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Caroline Herder

Nach dem Tode ihres Gatten, der eine Amtmannsstellung inne gehabt hatte, sah Frau Caroline Flachsland sich mit ihren acht unversorgten Kindern der bittersten Not anheimgegeben. Es gab damals für Töchter höherer Stände kaum eine Möglichkeit, sich ihr Brot zu verdienen. So mußte sie es denn als ein besonderes Glück ansehen, als Geheimrat Hesse aus Darmstadt sich die schönste ihrer Töchter zur Frau erkor und später auch noch einen Sohn und eine Tochter in sein Haus aufnahm. Diese, die junge Caroline, aß oft unter Tränen das Gnadenbrot, denn Hesse war ein jähzorniger und tyrannischer Mann, der seinem Weib, seinen Kindern und Angehörigen das Leben nach Möglichkeit verbitterte. Als Herder 1770 mit dem Prinzen von Holstein nach Darmstadt kam, lernte er im Hause des Geheimrats auch die kleine, scheue, gedrückte Caroline kennen. Unter den Strahlen seines liebevollen Interesses, das sich bald in Liebe selbst verwandelte, blühten auch alle liebenswerten Eigenschaften ihrer Seele auf. Herder verließ Darmstadt als ihr Verlobter. Aber noch war für Caroline die Zeit des Glückes nicht gekommen. Wohl veränderte sich unter dem Druck der Verlobung mit dem damals schon berühmten und mit allen großen Geistern seiner Zeit bekannten Herder die Behandlung im Hesseschen Hause zum Bessern; aber der schwankende, zögernde, grübelnde und zum Trübsinn neigende Charakter des jungen Herder ließ es jahrelang zu keinem festen Entscheid kommen.

Diese drei Jahre Wartezeit haben ein Konvolut von Brautbriefen geboren, die, entsprechend der Zeit der »empfindsamen Genies«, in der sie entstanden, von seiner Seite bald übermütig, bald hangend und bangend und mißverstehend, von der ihren vom feinem, tiefem, allzusensiblem Gefühl in inniger Form getragen sind. Sie klagt beweglich über seine Unentschlossenheit; sie zeigt sich auch mit den bescheidensten Verhältnissen einverstanden – Herder, obwohl vermögenslos, hatte in Bückeburg, wo er als Hofprediger angestellt war, immerhin schon ein festes Gehalt – sie ist bereit, ihm, wohin es auch sei, zu folgen. Viele ihrer Briefe sind ein einziger Schrei nach Befreiung aus den sie umgebenden Verhältnissen, der ungehört durch ihn verhallen muß. Trotzdem bleibt ihr Glaube an ihn, ihr »sweet temper«, unerschüttert. Auf Herders Stimmungsschwankungen, in denen er bald die Geliebte ersehnt, bald glaubt als »Schwester« an ihr Genüge zu finden, hat sie rührende kleine Liebesworte; naive Zärtlichkeiten, die von ihrer heißen Leidenschaft zu dem Manne ihrer Wahl sprechen. So schreibt sie ihm gelegentlich: »Ich kann nichts anders mehr denken als bloß bei dir zu sein, Engel meines Lebens, und des Nachts träume ich davon! – der Frühling ist so schön zu einer so seligen Zusammenkunft! wir wollen mit der ganzen Natur aufwachen und zusammenleben – ist das nicht heilig?« ... bis sie endlich im April 1793 – am 2. Mai war die Hochzeit – den letzten »Brautbrief« schließen kann: »Ich sehe nur die Gegend und den Himmel, wo Du herkommst« ...

