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Henriette Herz

Neben dem Rahelschen »Salon« gab es einen zweiten, nicht minder berühmten in Berlin, das damals noch kein »W« kannte: den der sehr schönen, sehr kalten, sehr klugen Gattin des beliebten Arztes Markus Herz, der Frau Henriette. Auch ihr, die im Gegensatze zur Rahel als halbes Kind verheiratet worden, waren Kinder versagt. Daher blieb auch ihr genug Zeit und überschüssiges Mitgefühl, um ihren ganzen Freundeskreis sentimental zu versorgen, obwohl sie ihrem vornehmen, gebildeten und grundgütigen Gatten bis zu seinem Tode eine mustergiltige Frau war. Als Tochter eines Mediziners portugiesischer Herkunft, de Lemos, geboren, wurde sie sich ihrer außerordentlichen Schönheit – die ihr später den Rufnamen der »tragischen Muse« eintrug – nur allzufrüh bewußt. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich einen großen Teil ihrer späteren Vorsicht und starren Tugend auf Kosten des Schönheitskultus schreibe, den sie zeitlebens mit sich trieb und der sie im hohen Alter – sie starb als dreiundachtzigjährige Greisin – sogar ein wenig der Lächerlichkeit preisgab.

Henriette Herz war ein eminentes Sprachtalent; sie beherrschte nicht nur französisch, englisch, schwedisch, hebräisch, sondern versuchte auch sich das Türkische und den Sanskrit zugänglich zu machen. Da ein praktischer Nutzen daraus niemals zu erwarten war, ist die ernste Beschäftigung mit diesen Sprachen wohl als Beweis ihrer Lernfreudigkeit anzusehen. Ihre Kenntnisse lebender Sprachen kamen ihr, als sie nach dem Tode ihres Gatten und der durch die Kriegsleiden bedingten Einstellung der Zahlungen der Witwenkasse gezwungen war, sich ihr Brot selbst zu verdienen, sehr zu statten. Im Hause ihrer Freundin, der Frau von Kathen auf Rügen, und später bei der Herzogin Dorothea von Kurland lebte sie, mit der Erziehung der Kinder betraut, als hochgeehrte Hausgenossin, bis die langsam sich wieder ordnenden politischen Verhältnisse ihr zu einer kleinen Rente verhalfen. Hierzu kamen später regelmäßige Zuschüsse aus der Privatschatulle des Königs, der sie persönlich kannte und ihre patriotische Tätigkeit während der Kriege schätzen gelernt hatte.

»Sie neigte ihrer Natur nach nicht zur Politik hin«, sagt Fürst in seiner Lebensbeschreibung von ihr, »es war lediglich Folge ihrer Vaterlandsliebe, wenn sie sich zur Zeit fremder Unterdrückung mächtig zum lebhaftesten Anteil an allen Bestrebungen getrieben fühlte, welche auf die Erweckung des deutschen Sinnes hinzielten« ... Und weiter: »Die Geselligkeit, welche für Henriette Herz nicht bloß ein Element der Wirksamkeit, sondern ein wahrhaftes Lebenselement war, gestaltete sich trotz ihrer langen Abwesenheit von ihrem Wohnorte um so schneller wieder um sie, als die mannigfachen Anschauungen, mit welchen die Reise sie bereichert hatte und ihre verschiedenen interessanten Erlebnisse auf derselben ihrer Unterhaltung neuen Reiz verliehen ...« Henriette war, nachdem sie sich nach dem Tode ihrer Mutter still und unauffällig in Zossen hatte taufen lassen, nach Italien gereist und hatte dort die glücklichsten Jahre ihres Lebens verbracht.

