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Johanna Schopenhauer

Kein größerer Gegensatz ist denkbar, als der zwischen Arthur Schopenhauer und seiner Mutter Johanna. Düntzer schildert sie uns als eine kleine, in der Jugend überaus schlanke und späterhin sehr dicke, durch eine etwas vortretende Hüfte leicht entstellte, aber doch behende Erscheinung mit schönen blauen Augen und braunen Haaren, die sie von ihrer Mutter hatte: heiter, gesellig, Optimistin vom Scheitel bis zur Sohle, wie ihr Sohn Pessimist war. Sie war eine geborene Trosiener, eine Danziger Patrizierstochter, und reichte dort einem viel älteren Manne die Hand zum Ehebund. Während sie in ihren »Jugendleben und Wanderbildern« des Lobes über den Gatten, seinen Zartsinn, seine Bildung und das Glück ihrer Ehe voll ist, klingen aus den Briefen an ihren Sohn andere, bittere Untertöne über jene Zeit mit. Die Blockade Danzigs durch die Preußen veranlaßte den antimonarchisch gesinnten Heinrich Floris Schopenhauer, ihren Gatten, nach Hamburg zu fliehen. Diese Entfernung von den Ihren – die sie denn auch häufig besuchte, – und Mißhelligkeiten bei der Erziehung Arthurs mögen das Verhältnis der beiden getrübt haben, das materiell trotz großer Verluste durch die Flucht ein überaus gesichertes geworden war.

So bricht in der wundervollen Epistel vom 28. April 1807: »ich weiß, was es sagen will, ein Leben zu leben, welches unserem Inneren widerstrebt«, eine schmerzvolle Klage seelischen Unbefriedigtseins hervor. Sie spricht da vom »Ersatz für ihre verlorene Jugend«, von »grausamer List«, »grausamer Täuschung«. Damit ist die List gemeint, mit der Heinrich Floris seinen Sohn von dem ersehnten Studium fortlockte; er ließ ihm die Wahl zwischen sofortigem Eintritt in das Gymnasium oder einer großen Reise mit den Eltern, an die sich dann die Handelskarrière anschließen sollte. Der Knabe wählte natürlich den augenblicklichen Genuß, ohne zu bedenken, wie viele nie wieder zu vergessende unglückselige Stunden die »schöne Reise« ihm im späteren Leben bereiten würde. Ein großer Teil seiner Schroffheit, die zuletzt zu völligem Zerwürfnis mit der Mutter führte, hat hier seinen Ursprung. Der letzte der hier abgedruckten Briefe an Arthur schlägt schon eine schärfere, vielleicht allzuscharfe Tonart an. Johanna war sehr erbittert, weil er infolge von Spottversen auf die Philister von Gotha seines griechischen Privatunterrichts verlustig gegangen war.

Den Tod ihres Gatten veranlaßte ein Unglücksfall, der wahrscheinlich nicht ganz unbeabsichtigt war. Er stürzte aus einer offenen Speicherluke in einen Kanal und ertrank. Ein starker Reisedrang war Frau Johanna von jeher eigen. Schon während ihrer Ehe hatte sie England, Schottland, Holland, Flandern besucht und war auch mehrfach in Paris gewesen, wo sie ihre Kenntnisse in der Miniaturmalerei vervollkommnete. Der Sohn begleitete stets die Eltern; er »sollte aus dem Buch der Welt lesen lernen«. Als Witwe folgte sie der Lockung des Geistes und siedelte nach Weimar über. Es war im Herbst 1806; schon warfen die Ereignisse ihre Schatten voraus. Aber man verstand sich nicht auf politische Wetterguckerei. Der Musenhof von Weimar war für das geistige Deutschland wichtiger als der ganze Napoleonsstaat. Um Jena wurde die schandenreiche Schlacht geschlagen; aber die führenden Geister »klebten Ofenschirme«.

Aus der Zeit ihrer Übersiedlung und Akklimatisierung stammen die Briefe an ihren Sohn, die ich folgen lasse. Sie sind teilweise in dem Bande »Schopenhauers Briefe« von Ludwig Schemann gesammelt worden, teils in Düntzers »Abhandlungen zu Goethes Leben und Werken« zu finden. Ich habe mich auf solche Auszüge beschränkt, die das Zeitkolorit und auch die Wesenseigentümlichkeit Johannas am besten wiedergeben. Etwas Sonniges, Zuversichtliches, Menschenfreundliches wohnt in der Frau, das sie die Armen »von dem an Gott und den Menschen zu verzweifeln«, retten läßt, das ihr Worte diktiert, wie »je mehr Unglück ich in der Welt erlebe, je besser bin ich mit den Menschen zufrieden«, oder wie bei Gelegenheit des ersten Besuches der Christiane Vulpius bei ihr: »ich empfing sie, als ob ich nicht wüßte, wer sie vorher gewesen wäre. Ich denke, wenn Goethe ihr seinen Namen giebt, können wir ihr wohl eine Tasse Thee geben!«

So farbig ihre Schilderungen der Jenaer Schlacht und des Kriegsgetümmels auch in den Briefen anmuten, sie waren nicht »litterarisch« gedacht, wenn sie auch teilweise in ihrem Buche »Jugendleben und Wanderbildern «Verwendung gefunden haben. Erst spät erwachte in ihr die Lust zum Schriftstellern. Auf Cottas Wunsch schrieb sie die Lebensgeschichte ihres hochverehrten Freundes Fernow, die 1810 in Tübingen erschien. Reisebeschreibungen und kunsthistorische Bücher folgten; die Romane »Gabriele«, »Die Tante«, »Sidonie«, machten sie zu einer der beliebtesten Schriftstellerinnen ihrer Zeit. »Jugendleben und Wanderbilder« war die letzte ihrer abgeschlossenen Arbeiten, denn die Autobiographie, die sie mit 71 Jahren begann, ist Fragment geblieben.

Wenn ich es mir nicht versagen kann, auch längere Berichte aus der Kriegeszeit wiederzugeben, die doch wenig genug mit Johannas innerem Wesen zu tun haben, so geschieht es, weil sie deutlich zeigen, woran es den Menschen des zerstückelten Deutschland jener Tage so ganz gebrach: an Vaterlandsempfinden. Das militärische Gepränge »reißt sie unwiderstehlich mit fort«, die Kriegsgreuel »engen ihr das Herz ein«. Von dem großen Atemzug, der sieben Jahre später ganz Deutschland durchwehen sollte, war noch nichts zu spüren im geistigen Herzen Germaniens. Ja, selbst als 1813 das Volk zu den Fahnen strömte, war Goethe außer sich und verzweifelt, August nicht den Auszug verbieten zu können; er vermochte den Herzog, durch einen Auftrag den Sohn an Weimar zu fesseln. Nichts gibt den Standpunkt Europas dazumal besser wieder, als der Ausruf Johannas: »Ich begreife nicht, wie man sich noch dem Unbesiegbaren entgegenstellen mag; er geht seinen Gang, und was ihm in den Weg kommt, wird zertreten, wie ist es möglich, dagegen ankämpfen zu wollen?« – oder wie sie ohne jede Empörung konstatiert, daß der Friedensschluß im Theater mit Pauken und Trompeten verkündet worden und man dabei laut »Vive Napoléon« gerufen habe.

Mitten im Kugelknattern, im Stöhnen der Sterbenden und im Verarmen der Lebenden behält Johanna ihren Gleichmut, von dem sie auch ihrem Arthur in das bedrängte Herz zu gießen versucht. Schon damals machten eine gewisse Schroffheit und Unduldsamkeit es schwer, mit Arthur zu leben. Die Mutter erklärte diese Eigenschaften bald mit der Sturm- und Drangperiode, bald als unselige Erbschaft des schwermütigen und jähzornigen Vaters, von dem der Sohn auch das Ohrenleiden, das ihn früh schon peinigte, übernommen hatte. Bei aller Muttersorge lehnte Johanna es denn auch stets ab, ihn zu sich nach Weimar zu nehmen. »Es ist zu meinem Glück notwendig, dich glücklich zu wissen, aber nicht ein Zeuge davon zu sein ...«

Sie hatte es sich in der Musenstadt recht behaglich gemacht, bewohnte an der Esplanade eine schöne geräumige Wohnung, heute das Werthersche Haus am Theaterplatz 1, das vor ihr Herder innegehabt hatte, für den damals hoch genannten Mietpreis von 170 Talern und bildete bald den Mittelpunkt eines angeregten Kreises, »dem trotz einfacher Aufnahme, wie Thee und Butterbrot Männer wie Goethe, Wieland, Tischbein, Tieck treue Gäste waren«. Stephan Schütze hat in seinem Aufsatz: »Die Abendgesellschaften der Hofräthin Schopenhauer in Weimar« ein fesselndes Bild ihres gesellschaftlichen Sichgebens gegeben. Aus dieser Zeit stammen die ergötzlichen Schilderungen des Olympiers, die ich in Briefen an Arthur folgen lasse; sie sind der wertvolle Niederschlag der geistreich vertändelten Zeit einer »Geistesweltbürgerin« der Goethezeit.

