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2. Mit wilden Eskimohunden beim Nordlicht

»Komm gleich, so schnell du kannst, ich habe zuviel Chinin genommen und ich fürchte, ich muß an der Hydrophobia (Wasserscheu) sterben.«

Diese seltsame und schreckliche Nachricht brachte mir an einem Wintertag ein indianischer Jäger von einer 300 Kilometer entfernten indianischen Niederlassung. Der Verfasser des Schriftstücks war ein eingeborener Gehilfe, der vorübergehend allein eine Missionsstation versorgte. Er war ein tüchtiger Mann, der aber unglücklicherweise ein englisches medizinisches Buch erwischt hatte. Da er gut Englisch lesen konnte, vertiefte er sich darein und las mit Entsetzen die Beschreibung der verschiedensten Krankheiten. Bald meinte er, er habe sie alle selbst, und da er sich reichlich mit all den angegebenen Heilmitteln behandelte, war er bald wirklich krank. Nun ließ er seine Arbeit im Stich und beschäftigte sich damit, sich den Puls zu fühlen und im Spiegel seine Zunge zu betrachten. Schließlich nahm er noch im Übermaß Chinin, und das so schauerlich klingende Wort Hydrophobia, dessen Sinn er nicht verstand, schien ihm eine passende Schilderung seines Zustandes.

Eilig rüstete ich drei Hundegespanne. Die Schlitten waren schwer beladen, hauptsächlich mit Lebensmitteln für jenen Indianer und seine Familie. Ich verschaffte mir einen sehr guten indianischen Führer, dessen Aufgabe es war, auf Schneeschuhen vor unsern Hunden herzulaufen und ihnen die Richtung zu zeigen. Einen eigentlichen Weg gab es nicht, denn die heftigen Schneestürme, die über jene nordischen Wüsten und Wälder dahinfegen, verwehen die Fußspuren der Jäger. Wie es bei solchen Reisen nötig ist, führten wir Kochkessel, Mundvorrat, Bettzeug, Flinten, Beile, Schneeschuhe, Heilmittel – kurz alles mit uns, was zum Leben im Freien unentbehrlich ist. Wir fanden auf dem ganzen Weg kein Haus und keinerlei Möglichkeit, um für Geld und gute Worte etwas zu kaufen. Nur einmal begegneten wir ein paar Jägern, durch deren Jagdgebiet wir kamen; dort konnten wir einige Vorräte tauschen. Dreimal übernachteten wir im Wald unter freiem Himmel. Pelzkleider und wollene Decken waren unsere Betten, und manchmal streute der Himmel, während wir schliefen, noch eine wärmende Schneedecke über uns.

Nach allerlei Abenteuern, wie sie die Natur des Landes mit sich brachte, erreichten wir die Südspitze des 50 Kilometer langen Sees, an dessen Nordende die Missionsstation war, die meinen eingebildet kranken Freund beherbergte. Wir wollten eben unser Nachtlager aufschlagen, als wir das Rufen von Indianern und das Klingeln von Hundeglöckchen hörten. Bald erschienen ein paar Indianer, unter denen sich auch mein kranker Freund befand. Er sagte, in dem Arzneibuch stehe, seine Krankheit werde sich in so und so viel Tagen entwickeln, und da habe er gedacht, er könne mir in der Zwischenzeit entgegenreisen. Da ich meine Behandlung seiner Krankheit nicht unterwegs anfangen und er keine Nacht mehr warten wollte, beschlossen wir, gleich weiter zu fahren. Der Indianer hatte kräftige, wohlgenährte Hunde, während die unsrigen von der Reise sehr ermüdet waren. Man packte deshalb die Schlitten um, so daß unsere Hunde erleichtert wurden.