Zu ihrem Berliner Kreise gehörten u. a. die Humboldts und die Grafen Bernstorff und Dohna; sie kannte Chamisso und Rückert; Goethe und Schiller besuchten sie. Der erwählte Freund ihrer Seele aber war und blieb Schleiermacher, der milde Philosoph und versöhnliche Kanzelredner, der »kleine Mann mit der Laterne im Knopfloch«, der, schon zu Lebzeiten von Markus Herz mit diesem innig befreundet, auch im strengen Winter allabendlich durch Schnee und Finsternis in das gastfreie Haus in der Neuen Friedrichstraße gestapft kam. Natürlich blieb es nicht aus, daß ein gewisser Konkurrenzneid zwischen den beiden großen jüdisch-germanischen Salons entstand. Varnhagen und Rahel haben viel häßliches über die schöne glanzsüchtige Frau gesagt. »Madame Herz lebt geputzt, ohne zu wissen, daß man sich ausziehen kann und wie einem dann ist«, so klingt noch eins der mildesten Urteile. Henriette hat leider ihren ganzen Briefwechsel vernichtet. Unter den wenigen erhaltenen Blättern findet sich ein Billet der Rahel mit der bezeichnenden Bitte: »Verwahren Sie diese Karakteristik«, und darin heißt es: »Einen Fehler haben Sie und hatten Sie von je: Ihre zu große Bescheidenheit, die Ihnen nicht alle Selbsttätigkeit erlaubt, deren Sie durchaus fähig sind. Aber Ihnen schadet das weniger bei Ihren hohen Tugenden, denen Sie mit dem größten Talente Folge leisten«. Es wurde eben überall mit Wasser gekocht. Außer dem Billet der Rahel wird in der Börne-Administration zu Frankfurt a. M. eine Reihe Briefe an den jungen Börne aufbewahrt, von deren Existenz Fürst – sein Buch erschien 1850 – noch nichts wußte. Erst Ludwig Geiger hat sie zusammen mit den dazugehörigen Kopien von Briefen Börnes veröffentlicht. Börne kam, ein Siebzehnjähriger, als Pensionär in das Herzsche Haus. Er verliebte sich wahnsinnig in die zur Zeit fast vierzigjährige Frau, die, ohne seine Gefühle zu erwidern, sich doch durch seine Leidenschaft geschmeichelt fühlte; sie machte ihn in ihren Augen »interessant«. »Sprach ich es aber meinen Freunden aus, daß er ein interessanter junger Mensch sei, so sahen diese mich ziemlich befremdet an. Er erschien als ein kleiner selbstzufriedner Faullenzer«, und »was er tat und unterließ, sollte nächstdem den Anschein haben, als geschähe es aus Grundsatz ... Er gebehrdete sich daher auch nie, als wenn er irgend fleißig sei und seine Kenntnisse zu vermehren strebe, vielmehr gab er zu verstehen, daß er seine Trägheit und Gleichgültigkeit in dieser Beziehung nicht überwinden könne, es aber auch nicht wolle, daß jedoch diese Zeit seines Lebens deßhalb doch keine verlorene sei« ... Nach zwei beabsichtigten Selbstmordversuchen und etlichen leidenschaftlichen Liebesepisteln, mußte Henriette sich entschließen, ihn aus ihrem Hause zu entfernen und besorgte ihm zunächst bei ihrem Freunde, dem Arzte Joh. Christ. Reil, der in Halle eine Professur inne hatte, angemessene Unterkunft. Sie blieb während eines Vierteljahrhunderts mit ihm in steter Verbindung, zuerst mütterlich tröstend und scheltend, später auf dem Fuße der Gleichheit diskutierend. Dem zersetzenden Wesen Börnes waren Anhänglichkeit und Dankbarkeit ziemlich unbekannte Faktoren. So wie er aus Reils Hause nach vierjährigem Aufenthalt »kalt verlassen, kalt entlassen« schied, so findet er, als er die alt gewordene Frau wieder besucht und sie ihm die runzliche Wange zum Kusse reicht, lediglich das häßliche Witzwort: »Ich liebte sie und durfte damals (vor 25 Jahren) nur ihre Hand küssen. Und jetzt: Il vaut mieux jamais que tard.«

Sie hat seine Lieblosigkeit nie erfahren, sondern ist immer voll für das Wertvolle an ihm eingetreten. In der ihrer innersten Natur entsprechenden vorsichtig abwägenden Art und ihrer herzenskühlen Güte ist sie stets eine vortreffliche Freundin gewesen. Bezeichnend für sie ist der beinah komisch wirkende »Tugendbund«, den sie trotz des gutmütigen Spöttelns ihres Gatten und des beißenden von »tout Berlin« begründete und dem u. a. auch Wilhelm von Humboldt und seine spätere Gattin, Caroline von Dachröden, ferner Carl von La Roche, der Sohn der Sophie, Dorothea Mendelssohn-Schlegel, eine Tochter des großen Philosophen Moses, und Caroline von Wolzogen angehörten, während Rahel Levin von vorn herein ablehnte, sich an dem sie unwahr dünkenden Freundschaftskultus zu beteiligen.

Portrait

Briefe von Henriette Herz.

An Börne.