Der Bückeburger Periode folgte, dank Goethes freundschaftlicher Vermittlung, die Berufung Herders als Generalsuperintendent und erster Prediger der Hofkirche nach Weimar. Hier blühte das freundschaftliche Verhältnis der Beiden zu Goethe noch einmal auf das Schönste auf. Bald aber begann die hypochondrische Reizbarkeit Herders und sein Mißtrauen sich über die Lauheit der höfischen Kreise zu ereifern. Er bildete sich allerhand gesellschaftliche Zurücksetzungen ein und ließ sich besonders durch die wachsende Intimität zwischen Goethe und Schiller verstimmen. Frau Caroline suchte auszugleichen, stand aber im Herzen stets auf Seiten ihres Mannes. Trotzdem gelang es ihr häufig, die Gegensätze zu überbrücken und dem äußeren Verkehr die Gereiztheit zu nehmen; die liebende Frau konnte auch eine kluge Diplomatin sein. Pekuniäre Sorgen, zu denen sich ein schweres Leberübel bei Herder gesellte, das auch durch eine mehrmonatliche Reise nach Italien nicht gehoben werden konnte, trübten dem Paare viele Stunden. Die strikte Ablehnung Kantscher Lehrsätze schreckte auch so manchen glühenden Bewunderer Herderscher Polemik. Im Jahre 1802 verlieh der Kurfürst von Bayern dem Ehepaar den erblichen Adel; die etwas früher erfolgte Ernennung zum Präsidenten des Oberkonsistoriums war Herders letzte irdische Freude. Er starb 1803. Caroline überlebte den Gatten nur um sechs Jahre. Sie blieb in dem trotz aller Bitternisse lieb gewordenen Weimar und ordnete sorgsam seinen literarischen Nachlaß.

In ihren »Erinnerungen aus dem Leben Herders« hat sie nicht nur dem deutschen Denker und Dichter, sondern auch unbewußt sich selbst ein schönes Denkmal liebevollster Pflichterfüllung gesetzt.

Portrait

Briefe von Caroline Herder.

An Herder.

Darmstadt den 26. Aug. (1770).
Nachts 11 Uhr.

Nein! ich will nicht länger mein Herz dem redlichsten besten Freunde verhehlen, eben so stark, und, wenn es möglich ist, noch stärker liebe ich Sie, wie Sie mich lieben, wie freue ich mich, daß Sie mein ehrliches gutes Herz kennen, wie ganz in einer Minute haben sich unsere Seelen gekannt; was ich an dem glücklichen Sonntag empfunden, und von Tage zu Tage mehr empfunden, kann ich nicht sagen, es ist mir Alles neu, dies, dies ist allein die wahre himmlische Freundschaft, vergessen Sie mein wunderliches Mißtrauen! guter, liebenswürdiger Freund, es muß Ihr rechtschaffnes Herz beleidigt haben, aber denken Sie auch, wieviel sich ein armes Kind zutrauen darf, das seine Schwäche so gut kennt. Loben Sie mich nicht, mein Lieber; ich bin froh, ich bin glücklich, daß unsre Herzen sich kennen. Könnten Sie doch diesen Augenblick bei mir seyn, und das gerührte Herz, das nur für Sie gemacht ist, sehen: ganz, ganz haben Sie meine Erwartungen übertroffen; darf ich jemals an eine ewige himmlische Freundschaft unter uns gedenken, ist das nicht zuviel für ein armes Kind? o ich darf diese göttliche Scene nicht denken. Werden Sie dann mein Schutzengel seyn? ... Schreiben Sie mir oft, süßer, feuriger Freund, so oft Sie an Herrn Merk Kriegsrat Merck, der Schriftsteller und Kritiker. schreiben, daß ich nur Ihre Abwesenheit ertragen kann, ich werde Niemand Ihre Briefe zeigen. Eben fällt mir Klopstock und seine Meta Geborene Moller, die »Cidli« seiner Oden. ein, glauben Sie, daß ich wie eine Meta Sie liebe? Freilich fehlt mir zu einer KIopstockin noch viel, aber hierin Nichts mehr. O göttliche, sympathetische Freundschaft, wie glücklich machst du! – Machen Sie sich recht glücklich und ruhig, Bester, Liebenswürdiger, die Güte Ihres redlichen Herzens, die Sie Jedermann gleich mittheilen, wird Ihnen viel Freude geben. – Wenn nur der morgende Tag bald vorüber geht! O schrecklicher Tag, der mir meinen Freund wieder nimmt und vielleicht auf ewig! Gott! du mußt mich stark machen. Und sehen wir uns hier nicht mehr, so sehen wir einander gewiß im Himmel, und dann – dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen, die du, Natur einander bestimmtest.

