, stand sie ziemlich vereinsamt, und Lassalle bot ihr in einer Aufwallung seiner Ritterlichkeit seinen Schutz wie sein Vermögen an, um die nun folgenden, sich durch zehn Jahre hinziehenden Prozesse führen zu können. Während dieser Prozesse ereignete es sich, daß der Geliebten des Grafen eine Kassette mit höchst wichtigen Dokumenten entwendet wurde. Der Verdacht der geistigen Urheberschaft fiel auf Lassalle, der sich aber davon in einer glänzenden Verteidigungsrede zu reinigen wußte. Seine Großmut hatte ihm in der Gräfin eine Freundin auf Lebenszeit gewonnen, die sich auch der Propaganda seiner Doktrinen auf das Leidenschaftlichste und über seinen Tod hinaus annahm.

Die beiden Freunde verließen sich nicht mehr. Durch Ludmilla Assing, die Nichte Varnhagens, wurden Lassalle und Sophie dem Herweghschen Ehepaar näher gebracht. Bei der Empörung der Hatzfeldtschen wie der Lasallschen (denn Ferdinand allein schrieb sich erst seit seinem Pariser Aufenthalt ›Lassalle‹) Familie über die zu mancherlei Mißdeutungen Anlaß gebende fast mütterliche Freundschaft Sophies zu Ferdinand, ist natürlich nicht viel Material über das Thema in die Öffentlichkeit gedrungen. Einzig ein Teil der Briefe, die sie an Frau Emma Herwegh schrieb – es sollen in Wahrheit an dreihundert »allzu intimen Inhalts« sein, wie Marcel Herwegh bemerkt –, sind der Lektüre zugänglich gemacht worden. Sie sind mit Briefen von Lassalle, Herwegh, Rüstow u. a. zusammen in einem Bändchen von Marcel Herwegh veröffentlich und sehr interessant kommentiert worden. Es ist nur zu hoffen, daß der Herausgeber sich auch zur Edierung der »sehr intimen« Briefe entschließt, die mehr Licht hinter die Kulissen des Sozialismus werfen dürften, als vielleicht leidenschaftlichen Parteigängern genehm sein kann; im historischen Interesse würde die Veröffentlichung jedenfalls freudig zu begrüßen sein.

Die hier wiedergegebenen Briefe sind an Frau Herwegh nach Lassalles Tode gerichtet. Bekanntlich wurde er von einem walachischen Edelmann namens Rakowitz im Duell erschossen, weil dessen Braut, Fräulein Helene von Dönniges, Lassalles Geliebte geworden war und ihm auch ein Eheversprechen abgerungen hatte. Sie heiratete kurz nach Lassalles Tode dennoch Herrn von Rakowitz, eine Ehe, die kurz und unglücklich verlief.

Natürlich haßte Gräfin Sophie »die Person«, die ihrer Ansicht nach Schuld an dem Tode ihres einzigen Freundes trug, mit der ganzen Glut und Rachsucht, die nur eine alternde Frau – sie war zur Zeit an Sechzig – gegen das Weib empfinden kann, das uns den Freund raubt, und sie ließ kein Mittel unversucht, die verhaßte Ehe mit Rakowitz zu hintertreiben. Ihre Briefe atmen, neben tiefem, echtem Schmerz um den ihr so plötzlich Entrissenen und dem Wunsch, sein Lebenswerk fortzusetzen, nur tiefen Groll gegen Helene von Dönniges und gegen alle, in denen sie Feinde Lassallescher Ideen vermutete. Merkwürdig bleibt ihr Verhältnis zu Lassalles Mutter. Lassalle stand sehr schlecht mit seiner Familie. Sein Testament legte davon Zeugnis ab. Um die Vollstreckung dieses Testaments – die Gräfin Sophie zufallen sollte – entstanden die abscheulichsten Kämpfe. Sophie findet nicht Invektiven genug, »die alte Gans, die einen Adler ausgebrütet hat«, zu schmähen. Und doch dürften die Ansprüche der Mutter nicht so ganz unberechtigt gewesen sein, wenn Leute wie der Advokat Holthoff und Lothar Bucher sich gegen Sophies Willen zu einem Vergleich herbeiließen. Um so eigenartiger berührt ein Briefzitat Sophies: »Die Mutter schreibt mir unbegreiflicher Weise die höchsten Lobeserhebungen: ›keine Feder könne es beschreiben und keine Worte können es ausdrücken, was ich für ihren Sohn gethan hätte, ich sei die weit bessere Mutter und sein Schutzgeist gewesen, weshalb sie auch, als sie die unglaublichen Depeschen erhalten (über das Duell) nicht daran habe glauben können, daß ihm Unglück treffen könne – weil ich ihm gewesen‹...«