Natürlich wird auch die Frau Hofrätin von dem Zauber des großen Mannes ergriffen. »Wer kann sich Goethen so denken?« ruft sie aus, nachdem sie geschildert, wie er ihre Blumenschnitte bewundert und ihr mit wenigen Strichen seine Idee zu einem Ofenschirm skizziert hat. Wie unsagbar traurig berührt es dann, nach diesen Tagen der allgemeinen Anbetung aus ihren Briefen an Holtei die Verlassenheit des Achtzigjährigen zu erfahren!

Die muntere, gastfreie Frau war viel umschwärmt. Darob kamen dem Sohne manche Sorgen, einmal wegen der Ausgaben, dann wegen einer etwaigen Wiederverheiratung der noch sehr ansehnlichen, wohlhabenden Mutter. So erwähnt sie denn häufig die »Billigkeit« dieses oder jenes Ankaufs, betont auch, daß ihr ihre Unabhängigkeit viel zu lieb sei, um einen der ernsthaften Epouseurs, an denen es ihr nicht fehlte, zu erhören.

Nächst Goethe, den sie über die übliche Rauschdauer hinaus verehrte, spielte Dr. Fernow, ein feinsinniger Kunstgenießer, aber mäßiger Schriftsteller, die größte Rolle in ihrem Leben. Sie verdankte ihm viel. Laura Frost sagt in ihrer Biographie der Johanna von ihm: »Er ward ihr Freund und Lehrer, ordnete ihre ungeregelten und mangelhaften Kenntnisse, lehrte sie das Verständnis der Antike«. Er war, als sie ihn kennen lernte, ein Vierziger, mit einer Römerin verheiratet, die nie das Haus verließ und die Johanna auch nie sah. Ein tiefes Gefühl verband die beiden Freunde. Johanna tat für ihn während seiner langen Krankheit, was nur in ihren Kräften stand. Er starb in ihrem Haus, von ihr leidenschaftlich beweint.

In die vornehme Abgeklärtheit dieses schöngeistigen Lebens trat nun 1813 der bittre Feuergeist, Arthur Schopenhauer. Es kam, wie Johanna in ihrem Briefe geweissagt hatte. Obwohl sie gelobt, zu tun »was ich ohne meine eigne Freiheit und Ruhe aufzuopfern tun kann, um dir deinen Aufenthalt hier recht angenehm zu machen«, beginnen die Mißhelligkeiten, sobald er die Schwelle überschritten hatte. Laura Frost erzählt, daß Johanna, als er ihr ein Exemplar seiner Doktorarbeit »Philosophische Abhandlung über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde« überreichte, lächelnd gemeint habe, das sei wohl etwas für einen Apotheker. Er hatte ihr verletzt entgegnet, man werde seine Arbeiten noch lesen, wenn von ihren Schriften kaum mehr ein Exemplar in einer Rumpelkammer stecken werde. Schlagfertig war seinem Spott die Antwort erfolgt: »Von den Deinigen wird die ganze Auflage noch zu haben sein!« Widerwärtige tägliche Reibereien, bei denen wieder die pekuniären Fragen eine große Rolle spielten, folgten. Johanna hatte in einem Herrn von Gerstenbergk einen neuen Freund und Hausgenossen gefunden. Die gefügige Tochter duldete schweigend die stete Gegenwart des Eindringlings, der trotzig-stürmische Sohn forderte seine Entfernung, Johanna stellte sich auf des Freundes Seite. Arthur litt tief unter der Entfremdung von der Mutter, ohne doch die Unduldsamkeit und Schroffheit aus seinem Charakter bannen zu können, die sogar drohte, den »Theezirkel«, den Stolz seiner Mutter, zu sprengen. Schon 1814 verließ er ihr Haus; er hat es bis zu ihrem Tode nicht mehr betreten, hat sie auch nicht mehr wieder gesehen.

Die anfänglich als Liebhaberei betriebene Federarbeit wurde späterhin die Rettung des Schopenhauerschen Haushalts. Nach Einbuße des größten Teils ihres und ihrer Tochter Adelens Vermögen, kamen ihr ihre guten schriftstellerischen Einkünfte sehr zu statten. Trotzdem wurde Johannas Lebensführung so reduziert, daß sie vorzog, das geliebte Weimar zu verlassen und nach kurzem Aufenthalt in Mannheim nach Bonn zu ziehen. Ein paar Sommer lang fesselte ein reizendes kleines Landhaus bei Unkel die Rastlose, dann siedelte sie sich mit Adele völlig in Bonn an. Aus dieser Zeit stammen die Briefe an Karl von Holtei. Arm, kränklich, gealtert, behält die eigenartige Frau ihre Heiterkeit, ihr offnes Herz für ihre Freunde bei.

Den Rest ihrer Tage beschloß Johanna endlich in Jena, durch eine Pension des Großherzogs vor effektiver Not geschützt; sie liegt dort auf dem alten Friedhof prunklos und ziemlich vergessen begraben.

Portrait

Briefe von Johanna Schopenhauer.

An Arthur.

Undatirt (22. September 1806?)

Du bist eben fortgegangen; noch rieche ich den Rauch von deiner Cigarre, und ich weiß, daß ich dich in langer Zeit nicht wiedersehen werde. Wir haben den Abend recht froh miteinander hingebracht; laß das der Abschied sein! Lebe wohl, mein guter, lieber Arthur! Wenn du diese Zeilen erhältst, bin ich vermuthlich nicht mehr hier; aber wenn ich es noch wäre, komm' nicht! Ich kann das Abschiednehmen nicht aushalten. Wir können einander ja wiedersehen, wenn wir wollen; ich hoffe, es wird nicht gar zu lange währen, so wird uns auch die Vernunft erlauben, es zu wollen. Lebe wohl! Ich täuschte dich zum erstenmale; ich hatte die Pferde halbsieben bestellt. Ich hoffe, es wird dir nicht zu wehe thun, daß ich dich täuschte: ich that es um meinetwillen; denn ich weiß, wie schwach ich in solchen Augenblicken bin, und wie sehr mich jede heftige Rührung angreift. Lebe wohl! Gott segne dich.

Deine Mutter
J. Schopenhauer.

* * *

(Weimar) 6. October 1806.

Ich bin hier mitten im Kriege, aber gutes Muthes. Das Schicksal spielt wunderlich mit mir, daß ich mich grade in diesem stürmischen Zeitpunkt hierher versetzt finde, in ein Land, welches wahrscheinlich der Schauplatz eines blutigen Krieges wird. Doch da Niemand vermuthen konnte, daß das geschehen würde, was jetzt geschieht, so ergebe ich mich in Geduld und mache mir auch keine Vorwürfe darüber; denn ich that, was ich für mich und die Meinigen für's Beste hielt... Der Anblick alles dieses militärischen Wesens ist mir höchst interessant. Gestern zog die sächsische Armee unter dem Kommando des Prinzen Hohenlohe durch, ehegestern war der König, der Herzog von Braunschweig und das ganze Hauptquartier hier. So geht's alle Tage; alle Abende kommen neue Truppen, alle Morgen ziehen sie fort, machen neuankommenden Platz. Alles dies macht den kleinen Ort sehr lebendig. Die schönen großen Soldaten in den glänzenden neuen Uniformen, die Officiere, alle die Prinzen und Fürsten, denen man auf jedem Schritte begegnet, die Pferde, die Husaren, die kriegerische Musik, es ist ein so großes gewaltiges Leben, daß es mich unwiderstehlich mit fortreißt. Nur wenn ich die unvermeidliche Folge des Krieges bedenke, und wie viele von diesen Menschen, die jetzt voll Lust und Leben hinziehen, bald tot oder verstümmelt da liegen werden, dann engt es mir das Herz ein. Die Soldaten, besonders die gemeinen, sind voll Enthusiasmus; sie wünschen nur, daß der Augenblick erst da wäre ...

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[Weimar] 19. October 1806.

Das waren schwüle Stunden, mein Arthur, die Kanonen donnerten von fern, alles war in der Stadt wie ausgestorben, die Sonne schien auf die grünen Bäume vor meinem Fenster, alles war Ruhe von außen, und welcher Sturm, welche Angst des Erwartens in unsern Herzen! ...