Ich muß aufhören, ich zerfließe in Thränen, ewig

Ihre treueste
Flachsland.

* * *

Guten Morgen, bester H., Sie kommen doch heute, ja Sie kommen und lesen im Klopstock; wenn nur der heutige Tag ganz unser wäre! o wie kostbar sind mir jede Augenblicke! Wir gehen in den Wald, wenn uns Jemand stören will.

Die ganze Nacht war das feurige Bild meines süßen Freundes bei mir, immer war es bei mir und ewig wird es bei mir bleiben, wie tief und mit welchen Zügen ist es in meinem Herzen eingegraben! Kommen Sie, empfindsame Seele, noch heute, heute. – Ach leben Sie ewig wohl!

* * *

Darmstadt, 9. Sept. 1770.

Jetzt bei der nächtlichen Stille, die allein mir gegönnt ist, und die ich immer ganz Ihnen, Vortrefflichster! weihe, kann ich ungestört schreiben; mein gestriger Brief mußte ganz im Fluge geschrieben werden, und von mir so voller entzückender Unruhe, daß ich Mühe hatte mich zu bergen, und noch jetzt kann ich kaum Ihre großmüthige, edle Denkart, Ihr redliches, rechtschaffenes Herz, und Ihre süße zärtliche Liebe gegen mich fassen! so viel Ehrlichkeit, so viel himmlische Freundschaft! bin ich das Alles werth? O sagen Sie mir's doch, ewig Geliebtester! wie ich Ihnen so ganz nach Ihrem Herzen gefallen und ewig gefallen kann! es wird ein göttliches Geschäft für mich seyn, mich nach Ihrer so liebenswürdigen, schönen Seele zu bilden. O wie segne ich den Tag, da wir uns gekannt und geliebt haben, wissen Sie's noch? nach der Predigt im Tannenwalde? Am 19. August 1770, nach einer Predigt in der Schloßkirche. ich weinte wie ein Kind, als ich nach Haus kam, aus Kummer, niemals von Ihnen geliebt zu werden, wie ich Sie, Redlichster, da liebte, und so – ich muß es nur sagen – brachte ich die Nacht fast schlaflos und mit Weinen zu, jeder Tag war mir dunkel, und dunkel bis zur letzten Minute fast, aber diese letzte Minute war Wonne! ... Die Minna von Barnhelm hab' ich gelesen, aber heißen Sie mich nur eigensinnig oder was Sie wollen, auch diese Komödie gefällt mir nicht und hat mir noch keine gefallen; ob es der Ton ist, oder was es ist, das mir nicht gefällt, ich weiß es nicht; es ist wahr, es sind einige frappante Handlungen darin, die ich wünschte gethan zu haben, oder thun zu können, und der Charakter des Tellheim's und Minna ist wirkliche Großmuth: aber im Ganzen und wie die Leute reden, kommt es mir unnatürlich vor, und daß das Kammermädchen, Soldat und Wirth sich in die delikate Situation der Liebe mit einmischen, gefällt mir durchaus nicht. Hätte Herr Lessing nicht etliche Freunde oder Freundinnen der Minna und Tellheim's dazu nehmen können, und die hin und wieder niedre Ausdrücke ausstreichen können? ich will sie noch einmal lesen, es hält aber schwer, mich an den Ton der Komödie zu gewöhnen ...

* * *

(Darmstadt) den 4. Juni 71.