Wenn auch manche Gefühlsübertreibung, manche gehässige Schwarzfärberei in bezug auf dies wie auf anderes mit unterläuft, so kann man doch nur mit tiefem Mitleid die Briefe dieser Frau lesen, der mit dem Manne zugleich das Steuer des Wollens entrissen wurde; die ein Leben voller Opferwilligkeit nutzlos vergeudet sah und deren »unglückselige Stahlnatur« sie doch zwang, ihr Schicksal noch sechzehn Jahre lang auszukosten. Sie starb erst 1881 in Wiesbaden.

Portrait

Briefe von Sophie Gräfin Hatzfeldt.

An Emma Herwegh.

Auf dem Dampfschiff, 12. September 1864.

Liebe Frau Emma,

... Meine traurige Reise hat ihren Zweck vollständig erreicht; in Frankfurt – vorzüglich in Mainz, so großartig wie es keinem König erwiesen wird. Die ganze Stadt und Umgebung wogte um seinen Ferdinand Lasalles. Sarg, der, offen gefahren, unter Blumen und Lorbeerkränzen kaum gesehen, von Trauerfahnen, zwei Musikchören, Leuten mit umgestürzten Fackeln umgeben und von unabsehbarem Zuge gefolgt, den langen Weg durch die Stadt nach dem Dampfschiff zog ...

An seinem Sarge wurden Reden gehalten. Die Redner konnten vor Thränen kaum sprechen. Die harten Arbeiter schluchzten wie die Kinder. Ich habe, so viel als möglich, den wahren Sachverhalt verbreitet. Dann wurde der Sarg von Arbeitern auf's Dampfschiff getragen, wo eine Ehrenwache bei ihm die Nacht verblieb. Es geht das Gerücht, daß ich genötigt werden solle, die Leiche direct nach Berlin zu befördern, wegen der Großartigkeit der Vorbereitungen und der Erbitterung in Düsseldorf. Wie ich das Alles aushalte – die schmerzliche Freude über den bitteren Schmerz – ich weiß es nicht, es scheint, ich soll mein letztes Tagewerk noch fertig bringen können.

Ich fürchte mich entsetzlich vor der definitiven Trennung von dem Sarg und vor eintretender Ruhe. Mich hat die Kugel ebenso getroffen und mir das Herz abgerissen.

Ich fühle mich gebrochen, unfähig. Ich hätte können, wenn ich ihn glücklich wußte, ohne das beständige Zusammensein existiren – obgleich schwer, so sehr waren wir verwachsen; aber diesen Verlust, so früh und auf solche Weise –

Ich umarme Sie Beide herzlich.
S. H.

* * *

Berlin, 5. Oktober 1864 Hotel Windsor.

Liebe Frau Emma!