O mein Arthur, die Erinnerung allein macht mich jetzt beben. Jetzt rasten die Kanonen, der Fußboden bebte, die Fenster klirrten. O Gott, wie nahe war uns der Tod, wir hörten keinen einzelnen Knall mehr, aber das durchdringende Pfeifen und Zischen und Knattern der Kugeln und Haubizen, die über unser Haus und 50 Schritt davon in Häuser und in die Erde flogen, ohne Schaden zu thun. Gottes Engel schwebte über uns, in mein Herz kam plötzlich Ruhe und Freudigkeit, ich nahm meine Adele auf den Schooß und setzte mich mit ihr auf den Sopha, ich hoffte eine Kugel sollte uns Beide tödten, wenigstens sollte keine der Andern nachweinen. Nie war mir der Gedanke an den Tod gegenwärtiger, nie war er mir so wenig fürchterlich ...

Allmählich wird hier Ordnung gemacht, die Todten werden in großen mit Kalk ausgefüllten Gruben, die von der Stadt entfernt liegen, begraben, die in der Schlacht fielen sind alle schon begraben, und aus den Lazarethen werden sie auch gleich fortgeschafft und liegen nicht mehr, wie zu Anfang, hoch auf einander gethürmt, Tage lang auf der offnen Straße, von diesen Gräueln des Krieges hat man nur einen Begriff, wenn man sie, wie ich, in der Nähe sieht. Ich könnte dir Dinge erzählen wofür dir das Haar emporsträuben würde, aber ich will es nicht, denn ich kenne ohnehin wie gerne du über das Elend der Menschen brütest. Du kennst es noch nicht, mein Sohn, alles was wir zusammen sahen, ist nichts gegen diesen Abgrund des Jammers. Was mich beim Anblick alles Entsetzlichen was man sich denken kann noch hielt, ist, daß ich half wo ich konnte, um den Jammer zu lindern. Mein Landsmann Falk Joh. Daniel Falk, der Satiriker. gab mir die Wege an, und so habe ich mich einer Stube im Alexanderhofe, in der an 50 Verwundete lagen, meistens Preußen, angenommen. Ich schickte ihnen altes Leinen zum Verbinden, Wein, Thee, der erst bey mir in einem großen Kessel gekocht wurde, Suppe, einige Bouteillen Madera, wovon jeder nur ein kleines Glas bekam und doch über dieses Labsal in lauten Jubel ausbrach und mich segnete, Brod und was ich konnte. – – Es war im Ganzen wenig, und half doch viel, besonders da ich die erste war. Ich rettete die Armen vor dem Unglück, an Gott und Menschen zu verzweifeln. Göthe und andere haben davon gehört und sind meinem Beispiel gefolgt... Lieber Arthur, wie hartherzig macht das Unglück, ich freue mich jetzt, wenn ich höre, daß 4,500 mit ihren zerschmetterten Gebeinen weiter gefahren werden, ich, die noch vor wenig Wochen den Jungen, der vor unserm Hause den Arm brach, um keinen Preis ohne Hülfe fortgelassen hätte!

Meine Existenz wird hier angenehm werden, man hat mich in 10 Tagen besser als sonst in 10 Jahren kennen gelernt. Göthe sagte heute, ich wäre durch die Feuertaufe zur Weimaranerin geworden, wohl hat er recht. Er sagte mir, jetzt da der Winter trüber als sonst heranrücke, müssen wir auch zusammenrücken, um einander die trüben Tage wechselseitig zu erheitern. Was ich thun kann, um mich froh und mutig zu erhalten, thue ich. Alle Abende, so lange diese Tage des Trübsals währen, versammeln sich meine Bekannten um mich her, ich gebe ihnen Thee und Butterbrod im strengsten Sinn des Wortes, und doch kommen sie immer wieder, und ihnen ist wohl bei mir ... Viele die ich noch nicht kenne, wünschen bei mir eingeführt zu werden. Alles, was ich sonst wünsche, findet sich so von selbst; und ich verdanke es bloß dem Glücke, daß meine Zimmer unversehrt blieben, und daß ich Gelegenheit fand, mich zu zeigen, wie ich bin, daß meine Heiterkeit ungetrübt blieb, weil ich von Tausenden die Einzige bin, die keinen herben Verlust zu beweinen hat, und nur das allgemeine Leiden, kein eigenes, mein Herz preßt. Ich fühle es wohl, wie egoistisch alles dieses klingt, und dieses ist eben die entsetzlichste Seite des allgemeinen Unglücks, daß es auch die Besseren unter uns zu diesem Egoismus herunterstimmen kann ...

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[Weimar] 14. November 1806.

Ich begreife wohl, daß mein Brief Eindruck auf dich gemacht haben muß, aber ich denke, er muß auch deinen Mut erheben, du siehst wie man durch große Gefahren sicher gehen kann, wenn uns das Glück eben wohl will, und wir nur den Kopf nicht verlieren. Je mehr Unglück ich in der Welt erlebe, je besser bin ich mit den Menschen zufrieden, sie sind wahrlich so böse nicht, jetzt da Anekdoten mancherlei Art zum Vorschein kommen, finden sich Züge von Edelmuth, Fassung, Herzensgüte, die mich bis in's Herz rühren, freylich auch Schlechtigkeit, Egoismus, Kleinheit des Gemüths, aber der Drang der Zeit entschuldigt diese und setzt jene in ein um so helleres Licht. Ich lebe jetzt ganz nach meines Herzens Wunsch, still, ruhig, geliebt von vortrefflichen Menschen, und in einem zwar kleinen, aber höchst interessanten Kreise ... Ich bin immer zu Hause, aber Künste und Wissenschaft theilen sich in meine Zeit. Die Musik treibe ich mit Macht. Alles dies ist hier sehr wohlfeil. Ich gebe hier dem ersten Meister täglich 6 Gr., und er läßt Grund in der Lehrmethode hinter sich ...

Die Gesellschaft Bei Goethe. war klein ... Ich kann Goethen nicht genug sehen; Alles an ihm weicht so vom Gewöhnlichen ab, und doch ist er unendlich liebenswürdig. Diesmal habe ich ihn einmal böse gesehen. Sein Sohn, eine Art Tapps, der aber im Äußern viel vom Vater hat, zerbrach mit großem Geräusch ein Glas; Goethe erzählte eben etwas und erschrak über den Lärm so, daß er aufschrie. Ärgerlich darüber sah er den August nur einmal an, aber so, daß ich mich wunderte, daß er nicht unter den Tisch fiel. Ein ausdrucksvolleres, mobileres Gesicht habe ich nie gesehen. Wenn er erzählt, ist er immer die Person, von der er spricht. Der Ton seiner Stimme ist Musik. Jetzt ist er alt, aber er muß schön wie Apoll gewesen sein ...

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[Weimar] d. 28. Nov. 1806.

... Der Zirkel, der sich Sonntags und Donnerstags um mich versammelt, hat wohl in Deutschland und nirgends seines Gleichen; könnte ich dich doch nur einmal herzaubern! Goethe fühlt sich recht wohl bei mir und kommt recht oft. Ich habe einen eignen Tisch mit Zeichenmaterialien für ihn in eine Ecke gestellt ... Wenn er dann Lust hat, so setzt er sich hin und tuscht aus dem Kopf kleine Landschaften, leicht hingeworfen, nur skizzirt, aber lebend und wahr, wie er selbst, und alles, was er macht. Welch' ein Wesen ist dieser Goethe! wie groß und wie gut! Da ich nie weiß, ob er kommt, so erschrecke ich jedesmal, wenn er in's Zimmer tritt; es ist, als ob er eine höhere Natur als alle übrigen wäre; denn ich sehe deutlich, daß er denselben Eindruck auf alle übrigen macht, die ihn doch weit länger kennen und ihm zum Theil auch weit näher stehen als ich. Er selbst ist immer ein wenig stumm und auf eine Art verlegen, wenn er kommt, bis er die Gesellschaft recht angesehen hat, um zu wissen, wer da ist. Er setzt sich dann immer dicht neben mich, etwas zurück, so daß er sich auf die Lehne von meinem Stuhle stützen kann; ich fange dann zuerst ein Gespräch mit ihm an, dann wird er lebendig und unbeschreiblich liebenswürdig. Er ist das vollkommenste Wesen, das ich kenne, auch im Äußern; eine hohe, schöne Gestalt, die sich sehr grade hält, sehr sorgfältig gekleidet, immer schwarz oder ganz dunkelblau, die Haare recht geschmackvoll frisirt und gepudert, wie es seinem Alter ziemt, und ein gar prächtiges Gesicht mit zwei klaren braunen Augen, die mild und durchdringend zugleich sind. Wenn er spricht, verschönert er sich unglaublich; ich kann ihn dann nicht genug ansehen. Er spricht von allem mit, erzählt immer zwischendurch kleine Anekdoten, drückt niemand durch seine Größe. Er ist anspruchslos wie ein Kind; es ist unmöglich, nicht Zutrauen zu ihm zu fassen, wenn er mit einem spricht, und doch imponirt er allen, ohne es zu wollen. Letztens trug ich ihm seine Tasse zu, wie das in Hamburg gebräuchlich ist, daß sie nicht kalt würde, und er küßte mir die Hand: in meinem Leben habe ich mich nicht so beschämt gefühlt ... er sieht so königlich aus, daß bei ihm die gemeinste Höflichkeit wie Herablassung erscheint, und er selbst scheint das garnicht zu wissen, sondern geht so hin in seiner stillen Herrlichkeit, wie die Sonne ...