An meinen eigenen Schlitten kam ein Gespann von sehr lebhaften, wild dreinschauenden Eskimohunden. Mein treuer, vorsichtiger Führer stopfte die warmen Pelze sorgfältig um mich herum und reichte mir eine Peitsche mit einem kurzen eichenen Stiel und einer fünf Meter langen Schnur, in die Schrot eingeflochten war. Während der Besitzer der Hunde die Riemen anzog und die Köpfe der Tiere ihrem Wohnort zu drehte, sagte er zu mir: »Sprich nur gar nichts, dann geht alles gut und du bist in weniger als drei Stunden daheim. Die Hunde laufen auf der Spur, die wir auf dem Herweg gemacht haben. Sie können die weißen Männer nicht leiden; aber wenn du nicht redest, werden sie, in ihrem Eifer heimzukommen, nichts merken.« Ich betrachtete die Bestien, legte meine Peitsche zurecht, so daß ich sie jeden Augenblick ergreifen konnte und machte mich auf eine wilde, aufregende Fahrt gefaßt. Mein Führer versprach nachzukommen, sobald die müden Hunde etwas ausgeruht hätten. Dann gab er den Hunden einen Hieb mit seiner langen Peitsche, und in wütendem Galopp rasten sie davon.

Die Sterne schienen mit einer Klarheit, wie man sie nur in solch reiner Luft sehen konnte. Vor mir dehnte sich unabsehbar der gefrorene See, auf dem mein unerfahrenes Auge keine Spur eines Pfades entdecken konnte. Und während mehrerer Stunden in dieser furchtbar kalten Nacht sollte ich mich, ohne einen menschlichen Gefährten, den wilden Eskimohunden anvertrauen, um von ihnen in ein einsames Blockhaus am jenseitigen Ufer des Sees gebracht zu werden. Ich sollte während der langen Stunden nicht reden, nicht einmal husten, sonst konnte es Schwierigkeiten, ja vielleicht einen grimmigen Kampf mit ungewissem Ausgang geben. Mein Mut hob sich und ich fühlte, daß es eine äußerst merkwürdige Reise geben würde.

Es war eine herrliche Fahrt, denn die Hunde waren gut zusammengewöhnt und rannten in gleicher Geschwindigkeit dahin. Mein Schlitten war drei Meter lang und einen halben Meter breit. Der Boden war von starken eichenen Brettern, die Seitenwände waren aus Pergament. Ich war so in Pelze eingewickelt, daß nur meine Augen sichtbar waren. Der Schlitten war so schmal, daß ich mich bemühen mußte, das Gleichgewicht zu bewahren, wenn wir über Schneewehen fuhren; aber ich war an Derartiges gewöhnt und brauchte mich nicht vor dem Umwerfen zu fürchten. Da die Hunde, die bald im Trab bald im Galopp liefen, heimwärts eilten, brauchten sie nicht besonders angetrieben zu werden. Es war eine einzigartige und erfrischende Fahrt. An dem wundervollen Sternenhimmel erschien jetzt auch ein Nordlicht, das ihn bald ganz bedeckte; er erglühte und strahlte in dem wundervollsten Farbenspiel und erweckte den Widerschein des Schnees, der, während wir hindurchfuhren, blutrot erschien. Jetzt strahlte das Licht am hellsten in der Scheitelhöhe, so daß der Schatten der Hunde gerade unter ihnen war. Dies war ihnen unheimlich und trieb sie zu schnellerem Lauf. Man hörte nichts als das lebhafte Klingeln ihrer Glöckchen. Aber jetzt huschte aus dem Felsendunkel einer Insel zu unserer Linken ein prachtvoller schwarzer Fuchs, den ich im Schein des Nordlichts ganz deutlich sah. Er eilte quer über unseren Pfad, einer bewaldeten Insel zu unserer Rechten zu.

Dieser Anblick regte die Hunde sehr auf. Sie vergaßen ihre Kameraden und die heimischen Ställe, verließen unsere Spur und rasten dem Fuchs nach. Ich wußte nicht, wie lange das fortgehen würde, aber das wußte ich, daß unsere Spur – einmal verloren – schwer wieder zu finden war. Und doch hatten wir noch ungefähr 25 Kilometer zu fahren.