Wohl zwanzig Mal habe ich angefangen zu schreiben und ich habe immer verzweiflungsvoll die Feder fortgeworfen. Was soll ich sagen, ich kann nicht mehr, ich bin nichts mehr, ich bin tot, das heißt, ich sterbe in jedem Augenblick. Die Zeit, das ist nichts für mich, ich bin ja eben so unglücklich constituirt, ich kann nichts vergessen, weder im Guten noch im Bösen. Erwarten Sie keinen zusammenhängenden Brief; ich weiß nicht einmal, ob ich ihn ausschreiben kann, nur einzelne Ideen kann ich aussprechen. Wohl hatte ich recht, als ich am Tag vor dem schrecklichen Tag zu Becker Philipp Becker, Präsident der Internationalen Arbeiter-Assoziation in Genf. sagte: nun wird mein wie sein Todesurteil entschieden. Dieselbe Kugel hat mich viel schlimmer, qualvoller getroffen. Und doch wußte ich es selbst in dem Augenblicke nicht, wie tötlich sie mich treffen würde. Ich war betrübt, der Gedanke seines Todes war mir doch ein nicht zu fassender, wie ich ihn jetzt noch nicht einmal fasse. Ein so herzzerreißendes Unglück erscheint, als könnte, dürfte es nicht wahr sein und daß eine ungeheure Kraft des Himmels von meiner und seiner Seite die unendliche Sehnsucht alles möglich zu machen, ihn wiederbringen müßte.

Ich mache mir die heftigsten Vorwürfe, grüble und sinne immerwährend, wie er hätte gerettet werden müssen, wie ich, der er stets helfen konnte, nichts gewußt, nicht gekonnt habe, mit Blindheit und Unthätigkeit geschlagen war. Und jetzt kann auch ich nichts, nichts, nicht sein Andenken schützen und ehren, wie er es verdient, und nicht ihn rächen. Er sagt in einem Brief an das Scheusal: Helene von Dönniges. »Mein Blut komme über Dich, mein Fluch verfolge Dich bis zum Grabe", und ich mußte und kann seinen Willen nicht vollstrecken,– – – –

Ich wollte ja gerne ertragen, ihn nie wieder zu sehen, wenn er nur lebte, sein furchtbar unglückliches, ungerechtes Schicksal erdrückt mich. – Jeden Morgen, wenn ich schlafe, erwache ich durch einen Schuß, wenn ich erschreckt auffahre, schreit eine Stimme: »Lassalle ist tot«; indem ich es schreibe, kann ich nicht daran glauben und jeden Morgen ist alles wieder neu, nur immer zehnfach schlimmer.

Nun denken Sie sich bei diesem Zustand die Arbeit – seine Briefe und Papiere durchlesen, ordnen, besprechen zum Zweck der Publication; wie ich mich da zusammennehmen muß vor den Anderen, dann diese Schwierigkeiten, nüchterne Ausbesserungen, Verständigkeits- und Moralitätsrücksichten. Von anderer Seite das stürmischste Verlangen von allen Seiten seiner Anhänger, daß es die wärmste Partei- und Verteidigungsschrift, eine Apotheose und ein Racheschrei für ihn sein müsse; das ist ja nur zu sehr mein sehnlichster Wunsch und meine Überzeugung, aber ich erbärmliche Person kann ja wieder nichts selbstständig machen. Wenn Leute zu mir kommen, kann ich nicht erwarten, daß sie gehen; wenn ich allein bin, verzweifle ich. Lesen kann ich nicht; wo ist der, der mir alles leicht, faßlich, lebendig machte; Poesie erst recht nicht – er ist nicht da zum Lesen und mit demselben Geschmack und Beurteilung uns an denselben Stellen zu erfreuen.

Wir sollten jetzt nordische Mythologie studiren. Er freute sich so darauf, es erfrische seinen Geist. Zeitungen darf man mir garnicht zeigen, nur die Artikel über ihn mir geben. Was geht mich von nun an die Politik an, ich hasse sie, sie hat mir den besten Freund gekostet. Ich habe mir von Düsseldorf eine alte Person mitgebracht, die zehn Jahre dort Köchin bei uns gewesen. Das ist meine beste Gesellschaft. Ich renne im Zimmer herum, von einem seiner Porträts zum andern, spreche von ihm und sie sitzt da und sagt Ja zu allem, erinnert mich an kleine gemüthliche Züge und weint bitterlich. Ich gehe nie aus meinem Zimmer seit seinem Tode außer der Eisenbahnfahrt mit ihm und von D. hierher. Wenn die Sonne scheint, denke ich, wie gern er sie gesehen, noch sehen würde; wenn es schlecht Wetter, so denke ich, daß er, den ich immer so behütet, jetzt in der kalten Erde friert; ich kann nicht mehr aus dem Zimmer gehen. Ich wohne wie immer hier, No. 13, und meine Zimmerthür trägt auch 13, und das Jahr 1864. hat mit einem Freitag angefangen. In seiner Wohnung hier sitzen seine Todfeinde und inventiren alles für den Trödel. Wenn ich seinen Sarg nicht wieder bekomme, werde ich verrückt. Lassalles Mutter hatte den Leichnam an sich gebracht. Nun, für verrückt haben wir Beide mehr oder weniger immer passirt; er würde mich aber jetzt nicht für verrückt halten, er würde ebenso sein, wäre ich gestorben. Glückliche Leute, die ein warmes, rücksichtsloses Fühlen für Verrücktheit halten ...

