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7. Jacks letzte Lebensjahre

Sehr ungern verließ ich das Nordland; aber ein Familienglied kränkelte schon lange, und wenn das teure Leben gerettet werden sollte, mußten wir ein milderes Klima aufsuchen. Von all meinen Hunden nahm ich nur Jack mit. Meine Frau hätte gern auch Kuffy mitgenommen, aber die Kosten wären zu groß gewesen und ich mußte auch meinem Nachfolger ein gutes Gespann hinterlassen.

Wir erreichten ohne Abenteuer Toronto und ließen uns bald darauf in dem freundlichen Städtchen Port Perry nieder. Jack gewöhnte sich leicht an die neue Umgebung. Er erregte überall Aufsehen und wurde von jedermann bewundert und verhätschelt. Pfarrer, Ärzte, Kaufleute, Landwirte und andere entlehnten ihn manchmal, um ihn ihren Freunden zu zeigen. So war er oft tagelang verreist, aber zu lang blieb er nie fort, und wenn er dachte, es sei Zeit heimzugehen, konnte ihn nichts aufhalten. Ein Landwirt wollte ihn einmal zurückhalten und versuchte, ihn anzubinden, er gab aber bald den Versuch auf. »Ich hätte ebensogut einen Tiger anbinden können,« sagte er später.

In unserem freundlichen Pfarrhaus machte Jack sich bald nützlich. Eine seiner Aufgaben war, das Fleisch beim Metzger zu holen. Zu diesem Zweck kaufte man ihm einen Korb mit gutem Deckel und starkem Henkel. Dahinein legte man ein reines Tuch und ein Papier mit dem Geld und der Bestellung, und so gab man es dem ungeduldig wartenden Hund. Er vertrödelte keine Zeit auf der Straße. Im Laden ließ er sich nur vom Metzger selbst oder von einem Gehilfen, den dieser bezeichnete, den Korb abnehmen. War der Korb gefüllt, so lief er schnell damit nach Hause. Manchmal bekam der Metzger den Auftrag, ein Stück Fleisch für Jack hineinzulegen und es ihm vorher zu zeigen und zu sagen, daß es für ihn sei. Wenn er stolz mit seinem Korb heimkam, erwartete er ein freundliches Wort von einem Familienglied. Es freute ihn sehr, wenn jemand zu ihm sagte: »Danke Jack, mein braver Hund, du hast's gut gemacht.« Er war immer sehr empfänglich für eine Schmeichelei.

Jedes Familienglied durfte das Körbchen auspacken und wenn man dachte, Jack brauche sein Stück Fleisch noch nicht gleich, ließ er es sich ruhig gefallen, daß man es beiseite legte, dahin, wo sein Futter aufbewahrt wurde.

Manchmal sagte meine Frau, wenn sie einem Besuch einen Spaß machen wollte: »Jack, ich habe jetzt keine Zeit für dich. Trag deinen Korb in die Küche, daß Grete ihn ausleert.« Jack gehorcht natürlich. Er trägt alsbald seine Last in die Küche und stellt sich wie eine Schildwache daneben. Wenn Gretchen die Sache nicht recht macht, wird sie angeknurrt. Zuerst muß sie vorsichtig den Deckel abheben. Jacks Stück liegt zuoberst und natürlich will Grete es weglegen, um das darunterliegende Stück herausnehmen zu können. Aber Jack erlaubt nicht, daß ein Dienstbote sein Stück berührt; ebensowenig aber nimmt er es heraus, ehe der Braten für die Familie darunter hervorgezogen ist. Dann erst trägt er den Korb hinaus, um sein Stück unter den Bäumen in Ruhe zu verzehren oder es zu verstecken.

Wenn ich aufgefordert wurde, einen Vortrag oder eine Ansprache zu halten, hieß es immer: »Bringen Sie gewiß Jack mit.« So reiste er mit mir durch die Provinzen Ontario und Quebek und war überall ebenso gut bekannt wie sein Herr. In den Vortragssälen und selbst in manchen großen Kirchen war Jack, der berühmte Missionshund, stets ein willkommener Gast. Bei Sonntagsschulausflügen und andern Kinderfesten war er der Held des Tages und die Kleinen waren hochbeglückt, wenn sie auf ihm reiten durften. Wenn sich dann die Redner auf der Plattform versammelten und die Musik und die Reden begannen, so hatte Jack einen Ehrenplatz unter den würdigen Herren, und keiner, der etwas von ihm und seinen Taten wußte, dachte daran, ihm den Platz streitig zu machen.

Einmal ging ich mit Jack durch die menschenwimmelnden Straßen einer Provinz-Hauptstadt. Plötzlich hörte ich laut meinen Namen rufen. Ich schaute mich um und sah, wie die Tochter des Statthalters, die ich schon früher gesehen hatte, mit ihrem rotseidenen Sonnenschirm aus ihrem prächtigen Wagen winkte. Ich trat herzu und grüßte, und sie sagte: »Die Richter kommen heute zu uns zum Essen; bitte, bringen Sie Jack und kommen Sie selbst auch.« – Natürlich kamen wir, Jack und ich, und wir speisten mit dem Statthalter, seiner Familie und den Richtern, und man machte viel Wesens aus Jack.

