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15. Kuna, der Eskimo-Leithund

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Kuna war ein reiner, weißer Eskimohund; daher sein Name, der in der Sprache der Kri-Indianer Schnee bedeutet. Er war mittelgroß und für einen Eskimohund ein wahres Ideal von Schönheit.

Während Cäsar nur schlau und voll von Schelmenstreichen war, war Kuna geradezu boshaft. Ich behielt aber ihn ebenso wie ein paar andere Eskimohunde wegen einiger besonderer Vorzüge. Kuna wurde zuerst nur zum Fische- und Holzholen verwendet, aber er entwickelte sich allmählich zu einem so ausgezeichneten Leithund, daß er bald eine Stelle bei den vornehmsten Gespannen einnahm. Nachdem ich das Unglück gehabt hatte, dem armen Voyageur das Herz zu brechen, konnte ich mich nur auf Kuna als Leithund verlassen, selbst wenn Jack, Kuffy und Muff am Schlitten waren.

Wie andere Leithunde hatte Kuna seine Eigentümlichkeiten und Abneigungen. Er konnte es vor allem nicht leiden, wenn ein Führer nahe vor ihm herlief. War der Führer etwa einen Kilometer voraus, so war's Kuna einerlei; er fühlte sich dann doch unabhängig. Aber wenn er den Führer nahe vor sich sah, wurde er oft verdrießlich und leistete nicht viel. Am besten bewährte er sich, wenn man über die großen Eisflächen der Seen oder über die gefrorenen, vom Sturm gefegten Flüsse fuhr. Dann genügte ein »Marsch, Kuna,« und er führte seinen Zug tapfer zu dem ihm angedeuteten Punkt.

Nur in einem Schneegestöber verlor er den Mut. Er weigerte sich, dem Sturm entgegenzugehen und ging geschickt zurück neben den großen Jack, an dessen vom Wind geschützte Seite. Er überließ dann Jack nicht nur die Führung, sondern auch den größten Teil der Arbeit, die er selbst hätte leisten sollen. Jack half ihm so aus mancher Schwierigkeit. Er schien Kuna höher zu schätzen als einen meiner andern Eskimohunde, was freilich nicht viel heißen will.

Wie alle Eskimohunde war Kuna ein Dieb erster Klasse, und zwar ein sehr geschickter. Wenn er nicht an der Arbeit war und sich um die Küchentür herumtrieb, konnte man darauf rechnen, daß abends aus dem Blech unter dem Ofen ein Fisch verschwunden war. Wenn die Küchentür nur ein paar Minuten offen stand, reichte die Zeit für Kuna. Er hatte eine ganz ordentliche Größe, aber wenn er leise in die Küche schlich, war es, als hätte er sich ganz klein gemacht. Gewöhnlich ging er hinter dem indianischen Dienstmädchen drein, packte den ersten besten Fisch und lief schnell davon. Wenn man ihn ertappte und ihm auf den Fersen folgte, sprang er womöglich schnell um eine Ecke, und siehe da! wenn die Verfolger kamen, saß er ganz würdevoll auf einem Fleck und wunderte sich offenbar über all das Getue. Wo ist denn der Fisch hingekommen, den er im Maul gehabt hat? Gewiß, wir haben uns getäuscht; es muß ein anderer Hund gewesen sein, nicht dieser ernsthaft dreinschauende Bursche, der so starr zu Boden blickt. Aber manche Leute sind so gescheit wie die Hunde und einer sagt: »Sieh einmal, wie komisch Kuna seinen Schwanz hält.« Und richtig, der pfiffige Spitzbub sitzt auf dem gestohlenen Fisch und sein buschiger Schwanz muß mithelfen, ihn zu verdecken.

Kuna hatte bald gelernt, die Tatsache, daß er schneeweiß war, zu seinem Nutzen auszubeuten. Ich habe schon erzählt, wie sich die Hunde in unseren Winterlagern zu verbergen suchten, wenn wir aufbrechen wollten. Kuna machte sich für die Nacht immer ein Nest im Schnee, und da die ganze Umgebung weiß war, konnte man ihn, wenn man morgens vor Tag aufbrach, nicht sehen. Er regte sich auch nicht, bis einer von den Suchenden über ihn stolperte oder Jack ihn aufscheuchte. Da das Suchen immer eine ärgerliche Verzögerung brachte, beobachtete einer von den Treibern genau, wo Kuna sein Nest machte, um ihn morgens finden zu können. Aber Kuna merkte das mit der Zeit, und sobald er früh eine Bewegung im Lager wahrnahm, schlich er sich davon, an eine Stelle, wo der Schnee recht tief lag.