Was aus mir wird? Gott weiß es. Morgen sind es fünf Wochen, daß er tot ist.

* * *

(Ohne Datum.)

... Schreiben Sie mir umgehend in Form eine Erklärung, daß Sie Zeuge gewesen, daß, nachdem Frau Lassalle das Versprechen abgegeben, mir die Bestimmung über die Reise der Leiche, sowie deren Beerdigung in Berlin zu übergeben, sich an mich wandte mit der Bitte, alle in Genf entstandenen großen Kosten sowie die Kosten der Reise für sie zu verauslagen, da sie kein Geld da habe, und an sie das Versprechen gab, daß sofort nach meiner Ankunft in Berlin mir alle von mir gemachten Auslagen ohne Weiteres durch ihren Banquier zurückerstattet werden würden. Schicken Sie aber gleich. Die Mutter benimmt sich in einer solchen Weise, ich werde derart ausgeraubt und geplündert, daß ich selbst, bei Allem, das auf mir lastet, da ich ja ganz allein dastehe, Lassalle zu vertheidigen, seinen Mord zu rächen, in allerhöchste Verlegenheit gerathe und nun am Ende dagegen losgehen muß. Also schicken Sie gleich.

Den Mörder habe in Bucharest ermittelt, ebenso, daß er jetzt nach Deutschland zurück, seine Studien beenden soll, und fest entschlossen ist, die Creatur zu heirathen. Die Wallachen hier rühmen sich, es sei eine Ehre für sie, daß es einem Wallachen gelungen, solchen Menschen wegzuputzen, es sei auch gar nicht nöthig gewesen, daß R. [Kackowitz] sich eingeübt, denn er habe den Vogel im Flug mit der Pistole geschossen. Also der absichtliche Mord! ...

* * *

18. Januar 1865.

... Ich kann nicht länger die Tage aushalten, in die man mich gebracht hat; meine Kräfte sind völlig aufgerieben, und alle meine Opfer und Arbeiten sind umsonst gewesen. Noch schlimmer, sie sind mit dem schwärzesten Undank und Verrat belohnt worden. Der Präsident Becker, Bernhard Becker in Frankfurt a. Main, Vorsitzender de» allgemeinen deutschen Arbeitervereins. der mir allein seine Ernennung verdankt, mir die heiligsten Schwüre gemacht hat, unverbrüchlich an der Organisation und Richtung des Vereins fest zu halten, hat den Verein prostituirt, indem er ihn an das Weib, die Mutter, Lasalles Mutter. für ein Geschenk von 200 Thalern verkauft hat; er hat Lassalle und mir in's Gesicht geschlagen, er verleugnet die Richtung Lassalles, geht zu den Fortschrittlern über, erklärt den Weg, den Lassalle in der Schleswig-Holsteinischen Sache so bestimmt vorgezeichnet hat, für reactionär, erklärt ihn also – da es die strenge Konsequenz seines Thuns war – selbst für reactionär. Das muß ich noch erleben! ...