Ich bin noch in einem süßen Traum von Freundschaft; Gleim und Wieland waren hier; sie brachten einen Nachmittag bis nach Mitternacht bei uns zu. O könnte ich Ihnen einige Scenen davon beschreiben, die meine ganze Seele bewegten! Merck, Leuchsenring Monsieur Liserin, wie er sich gern nannte, empfindsamer Literat und Unterhofmeister des Erbprinzen von Darmstadt. und ich schlangen uns in einer Ecke des Fensters um den alten, guten, sanften, muntern, ehrlichen Vater Gleim und überließen uns unsrer vollen Empfindung der zärtlichsten Freundschaft ... Gleim hieß mich ein gutes Mädchen, Psyche, und hat mich lieb und will mir ein Liedchen machen ... Er ist zur Freundschaft gemacht und was er sagt, ist redlich. Ich spreche so viel von Gleim, daß ich Wielanden vergesse. Er ist im ersten Anblick nicht einnehmend: mager, blatternarbicht, kein Geist und Leben im Gesicht, kurz, die Natur hat an seinem Körper nichts für ihn gethan; tritt kalt in die Gesellschaft, spricht ziemlich viel, insonderheit wenn er Laune hat. Man muß ihn lange sehen, ehe man ihn kennt: erst eine Stunde vor dem Abschied habe ich gesehen, daß er warm und empfindsam sein kann; und ich liebe ihn, da ich ihn als Freund hab' kennen gelernt. Nur sein Autorenstolz und Eitelkeit, die er in ziemlicher Dose besitzt, möchte ich von ihm wegwischen. Ich kann die Eitelkeit an keinem Menschen, er mag sein, wie er will, ausstehen, nehme er sich dafür Würdestolz der Menschheit, so viel er kann, die Eitelkeit lasse er den Narren ...

* * *

(Darmstadt, Ende Juni 1771)

Ach, was haben Sie zu Ende Ihres Briefes gesagt: »ich hätte Sie nicht mehr so lieb, wie im Sommer.« Ach Gott! dich nicht mehr so lieb? mein Einziger, mein Ewiggeliebtester! o sage das nicht mehr! Du verkennst mir, mein Lieber, Lieber! Wen in der Welt habe ich sonst lieb? wenn ich Dich nicht lieb habe. O warum kann ichs Ihnen nicht so sagen, wie Sie der einzige Gedanke meiner Seele sind! ... Ich weiß nicht, welcher böse Geist sich in unsre Liebe mischt? Ich war seit Ihrer Abreise so heiter und vergnügt und ohne Sorge, wie ein Vogel, und da mußte die Stunde kommen – in einem steinernen Augenblick schrieb ich das Ende meines Briefs; aber kaum wars auf dem Papier, so mußte ich hingehn und bitterlich weinen. Es war aber geschrieben ... Du selbst warst es, der mir Ruhe und Freude wiedergab. – Aber nur keine Plane unserer Zusammenkunft gemacht! Ich zittre vor jedem Plan; denn die meinigen alle sind mir noch immer verflogen. Laßt Winter und Frühling und wieder Winter und Frühling kommen und gehen, wir können unsre Jugend doch genießen, sind immer beisammen und lieben uns, wie sich in der Welt wenige lieben. Lege also den Schleier auf die Zukunft, mein Liebster, sie mag ruhen in Frieden, die unsichtbare! vielleicht einst unsre Wohlthäterin! ...

 

Drei Bruchstücke über Goethe.

I.

(Darmstadt) den 9. März 72.

... Ich habe vor einigen Tagen Ihren Freund Goethe und Herrn Schlosser, Georg Schlosser, Goethes Schwager. von dem ich Ihnen schon geschrieben, kennen gelernt. Sie haben Merck besucht auf etliche Tage, und wir waren zwei Nachmittage und auch beim Mittagessen zusammen. Goethe ist ein so gutherziger, muntrer Mensch, ohne gelehrte Zierrath, und hat sich mit Mercks Kindern so viel zu schaffen gemacht, und eine gewisse Aehnlichkeit im Ton oder Sprache oder irgendwas mit Ihnen, daß ich ihm überall nachgegangen. Der erste Nachmittag wurde uns verdorben durch ein Trisettspiel und Leute aus der Stadt. Nur einen Augenblick saßen Goethe, meine Schwester und ich der Abendsonne, die sehr schön war, gegenüber und sprachen von Ihnen. Er hat sechs Monat in Straßburg mit Ihnen gelebt und spricht recht mit Begeisterung von Ihnen. Ich habe ihn von diesem Augenblick an recht lieb gewonnen. Den zweiten Nachmittag haben wir auf einem hübschen Spaziergang und in unserm Hause bei einer Schale Punsch zugebracht. Wir waren nicht empfindsam, aber sehr munter, und Goethe und ich tanzten nach dem Clavier Menuetten, und darauf sagte er uns eine treffliche Ballade von Ihnen her, die ich noch nie gehört:

