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Bettina von Arnim

Als es um die Frau Rat Goethe in ihren letzten Jahren einsamer wurde, fand sie in einem enthusiastischen jungen Mädchen eine neue Vermittlerin für ihren Verkehr mit dem Sohne in Weimar: das war Bettina, »das Kind«, die am 4. April 1785 in Frankfurt geborene Tochter der früh verstorbenen Jugendfreundin Goethes Maximiliane Brentano.

Von ihrer Kindheit und Jugend wissen wir hauptsächlich aus ihren eigenen Werken. Ihr Vater Pietro Antonio Brentano war in jungen Jahren aus seiner italienischen Heimat ausgewandert und hatte sich in Frankfurt angesiedelt. Nach dem Tode seiner ersten Frau heiratete der ernste Mann die siebzehnjährige weltfrohe Maximiliane von La Roche, Sophiens Tochter; Goethe hat einzelne Züge der beiden auf Albert und Lotte im »Werther« übertragen. Bettina wuchs inmitten einer zahlreichen Kinderschaar auf, wurde dann mit zwei Schwestern im Kloster Fritzlar untergebracht und kam hierauf zu ihrer Großmutter nach Offenbach. Hatte die Einsamkeit des Klosterlebens Bettinas Neigung für die Natur begünstigt, so fand sie bei Sophie von La Roche ein Haus, das für die Bildungselemente des damaligen Deutschland seit langem ein begehrter Mittelpunkt war. Hier wurde denn auch zuerst die Liebe für Goethe und seine Dichtkunst in ihre junge schönheitsdurstige Seele gepflanzt. Schon durch ihren Bruder Clemens, der ihr den zweiten Teil seines »Godwi« widmete, war sie mit manchem jungen Talente in Verbindung getreten. Savigny, Arnim, später auch Tieck wurden ihre Freunde; die unglückliche Karoline von Günderode, deren tragisches Ende von starkem Eindruck auf ihr empfängliches Gemüt war, gesellte sich hinzu. Nach dem Tode Karolinens trat sie mit Goethes Mutter in Frankfurt in Beziehung, und bald verging kein Tag, an dem sie nicht den Erzählungen der Frau Rat gelauscht hätte. Sie schrieb alles auf und bewahrte es treu in ihrem Herzen, und so war sie denn auch die erste, die uns das Charakterbild dieser einzigen Frau entworfen hat.

Nach kurzem Aufenthalte in Kassel bei ihrer Schwester Lulu konnte sie im April 1807 auf der Reise nach Berlin in Weimar Station machen und nun endlich ihr vergöttertes Idol auch von Angesicht zu Angesicht schauen. Noch viermal traf sie in späteren Jahren mit Goethe zusammen, der mit seiner glühendsten Bewunderin aber rückhaltlos brach, als sie für seine Christiane ein beleidigendes Wort gefunden hatte. 1824 sahen die beiden sich zum letzten Male, und damals fiel die harte Äußerung über sie: »Was sie in früheren Jahren sehr gut kleidete: die halb Mignon-, halb Gurlimaske, nimmt sie jetzt nur als Gaukelei vor, um ihre List und Schelmerei zu verbergen.«