* * *

7. März 1865.

Um den feindseligen Auslegungen vorzubeugen, die ich jetzt immer im Voraus annehmen muß, erkläre ich in Bezug auf das, was ich von Marx Karl Marx, der sozialistische Schriftsteller und Sozialökonom. sagte, daß ich mit den beliebten Schlagwörtern, die schon Lassalle immer um die Ohren sausten von »Mitgehn mit Bismarck«, »Regierungssozialismus« gar nichts zu thun habe, sie gar nicht beachte. Lassalle ging mit Niemand, stand auf Niemand als auf sich und seinen Ideen. Ich halte streng an ihm fest, Organisation wie Politik. Für Jeden, der dies als reaktionär verschreit, der mag, wie Lassalle sagte, schreien so lange bis er heiser ist, ich meinerseits habe dafür nur das Lächeln souveränster Verachtung, für Jeden und wäre er 100,000mal Marx. Das Urtheil: Lassalle und ich wären Reaktionäre, werde ich als die höchste Glorifizirung meiner Identität mit ihm begrüßen. Die Zeitung Der »Sozialdemokrat«. ist infam, aber nicht aus den Motiven Marxens, die nicht besser sind. Es wird auch nicht gelingen, »seine braven Rheinländer«, wie Lassalle sie nannte, stehen wieder auf dem Posten.

Marx, der sich freilich während Lassalle's Leben nicht hervorgewagt hätte, erklärt jetzt, daß er Lassalle und sein Werk stets mißbilligt, daß der Verein zerstört in die Partei aufgehen müsse. Ivo war die Partei seit 14 Jahren? Wo ist sie heute? In der Person Marx mit einigen Schreiern von Schlagwörtern, hinter denen nichts steckt; ihr Ideal die amerikanischen Zustände und die polnische Revolution. Gott schütze uns vor diesen Politikern! Gleich bei meiner Ankunft sind mir Eröffnungen und Anerbietungen hier gemacht worden für den Plan, Marx zum Präsidenten sofort zu machen; dann wäre der Verein sehr gut gewesen. Ich kannte aber Marx zu gut, der nichts kann als zerstören. Also auch auf diesem Terrain steht M. [Marx] irrt Gegensatz zu mir. Armer Lassalle! Sein Werk auch, für das er so viel gelitten! ...

* * *

(Wahrscheinlich Anfang April 1865.)

Ich war, wie Sie wissen, vor sechs Wochen in Breslau, mit dem Entschluß, meine persönlichen Klagen, sowie Anzeige des Meineids usw. und die Sache wegen Wegschaffung der Leiche meines Freundes von dem verpesteten Ort beim Fürst-Bischof zu betreiben. Man bekam Furcht, versprach mir Alles, sofortige Anerkennung des Testaments [von Lassalle], Berücksichtigung aller meiner kleinen Wünsche, wie, daß die Bibliothek nicht verkauft werde, sondern eine Stiftung daraus gemacht, daß mir von Seiten der Mutter die Vollmacht gegeben werde, bei der Ausführung des Testamentes sie zu vertreten, weil ich weiß, wie viel an der Ausführung liegt. Vor Allem aber stellte ich die Bedingung, daß vorher alle verteilten Papiere herbeigeschafft und mir vorgelegt würden, damit ich mich überzeuge, ob sie vollständig da seien. Nichts begehrte ich für meine Person. – Was ist aber jetzt geschehen? Der Abgesandte der Mutter war mehrere Tage ohne mein Vorwissen hier, unterhandelte mit den Testamentsexekutoren und schloß einen Vergleich mit ihnen. Glücklicherweise erfuhr ich es zwei Tage vor der Unterzeichnung und zog in fliegender Hast Holthoff Aurel Holthoff, Rechtsanwalt in Berlin. die Vollmacht zurück, die ich ihm ganz zu Anfang gegeben und bis jetzt gelassen hatte, weil der Proceß noch nicht in der Lage war, wo es schaden konnte, und schrieb sofort an Bucher Lothar Bucher, der spätere Sekretär Bismarcks. zu kommen, und glaubte danach sicher zu sein, daß er in keinen Vergleich willigen, sondern sich streng auf dem Boden des Testamentes in allen Teilen halten würde. Ich protestirte energisch brieflich gegen alles Andere und bestritt den Leuten die Befugnisse zum Vergleich. Sie haben es dennoch gethan und Bucher ist beigetreten.