Dein Schwert, wie ists von Bluth so roth?
Edward, Edward!

Er hat sie mir auf meine öftere Bitte den andern Tag nach seiner Rückkunft in Frankfurt, aber ohne Brief geschickt ...

* * *

II.

(Darmstadt Anfang April 1772).

... Unser Freund Goethe ist zu Fuß von Frankfurt gekommen und hat Merck besucht. Wir waren alle Tage beisammen, und sind in den Wald zusammengegangen, und wurden auch zusammen durch und durch beregnet. Wir liefen alle unter einen Baum, und Goethe sang uns ein Liedchen, das Sie aus dem Shakespeare übersetzt: »Wohl unter grünen Laubes Dach«, und wir sangen den letzten Vers mit: »Nur eins, das heißt auch Wetter!« Das zusammen ausgestandene Leiden hat uns recht vertraut gemacht. Er hat uns einige der besten Scenen aus seinem »Gottfried von Berlichingen«, das Sie vielleicht von ihm haben, vorgelesen. Meinen Liebling, den Geist unsrer alten Deutschen, habe ich da wieder gesehen, und der kleine Georg, wie er um einen weißen Schimmel und Harnisch bittet, ist mein Georg. Wir sind darauf auf dem Wasser gefahren, von dem ich Ihnen neulich gesagt, es war aber rauh Wetter. Goethe steckt voller Lieder. Eins von einer Hütte, die in Ruinen alter Tempel Gebaut, »Der Wandrer.« ist vortrefflich ... Hier theile ich Ihnen etwas aus seinem Herzen mit, das er an einem schönen Frühlingsmorgen, da er allein in dem Tannenwald spazieren ging, gemacht hat. Der arme Mensch erzählte meiner Schwester und mir den Tag vorher, daß er schon einmal geliebt hätte, aber das Mädchen hätte ihn ein ganzes Jahr getäuscht und dann verlassen; er glaubte, daß sie ihn liebte, aber es kam ein Andrer ... Käthchen Schönkopf in Leipzig.

* * *

III.

(Darmstadt) den 27. November 72.

Unser guter Goethe ist hier, lebt und zeichnet und wir sitzen beim Wintertisch um ihn herum und sehen und hören. Es ist bei Merck eine Academie; sie zeichnen und stechen in Kupfer zusammen. Mir hat er ein Landschäftchen gezeichnet mit einem Bergschloß und unten am Berg ein Dorf. Wärst Du doch darin Landpriester und ich Dein Weib! –

* * *

5. December 72.

Goethe ist noch hier und lehrt Merck zeichnen. Mich dünkt, er ist überhaupt etwas stiller und geläuterter worden ... Er denkt noch ein Maler zu werden, und wir riethen ihm sehr dazu. »Da ihm doch alle Tugenden fehlten«, sagte er, »so wolle er sich auf Talente legen«. Aus dem Kopf könnte da was werden. Uns Mädchen und Weibern ist er auch besser als sonst, und ist uns herzlich gut; aber überhaupt lieben – dazu ist noch zu viel Asche von seiner ersten Liebe in seinem Herzen, und das scheint natürlich. Wir haben ihn hier alle lieb ...

* * *

(Darmstadt, Ende April 1772).