Ihre Ehe mit Achim von Arnim, den sie im Frühjahr 1811 heiratete, war eine glückliche. In das stille Landhausleben zu Wiepersdorf brachten nur Reisen oder längere Aufenthalte in der Hauptstadt Abwechslung. Erst als Achim 1831 den schönen sanften Tod gefunden hatte, den er sich einst in den »Kronenwächtern« erbeten, begann für Bettina ein neuer Lebensabschnitt. In der Einsamkeit wurde die Vergangenheit wieder in ihr wach. Sie hatte sich ihre Korrespondenz mit Goethe durch Vermittlung des Kanzlers von Müller zurückgeben lassen und schuf nun, auf Grund des vorliegenden Materials, doch auch aus nachdichtender Erinnerung, jenen wundervollen Roman, den sie »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde« nannte. Zwei ähnliche Werke folgten: das Buch »Die Günderode« und »Clemens Brentanos Frühlingskranz«. An dieses Trio knüpft sich der Nachruhm Bettinas, den überkritische Forschung vergeblich zu zerpflücken sich bemüht hat. Sie hat freilich noch mehr geschrieben. Sie ist in »Ilius Pamphilius und die Ambrosia« auf ihren Ende der dreißiger Jahre mit Philipp Nathusius, dem konservativen Politiker, gewechselten Briefverkehr zurückgegangen und hat in ihrem »Königsbuch« und den »Gesprächen mit Dämonen« ihre Stimme zugunsten der Bedrückten und Elenden erhoben. Aber keines ihrer Bücher fand den ungeheuern Erfolg und drang so tief zum Herzen der Deutschen wie ihr »Briefwechsel«: ein ragendes und unvergängliches Denkmal. Goethe selbst hat noch ihre ersten Aufzeichnungen, die »Auszüge aus einer Hauschronik«, verwenden können, die als »Aristeia der Mutter« in »Dichtung und Wahrheit« eingeschaltet werden sollten, hat auch Motive aus ihren Briefen für einige seiner Sonetten benutzt.

Bettina wollte ihm mit eigner Hand einen Denkstein formen. Bis in ihre letzten Lebenstage hinein schuf sie an einem Goethe-Monument; der Dichter sollte auf einem reichen Throne sitzen, neben ihm eine die Lyra spielende Psyche. Bei ihrem letzten Zusammensein gab sie Goethe die Zeichnung zu ihrem Entwurf. »Feierlich die Hände mir auf den Kopf legend, sprach er: ›Wenn die Kraft meines Segens etwas vermag, so sei sie dieser Liebe zum Dank auf Dich übertragen‹. Es war das einzige mal, wo er mich segnete anno 24 am 5. September«, schreibt Bettina.

Eine andere Hand hat ihr Modell ausgeführt; aber sie hat ein weit herrlicheres Denkmal für Goethe hinterlassen als dieses Monument aus Gips.

Am 20. Januar 1859 starb sie in ihrer Berliner Wohnung in den Zelten und wurde im Schloßpark zu Wiepersdorf neben ihren Gatten beigesetzt.

Portrait

Briefe von Bettina von Arnim.

An Frau Rath Goethe.

[Cassel] am 20. März 1807.

... Jetzt rath' Sie einmal was der Schneider für mich macht. Ein Andrieng? – Nein! Eine Kontusche? – Nein! Einen Joppel? – Nein! Eine Mantille? – Nein! Ein paar Boschen? – Nein! Einen Reifrock? – Nein! Einen Schlepprock? – Nein! Ein paar Hosen? – Ja! – Vivat – jetzt kommen andre Zeiten angerückt, – und auch eine Weste und ein Überrock dazu. Morgen wird alles anprobirt, es wird schon sitzen, denn ich hab' mir alles bequem und weit bestellt, und dann werf' ich mich in eine Chaise und reise Tag und Nacht Courier durch die ganzen Armeen zwischen Feind und Freund durch; alle Festungen thun sich vor mir auf und so geht's fort bis Berlin, wo einige Geschäfte abgemacht werden, die mich nichts angehn. Aber dann geht's eilig zurück und wird nicht eher Halt gemacht bis Weimar. O Frau Rath, wie wird's denn dort aussehen? – mir klopft das Herz gewaltig, obschon ich noch bis zu Ende April reisen kann, ehe ich dort hinkomme. Wird mein Herz auch Muth genug haben sich ihm hinzugeben? – ist mir's doch, als ständ' er eben vor der Thür! – Alle Adern klopfen mir im Kopf; ach wär' ich doch bei Ihr! – das allein könnt' mich ruhig machen, daß ich säh', wie Sie auch vor Freud' außer sich war'; oder wollt' mir einer einen Schlaftrunk geben, daß ich schlief bis ich bei ihm erwachte, was werd' ich ihm sagen? – ach nicht wahr, er ist nicht hochmüthig? ...

Bettine.