Auf der Rückseite von Börnes Hand: »1803. 3. May«.

Ich muß wiederholen was ich Ihnen schon unzählige male gesagt habe, mehr als freundlich kann ich Ihnen nicht sein. Lügen mag u werde ich nicht, ich muß also Ihr [ sic] für mich sehr drückende Verdrießlichkeit ertragen, wenn das Bekanntwerden mit der Gränze meines Wohlwollens sie nicht endlich heben wird. Ich halte Sie bei Gott weder für schlecht noch gemein, das könnte ich Ihnen beweisen wenn ich Briefe hier hätte in welchen ich von Ihnen geschrieben; könnte ich Sie aber durch eine Lüge zum herrlichsten Menschen machen, ich würde dieser Lüge mich nicht schuldig machen. Daß Sie mich übrigens mehr als viele Menschen intereßieren gegen die ich auch freundlich bin, das liegt in unserm ganzen Verhältniß. Verderben Sie sich und mir das Zusammensein nicht. Müßen Sie mir denn ewig von dieser unseligen Leidenschaft sprechen.

* * *

Lanke, den 12. August 1803.

... Ich war sehr unzufrieden mit Ihrem Briefe weil es Ihnen eigentlich schlecht geht Louis, innerlich wenigstens, wiederum aber muß ich sagen, was ich Ihnen schon oft gesagt, daß es Ihnen nur dann gut gehn kann wenn Sie selbst es ernstlich wollen, hier wie durch Ihr ganzes Leben. Wären Sie ein gewöhnlicher Mensch der weder über sich noch über die Dinge denkt so würde ich jedes Wort für verloren halten, so aber werde ich nicht aufhören Ihnen zuzurufen bis Sie mich hören; ich werde die Geduld lange nicht verlieren, sehr lange nicht, sagen Sie mir aber nach all meinem langen Zurufen noch immer, ich bin unfleißig u. unthätig, das heißt, ich bleibe u werde ein sehr gewöhnlicher Mensch, dann Louis, höre ich auf zu rufen, aber auch überhaupt in Verbindung mit Ihnen zu sein, so wie im Gegentheil, wenn Sie das werden was in Ihren Kräften steht, Sie für Ihr ganzes Leben eine wahre treue Freundin an mir haben werden. Ihre Seele u Geist gehn zu Grunde wenn Sie sich nicht sehr bald ernstlich anstrengen um etwas tüchtiges zu lernen u wie Ihr Körper durch den Müßiggang, oder doch durch das wozu er führt schon gelitten hat das wißen Sie u ich wußte es lange. Glauben Sie nicht, lieber Louis, daß ich einen zu großen Werth auf die Weltverhältnisse lege, nein, ich weiß sie gehörig zu würdigen, aber eben weil ich das weiß deshalb lebe ich wie ichs thue u will daß jeder der nicht den Muth u die Kraft hat sich davon los zu reißen, so thue. Nicht der Menschen willen sollen Sie das was andere vor Ihnen entdekt und erklärt haben sich zu eigen machen, sondern allein Ihrer selbst willen. Denn Sie haben Sinn u Kräfte, benuzen aber sollen Sie es zum besten Ihrer armen unwißenden Nebenmenschen. Bitten, flehen könnte ich Sie nicht so gewißenlos mit sich zu verfahren u Ihre Kräfte gegen sich selbst zu wenden. Sie wißen alles was ich Ihnen sagen könnte, doch aber sage ich es Ihnen um Sie selbst zuweilen zum Bewußtsein zu bringen ...

* * *

Berlin, den 29. 8br. 3.

Ich bin nicht zu streng, ich kann aber keine Fehler verzeihen, die aus Gemeinheiten entstehen. Leidenschaften können die Taugenichtse nicht vorwenden, da es eigentlich nur Eine giebt um derentwillen ich dumme Streiche verzeihe weil sich wenigstens etwas Geistiges damit verbinden läßt, obschon es leider selten damit verbunden wird.