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[Weimar] den 19. Dezember 1806.

Wenn du mir schreibst, so siehe doch zu, daß du in der Wahl deiner Ausdrücke ein wenig vorsichtiger bist, es ist den Posten nicht ganz zu trauen, und man kann sich Unheil zuziehen, du weißt ja, daß ich auch ein halbes Wort verstehen kann ...

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[Weimar] Nach Weihnachten 1806.

... Er (Goethe) ist ein unbeschreibliches Wesen; das Höchste wie das Kleinste ergreift er. So saß er den ersten Feiertag Abend eine lange Weile im letzten Zimmer mit Adelen und der jüngsten Conta, einem hübschen, unbefangenen, sechzehnjährigen Mädchen. Wir sahen von weitem der lebhaften Konversation zwischen den Dreien zu, ohne sie zu verstehen; zuletzt gingen alle drei hinaus und kamen lange nicht wieder. Goethe war mit den Kindern in Sophiens Zimmer gegangen, hatte sich dort hingesetzt und sich Adelens Herrlichkeiten zeigen lassen, alles Stück vor Stück besehen, die Puppen nach der Reihe tanzen lassen, und kam nun mit den frohen Kindern und einem so lieben milden Gesicht zurück, wovon kein Mensch einen Begriff hat, der nicht die Gelegenheit hat, ihn zu sehen, wie ich. Ihn freut alles, was natürlich und anspruchslos ist, und nichts stößt ihn schneller zurück als Prätension ... Mit einemmale kam man, ich weiß nicht wie, dort auf den Einfall, die Bardua, Die Malerin. die sich ohnehin leicht graut, mit Gespenstergeschichten angst zu machen. Goethe stand gerade hinter mir. Mit einemmale machte er ein ganz ernsthaftes Gesicht, drückte mir die Hand, um mich aufmerksam zu machen, und trat nun gerade vor die Bardua und fing eine der abenteuerlichsten Geschichten an, die ich je hörte; daß er sie auf der Stelle ersann, war deutlich, aber wie sein Gesicht sich belebte, wie ihn seine eigne Erfindung mit fortriß, ist unbeschreiblich. Er sprach von einem großen Kopf, der alle Nacht oben durchs Dach sieht; alle Züge von dem Kopf sind in Bewegung; man denkt die Augen zu sehen, und es ist der Mund, und so verschiebt sich's immer, und man muß immer hinsehen, wenn man einmal hingesehen hat. Und dann kommt eine lange Zunge heraus, die wird immer länger und länger, und Ohren, die arbeiten, um der Zunge nachzukommen, aber die könnens nicht. Kurz, es war über alle Beschreibung toll, aber von ihm muß man's hören und besonders ihn dazu sehen. So ungefähr muß er aussehen, wenn er dichtet ...

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[Weimar] Ende Januar [1807].

... Es ist eine herrliche Sache um solche gemeinschaftlichen Arbeiten, die man mit Lust und Liebe anfängt und ausführt; es giebt kein schöneres, festeres Band fürs gesellige Leben. Ich habe immer mit meinen Freunden etwas vor, und das giebt ein Zusammenkommen, ein Berathen, ein Überlegen, als hinge das Wohl der Welt daran; am Ende wird es ein Ofenschirm. Aber es ist nicht der Ofenschirm, es ist die einzige ewige Kunst, die ewig die Form wechselt und doch stets eine und dieselbe bleibt, die uns zusammenführt, und daß mir das Glück ward, die Kunst zu fühlen, zu lieben und auch nicht ganz ungeschickt zu üben. Das ist's, was mich jetzt in der Liebe dieser vorzüglichen Menschen so glücklich macht. Klugen, vernünftigen Leuten muß unser Beginnen fast thöricht erscheinen. Wenn so ein Senator oder Bürgermeister sähe, wie ich mit Meyer Heinrich Meyer, der Maler. Papierschnitzel zusammenleime, wie Goethe und die andern dabei stehen und eifrig Rath geben, er würde ein recht christliches Mitleid mit uns armen kindischen Seelen haben; aber das ist eben das Göttliche der Kunst, sagt dein Liebling Tieck, wenn ich nicht irre, daß ihr Beginnen, ihre Werkzeuge fast kindisch und einfältig aussehen ... Goethe ist seit einiger Zeit nicht recht wohl, er ist nicht krank, aber er fürchtet krank zu werden und schont sich ängstlich, doch kommt er zu mir, wenn er irgend kann, und läßt sich in der Portechaise zu mir tragen. Er kommt mir bisweilen etwas hypochondrisch vor; denn seine Krankheit verschwindet, wenn er nur ein wenig warm in der Gesellschaft wird, und das geschieht so leicht ... Du meinst es sei unmöglich, vis-à-vis ihm nicht ein wenig scheinen zu wollen. Sähest du ihn nur, du würdest fühlen, wie unmöglich es ist, ihm gegenüber sich anders als natürlich zu zeigen. Er ist ganz Natur, und seine klaren hellen Augen benehmen alle Lust sich zu verstellen; man fühlt, daß er doch durch alle Schleier sieht, und daß diesem hohen, reinen Wesen jede Verstellung verhaßt sein muß ...

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[Weimar] d. 10. März 1807.

Schilt mich nicht wegen meiner Saumseligkeit, ich denke viel und mit rechter Liebe an dich, ich wünsche dich oft zu mir, und wenn Fernow und St. Schütze Stephan Schütze, der bekannte Schriftsteller, Verfasser der »Abendgesellschaften bei der Hofrätin Schopenhauer in Weimar«. mir erzählen, wie sehr spät sie zum Studieren gekommen sind, und ich doch sehe was beyde werden, so fliegt mir so manches Projekt durch den Kopf, aber freylich, beyde brachten Schul- und mühsam selbst erworbene Kenntnisse auf die Akademie, die dir bey der eleganten Erziehung, die du erhieltst und in unserer Lage erhalten mußtest, mangeln. Beyde, in sehr beschränkter Mittelmäßigkeit an einem kleinen Ort geboren, konnten manchen Genuß ohne ihn nur zu wünschen entbehren, der dir wenigstens für die Zukunft unentbehrlich sein muß, also mußt du wohl in der Laufbahn bleiben, zu der du dich einmal bestimmt hast. Hier, wo niemand reich ist, sieht man alles anders, bey euch strebt man nach Geld, hier denkt niemand daran, nur leben will man, die Freude findet man in dem, wodurch man die Notwendigkeiten des Lebens sich erwirbt, ich bin hier in einer ganz andern Welt, aber ich weiß wohl, daß die Welt, in der du lebst auch seyn muß, obgleich ich mich herzlich freue daß ich ihr entronnen bin, indessen kann es doch nicht fehlen, daß meine Ansichten dir bisweilen wunderbar vorkommen müssen, und ich verarge es dir nicht ... Daß dir in der Welt und in deiner Haut nicht wohl ist, würde mir bange machen, wenn ich nicht wüßte daß es gerade jedem in deinem Alter so ist, den die Natur nicht von Haus aus zum Klotz bestimmte, du wirst bald mit dir selbst in's Reine kommen, und dann wird die Welt dir auch gefallen, wenn du nur immer Frieden mit dir selbst zu erhalten weißt, freylich, mein armer lieber Arthur, dir wird in deiner isolirten Lage der Übergang in's wirkliche Leben schwerer als Andern, ich allein vielleicht verstehe dich und könnte dich geduldig anhören und dir rathen und dich trösten, und fehle dir gerade jetzt, da du ein Wesen, an das du dich mit vollem Vertrauen wenden kannst, am nötigsten hast, aber das ist nicht zu ändern, habe Geduld, es kommen dir schönere Zeiten. Gerade in der Zeit, in der Du jetzt lebst, lieber Arthur, schwindet die bunte Kinderwelt, die erste Frühlingszeit des Lebens, in der neuen Welt, die sich dir öffnet, weißt du noch nicht Bescheid, du schwankst und weißt selbst nicht recht wohin du gehörst, das wird sich ändern, dein Unmut wird schwinden, und du wirst gern und froh leben. Es kommt dir jetzt vor, als ob ich Unrecht hätte, auch das ist natürlich und wird sich geben, wenn dir vielleicht nach einem Jahr diese Zeilen wieder in die Hände fallen ...

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[Weimar] d. 20. Februar 1807.