Aber das muß ich Ihr doch noch sagen, wie's gekommen ist. Mein Schwager Der Mann ihrer Schwester Culu Jordis. kam und sagte, wenn ich seine Frau überreden könne, in Männerkleidern mit ihm eine weite Geschäftsreise zu machen, so wolle er mich mitnehmen, und auf dem Rückweg mir zu Lieb' über Weimar gehen. Denk Sie doch, Weimar schien mir immer so entfernt, als wenn es in einem andern Weltteil lag', und nun ist's vor der Thür. Sie traf am 23. April 1807 zum erstenmal mit Goethe zusammen.

* * *

[Weimar] am 16. 4. 1807.

... In Weimar kamen mir um 12 Uhr an; wir aßen zu Mittag, ich aber nicht. Die beiden legten sich auf's 5opha und schliefen; drei Nächte hatten wir durchwacht. Ich rathe Ihnen, sagte mein Schwager, auch auszuruhen; der Goethe wird sich nicht viel draus machen, ob Sie zu ihm kommen oder nicht, und was Besondres wird auch nicht an ihm zu sehen sein. Kann Sie denken, daß mir diese Rede allen Mut benahm? – Ach ich wußte nicht, was ich thun sollte, ich war ganz allein in der fremden Stadt; ich hatte mich anders angekleidet, ich stand am Fenster und sah nach der Thurmuhr, eben schlug es halb 3. – Es war mir auch so, als ob sich Goethe nichts draus machen werde mich zu sehen; es fiel mir ein, daß ihn die Leute stolz nennen; ich drückte mein Herz fest zusammen, daß es nicht begehren solle; – auf einmal schlug es 3 Uhr. Und da war's doch auch grad' als hätte er mich gerufen, ich lief hinunter nach dem Lohnbedienten, kein Wagen war da, eine Portechaise? Nein, sag' ich, das ist eine Equipage für's Lazareth. Wir gingen zu Fuß. Es war ein wahrer Chokoladenbrei auf der Straße, über den dicksten Morast mußte ich mich tragen lassen, und so kam ich zu Wieland, nicht zu Ihrem Sohn. Den Wieland hatte ich nie gesehen, ich that als sey ich eine alte Bekanntschaft von ihm, er besann sich hin und her und sagte: ja, ein lieber, bekannter Engel sind Sie gewiß, aber ich kann mich nur nicht besinnen wann und wo ich Sie gesehen habe. Ich scherzte mit ihm und sagte: jetzt hab' ich's herausgekriegt, daß Sie von mir träumen, denn anderswo können Sie mich unmöglich gesehen haben. Von ihm ließ ich mir ein Billet an Ihren Sohn geben, ich hab' es mir nachher mitgenommen und zum Andenken aufbewahrt; und hier schreib' ich's Ihr ab. » Bettina Brentano, Sophiens Schwester, Maximilianens Tochter, Sophie La Rochens Enkelin wünscht Dich zu sehen, l. Br., und giebt vor, sie fürchte sich vor Dir, und ein Zettelchen, das ich ihr mitgebe, würde ein Talisman seyn, der ihr Muth gäbe. Wiewohl ich ziemlich gewiß bin, daß sie nur ihren Spaß mit mir treibt, so muß ich doch thun, was sie haben will, und es soll mich wundern, wenn Dir's nicht eben so wie mir geht«.

* * *

Den 23. April 1807.