Ich hatte nicht lange Zeit mich zu besinnen. Ich mußte den Hunden zurufen und sie wieder auf den Weg bringen. Ich erhob mich schnell auf die Knie, faßte die Peitsche so, daß ich den Stiel als Knüttel gebrauchen konnte und rief den Hunden auf Indianisch »Halt« und »Linksum« zu. Sie hielten, und zwar so plötzlich, daß der Schlitten noch ein Stück weit an dem hintersten Hund vorbeischoß. Dann stürzten sie wütend auf mich los. Der vorderste Hund, der Führer, führte auch den Angriff. Dies war ein Glück, denn dadurch riß er die andern herum und brachte sie in eine solche Stellung, daß immer nur einer auf mich losstürzen konnte. Da ich links bin, beschützte ich mein Gesicht mit der rechten, während ich mit der linken den Angreifer mit dem Peitschenstiel über den Kopf hieb. Drei oder vier wohlgezielte Hiebe genügten, dann fiel er heulend auf das Eis und machte dem nächsten Angreifer Platz. Ein tüchtiger Hieb an den Kopf machte, daß er über seinen Führer purzelte, und nun mußte ich's mit dem dritten, dem bösesten und wildesten von allen, aufnehmen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ein Hundekopf solche Prügel aushalten würde, ehe er nachgab. Da er mich selbst nicht packen konnte, zerriß er die Pelze und das Pergament am Schlitten. Der vierte Hund wurde zum Glück durch sein Riemenwerk so festgehalten, daß er sich darauf beschränken mußte, mich anzuknurren. Aber er zerrte den Schlitten so hin und her, daß ich während meines Kampfes mit dem dritten Hund noch aufpassen mußte, daß ich nicht umgeworfen wurde. Als der dritte auch besiegt war, wickelte ich den langen Peitschenriemen ab, rief Marsch! und gebrauchte die Peitsche tüchtig. Die Hunde warteten nicht auf viele Hiebe, sondern sprangen auf, der Leithund schwenkte nach links ab und so rasten sie davon. Zuerst waren sie in die Riemen verwickelt, aber die Hunde verstehen es sehr gut, sich frei zu machen. Vermöge ihres scharfen Geruchs merkten sie es bald, als die Wegspur kam. Ich konnte ihnen jetzt zurufen, und sie hatten keine Lust zu weiterem Kampf, sondern wollten nur möglichst schnell heimkommen.

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Zuletzt rächten sie sich noch, indem sie mir einen schändlichen Streich spielten. Um sein Haus vor der Gewalt der wilden Stürme zu schützen, hatte der Gehilfe in der Richtung gegen den See einen tiefen Graben gemacht und in diesen einen dicken Zaun von Stämmen eingelassen. Die Stürme hatten den Schnee an der Außenseite in der Höhe des Zaunes angehäuft, so daß er eine Böschung bildete. Anstatt nun, wie sie gewohnt waren, auf dem Weg durchs Tor in den Hof einzufahren, schossen die Hunde an der Schneeböschung hinauf und rissen den Schlitten über den Zaun, so daß er drei Meter tief hinunterstürzte. Zum Glück war der Schnee im Hof so tief, daß der Fall abgeschwächt wurde, aber ich fühlte die Folgen wochenlang.

Im Haus hatte man unser Kommen gehört; der Eigentümer brachte die Hunde weg, und eine etwas erschreckte Frau führte mich hinein unter ihre ängstlichen Kleinen, die gar nicht verstehen konnten, warum ein Blaßgesicht auf solche Weise mit ihres Vaters Hunden ankam. Ich war froh, daß ich ein Dach über dem Kopf hatte, und bald konnte ich, besonders mit Hilfe meiner kleinen Geschenke, mit der ganzen Familie Freundschaft schließen. Im Lauf der Nacht kamen auch die andern. Meine Heilmittel hatten guten Erfolg bei dem Kranken; er ist heute noch am Leben und ein tüchtiger Arbeiter.

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