Mein Leben dreht sich im schönen engen Kreise; je schöner es ist desto weniger läßt sich davon schreiben ... Am Montage wurde »Tasso« zum erstenmale auf einem Theater hier gegeben, und vortrefflich. Ich habe beim Lesen keinen Begriff von dem hohen Interesse gehabt, das man auf der Bühne auch an der Handlung dieses dem Ansehen nach so thatenlosen Stücks nehmen kann. Aber freilich muß es gespielt werden, wie es hier gespielt ward. Ehegestern las Einsiedel Kammerherr von Einsiedel. Goethen, mir und einigen, die deshalb mich besuchten, eine Komödie aus dem Lateinischen des Plautus vor; sie heißt das Gespenst (die Mostellaria). Einsiedel hat es gar hübsch übersetzt. Goethe war so bezaubert davon, daß er sie ehestens hier spielen lassen will. Trotz des Abweichenden der Sitten ist das Ganze so durchaus unterhaltend, die Situationen so komisch, daß die alte Ludecus, die oben nervenschwach auf dem Sopha liegt, ganz unruhig über den Jubel ward, den wir unten trieben. Die Alten, lieber Arthur, sind doch unsere Meister, doch du bist in diesem Artikel ein Ungläubiger ... Ich lese jetzt wenig, ich lebe mehr; der Buchstabe ist doch immer ein totes Wesen.

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[Weimar] d. 10. März 1807.

... Seit ein paar Abenden liest Goethe selbst bei mir vor, und ihn dabei zu hören und zu sehen, ist prächtig. Schlegel August Wilhelm von Schlegel. hat ihm ein übersetztes Schauspiel von Calderon »Der standhafte Prinz« im Manuskripte geschickt; es ist Klingklang und Farbenspiel, aber er liest auch den Abend keine drei Seiten, sein eigner poetischer Geist wird gleich rege: dann unterbricht er sich bei jeder Zeile, und tausend herrliche Ideen entstehen und strömen in üppiger Fülle, daß man alles vergißt und den Einzigen anhört. Welch ein frisches Leben umgiebt ihn noch immer! Der arme alte Wieland kommt mir gegen ihn vor, wie der alte Kommandant von Eger, wenn Wallenstein ihm sagt: »An meinen Locken zogen die Jahre leicht vorüber« ... Auch fühlt Wieland sich durch Goethes Gegenwart gedrückt; deßhalb kommt er nicht in meine Gesellschaft, so gern er möchte; denn wo er mich zu treffen weiß, geht er gerne hin. Letzt besuchte ich die Göchhausen, Hofdame Fräulein von Göchhausen. er kam gleich auch ... Diesmal interessirte er mich wirklich; er war traurig, denn er hatte den Tag vorher die Nachricht bekommen, daß seine erste und einzige Liebe, die alte Laroche Sophie von La Roche. gestorben wäre. Er sprach viel von sich, seiner Jugend, seinem Talente. »Niemand«, sagte er, »hat mich gekannt oder verstanden. Man hat mich in den Himmel gehoben, man hat mich in den Koth getreten; beides verdiene ich nicht.« Dann erzählte er, wie er der Laroche zu Gefallen die ersten Verse gemacht hätte; wie er eigentlich nicht zum Dichter geboren wäre; nur Umstände, nicht die Macht des Genies hätten ihn dazu gebracht; er habe seine Laufbahn verfehlt. Er hätte Philosophie studieren sollen oder Mathematik, da wäre was Großes aus ihm geworden; er hätte immer so gerne gerechnet, nun aber hätte er müssen Jura studieren. Nachher wäre er Registrator oder so etwas bei einem Archive in einem kleinen Städtchen geworden; da hätte er nun Verse gemacht, um sich von der jämmerlichen Aktenkrämerei zu erholen. »Nie«, sagte er, »hatte ich einen Freund, dem ich meine Arbeiten mittheilen oder darüber sprechen konnte; immer war ich alleine; niemand verstand mich, niemand kam meinem Herzen entgegen.– – Hernach kam ich hierher in's vornehme Leben, und da mußte alles eben bleiben, wie es war. Jetzt bin ich alt und stumpf, und werde wohl nicht mehr lange bei Euch bleiben, und ich tauge auch nicht mehr unter Euch.« Die Göchhausen und ich trösteten tüchtig drauf los und widersprachen was wir konnten. Ich führte ihm – Voltaire zu Gemüthe; ich weiß, er hört sich gern mit ihm vergleichen. »Ach«, sagte er, »Voltaire war ein ganz andrer Mensch! Was schrieb der noch in meinem Alter! Ich habe keine Phantasie mehr; mit mir ist's vorbei!« Indessen übersetzt er doch noch den Cicero sehr emsig und mit großer Freude daran ...

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[Weimar] Mai 1807.

... Du siehst, wie es mit deiner eingebildeten Menschen- und Weltkenntnis steht: Was geschehen ist, sagte ich dir vorher; du siehst, wie sehr du irrtest: Dies ist die erste Lektion, welche die dich umgebende Welt dir gibt. Sie ist hart, aber wenn du dich nicht änderst, wird es noch härter kommen, du wirst vielleicht sehr unglücklich werden, und weder das Bewußtsein, es nicht verschuldet zu haben, noch die Teilnahme der Besseren wird dich trösten ... Du bist kein böser Mensch, du bist nicht ohne Geist und Bildung, du hast alles, was dich zu einer Zierde der menschlichen Gesellschaft machen könnte, dabei kenne ich dein Gemüt und weiß, daß wenige besser sind; aber dennoch bist du überlästig und unerträglich, und ich halte es für höchst beschwerlich, mit dir zu leben: all' deine guten Eigenschaften werden durch deine Superklugheit verdunkelt und für die Welt unbrauchbar gemacht, blos weil du die Wut, alles besser wissen zu wollen, überall Fehler zu finden außer in dir selbst, überall bessern und meistern zu wollen, nicht beherrschen kannst. Damit erbittertest du die Menschen um dich her, niemand will sich auf eine so gewaltsame Weise bessern und erleuchten lassen, am wenigsten von einem so unbedeutenden Individuum, wie du doch noch bist. Niemand kann es ertragen, von dir, der sich doch auch so viele Blößen giebt, sich tadeln zu lassen, am wenigsten in deiner absprechenden Manier, die im Orakelton gerade heraus sagt: so und so ist es ohne weiter eine Einwendung nur zu vermuten. Wärst du weniger als du bist, so wärst du nur lächerlich, so aber bist du höchst ärgerlich ... Alles, was ich dir schrieb, soll kein Vorwurf sein, nur ein Versuch, dich dir einmal zu zeigen, wie die Welt dich sieht, wie ich, deine Mutter, die dir so manchen Beweis ihrer Liebe gab, dich leider sehen muß, und nun siehe daraus was für ein Resultat du kannst ... Ich würde dich gleich herkommen lassen, aber teils weiß ich dich jetzt nicht gut auf längere Zeit zu beherbergen, teils würde mich auch deine Gegenwart und dein ewiges Einreden hindern, ordentlich für dich zu forschen und zu wählen, und mich bald ärgerlich, bald verwirrt machen, besonders wenn deine edle bekannte Unentschlossenheit dazu käme und überdies kann ich diesmal nicht dafür stehen, daß der Unwille über dich, der doch bei Lesung deines Briefes in mir aufwallte, nicht meiner Herr würde und es zu heftigen Auftritten käme, die wir beyde besser thun zu vermeiden. Also ist's besser, Du bleibst noch dort und wartest ruhig meinen nächsten Brief ab, der dir vielleicht schon etwas Entscheidendes bringt. Glaube mir, du dauerst mich, ich weiß, du bist nicht bösartig, und gelingt's mir nur einmal, dir anschaulich zu machen, wie und wo du fehlst, so bist du geborgen...

 

An Karl von Holtei.

Weimar den 13. März 1828
bei einer wahren Hundekälte am warmen Ofen.

Hier, caro amico, das Opus der Voigt, Erste Gattin des Geheimrats von Voigt, des Freundes Goethes. Ich wünsche und hoffe, daß Sie es werden brauchen können. Die darin vorkommenden Geschichten sind alle toll genug. »Stella« verbürgt sich für die Wahrheit derselben; und ich, die ich die kleine alte, sehr rechtliche Heldin noch persönlich gekannt habe, möchte es ebenfalls thun. Goethe hat mir erzählt, daß sie damals wirklich Furore gemacht, und wie er als Student zum Sterben in sie verliebt gewesen, und sich im Leipziger Parterre die Hände fast wund geklatscht habe, wenn sie in dem Weiße'schen Trauerspiel Romeo und Julie. als Juliane auftrat, und in der Scene, ehe sie den Trank nimmt, die Ottern und Schlangen und Kröten von ihrem weiß atlassenen Reifrock herabschleudert, die sie in ihrer Phantasie daran heraufkriechen sah...