Mit diesem Billet ging ich hin, das Haus liegt dem Brunnen gegenüber; wie rauschte mir das Wasser so betäubend, – ich kam die einfache Treppe hinauf, in der Mauer stehen Statuen von Gyps, sie gebieten Stille. Zum wenigsten ich könnte nicht laut werden auf diesem heiligen Hausflur. Alles ist freundlich und doch feierlich. In den Zimmern ist die höchste Einfachheit zu Hause, ach so einladend! Fürchte Dich nicht: sagten mir die bescheidnen Wände, er wird kommen und wird sein, und nicht mehr sein wollen wie Du, – da ging die Thür auf und da stand er feierlich ernst, und sah mich unverwandten Blickes an, ich streckte die Hände nach ihm, glaub' ich, – bald wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich rasch auf an sein Herz. Armes Kind, hab' ich Sie erschreckt, das waren die ersten Worte, mit denen seine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in fein Zimmer und setzte mich auf den Sopha gegen sich über. Da waren wir beide stumm, endlich unterbrach er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung gelesen daß wir einen großen Verlust vor wenig Tagen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie. Ach! sagt' ich, ich lese die Zeitung nicht. – So! – ich habe geglaubt, alles interessire Sie, was in Weimar vorgehe. – Nein, nichts interessirt mich als nur Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung zu blättern. – Sie sind ein freundliches Kind. – Lange Pause – ich auf das fatale Sopha gebannt, so ängstlich. Sie weiß, daß es mir unmöglich ist, so wohlerzogen da zu sitzen. – Ach Mutter! kann man sich selbst so überspringen? – Ich sagte plötzlich: hier auf dem Sopha kann ich nicht bleiben –, und sprang auf. – Nun! sagte er, machen Sie sich's bequem; nun flog ich ihm an den Hals, er zog mich auf's Knie und schloß mich an's Herz. – Still, ganz still war's, alles verging. Ich hatte so lange nicht geschlafen; Jahre waren vergangen in Sehnsucht nach ihm, – ich schlief an seiner Brust ein; und da ich aufgewacht war, begann ein neues Leben. Und mehr will ich Ihr diesmal nicht schreiben.

* * *

September 1807.

... ich schwieg still, legte mich im Wagen auf drei Selterskrüge unten am Boden, und schlief einen herrlichen Schlaf, bis bei Mondschein, wo der Wagen umfiel, ganz sanft, daß niemand beschädigt ward. Eine nußbraune Kammerjungfer flog vom Bock ... zwei Schachteln mit Blonden und Bändern flogen etwas weiter und schwammen ganz anständig den Main hinab; ich lief nach, immer im Wasser, das jetzt bei der großen Hitze sehr flach ist, alles rief mir nach, ob ich toll sei, – ich hörte nicht, und ich glaub' ich wär in Frankfurt wieder sammt den Schachteln angeschwommen, wenn nicht ein Nachen hervorgeragt hätte, an dem sie Halt machten. Ich packte sie unter beide Arme und spazierte in den klaren Wellen wieder zurück ... In Aschaffenburg legte man mich mit Gewalt in's Bett und kochte mir Kamillenthee. Um ihn nicht zu trinken, that ich, als ob ich fest schlafe. Da wurde von meinen Verdiensten verhandelt, wie ich doch gar ein zu gutes Herz habe, daß ich voll Gefälligkeit sei und mich selber nie bedenke... Ach! sie wußten nicht was ich wußte, – daß nämlich unter dem Wust von falschen Locken, von goldnen Kämmen, Blonden, in rothsammtner Tasche ein Schatz verborgen war, um den ich beide Schachteln ins Wasser geworfen haben würde, mit allem was mein und nicht mein gehörte, und daß, wenn diese nicht drinn gewesen wär', so würde ich mich über die Rückfahrt der Schachteln gefreut haben. In dieser Tasche liegt verborgen ein Veilchenstrauß, den Ihr Herr Sohn, in Weimar in Gesellschaft bei Wieland, mir heimlich im Vorübergehen zuwarf. – Frau Mutter, damals war ich eifersüchtig auf den Wolfgang und glaubte, die Veilchen seien ihm von Frauenhand geschenkt; er aber sagte: kannst Du nicht zufrieden sein, daß ich sie Dir gebe? – ich nahm heimlich seine Hand und zog sie an mein Herz, er trank aus seinem Glas und stellte es vor mich, daß ich auch draus trinken sollte; ich nahm es mit der linken Hand und trank, und lachte ihn aus, denn ich wußte, daß er es hier hingestellt hatte, damit ich seine Hand loslassen sollte. Er sagte: hast Du solche List, so wirst Du auch wohl mich zu fesseln wissen mein Leben lang. Ich sag' Ihr, mach' Sie sich nicht breit, daß ich Ihr mein heimlichstes Herz vertraue; – ich muß wohl jemand haben, dem ich's mittheile. Wer ein schön Gesicht hat, der will es im Spiegel sehen, Sie ist der Spiegel meines Glücks, und das ist grade jetzt in seiner schönsten Blüthe, und da muß es denn der Spiegel oft in sich aufnehmen...