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Einmal aber kam den Indianern ein guter Einfall. Sie fingen Kuna abends und schleppten ihn ins Lager; dann zerstießen sie Holzkohlen zu Pulver und rieben ihn damit so gründlich ein, daß er von der Nase bis zur Schwanzspitze so schwarz war wie Jack und es auch mehrere Tage blieb. Nun half kein Verstecken im Schnee. Zuerst konnte er nicht recht begreifen, wie das zuging, aber schließlich dämmerte es ihm und er versuchte nie wieder, sich zu verstecken.

Es war lustig zu sehen, wie schnell Kuna und viele andere Hunde sich krank oder hinkend oder gelähmt stellen konnten, sobald sie hörten, daß der Treiber mit dem Geschirr kam, um einige anzuspannen. Ich stehe an meinem Fenster und sehe mehr als 20 Hunde, die ihre Ställe verlassen haben und lustig miteinander tollen. Sie scheinen alle ganz gesund und frisch. Wie fröhlich laufen sie in die Wette und spielen in dem weichen Schnee. Keinem merkt man an, daß er hinke oder gelähmt sei. Aber jetzt paßt einmal auf! Ein Indianer hat ein Geschirr genommen und man hört die Glöckchen, deren an jedem Halsband vier sind. Jetzt öffnet er die Küchentür und tritt unter die Hunde. Welche Veränderung! Hast du je in deinem ganzen Leben ein solche Gesellschaft von verwundeten, hinkenden, lahmen Hunden beieinander gesehen? Cäsar kriecht kläglich auf den Vorderbeinen daher und schleppt die offenbar gelähmten Hinterbeine nach. Kuna, der sich nicht mehr im Schnee zu verbergen wagt, macht die merkwürdigsten Versuche, sich auf einem Vorder- und einem Hinterbein weiterzuschleppen. Und andere sind ebenso possierlich in ihren Versuchen, Martin zu überzeugen, daß es der größte Unsinn wäre, solch arme, hilflose, geschundene Tiere einzuspannen. Aber Martin kennt ihre Kniffe und bleibt ganz ungerührt. Er braucht vier gute Hunde, um seinen Herrn zum Abendgottesdienst ins Fort zu fahren. Er ruft: »Komm, Pompejus, komm. Schwarzer, kommt, Nero und Muff!« 's ist nur ein Treiber da und er braucht nur ein Gespann. Sobald das beisammen ist und jeder Kopf in seinem Halsband steckt, geht unter den übrigen wieder eine Veränderung vor. Cäsars Rückgrat ist in Ordnung und seine Hinterbeine sind so beweglich wie die vorderen. Kuna merkt plötzlich, daß man auf vier Beinen leichter vorwärts kommt als auf zweien und er rennt davon wie der Blitz. Und so ist's auch mit den anderen.

Kuna war wie Rover ein arger Feigling. Er lief vor einem viel kleineren Hund davon und zeigte nie Mut oder Kampflust. Aber während Rover immer friedliebend war, machte es Kuna das größte Vergnügen, andere Hunde aneinander zu hetzen, und je ärger sie rauften, um so mehr freute er sich.

Am glücklichsten war er, wenn es ihm gelang, eine große Schlacht zwischen den Hunden auf dem Gehöft und denen im Indianerdorf anzuzetteln. Er mußte dies sehr schlau und geheim angreifen, denn er wußte wohl, daß ihn Prügel erwarteten, wenn man ihn bei der Ausführung seines Plans ertappte.

Um sein Vorgehen zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß das Missionsgehöft Wohnhaus, Kirche, Schule, Stall und andere Nebengebäude umfaßte und auf einem Stück Land stand, das wie eine Halbinsel in den See hineinragte, die auf jeder Seite eine kleine Bucht hatte. Die Landenge, die das Missionsgehöft mit dem Hauptland verband, war nur schmal. Sie war auch sehr niedrig, und eine indianische Überlieferung sagte, sie sei früher bei stürmischem Wetter vom Wasser bedeckt worden. Zu unserer Zeit war sie ganz trocken. Die Gegend ist felsig und in der Nähe der Missionsgebäude sind einige hohe Felsen, von denen man das ganze Indianerdorf, das sich nach Osten und Westen am Ufer hinzieht, übersehen kann. Ebenso kann von dort ein auf einem der Felsen befindlicher Mensch oder Hund deutlich gesehen werden, während er, durch einige Nebengebäude verdeckt, von der Halbinsel aus nicht sichtbar ist. Wenn die Hunde aus den Ställen gelassen waren und spielten und Kuna sich unbeachtet wußte, schlich er sich oft auf einen von diesen Felsen.