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Weimar, den 26. September 1828.

... Wie Weimar aussieht? – Eigentlich sieht es gar nicht aus, alles ist noch in Schwebe; der neue Großherzog wird mit seiner Gemahlin erst in einigen Tagen von Karlsbad erwartet... Auch Goethe ist heitrer, gesünder, wohlaussehender als seit Jahren; er trägt den Verlust seines fürstlichen Freundes mit der allen Alten eigenen stillen Ergebenheit. Uebrigens hat der Tod hier fürchterlich die Sense geschwungen und, ohne daß die Sterblichkeit deshalb größer gewesen wäre wie sonst, lauter bekannte Häupter aus unserer Mitte getroffen. Die fast täglich einlaufenden Todesnachrichten erschreckten mich so, daß ich schon einmal so lange ausblieb, als ich mir anfangs vorgenommen; denn am Ende, dacht' ich, nimmt der Tod en compagnie mich mit weg, wenn ich in Weimar ihm so unversehens über den Weg laufe... Und nun zu Ihnen, lieber Holtei, daß Sie aus freien Stücken auf den Gedanken kommen sollten, hierher zu ziehen, um in Weimar zu leben, wagte ich kaum zu denken. Sie äußerten einen freilich gerechten Wiederwillen gegen das hiesige Theaterwesen. Aber freilich hat jetzt alles eine andere Wendung genommen, oder wird sie eigentlich nehmen; denn für jetzt ist noch nichts gethan, nichts beschlossen, obgleich den 1. Oktober die Vorstellungen wieder anfangen... Frau von Heigendorf Karoline Jagemann. hat allen Einfluß aufs Theater verloren. Sie wird nie wieder auf demselben erscheinen und wahrscheinlich Weimar verlassen; doch ist letzteres nur eine Vermutung. Sie selbst habe ich noch nicht gesprochen, auf jeden Fall ist sie aus dem Spiele. Hummel, Der Kapellmeister. der Liebling der jetzigen Großherzogin, ist der Oberherrschaft Stromeyer's Des Sängers Stromeyers, Oberdirektors des Theaters. entzogen, selbständiger Direktor der Oper geworden. Stromeyer hat um Entlassung von der Direktion des Theaters gebeten und hat weislich daran getan, denn sie wäre ihm sonst genommen worden. Der jetzige Großherzog war sehr gegen diese wunderliche Intendanz. Er wollte anfänglich ganz abgehen, wird aber, vor der Hand wenigstens, doch als Sänger bleiben; und so ist das ebenfalls fürs erste in Ordnung und wir brauchen einen neuen Intendanten. Wagner Schauspieler. hat durch Gottes Schickung in Dresden Furore gemacht als Tell, man hat ihm 1400 Thaler Gehalt geboten, und er hat sie angenommen, Contract und Alles unterzeichnet; es bleibt nur noch die Rückkunft des Großherzogs abzuwarten, um diesem die Wahl zu lassen, ob er ihm dieselben Vorteile gewähren will, welche die Dresdener ihm bieten, um ihn zu erhalten. Daß solches aber nicht geschehen wird, versteht sich von selbst. Wagners Contract geht mit einigen Monaten zu Ende und einen Regisseur werden wir also auch los. Um die Besetzung der letzteren Stelle kümmert man sich im Publikum aber noch nicht. Alles ist auf den Intendanten gestellt. Man ist sehr darauf gespannt und meint, der Herzog werde sie einem Hofherrn übertragen. Dem Oberhofmarschall von Spiegel. Nach Goethes Abgang vom Theater trat erst ein Interregnum ein, bei dem wenig Kluges herauskam. Dann wurde ein Liebling des verstorbenen Großherzogs, Graf Edling, Intendant. Als dieser nach einigen Jahren Weimar und seinen fürstlichen Freund eben nicht auf eine lobenswerte Art verließ, übernahm der Kammerherr von Vitzthum die Stelle, legte sie aber aus Ueberdruß nach Jahr und Tag nieder. Dann schleppte sich das Theater noch eine Weile so fort, bis Stromeyer durch den Einfluß seiner Freundin Jagemann. Oberdirektor wurde. Das ist nun vorbei. Jetzt werden verschiedene Namen genannt, die zu dieser Ehre kommen sollen, Herr von Beulewitz hat sie ausgeschlagen; einige andere auch. Nun nannte man die Herren von Vitzthum, von Gerstenbergk, von Groß und von Holtei. Vitzthum hat erklärt, daß er sie nicht annehmen wird, so sagt man wenigstens. Gerstenbergk kann es nicht, weil er mit eigenen und Staatsgeschäften überhäuft ist; auch wird er Ihnen nie in den Weg treten wollen. Groß schwankt. Er sagte mir gestern, daß er sie nicht wünsche, obgleich er auf unserm Liebhabertheater einer der besten Darsteller war. Läuft er indessen dem Herzog zur rechten Stunde in den Weg, so stehe ich für nichts. Dann aber brauchen wir immer noch einen Regisseur. Viele Stimmen wünschen, daß Sie beide Stellen in Ihrer eigenen Person vereinigen möchten. Ich könnte fast sagen: die meisten; wenn nicht der Adel, namentlich Spiegels befürchteten, daß Sie die Rechte Ihrer Geburt geltend machen und bei Hofe erscheinen wollten. Selbst der Herzog würde darin keine Ausnahme machen, wenn der Gedanke ihm bei seiner Ankunft eingeblasen würde. Denn Sie haben doch nun einmal das unverzeihliche Verbrechen begangen, nicht durch Herumschranzen, sondern durch eigene Kraft und eigenes Talent Ihr Fortkommen in der Welt zu suchen, ja sogar selbst auf der Bühne gestanden ... Ottilie Ottilie von Goethe, geborene von Pogwisch. will den Alten Goethe. für Sie gewinnen und hofft es zu können, dessen Wort freilich das kräftigste wäre. August August von Goethe. ist ganz für Sie. Ihn werden Sie in Berlin sehen, wohin er den 11. Oktober reisen will ... Und nun lassen Sie mich auch die Kehrseite des von Ihnen und uns gewünschten Glückes darstellen. Wahr ist es, Sie gewinnen eine sichere Anstellung, die für Sie das Wünschenswerteste ist, aber diese wird keineswegs brillant von finanzieller Seite sein. Denn wir sind gewaltig ökonomisch und müssen es sein, malgré nous. Sie werden zu litterarischen Arbeiten Zeit behalten, Sie werden zwei Monate im Jahr zu kleinen Reisen übrig behalten, Sie werden Ihren Sohn zu sich nehmen und ihm hier ohne große Kosten eine gute Erziehung geben können. Dies alles ist schon etwas wert ... Aber, mein Freund, Sie opfern einen bedeutenden Teil Ihrer Freiheit auf, Sie werden nicht mehr arbeiten, wie Sie wollen, sondern wie Sie müssen. Und tausend Unannehmlichkeiten sind mit dem Geschäfte, das Sie übernehmen wollen, enge verbunden, die Sie besser kennen als ich. Sie werden Launen, Thorheiten, alberne Zumutungen von allen Seiten zu bekämpfen, zu befriedigen, zu beseitigen haben. Doch jeder Stand hat seine Last! Aber Sie verlassen Berlin, das dortige freie, heitre, unbeschränkte Leben, an das Sie einmal gewohnt sind, um in einer kleinen Residenz sich niederzulassen, die trotz ihrem Vornehmthum ziemlich kleinstädtisch ist, wenigstens gegen Berlin gehalten ...

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Weimar, den 25. Oktober 1828.

... Der Großherzog hat gestern Abend mich zum ersten Mal besucht. Er kam unangemeldet und fand mich allein, er war freundlich wie immer. Ich hütete mich wohl, Sie oder das Theater sogleich zu erwähnen. Er kam aber von selbst darauf ... Denken Sie sich mein frohes Erstaunen, als er mir sagte, wir brauchen vor allem einen gebildeten Regisseur und Sie dabei lobend erwähnte. Ich nahm das natürlicher Weise auf, ließ mich über die Eigenschaften, die Sie besonders hier wünschenswert machen, aus, ließ dabei ein Wort fallen, daß Sie am Hofe die Vorrechte Ihrer Geburt durchaus nicht geltend machen würden ... Das Ende meines Gesprächs mit dem Herzog war, daß er meinte, Sie kämen doch wohl bald her? Ich erwiderte, Sie wären jetzt in Berlin, wenn S. Kgl. Hoheit aber beföhlen ... usw. Er bat mich, die Besuche, die er jetzt hier habe, erst fortgehen zu lassen; wenn mehr Ruhe wäre, könne man alles reiflicher überlegen und besprechen. Und das war dann das Ende vom Liede. Gern möchte ich darauf Hoffnungen für uns bauen, aber ich wage das nicht und bitte Sie, es auch nicht zu thun; denn ich kenne die Welt, besonders die hiesige, die kleine, die alle Fehler und wenig Vorzüge der großen hat ...