* * *

Winckel [undatirt].

... Ich habe freilich einen Brief vom Wolfgang hier im Rheingau erhalten, er schreibt: Halte meine Mutter warm und behalte mich lieb. Diese lieben Zeilen sind in mich eingedrungen wie ein erster Frühlingsregen; ich bin sehr vergnügt, daß er verlangt, ich soll ihn lieb behalten; ich weiß es wohl, daß er die ganze Welt umfaßt, ich weiß, daß ihn die Menschen sehen wollen, und sprechen, daß ganz Deutschland sagt: unser Goethe. Ich aber kann Ihr sagen, daß mir bis heute die allgemeine Begeisterung für seine Größe, für seinen Namen noch nicht aufgegangen ist. Meine Liebe zu ihm beschränkt sich auf das Stübchen mit weißen Wänden, wo ich ihn zuerst gesehen, wo am Fenster der Weinstock, von seiner Hand geordnet, hinaufwächst, wo er auf dem Strohsessel sitzt und mich in seinen Armen hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau Rath! Sie ist seine Mutter, und Ihr sag' ich's: wie ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, und ich kam nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von seinem Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich verbrannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen, daß es auch in Flammen ausschlug, aber so heiter, so lustig, wie die Flammen in blauer, sonnenheller Luft, die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehn: mein Leben lang werde ich lustig in die Lüfte flackern, und die Leute werden nicht wissen, woher sich diese Lust schreibt; es ist nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu ihm komme, er allein mit mir sein will und alle Lorbeerkränze vergißt ...

* * *

Winckel (undatirt).

Ich will nicht lügen: wenn Sie die Mutter nicht wär' die Sie ist, so würd' ich auch nicht bei Ihr schreiben lernen. Er hat gesagt, ich soll ihn vertreten bei Ihr, und soll Ihr alles Liebe thun was er nicht kann, so soll sein gegen Sie, als ob mir all' die Liebe von Ihr angethan wär' die er nimmer vergißt. – Wie ich bei ihm war, da war ich so dumm und fragte ob er Sie lieb habe, da nahm er mich in seinen Arm und drückte mich an's Herz und sagte: berühr eine Saite, und sie klingt, und wenn sie auch in langer Zeit keinen Ton gegeben hätte. Da waren wir still und sprachen nichts mehr hiervon, aber jetzt hab' ich sieben Briefe von ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem sagt er: Du bist immer bei der Mutter, das freut mich; es ist also ob der Zugwind von daher geblasen habe, und jetzt fühl ich mich gesichert und warm, wenn ich Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch auf dem Tisch zerschnitten hab', und daß Sie mir auf die Hand geschlagen hat, und hat gesagt: grad' wie mein Sohn – auch alle Unarten hast Du von ihm! –

 

An Goethe.

Wartburg, den 1. August in der Nacht.

Freund, ich bin allein; alles schläft, und mich hält's wach, daß es kaum ist, wie ich noch mit Dir zusammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchste Ereignis meines Lebens; vielleicht war es der reichste, der seligste Augenblick; schönere Tage sollen mir nicht kommen, ich würde sie abweisen.