Jede Art von Ausschweifung ist mir in tiefster Seele verhaßt u es kann kein guter Mensch sein, kaum einer werden, der seine Seelen- und Körperkräfte vergeudet am Spiel, Trunk oder platter Sinnlichkeit ... Ich nenne einen guten Menschen den welcher bei einer schönen Natur alle Kräfte aufbietet die Kräfte zu gebrauchen u wer von Natur wenig Gaben hat mit Kraft sie sich aber verschafft hat der ist beßer noch als gut und vor dem beuge ich mich. Ein guter Mensch sind Sie beinah, aber ein besserer müßen u könnten Sie werden Louis, u mit Schmerz würde ich Ihre wirklich gute Natur zu Grunde gehen sehen, u ermannen Sie sich nicht bald so fürchte ich daß es der Fall sein wird. Kräfte wollen geübt sein, ungeübt schlummern sie ein u oft so tief, daß sie durch nichts wieder zu erwecken sind. Laßen Sie, lieber Louis, es dahin nicht mit sich kommen u vermögen Sie es nächstdem über sich die erbärmlichen Gewöhnlichkeiten des Lebens nicht zu verachten denn sie rächen sich gewaltig u man unterliegt ihnen nicht selten.

Ihr Vater hat mir in seinem lezten Briefe, durch den er alles berichtigte, sehr traurig über Sie geschrieben, er meint daß wenn Sie nicht bald fleißig würden, er Sie vom Studieren wegnehmen würde – verdenken kann ich ihm das nicht – u was wollen Sie thun wenn er wort hält? Es ist mir wirklich unbegreiflich wie man so schwach sein kann daß beßere nicht zu ergreifen das einem so nahe liegt u das man erkennt.

* * *

Berlin den 14. Jenner 1804.

... Sie haben mich mißverstanden oder ich mich falsch ausgedrückt, wenn es aus meinen Reden hervorgeht als ob ich wünschte daß das Menschengeschlecht ohne Leidenschaft sei – so meinte ichs wohl gewiß nicht, mein guter Louis, ich will nur daß der beßere Mensch sich lieber verzehre u zu Grunde gehe als daß er etwas unedles u unrechtes aus Leidenschaft thue. Unter allen Leidenschaften sind mir diejenigen am meisten verhaßt an welchen sich auch nicht das allergeringste sentimentale anknüpfen läßt, oder wenn der Mensch die, an welchen es geschehen könnte durch sein ihr fröhnen sie so herabwürdigt u sich mit ihr daß sie ihren Character verlieren muß u der Mensch nie einen hatte. Zu den ersten gehören Spiel und Trunk, die lezte ist die Ausschweifung mit Frauen. – Dabei geht das beßere im Menschen zu Grunde u das Schlechtere der Körper leidet dabei auch am meisten, die schönsten Empfindungen werden entheiligt weil wohl zuweilen – ja oft, ein plattes Gefühl für ein erhabenes genommen wird u so wird das Schönste im Mann u in der Frau in seiner Blüte zerknikt ...

... Sie sehen aber, daß es Ihnen mit den Gesellschaften in Halle wie mit denen in Berlin geht, es ist sehr schwer für einen so jungen Menschen hineinzukommen u für andere ihn hinein zu führen, auch sind in der That diese Jahre die Lernjahre. – »Ein Talent bildet sich in der Stille, ein Character in dem Strom der Welt;« das Talent muß erst ausgebildet sein ehe der Character es werden muß u das kann nur in etwas späterer Zeit geschehen. Reil Der Hallenser Professor. fühlt u weiß das eben so gut wie wir es wußten u fühlten; das können Sie glauben. Was ich übrigens für Sie hoffte ist eingetroffen, die Langeweile treibt Sie zum Fleiß u die Gewohnheit wird Sie hoffe ich so lange darin erhalten biß die eigne Lust, der eigne Trieb in Ihnen erwachen wird. Reil hatte Sie richtiger beurtheilt als ich, er machte Ihnen den Umgang mit Studenten unmöglich dadurch daß er Sie auf die Schule gehen ließ – Sind Sie dann von der Schule, u die Herren halten Sie ihres Umgangs würdig so werden Sie in Ihrem Gemüth u in Ihren Gesinnungen schon so weit sein, daß Sie nur mit einer Auswahl jener wüsten rohen Menschen umgehen werden ...

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Berlin den 20. März 4.