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Weimar, den 15. November 1828.

... Tieck war hier mit seinem ganzen Gefolge; Gräfin Gräfin Henriette Finckenstein. Frau, Dorothee Seine Tochter. und alles. Ich hatte ihn schon früher in Godesberg gesehen und fand ihn unglaublich wohl. Hier schien er mir leidend und gedrückt. Der Alte war sehr freundlich gegen ihn, aber doch nicht so recht von Herzen. Er blieb drei Abende hier und drei Mal habe ich ihn lesen gehört; denn sowie es ½7 schlägt, muß er beginnen; es geht ihm damit, wie andern Leuten mit der Tabakspfeife. Den ersten Mittag aß er bei Goethe, den Abend war er bei mir, auf Goethes ausdrückliches Verlangen, weil dieser der Vorleserei ausweichen wollte, die er einmal im Sommer, wie ich nicht hier war, aushalten mußte ... Den zweiten Abend waren wir bei Ottilien; der Alte sollte heraufkommen, kam aber nicht. Tieck las den Clavigo, die Scene mit Clavigo und Carlos vortrefflich, sonst ... je nun, im Trauerspiel stehen Sie über ihm. Das ist kein leeres Compliment. Den dritten Abend war er wieder bei mir. Auf seinen Wunsch hatte ich niemand gebeten, als Ottilie und Riemer, Professor Riemer, Goethes literarischer Gehilfe. und nun forderte er selbst den Gozzi und las »die glücklichen Bettler« mit unendlichem Humor, improvisierte in den Scenen, die der Dichter dazu eingerichtet, und ergötzte uns außerordentlich ... Was Tiecks Vorlesungen so etwas ganz eigen hinreißend Angenehmes giebt, ist sein schönes Organ, das er noch immer behalten und seine durchaus reine Aussprache. Er hat keine Spur von irgend einem Dialekt ... Im Tragischen predigt er ein wenig, das thun Sie nie; überhaupt ist sein Vortrag gemäßigter, man vergißt bei ihm selten, daß er liest, bei Ihnen vergaß ich es immer ...

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Weimar, den 19. Februar 1829.

Wie danke ich Ihnen, lieber, guter Holtei, für das Vertrauen, das Sie seltsam nennen, das ich aber so natürlich und für mich wahrhaft ehrend finde. Auch danke ich Ihnen herzlich, daß Sie in dieser Angelegenheit, Holteis Liebe zu der Schauspielerin Julie Holzbecher, seiner zweiten Frau. von deren Entscheidung denn doch nicht nur Ihre Zukunft, sondern die eines liebenswürdigen Mädchens abhängt, meinen Rat nicht verlangen. Ihr Herz und Ihr Kopf müssen hier Ihre einzigen Ratgeber sein und bleiben und mit Beiden ist es gottlob noch so gut bestellt, daß sie vereint Sie unmöglich irre führen können... Wie gut kennen Sie mich, wie so ganz haben Sie mein Schweigen über ein Gerücht verstanden, das freilich auch mir von allen Seiten zugetragen wurde. Ich wußte ja, daß Sie mir alles sagen würden, sobald Sie selbst mir etwas zu sagen hätten. Neugier ist nicht Freundschaft und von jeher war mir nichts verhaßter, als jene zudringlichen Freunde, die da wollen, man soll ihnen Dinge vertrauen, über die man sich selbst noch nicht im Klaren ist, die man sich selbst kaum gesteht...

Ihren Brief an August August von Goethe. habe ich gelesen und dann besorgt. Daß Sie sich die Mühe gegeben, das Erscheinen Ihres Melodramas »Faust« zu erklären, ist ein neuer Beweis Ihrer Herzensgüte. Sie hätten dies nach der Art, wie der alte Herr Goethe. sich in der Sache benommen, kaum nötig gehabt. Aber der alte Herr ist 80 Jahre alt, und da ist es kein Wunder, daß er oft kaum begreift, wie andere sich unterstehen können, auch existieren zu wollen. Adele, Johannas Tochter. die er zuweilen zu einem diner tête-à-tête einladet, war eben bei ihm, als ein Brief ankam, der über Ihren Faust aburteilte; was darin stand, wollte sie nicht beichten, doch so viel ist gewiß, daß es Ihnen schlecht ergangen ist, und daß der Alte seine Freude daran hatte. Also machen Sie sich nur darauf gefaßt, ihn, wenn Sie wieder herkommen, ein wenig unzugänglicher zu finden, als früher. Er ist es überhaupt, er fühlt, daß ihm in seinem Hause nicht wohl bereitet ist. Und diniert deshalb schon seit ein paar Monaten in seinem Zimmer ganz allein oder mit einem einzelnen Gast, den er sich einladet... Das wird aber auch wieder anders. Er hat fast alle Winter solche Sonderbarkeiten, die wenn die Tage länger werden, und die Kälte abnimmt, ihn wieder verlassen...

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Köln am Aschermittwoch 1831.

Schon der Anblick dieses Bogens erzählt Ihnen Alles; daß ich zum lustigen Fasching hergekommen bin (denn einmal im Leben mußte ich doch eine ganz toll gewordene Stadt sehen), daß ich mir alles Lustige angesehen und mitgemacht habe, soviel mein lahmes Bein mir erlaubte, daß ich mit Narren ein Narr war, drei volle Tage lang, und daß ich endlich an diesem frommen der Reue und Buße geweihten Tage in mich ging, meine Sünden bedachte, die hauptsächlichst in Unterlassungssünden bestanden, daß Sie dabei mir sehr aufs Herz fielen... Denn ein so herzlicher lieber Brief wie Ihr letzter, hätte wohl verdient, augenblicklich beantwortet zu werden. Und daß ich nun die erste freie Stunde ergreife, um meine Sünde zu bekennen und Sie daher bitte, wieder einmal Gnade für Ungnade gelten zu lassen... Doch wer kann gegen seine Natur? Ich bin einmal eine träge Korrespondentin. Und eigentlich war Ihr Brief selbst Schuld, daß ich nicht gleich wiederschrieb. Er ist zu gut. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie mich alles tief in der Seele bewegte, was Sie mir über den Tod des beklagenswerthen August sagen... Auch Adele war betrübt um ihn, so sehr sie Ottilien liebt und so aufgebracht sie oft über das Betragen des Verstorbenen gewesen. Und was für Berichte hatten wir dagegen aus Weimar erhalten!

Der Kanzler von Müller. hatte mit Vogel Leibarzt. übernommen, dem Vater Goethe. die Trauerpost Vom Tode Augusts. kund zu thun. Der Alte hat sie nicht ausreden lassen; »als er fortging gab ich ihn schon verloren«, hat er gesprochen, hat sie verabschiedet, und die Herren konnten mit sich selbst nicht einig werden, ob er sie wirklich verstanden. Zu Ottilien sagte er: »August kommt nicht wieder, desto fester müssen wir Beide an einander halten.« Und sie ...? An uns schrieb die Pogwisch in ihrer Tochter Namen: Der Alte schloß seinen Schmerz in sich wie er immer thut. Die Kinder bekommen Vormünder, sie sind dereinst, Gott gebe, so spät als möglich, des Großvaters einzige Erben. Auf welche Weise er für die Mutter sorgen will, hängt von ihm ab. Gewiß geschieht es nicht auf die Weise, daß er ihre Wünsche ins Ausland, besonders nach England zu ziehen, befriedigt werden können. Wenigstens werden die Vormünder nicht zugeben, daß sie die Kinder mitnimmt ... solange indessen der Großvater lebt, bleibt alles vor der Hand beim Alten. Ottilie wohnt bei ihm, und beträgt sich sehr gut gegen ihn. Uebrigens ist sie, wie sie war, was soll man weiter darüber sagen. Ihr Brief, lieber Freund, kam gerade in einer Zeit des Herbstes, wo unser sonst stilles Unkel, von allerlei Leuten und Besuchen wimmelte. Dann kam mein Umzug nach Köln in die Winterquartiere, der immer etwas tumultuarisch ausfällt. Zur Ruhe endlich gelangt, wollte ich Ihnen schreiben, da kam Goethes gefährliche Krankheit. Und daß diese mir allen Mut benahm, begreifen Sie wohl. Der wunderbare Greis erholte sich wieder, vierzehn Tage, nachdem er der Todesgefahr entgangen, traf ein Brief von ihm ein an Adelen, die hier seine Geschäftsträgern ist. »Nach großem Verlust und drohender Lebensgefahr, habe ich mich wieder auf die Füße gestellt,« heißt es in diesem, freilich wie immer von fremder Hand geschriebenen Brief; aber einige von ihm selbst mit gewohnter Festigkeit am Ende hinzugefügte Zeilen machten uns große Freude. Adele schickte ihm eine Zeichnung von unserer ländlichen Wohnung in Unkel und noch einiges, das ihn freute. Seine Antwort folgte sehr schnell. Et ließ sich, offener als sonst, über sich selbst darin aus, sprach von der Art, wie die Natur des Menschen nach jeder großen Erschütterung im Innern auf irgend eine Weise das Gleichgewicht wieder herzustellen sucht; seine Krankheit sei die Folge davon gewesen. Jetzt wolle er also alles thun, um nach gewohnter Weise auf dem Wege des Wissens und der Kunst fortzuschreiten. Dabei habe er auch von Neuem die schwere Rolle des deutschen Hausvaters wieder aufzunehmen, wenngleich, wie er dankbar erkenne, unter den günstigsten äußeren Umständen. Auch unter diesen Brief hatte er mit eigener Hand ein paar herzliche Zeilen geschrieben.