Es war freilich ein letzter Kuß, mit dem ich scheiden mußte, da ich glaubte, ich müsse ewig an Deinen Lippen hängen und wie ich so dahinfuhr durch die Gänge unter den Bäumen, unter denen wir zusammen gegangen waren, da glaubte ich, an jedem Stamme müsse ich mich festhalten, – aber sie verschwanden, die grünen, wohlbekannten Räume, sie wichen in die Ferne, die geliebten Auen, und Deine Wohnung war längst hinabgesunken, und die blaue Ferne schien allein mir meines Lebens Rätsel zu bewachen; – doch die mußt' auch noch scheiden, und nun hab ich nichts mehr als mein heiß Verlangen, und meine Tränen flössen diesem Scheiden; ach, da besann ich mich auf alles, wie Du mit mir gewandelt bist in nächtlichen Stunden, und hast mir gelächelt, daß ich Dir die Wolkengebilde auslegte und meine Liebe, meine schönen Träume, und hast mit mir gelauscht dem Geflüster der Blätter im Nachtwind; der Stille der fernen, weitverbreiteten Nacht. – Und hast mich geliebt, das weiß ich; wie Du mich an der Hand führtest durch die Straßen, da hab ich's an Deinem Athem empfunden, am Ton Deiner Stimme, an etwas, wie soll ich's Dir bezeichnen, da es mich umwehte, daß Du mich aufnahmst in ein inneres geheimes Leben, und hast Dich in diesem Augenblick mir allein zugewendet und begehrtest nichts als mit mir zu sein; und dies alles, wer wird mir's rauben? – Was ist mir verloren? – Mein Freund, ich habe alles, was ich je genossen. Und wo ich auch hingehe – mein Glück ist meine Heimat ...

* * *

19. Juni 1807.

Gestern Abend wars so, lieber Goethe; plötzlich riß der Zugwind die Thür auf und löschte mir das Licht, bei dem ich Dir geschrieben habe. Meine Fenster waren offen und die Pläne waren niedergelassen; der Sturmwind spielte mit ihnen; – es kam ein heftiger Gewitterregen, da ward mein kleiner Kanarienvogel aufgestört – er flog hinaus in den Sturm, er schrie nach mir, und ich lockte ihn die ganze Nacht. Erst wie das Wetter vorüber war, legt' ich mich schlafen; ich war müde und traurig, auch um meinen lieben Vogel.

Nun ist er fort, gewiß hat ihm der Sturm das Leben gekostet; da hab' ich gedacht, wenn ich nun hinausflög', um Dich zu suchen, und kam' durch Sturm und Unwetter bis zu Deiner Tür, die Du mir nicht öffnen würdest, – nein, Du wärst fort; Du hättest nicht auf mich gewartet, wie ich die ganze Nacht auf meinen kleinen Vogel; Du gehest andern Menschen nach, Du bewegst Dich in andern Regionen; bald sind's die Sterne, die mit Dir Rücksprache halten, bald die tiefen, abgründlichen Felskerne; bald schreitet Dein Blick als Prophet durch Nebel und Luftschichten, und dann nimmst Du der Blumen Farben und vermählst sie dem Licht; Deine Leier findest Du immer gestimmt, und wenn sie Dir auch frischgekränzt entgegen prangte, würdest Du fragen: Wer hat mir diesen schönen Kranz gewunden? – Dein Gesang würde diese Blumen bald versengen; sie würden ihre Häupter senken, sie würden ihre Farbe verlieren, und bald würden sie unbeachtet am Boden schleifen.

Alle Gedanken, die die Liebe mir eingibt, alles heiße Sehnen und Wollen kann ich nur solchen Feldblumen vergleichen; – sie tun unbewußt über dem grünen Rasen ihre goldnen Augen auf, sie lachen eine Weile in den blauen Himmel, dann leuchten tausend Sterne über ihnen und umtanzen den Mond, und verhüllen die zitternden, tränenbelasteten Blumen in Nacht und betäubenden Schlummer. So bist Du Poete ein vom Sternenreigen seiner Eingebungen umtanzter Mond; meine Gedanken aber liegen im Tal, wie die Feldblumen, und sinken in Nacht vor Dir, und meine Begeisterung ermattet vor Dir, und alle Gedanken schlafen unter Deinem Firmament.

Bettine.

* * *

Cassel, den 13. August 1807.

Wer kann's deuten und ermessen, was in mir vorgeht? – Ich bin glücklich jetzt im Andenken der Vergangenheit, als ich kaum damals in der Gegenwart war, mein erwachtes Herz, die Überraschung, bei Dir zu sein, dies Kommen und Gehen und Wiederkehren in den paar Tagen, das war alles wie eindringende Wolken an meinem Himmel; er mußte durch meine zu große Nähe zugleich meinen Schatten aufnehmen, so wie er auch immer dunkler ist, wo er an die Erde gränzt; jetzt in der Ferne wird er mild und hoch und ganz hell.