Ich erhielt heute zugleich eine Ladung, vor Gericht am 7ten d. M. zu erscheinen, um meine Einwendungen zu erklären und einen dunkel gehaltenen Brief von Bucher, der mir seinen Beitritt erklärt und sich in Phrasen windet, weil ich zu sehr auf dem Boden des Sentiments stehe, und zugleich stellt er sich selbst einzig und allein darauf und giebt als einzigen Grund für sein Verfahren an, daß unter den gegebenen Konflikten, die der Erblasser nicht habe wissen können, er, Bucher, keinen andern Maßstab anlegen könne, als wie er wünschen würde, seine Mutter behandelt zu sehen. Als wenn Lassalle ihm ein Mandat gegeben hätte, in seiner Seele zu lesen; er hat seinen Willen ausgesprochen und ihm getraut, daß er ihn vollführen werde. Und wie grundfalsch beurtheilt er Lassalle. Bucher weiß, daß auch Lassalle – und wenn die Mutter vor seinen Augen zu Grunde gegangen – unerschütterlich geblieben wäre, gerade wegen der Konflikte.

Als meine Processe anfingen, machte sein Vater, den er wirklich liebte, einen Versuch, ihn von mir abzubringen, und Lassalle sagte ihm: »Ich bin von ihrem Recht durchdrungen, und bin unerschütterlich entschlossen; opponire dagegen, und ich sehe dich nicht wieder und du hast keinen Sohn mehr; wenn du aber einsehen willst, daß ich Recht habe, so wirst Du einen dankbaren und guten Sohn an mir behalten. – So dachte Ferdinand Lassalle ...

O Gott, o Gott, ist denn mit dem Tode dieses edlen Menschen alle Ehre, alles Gewissen, alle Rechtlichkeit, Liebe und Freundschaft aus der Welt geflohen! und ich muß das erleben! ...

Ich weiß nun wirklich nichts mehr über die Fragen bezüglich der Zeitung zu beantworten. Hofstetten Baron von Hofstetten, früherer bayrischer Offizier, Mitredakteur des »Sozialdemokrat«. giebt das Geld. Bei Lassalle's Leben war schon von dem Unternehmen die Rede und er genehmigte es; allerdings stand es dann unter seiner Beaufsichtigung.

Ich habe Ihnen die Namen der Mitarbeiter genannt, die auch eine Garantie bieten, daß es nicht schlecht geschrieben wird.

Weiter weiß ich nichts und kann doch nicht den Prospektus von den Leuten zur Prüfung verlangen.

Ob es mit Bismarck'schem Gelde geschieht? Liebe Frau Emma, diese Frage ist, wie Sie selbst einsehen werden, wenn Sie es bedenken, etwas sonderbar. Wenn es wäre und ich es nicht wüßte, könnte ich Ihnen ja doch keine Auskunft geben – und daß ich dies unmöglich weiß, wäre an sich unmöglich und geht ja schon hinlänglich aus der Art, wie ich geschrieben, hervor.

Es liegt ein förmlicher Abîme zwischen folgenden zwei Sachen, sich an seinen Gegner verkaufen, für ihn arbeiten, verdeckt oder unverdeckt, oder wie ein großer Politiker den Augenblick zu erfassen, um von den Fehlern des Gegners zu profitieren, einen Feind durch den andern aufreiben zu lassen, ihn auf eine abschüssige Bahn zu drängen, und die dem Zweck günstige Konjunktur, sie möge hervorgebracht werden von wem sie wolle, zu benutzen. Die bloßen ehrlichen Gesinnungen, diejenigen, die sich immer nur auf den idealen, in der Luft schwebenden Standpunkt der zukünftigen Dinge stellen und darauf nur das momentane Handeln bestimmen, mögen privatim als recht brave Menschen gelten, aber sie sind zu Nichts zu brauchen, zu Handlungen, die auf die Ereignisse wirklich einwirken, ganz unfähig, kurz sie können nur in der großen Masse dem Führer folgen, der besser weiß...