Am folgenden Tag erhielten wir die Nachricht, C... Cotta? sei bankerott. Wir wissen, wie tief er noch bei Goethe in Schulden steckte. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr es mich schmerzte, daß Goethen am Spätabend seines Lebens auch noch dieser harte Schlag treffen sollte ... Gottlob, die Gefahr ist vorüber. Die Könige von Bayern und Württemberg haben den Papierkönig in ihre Mitte genommen, und ihn kräftig unterstützt und so bleibt alles beim Alten ...

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Bonn, den 4. Januar 1832.

... Wie mirs geht, wollen Sie wissen? Eben wie Ihnen und allen Andern auch. Gut und schlecht! Gesund bin ich, wie man in meinem Alter irgend sein kann. Sorgen mancherlei Art in dieser wahrlich nicht sehr tröstlichen Zeit fehlen zwar bei mir auch nicht. Aber meine angeborene Geistesheiterkeit verläßt mich dennoch nicht. Vielfältige Lebenserfahrung hat mich zu der Überzeugung gebracht, daß nichts in der Welt so vortrefflich, aber auch nicht so arg wird, als man es hofft oder fürchtet. Und so ist es mir gelungen und wird mir noch ferner gelingen, den Kopf immer oben zu behalten und mir – wenigstens im Innern – immer gleich zu bleiben. Das ist Alles, was ich von mir sagen kann, denn eigentlich lebe ich immer nur noch ein inneres Leben. Mein äußeres fließt im Sommer auf dem Lande, im Winter in der Stadt so gleichförmig als möglich hin. In Unkel leben wir sehr einsam. In Bonn so ziemlich gesellig. Wir amüsieren uns leidlich, sind mitunter viel zu Hause, was mir sehr wohl behagen würde, könnte ich mir nur ein paar meiner Freunde aus früherer Zeit an meinen Theetisch citiren. Zwar kommt gewöhnlich Einer oder der Andere, aber, wie Lina Egloffstein Eine Weimarische Freundin. einmal recht geistreich sagte: »Es ist immer der Andere!«

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Bonn, den 27. Oktober 1832.

... Wenn man so auf dem Lande in paradiesischer Gegend einen Tag wie den andern hinlebt, hinträumt, sollt' ich sagen, versinkt man endlich in eine Art geistiger Lethargie, die freilich einen eigenen Reiz hat. Das selige far niente! Eigentlich taugt es für unsereins nicht, daß man keinen andern Gedanken habe, als ob das Wetter morgen so schön sein wird, wie es heute war? Stundenlang sitzt, den Schwalben zuzusehen, wie sie ihre Kleinen füttern, und den Wolken, wie sie ihren goldenen, purpurnen Abendputz anlegen. Das habe ich dann ernstlich bedacht und so, mit Gott, mich entschlossen, Unkel aufzugeben, so wehe es mir auch thut. Die fast ununterbrochene Einsamkeit, in der ich die Hälfte des Jahres verlebte, war auf gutem Wege, mir die Gesellschaft gänzlich zu verleiden und auf Adele denselben Eindruck zu üben. Das zweimalige Umziehen, im Frühling und Herbst wurde uns Beiden immer lästiger. Und kamen wir im Spätherbst wieder nach Bonn, so waren wir wieder wildfremd geworden, und mußten herumfahren, und Visiten machen, als kämen wir aus fernen Landen ... Ich bilde mir ein, daß Sie gern wissen werden, wie es jetzt, da ich endlich einen festen Wohnplatz habe, um mich her aussieht, und daß es Sie freuen wird, wenn ich Ihnen sage: Fast ganz wie in Weimar. Als zweiten Beweis, wie sehr es mit meiner Besserung mir ernst ist, muß ich Ihnen sagen, daß ich eine Zeichnung von Goethen und ein durchaus von seiner Hand geschriebenes Billet an mich hervorgesucht habe, und Beides mit diesem Briefe zugleich auf die Post geben werde, für Ihre Freundin in Darmstadt. Die Julie Holzbecher, z. Z. am Darmstädter Theater. Erstere Die Zeichnung. ist zwar nur eine Klexerei, wie er deren an meinem Theetisch an einem Abend zuweilen 3–4 »anfertigte", – – sagt der Berliner. Er wollte sie mir zerreißen und ich erhielt sie nur, weil ich behauptete, sie wäre auf meinem eigenen Papier mit meiner eigenen Tusche gezeichnet, er habe folglich kein Recht daran. Wäre das Geschmiere von anderer Hand, es hätte längst im Kehricht den Untergang gefunden, und ich schäme mich, nichts Besseres geben zu können. Aber ich bin bis jetzt zu splendid gewesen, von den eigentlichen Zeichnungen Goethes ist mir nur eine geblieben. Von diesen Schmieralien, die denn doch als augenblickliche Erzeugnisse seiner Phantasie vielleicht um so interessanter sind, habe ich noch einige und schicke der Frau Ministerialrätin Halwachs eine der besten. Desto merkwürdiger ist das Billet. Ich habe es zehnmal überlesen, in der Hand herumgedreht, es wieder weggelegt, es wieder aufgenommen, ehe ich mich dazu wirklich entschloß, mich davon zu trennen... Ich höre, daß die alte Fabel sich wiederholt: Als der Löwe tot war, gab der Esel ihm kühn einen Fußtritt. Man soll unglaublich frech mit Goethes Andenken in Journalen und Tageblättern schalten. Ich weiß wenig davon, als was ich so von Andern im Gespräch vernehme, denn ich lasse keins dieser Klatschblätter über meine Schwelle... Von den gleich nach unseres Meisters Tode herausgegebenen Broschüren habe ich doch Einiges gelesen: Falck's Buch Johannes Falk, »Goethe aus näherem persönlichem Umgange dargestellt«, Leipzig 1832. ist ein Gemisch von Lügen, in denen hin und wieder etwas von Wahrheit eingeflickt ist. Er selbst hat Goethe nie nahe gestanden, der ihn eigentlich nie leiden konnte. Selten erhielt er Zutritt, vom Januar 1806 an hat er ihn nur bei mir gesehen und wir Alle, Goethes nähere Freunde, bildeten so eine Phalanx, um den unerträglichen Schwätzer wenigstens zehn Schritt entfernt zu halten. Goethes Schwelle durfte Falck vom 14. Oktober 1806 an nicht mehr betreten. Sein Herumziehen mit den Franzosen und sein Brandschatzen in den kleinen Fürstentümern hat ihn gar zu verächtlich gemacht. Sie können also leicht erachten, wie es um die Gespräche, die er im Garten Goethes mit diesem gehalten haben will, steht. Ungefähr wie um den prachtvoll blühenden Feigenbaum, unter welchem er Goethe gefunden. Sie wissen, daß der Feigenbaum nie blüht, sondern gleich Früchte ansetzt. Die Broschüre von Dr. Müller ist Bedientengeschwätz. Müller selbst, ein obskurer Mensch, kam nie in Goethes Nähe. Die Sterbestunde ist indessen wahr beschrieben. Ich habe Ursache zu glauben, daß sie Goethe nicht unerwartet beschlich, obgleich er, um die Seinen, wohl auch um sich selbst zu schonen, nichts davon merken ließ; auch Ottilie und die Kinder haben keine Ahnung davon. Ich aber habe, von jemand (dem ich trauen darf) erfahren, daß er Vogeln befragte, ob er noch Hoffnung habe und dieser antwortete, wie er in diesem Falle mußte: Keine! ... Goethe schwieg eine Weile: »Nun, dann muß man sich schon drein ergeben«, sprach er gelassen und nun war nicht weiter die Rede davon. Wie so ganz in Goethes Geist und Sinn ist diese Antwort, dieses männlich gefaßte durchaus natürliche Benehmen!


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