Ich möchte Deine liebe Hand mit meinen beiden an mein Herz drücken und Dir sagen: wie Friede und Fülle über mich gekommen ist, seitdem ich dich weiß.

Ich weiß, daß es nicht der Abend ist, der mir jetzt ins Leben hineindämmert; o wann er's doch wäre! Wann sie doch schon verlebt wären, die Tage, und meine Wünsche und meine Freuden, möchten sie sich alle an Dir hinauf bilden, daß Du mit überdeckt wärest und bekränzt, wie mit immergrünem Laub.

Aber so warst Du, wie ich am Abend allein bei Dir war, daß ich Dich gar nicht begreifen konnte; Du hast über mich gelacht, weil ich bewegt war, und laut gelacht, weil ich weinte, aber warum? Und doch war es Dein Lachen, der Ton Deines Lachens, was mich zu Thränen rührte, so wie es meine Thränen waren, die Dich lachen machten, und ich bin zufrieden und sehe unter der Hülle dieses Rätsels Rosen hervorbrechen, die der Wehmut und der Freude zugleich entsprießen. – Ja, Du hast recht, Prophet: ich werde noch oft mit leichtem Herzen Scherz und Luft durchwühlen, ich werde mich müde tummlen, so wie ich in meiner Kindheit (ach, ich glaub, es war gestern!) mich aus Übermut auf dem blühenden Felde herumwälzte und alles zusammendrückte, und die Blumen mit den Wurzeln ausriß, um sie ins Wasser zu werfen, – aber auf süßem, warmem, festem Ernst will ich ausruhen, und der bist Du, lachender Prophet. –

Von diesem steilen Fels, auf den sich meine Liebe mit Lebensgefahr gewagt hat, ist nicht mehr herunter zu klettern, daran ist gar nicht zu denken, da bräch' ich auf alle Fälle den Hals ...

* * *

Landshut, 18. Dezember 1808.

Da ich Dir zum letztenmal schrieb, war's Sommer, ich war am Rhein und reiste später mit einer heiteren Gesellschaft von Freunden und Verwandten zu Wasser bis Köln; als ich zurückgekommen war, verbrachte ich noch die letzten Tage mit Deiner Mutter, wo sie freundlicher, leidseliget war wie je. Am Tage vor ihrem Tod war ich bei ihr, küßte ihre Hand und empfing ihr Lebewohl in Deinem Namen. Denn ich hab' Dich in keinem Augenblick vergessen; ich wußte wohl, sie hätte mir gern Deine beste Liebe zum Erbteil hinterlassen.

Sie ist nun tot, vor welcher ich die Schätze meines Lebens ausbreitete; sie wußte wie und warum ich Dich liebe, sie wunderte sich nicht drüber. Wenn andre Menschen klug über mich sein wollten, so ließ sie mich gewähren und gab dem Wesen keinen Namen. Noch enger hätte ich damals Deine Knie umschließen mögen, noch fester, tiefer Dich ins Auge fassen, und alle andere Welt vergessen mögen, und doch hielt dies mich ab vom Schreiben. Später warst Du so umringt, daß ich wohl schwerlich hätte durchdringen können.

Jetzt ist ein Jahr vorbei, daß ich Dich gesehen habe, Du sollst schöner geworden sein, Karlsbad soll Dich erfrischt haben. Mir geht's recht hinderlich, ich muß die Zeit so kalt hinstreichen lassen, ohne einen Funken zu erhaschen, an dem ich mir eine Flamme anblasen könnte. Doch soll es nicht lange mehr währen, bis ich Dich wieder seh'; dann will ich nur einmal Dich immer und ewig in meinen Armen festhalten ...