* * *

11. Mai 1865.

... Zuerst war ich Tage nicht hier, sondern in Breslau, wo ich auf seinem Grabe seinen Geburtstag feierte.

Ich fand einen schon halb zerfallenen, verwilderten Hügel, jetzt ist er wenigstens ein Rosengarten; die Blumen, die wir beide so liebten ...

Das sogenannte Monument ist abscheulich, der Kirchhof wie ein großer Bleichplatz. Bald aber fühlte ich eine Ruhe an seinem Grabe, wie nie vorher; es ist der einzige Ort, wo ich mich wieder heimisch, unter seinem Schutz und Schirm fühlte. Ich habe Nächte im Mondschein allein da zugebracht. Wer dürfte mir, wo er selbst todt zugegen, etwas thun! ...

Ich bin nun wirklich genöthigt, »Die letzten Lebenstage Lassalles« schleunigst erscheinen zu lassen, nicht weil es nach dem furchtbaren Lärm, den man gegen mich gemacht hat, für mich nöthig wäre, sondern es wäre ein Verbrechen gegen Lassalle, das ich nicht auf mich nehmen will. Ich habe nämlich die zuverlässige Nachricht, daß die Delrath mit Rackowitz dennoch stattfinden soll, sobald die Person, Helene von Dönniges. die krank ist, wiederhergestellt ist. Lassalle sagt in seinem letzten Brief an die Person: »Mein Fluch verfolge Dich bis zum Grabe!« Und ich sollte nicht Alles anwenden, um diese schändliche Heirath zu verhindern?

* * *

10. August 1865, Nachts.

... Die Feier des heutigen Tages, welche für mich immer mit Blumen und Kränzen, Liedern und Musik, mit der stürmischen Gratulation Lassalle's anfing, der sich nicht genug zu thun wußte, um jeden Augenblick zu einer Erheiterung zu machen, begann ich heute damit, daß ich um acht Uhr morgens ein Telegramm erhielt, daß hinter dem Rücken meines Advokaten die Habseligkeiten Ferdinand Lassalle's öffentlich verkauft worden sind.

Vieles Eigenthum von mir, wie man wußte, und die Andenken jener Zeit, nach denen ich mich so gesehnt, um die ich so gebeten, in fremden Händen! Es ist die alte Geschichte, die sich in meinem Leben stets wiederholt hat, ich bin da immer am grausamsten verfolgt worden, wo ich am meisten verdiente, am schlimmsten bestraft worden, wo ich am edelsten gehandelt ... Ich habe nichts mehr zu vertheidigen, also hört die rastlose Unruhe auf ...

* * *

Berlin, 20. Oktober 1865.

... Es wäre abgeschmackt, zu sagen, ich hätte keine Zeit zum Schreiben gehabt, im Gegentheil; die Tage sind so lang jetzt für mich wie eine kleine Ewigkeit und die langen Nächte dazu, denn zu schlafen habe ich verlernt. Zeit also genug, aber keine Kraft mehr. Wenn ich nicht galvanisirt werde auf Augenblicke durch den höchsten Zorn über Angriffe und Beleidigungen gegen ihn, so lebe ich eigentlich gar nicht mehr; es ist nur noch ein dumpfes Hinbrüten, in welchem ich die Bilder der Vergangenheit an mir vorüberziehen lasse, und Alles, was mich darin stört, jede Beschäftigung, jede Bewegung selbst ist mir verhaßt, kostet mir die höchste Überwindung, hundertmal ergreife ich die Feder und lasse sie kraftlos wieder fallen. Wozu Alles, sage ich mir; ich bin ein todter Mensch, mit dem die Lebenden nichts mehr gemein haben. Sie sehen das ja auch wieder an diesem Brief, ich weiß und denke immer nur eine Sache und könnte eigentlich blos immer sagen: Lassalle, mein einziger Freund, ist tot und ich bin mit ihm gestorben, nur habe ich den Frieden nicht, wie er, ich leide noch immer... Überhaupt ist der furchtbare, verzehrende Durst nach Rache das einzige noch Lebendige in mir; könnte ich sie erleben, so würde ich noch einmal wissen, was Freude ist ...


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