Endlich ist Madame de la Roche bei uns erschienen ... Stellen Sie sich vor, wie uns auf den Kopf geschlagen wurde, für unser vielleicht zu großes Ideal eine feine zierliche Frau, eine Hofdame, eine Frau nach der Welt mit tausend kleinen Zierrathen ohnerachtet sie keine Blonden trägt, eine Frau voll Witz, voll sehr feinem Verstand zu sehen. Sie tritt sehr leicht auf, wirft jedem, wem sie will, einen Kuß mit der Hand zu; ihre schönen, schwarzen Augen sprechen rechts und links und überall, und ihr Busen wallt noch so hoch, so jugendlich, daß – kurz, sie hat uns mit ihrer allzuvielen Koketterie und Repräsentation nicht gefallen ... Mir hat sie etlichemal mit einem recht silbernen Ton, den ich den Ton ihres Herzens nannte, gesagt, daß sie mich liebte, daß ich ihr gefiele, und ich sollte so bleiben; aber, mich dünkt, es war Almosen, und ich hörte ihren Silberton, der mich so rührte, bei jeder andern zu erscheinenden Gelegenheit. Ich kann auch nicht stolz auf ihr Lob sein: denn in öffentlicher Gesellschaft sagte sie zu Doctor Leuchsenring: Vous êtes un aimable homme; und gleich darauf, als sie nach Hause ging, zu Madame Merck: C'est un homme sur une tapisserie. Was für eine Leichtigkeit mit Menschen umzugehen! Sie hat, wie ich höre und fest glaube, große Verdienste um ihre Kinder und ihren Mann; aber wir sind noch im ersten Unmuth über ihren Auftritt in unserm Freundecirkel, daß ich nichts an ihr loben kann. Ueberhaupt man sieht überall, daß sie ein Geschöpf von Wieland ist, und hiemit Gott empfohlen ... Dein Mädchen, lieber Herder, spielte eine sotte Figur in der Gesellschaft. Madame de la Roche und ihre Tochter Maximiliane, spätere Frau Brentano, Mutter Bettinas. regierten die Gesellschaft mit Witz und ich saß so einfältig dabei und hatte nur Augen und Ohren; denn diese Erscheinung war mir unerwartet und selten ...

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(Darmstadt Ende Mai 1772).

... Aber was denken Sie, liebster Freund, daß Sie das wahre, menschliche, glückliche Leben ein mühselig Streben heißen? Ich habe mir niemals das glückliche Menschenleben als eine romanhafte Wiese gedichtet, die mit lauter Blumen besät ist, und worauf man nur hingeht, Jacobische Kränze Anspielung auf das anakrontische Getändel Joh, Georg Jacobis. zu binden, und mit ein paar Dutzend Liebesgötter und Grazien und allen den schönen Sachen herumzutändeln und zu flattern! O nie war das die Illusion meiner Glückseligkeit! Meine ganze, große, hohe Würde wird in der süßen Bestimmung bestehen (wenn ich sie jemals erlebe!) dereinst gute Gattin und gute Mutter zu sein! O was für eine Glückseligkeit liegt in diesen zwei seligen Bestimmungen! Sie müßten ein weibliches Herz haben, wenn Sie das ganz mit mir fühlen wollten! Kann in dieser Glückseligkeit mühselig Streben sein! und wenn es auch mit noch so viel Schmerzen verbunden wäre? Kinder zu erziehen nach dem Bilde eines guten Vaters – ach, über diese Glückseligkeit geht nichts! ...

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(Darmstadt) den 7. August 72.