Zwischen den Hunden der Mission und denen des Indianerdorfes herrschte fortwährend Krieg. Wo sie sich trafen, gerieten sie aneinander, und wehe dem einzelnen Hund, der sich in das Gebiet der feindlichen Partei wagte!

Wenn Kuna seinen Plan ausführen konnte, so lief er auf einen von den Felsen, wo ihn alle Indianerhunde sahen, während er vor seinen Kameraden versteckt war. Und nun machte er allerlei Bewegungen, die die Hunde reizen und ärgern mußten; zugleich stieß er Töne aus, die jedenfalls in der Hundesprache Beleidigungen und Herausforderungen bedeuteten.

Und nun ging der Lärm los. Damals gab es reichlich Fische und deshalb wimmelte jedes Indianerhaus oder Wigwam von Hunden aller Art. Kaum hörten sie die freche Herausforderung von dem Vorposten des Feindes, so waren auch schon mehrere Dutzend auf ihrer Seite der Landzunge versammelt. Wie bei den Wölfen, denen in mancher Beziehung die Eskimohunde sehr ähnlich sind, nimmt ihr Mut mit der Zahl zu, und als nun die Meute so zahlreich geworden war, daß sie den Angriff wagen konnten, stürzten sie mit wildem Kläffen heran (die Eskimohunde können nicht eigentlich bellen), um durch einen plötzlichen Angriff den frechen Kuna gefangen zu nehmen, der ihnen ohne Zweifel alle Grobheiten, die in seinem Wortschatz waren, ins Gesicht geschleudert hatte. Aber er ist nicht so dumm, daß er sich fangen oder umzingeln läßt. Er wartet nur, bis er sieht, daß sie die Grenze des neutralen Gebiets überschritten haben; dann rennt er um die Nebengebäude des Missionsgehöfts herum und befindet sich inmitten der Missionshunde, denen er sein »Jep, Jep, Jep«, d. h. »Vorwärts, ihr Krieger, packt sie an!« zuruft. Kein zweiter Ruf ist nötig. Mit Kuna an der Spitze stürzen 20 bis 30 alte und junge Hunde dem Feind entgegen. Gewöhnlich erfolgt der Zusammenstoß am Fuß des Felsens, von dem aus Kuna den Feinden die Herausforderungen zugeschleudert hat. Und nun gibt's eine richtige Schlacht. Es war merkwürdig anzusehen, wie sie aufeinander losgingen und wie, wenn einer niedergeschlagen war, seine gerade nicht kämpfenden Kameraden ihm zu Hilfe kamen. Gewöhnlich verbissen sie sich nicht ineinander, wie es oft zwei zornige Hunde im Einzelkampfe tun, sondern sie rannten nur gegeneinander und suchten durch die Wucht des Anpralls die Gegner in den Schnee zu werfen. Doch gab es auch solche, die die Sache ernster auffaßten. Sie suchten sich einzelne Hunde aus, gegen die sie vielleicht schon lange einen Span hatten, und es gab einen grimmigen Zweikampf.

Wo war aber Kuna die ganze Zeit? Er hatte den Streit angezettelt und unsere Hunde tapfer zum Kampf geführt. Aber im Schlachtgetümmel hatte man vergeblich nach ihm gesucht und ohne Not stürzte er sich nie hinein. Er hatte allerdings die Truppen gegen den Feind geführt, aber nur halbwegs. Er wußte sich geschickt auf eine Seite zu drücken, und als dann die Hunde beim Anblick des Feindes vorwärts stürzten, schlich er sich unvermerkt auf die Felsspitze, von der aus er vor kurzem seinen kühnen Kriegsruf hatte erschallen lassen. Dort, aus sicherer Entfernung, sah er auf die tobende Schlacht hinunter und hüpfte und heulte vor Vergnügen.

Natürlich ließ man den Kampf nicht lange toben. Sobald die Bewohner des Missionsgehöfts oder des Indianerdorfes das Schlachtgetöse hörten, eilten sie mit den langen Hundepeitschen herbei, jagten die Kämpfenden auseinander und trieben sie heim in ihre Quartiere.

Als es wieder Friede war, erhob sich die Frage: »Wer hat diesmal den Streit angefangen?« Ein Halbdutzend scharfäugiger Indianer erklärten, sie hätten von ihrer Wohnung aus Kuna wieder seine Schelmenstreiche machen sehen. Also wurde er eingefangen, tüchtig durchgeprügelt und hungrig schlafen geschickt.


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