Auf den Eisenbahnen war Jack der Liebling der Beamten. Sein Platz war immer im Gepäckwagen, wo er sich manchmal mit den Leuten herumbalgte. Ich brachte ihn immer selbst dahin und befahl ihm, dazubleiben, bis wir das Reiseziel erreicht hätten. Er war so gehorsam, daß ich ihn nie anzubinden brauchte. Auf den Stationen sprang er manchmal auf den Bahnsteig, aber er merkte immer, wenn es Zeit war, wieder einzusteigen, und blieb nie zurück. Meinem Befehl zufolge wartete er immer am Gepäckwagen, bis ich ihn abholte. Nur ein einzigesmal befolgte er den Befehl nicht. Das kam nämlich so:

Ich fuhr mit meiner Frau von Trenton nach Toronto. Jack war wie gewöhnlich im Gepäckwagen. Ich befand mich mit meiner Frau im hintersten Wagen. Wir waren nicht viel über eine Stunde gefahren, als plötzlich die Lokomotive mit dem ganzen Zug entgleiste. Der Gepäckwagen stürzte über den Damm hinunter und dabei ging die Schiebtüre auf. Wie man mir nachher erzählte, sprang Jack alsbald heraus, rollte in den Schmutz, stand aber gleich unverletzt auf und war im Nu verschwunden. Der Wagen, in dem ich mit meiner Frau saß, wurde fast ganz von den Rädern weggestoßen, ohne daß jemand verletzt wurde, und da die Türe glücklicherweise aufging, konnten wir schnell hinaus. Wir eilten, um den Verletzten in den andern Wagen zu Hilfe zu kommen, aber ich hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als Jack dahergerannt kam. Sobald er mich sah, sprang er mit einem Freudengeheul auf mich zu, legte seine großen Vorderpfoten um meinen Hals, hielt mich fest wie ein Bär, küßte mich mehreremal nach Hundeart und heulte dann wieder vor Freude, weil ich unverletzt war. Als ich mich von ihm losgemacht und ihn ein wenig beruhigt hatte, sah er meine Frau und sprang zu ihr hin, um in gleicher Weise seine Freude zu bezeugen. Viele Leute sahen ihm zu und man redete später viel über sein Betragen an jenem Tage.

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Jack lebte nur zwei Jahre mit uns in der Stadt, dann nahm er ein trauriges Ende. Eines Tages, als er mit seinem wohlgefüllten Korb von dem Metzger zurückkam, wurde er von einer großen weißen Bulldogge, die einer Zigeunerbande gehörte, angefallen. Getreu in dem ihm Anvertrauten, hielt er seinen Korb fest, konnte aber doch zugleich den Spitzbuben, der ihn angefallen hatte, abschütteln. Er kam glücklich mit seinem Korb nach Hause, aber sobald er ihn abgegeben hatte, schoß er davon wie der Blitz. Zu meinem Erstaunen sprang er mit der größten Leichtigkeit über die Gartentür und verschwand am Ende der Straße. Bald erreichte er das Zigeunerlager. Die Bulldogge war innerhalb des Hofes, aber Jack sprang über das Tor und packte sie. Ihre Eigentümer hatten sich gerühmt, daß die Dogge sehr stark im Raufen sei, aber dem zornigen, beleidigten Jack war sie nicht gewachsen.

Die, die dem Kampf zusahen, sagten, Jack habe jene große Dogge geschüttelt wie ein abgerichteter Rattenfänger eine Ratte. Als er die gezüchtigte Dogge losließ, war sie so eingeschüchtert, daß sie platt auf dem Boden lag. Jack ging ein paarmal um sie herum und knurrte drohend – wahrscheinlich riet er dem Spitzbuben, sich ein andermal zusammenzunehmen. Dann wandte er sich zum Tor, sprang leicht wie ein Windhund hinüber und schritt gemächlich nach Hause. Er war aber den ganzen Tag verdrießlich und verstimmt.

Natürlich konnten die rachsüchtigen Zigeuner die Züchtigung und Demütigung ihres großen Fechters nicht verzeihen. Monatelang versuchten sie, Jack zu töten oder zu verwunden, und endlich gelang es ihnen, ihm eine böse Wunde an der Schulter beizubringen. Wir ließen ihn durch die geschicktesten Tierärzte behandeln, aber es half nichts. Wenn ein Hund eine Wunde hat, so ist das beste Heilmittel, daß er sie beleckt; aber leider konnte Jack die Wunde nicht mit seiner Zunge erreichen. Als ich meinen herrlichen, geduldigen Hund, meinen treuen Gefährten auf mancher einsamen Reise und – menschlich gesprochen – meinen Retter aus manchem Schneesturm, so dahinsterben sah, da tat mir's nur leid, daß ich meinen klugen alten Rover, den Hund, der selbst manchen verwundeten Hund geheilt hat, nicht bei mir hatte. Er hätte gewiß Jack helfen können. Aber er war weit, weit fort und so verloren wir unsern Jack.

Als er starb, begruben wir ihn am Fuß eines schönen kanadischen Ahorns. Lange Zeit ward Trauer im Haus. Auch die Kinder waren einsam und betrübt. Sie konnten den treuen Spielkameraden und Beschützer nicht so leicht vergessen.


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