... Wenn ich nicht sähe, daß ich mich noch nicht so ganz aus meiner Familie loswinden kann und daß Sie noch keine Hütte haben, die Ihnen gefällt, so könnte ich's kaum ertragen, daß wir noch so entfernt sind ... Sein Sie also ohne Sorgen, daß ich darüber unruhig oder gar melancholisch bin. O wenn Sie mich so ganz kennten, Sie dächten das nicht von mir – ob der Weg lang oder kurz zur glücklichen Hütte ist. Weiß ich doch, daß es einmal eine für uns gibt, und ist nicht der Weg schön dazu? Sie müssen nicht oft zu Fuß gegangen sein, und das Vergnügen nicht wissen, wenn man durch einen langen Weg erst an den Ort kommt, wo man Milch und Brot ißt. Nun denken Sie, wer wird auf dem Weg müde werden. Wenn meine Briefe so lang ausbleiben, so denken Sie doch niemals, daß ich müde bin. – Sie nehmen das, was Goethe geschrieben, Goethes Brief Nr. 6 »ihr so viel melancholische Stunden machen zu können, als Herder nur wolle« und Herders Antwort darauf Nr. 72, dritter Band des »Nachlasses«. auch in zu weitem Umfang ... Daß ich nicht so leicht und lustig bin, wie Goethe, das ist wahr, und daß irgendwo in meinem Gesicht oder Seele eine schwermüthige Falte gelegt ist, ist auch wahr, und leider fühle ich sie, aber der gute Goethe weiß nicht woher. Sie, mein lieber Herder, wissens ja viel besser, daß ich hier im Hause nicht in meiner Assiette bin, daß alle die Hoffnung und Aussicht wegen meinem ältesten Bruder fast ganz verdunkelt ist, und mir das wegen Schwäche der Gesundheit (krank bin ich nicht, aber doch auch nicht gesund, wie viele Menschen) oder, was weiß ich, schwerer als jemals auf's Herz fallt. Ich bin auch hier im Hause so müde, die beständige Schulmeisterei von Dummheit des Geheimeraths, Hesse. daß ich mir alle Mühe gebe, wegzukommen, und vielleicht geschieht's bald ... Denken Sie doch um Gotteswillen nicht, daß Sie mir melancholische Stunden machen! Das hat Goethe gewiß auch nicht so gemeint, ich ergreife alle Freuden, die um mich sind und gemacht werden, mit beiden Händen – nur lebe ich freilich für mich süßer und himmlischer, wenn ich allein bin und an Dich, guter Engel, ungestört denken kann. Und ist das Melancholie? ...

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(Darmstadt Ende Januar 1773).

So komm', Frühling, o komm', o komm' und bring' meinen Jüngling in meinen Arm! So geh' denn, Winter! Ich hatte gestern, da ich Deinen süßen, goldnen Brief bekam, zum ersten Mal meine grau und blau ausgeschlagene Bequesche an, die ich zum Reiserock bestimmte, Wie mir zu Muthe war, das laß Dir Dein Herz sagen, mein Einziger, mein Bräutigam! Ich war kaum mehr auf der Erde, und es war mir nicht anders, als müßte ich zu Dir fliegen – Dich zu mir holen. Ach wann? Siehe, ich bin schon reisefertig, aber noch ist's Winter. Ich kaufe bald meine Brautsachen ein, die mir immer im Kopf herumgehen und mache jetzt Filet, ein Négligé zu garniren. Aber bist Du klug? was willt Du mir geben? was soll ich Dir geben? Sind wir denn armen Elenden, die ein Ring oder Geschenke zusammenknüpft? Bringe mir nichts mit, als Dich selbst, Dich ganz; Dein Herz will ich, sonst nichts; ich werde Dich nicht freundlich ansehen, wenn Du was Anderes bringst; dann werd' ich denken, daß Du mir nicht Dein ganzes Herz geben, sondern was daran fehlt, durch Geschenke ersetzen willst. O mein Herder, mein Trauter, mein Bräutigam, wirst Du das thun? Sieh, ich gebe Dir auch nichts, nur mich selbst, mein ganzes Herz, wie es ist, arm und klein, aber ganz. Das hab' ich nur, das geb' ich Dir und nichts, nichts mehr. Willst Du damit zufrieden sein? Ach wozu Geschenke, uns zu binden? Anderes heiliges Band hat schon lange unsere Herzen ewig vereinigt! wozu das Äußere und unter uns zwei? Sind wir einmal beisammen, so ist alles Gemeinschaft, alles unser! Ach nichts mehr davon! Komm', bring' Dich mir ganz und so findest Du Deine Lina, Dein glückliches Mädchen.


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