Ich bin nicht Ihrer Meinung, daß die Menschen im Grunde alle gleich wären. – Es liegt wohl nicht bloß in der Unmöglichkeit, unser Innerstes vor einander aufzuschließen daß unsere Empfindungen u Gefühle oft so sehr von einander abweichen, warum wollen Sie innere Verschiedenheit leugnen da Sie doch eine äußere zugeben müßen? übrigens weiß ich nicht weshalb das Leben bei völliger Übereinstimmung freudenleer wäre – jezt giebt es uns das größte Glück, den höchsten feinsten Genuß wenn wir ein mit uns übereinstimmendes Gemüth finden u es sollte uns lästig sein wenn wir mehrere fänden? – Wohl ist es die gefundene Wahrheit die uns Freude macht, unmittelbar sie die uns erhebt – denn – reduciren Sie es nur auf etwas ganz gewöhnliches – ganz gemeines und Sie werden sehen, daß es auch die Sache u nicht bloß die Fähigkeit sie zu entdeken ist. Die gemeine Neugierde zum Beispiel – die erhöht doch Lehrbegierde ist – was ist der Zweck dieser Empfindung anders als zu wißen, was wir nicht wißen –. Wir haben freilich beim Streben nach Wahrheiten – nach Wißenschaften – nicht dieses peinigende ängstliche Gefühl das wir bei der gemeinen Neugier haben; – das ist aber auch natürlich denn wir sind völlig leidenschaftslos und ruhig bei der Lehrbegierde, unser Streben mag auch nach dem Höchsten gehen – u daß wir dieses sind, das spricht für die Reinheit u Schöne dieser Begier – die eine ist der ερως ουρανιος die andere πανδημος darüber möchte ich daß Sie Platos Gastmahl läsen, was ich jezt lese, da würde Ihnen ein Licht darüber aufgehen. – Ich halte den nicht nur für sehr unweise, der Lebensluft einathmet um schneller zu leben, sondern ich verachte ihn auch wenn er es nicht mit völliger Freiheit des Willens thut – wenn er dem gewaltsamen Triebe es zu müßen nachgiebt so ist er gemein u es läßt sich nichts darüber sagen – thut ers weil er will so läßt sich manches dafür u dagegen sagen. So lange wir Menschen sind – das heißt so lange unser beßeres Wesen eingeschloßen ist in Sinne – müßen wir ihnen mehr oder weniger fröhnen u der beßere innere Mensch ist der welcher dieses weniger thut als er von seiner schlechteren Natur dazu getrieben wird ...

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Dresden den 23. Juli 05.

... Meine Aufrichtigkeit muß Ihnen lieb sein u ist sie es nicht so ist es Ihre Schuld, mit dem Inhalt Ihres Briefes bin ich recht eigentlich unzufrieden. Lieber Louis Sie sind auf schlechtem Wege, wählen ihn selbst u wollen sich darauf erhalten. Das was Sie als Spas betreiben sollte Ihr heiligster Ernst sein. Sie nennen Philistereien was Rechtlichkeit ist, ja was zur inneren Bildung eines Menschen unbedingte Nothwendigkeit ist. Im spaßigsten Ton sprechen Sie von Ihrem unerhörten Müßiggang von Ihrer Geldverschwendung u von Ihrem falschen Bestreben sich lächerlich zu machen. Über den ersten sage ich Ihnen nichts mehr so weh es mir auch thut, daß die schönen Anlagen die in Ihnen sind zu Grunde gehen, über die andern schweige ich auch, weil ich schon zuviel vergeblich gesprochen habe, das lezte aber ist so höchst unsinnig daß ich Ihnen doch ein Wort darüber sagen will besonders da es so ganz in Ihr übriges Leben eingreift. Sie werden es mir zutrauen daß ich Welt und Menschen beßer kenne als Sie, denn mehr habe ich in ihr gelebt u mehrere Menschen geprüft, von mehreren hart geprüft worden, ich kenne sie u mich, vielleicht jezt mehr als vor einigen Jahren. Das was Sie bezweken ist sehr leicht, lächerlich findet der Haufen leicht u gern besonders den Beßeren auch ohne sein Hinzuthun, wie viel mehr nicht mit seinem Willen. Wenn Sie sich u mir klar machen können was Sie daran freut wenn die Menschen Sie für halb toll halten so thun Sie es u wir können dann weitläufiger darüber sprechen. Nicht ganz neu ist mir dieses wunderliche Wesen an Ihnen doch habe ich es zuerst bei Ihrer letzten Anwesenheit in Berl– gemerkt u am auffallensten einen Abend bei Reimers, Reimer, der bekannte Berliner Buchhändler, Freund Schleiermachers, schon damals Mittelpunkt des patriotischen Kreises in Berlin. wo es nicht mir allein sondern allen auffiel.