Leb wohl, bleib mir geneigt, schreib mir wieder, daß Du mich lieb hast; was ich mit Dir erlebt habe, ist mir ein Thron seliger Erinnerung. Die Menschen trachten auf verschiedenen Wegen alle nach einem Ziel, nämlich glücklich zu sein – wie schnell bin ich befriedigt, wenn Du mir gut und meiner Liebe ein treuer Bewahrer sein willst.

* * *

(Landshut)11. März (1809).

Ach, wenn mich die Liebe nicht hellsehend machte, so wär ich elend, ich sah die gefrornen Blumen an den Fensterscheiben und den Sonnenstrahl, der sie allmählich schmilzt, und denke mir alles in Deiner Stube, wie Du auf und niederwandelst und diese gefrornen Landschaften mit Tannenwäldchen und diese Blumenstücke sinnend betrachtest. Da erkenne ich so deutlich Deine Züge, und es wird wahr, daß ich Dich sehen kann; unterdessen geht die Trommel hin unter dem Fenster von allen Straßen her und ruft die Truppen zusammen ...

* * *

6. Juni (1809).

... Gold und Perlen habe ich nicht, der einzige Schatz, nach dem ich gewiß allein greifen würde bei einer Feuersbrunst sind Deine Briefe, Deine schönen Lieder, die Du mit eigener Hand geschrieben, sie sind verwahrt in der rothen Sammettasche, die liegt Nachts unter meinem Kopfkissen, darin ist auch noch der Veilchenstrauß, den Du mir in der Gesellschaft bei Wieland so verborgen zustecktest, wo Dein Blick wie ein Sperber über allen Blicken kreiste, daß keiner wagte aufzusehen. Die junge Muse giebt es auf, die Opfer, die der Kronprinz ihr, in Dichterperlen geweiht, zu Füßen legte, unter dem Wust von falschem Schmuck und Flitterstaat wieder zu finden, und doch waren sie im Zauberhauch der Mondnächte bei dem Lied der Nachtigall erfunden, Silb um Silbe; Klang um Klang aufgereiht, Wer Silb um Silbe nicht liebt, nicht diesen Schlingen sich gefangen giebt, der mag von Himmelskräften auch nicht wissen, wie zärtlich die von Reim zu Reim sich küssen ...

* * *

28. November (1810).

Schön wie ein Engel warst Du, bist Du und bleibst Du, so waren auch in Deiner frühesten Jugend aller Augen auf Dich gerichtet. Einmal stand jemand am Fenster bei Deiner Mutter, da Du eben über die Straße herkamst mit mehreren andern Knaben; sie bemerkten, daß Du sehr gravitätisch einherschrittest und hielten Dir vor, daß Du Dich mit Deinem Gradehalten sehr sonderbar von den andern Knaben auszeichnetest. – Mit diesem mache ich den Anfang, sagtest Du, und später werd' ich mich mit noch allerlei auszeichnen; und das ist auch wahr geworden, sagte die Mutter.

Einmal zur Herbstlese, wo denn in Frankfurt am Abend in allen Gärten Feuerwerke abbrennen und von allen Seiten Raketen aufsteigen, bemerkte man in den entferntesten Feldern, wo sich die Festlichkeit nicht hin erstreckt hatte, viele Irrlichter, die hin und her hüpften, bald auseinander, bald wieder eng zusammen, endlich fingen sie gar an, figurierte Tänze aufzuführen; wenn man nun näher drauf los kam, verlosch ein Irrlicht nach dem andern, manche taten noch große Sätze und verschwanden, andere blieben mitten in der Luft und verloschen dann plötzlich, andre setzten sich auf Hecken und Bäume, weg waren sie, die Leute fanden nichts, gingen wieder zurück, gleich fing der Tanz von vorne an; ein Lichtlein nach dem andern stellte sich wieder ein und tanzte um die halbe Stadt herum. Was war's? – Goethe, der mit vielen Kameraden, die sich Lichter auf die Hüte gesteckt hatten, da draußen herumtanzte.

Das war Deiner Mutter eine der liebsten Anekdoten, sie konnte noch manches dazu erzählen, wie Du nach solchen Streichen immer lustig nach Hause kamst und hundert Abenteuer gehabt usw. – Deiner Mutter war gut zuhören! ...


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