Warum wollen Sie nicht auch scheinen was Sie sind? Wollte Gott Sie wären, was Sie sein könnten oder würden es noch! Sein Sie einfach u still u reden Sie nur wenn Sie es der Mühe werth achten u Sie bedürfen der übrigen Höflichkeit nicht. Louis wie entsetzlich verkennen Sie sich u die Menschen u wie viel geht in Ihnen zu Grunde wenn Sie sich nicht bald erheben, nicht bald erwachen aus dem kindischen jämmerlichen Schlummer in den Sie so muthwillig sich einwiegen. Wie ich zu Ihnen spreche so sprach zum Theil Schleiermacher über Sie zu mir u da er natürlicherweise weniger Intereße an Sie hat als ich so hat er Sie losgelaßen, denn nachdem was er durch mich von Ihnen wußte u was er in den Briefen an mich gelesen, sah er wohl daß Sie etwas lernen u werden konnten, u er nahm es sich ernstlich vor Sie oft zu sehen u zu sprechen, als er Sie aber leben sah, verschleudern oder doch nicht benuzen sah die Gabe Gottes da wurden Sie ihm natürlich weniger lieb – Grund sich gegen Sie zu verstellen hat er nicht, werden Sie wie Sie werden können u dieser treffliche Mensch wird Ihnen freundlich sein ...

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Berlin den 24. März 06.

Nein Louis warten Sie nicht, ziehen Sie herbei was Sie faßen können u laßen Sie nicht wieder los – das Leben vergeht mit dem warten u kömt am Ende etwas so ist es zu spät, für den Körper wenigstens. Wäre ich ein Mann geworden, so hätte ich das was ich als Frau im kleinen trieb ins Große getrieben. Mit Mühe hätte ich mir u mit Fleiß eine bürgerliche Existenz geschafft wie ich das Kleid zur Bedeckung mir machen laße, u so wie bei diesem Farbe u Schnitt mehr oder weniger dem Auge wohl gefällig ist, so hätte ich auch bei jener für das Bequemere und Erfreulichere gesorgt. Meine innere Welt hätte ich mir gesichert durch das äußere Leben in der äußeren u so wäre jene auf keine Weise gestört worden durch die Jämmerlichkeiten mit welchen diese, vernachläßigt, sich rächt. Jeder sollte so thun der ein inneres Leben hat u es führen will u die meisten versäumen das – daher eben das Klagen u das ewige sich gestört fühlen worin die beßeren selbst verschmachten u wozu auch Sie gehören. – Noch ist es Zeit mein guter Louis, noch können Sie das beßere in sich retten ehe es ganz versinke u kommen Sie auch mit Wunden bedekt aus dem Kampf so wird doch jeder Sie erinnernde Schmerz Sie an die Kraft mit zugleich erinnern die Sie in jenem Kampfe angewandt u wodurch Sie ihn bestanden haben ...

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Berlin den 14. Jänner 8.

... So wie nichts in der Welt ganz gut u ganz schlecht ist so sind es auch die Menschen u die Zeiten nicht. Kummer u. Elend hat man geglaubt müße in Berlin herrschend werden u noch ist es nicht so, man sieht noch viel froliche Gesichter obschon die meisten Menschen klagen, im ganzen wird man arm u im einzelnen reich, äußerst wenige können ihre Reichthümer vermehren aber keiner stirbt eigentlich Hunger, man geht spazieren u man tanzt u doch ist jezt schon viel Elend, wird aber noch viel mehr werden; es hält sich alles eine Zeit lang aus u während des Aushaltens wird es oft beßer oder es hält sich nicht aus, nun dann ist es vorbei.

Sehen Sie lieber Louis ich sage Ihnen hier mit meiner gewöhnlichen Freimütigkeit daß man Sie lieb haben muß um Sie leiden zu können u daß man manches Äußere oder vielmehr manche Äußerungen ganz abrechnen, ganz vernichten muß, um Sie lieb zu haben. Es ist eine sonderbare Disharmonie in Ihrem Wesen, Sie haben etwas Tiefes, fast melancholisches in Ihrem Blik, etwas Schweres in Ihrem ganzen Sinn und doch haben Sie die Eigenschaften eines solchen Characters nicht, weder Stätigkeit noch Fleiß noch Mäßigkeit u gar nicht vorher sehen kann ich es wie wunderlich sich das alles in einer späteren Zeit an u in Ihnen gestalten wird – noch immer kann ich die Hoffnung nicht aufgeben daß Sie doch noch etwas Gründliches lernen werden, u nicht meinen werden mit dem Anfang schon das Ganze zu haben ...


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