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3. Räuberhunde und eine indianische Ratsversammlung

Gewöhnlich machte ich meine Reisen mit alten erfahrenen Führern; aber sie waren nicht immer zu haben. Manchmal befanden sie sich aus entlegenen Jagdgründen oder waren ihre Dienste von den Händlern der Hudson-Bai-Kompanie in Anspruch genommen. Dann mußte ich mich mit Leuten begnügen, die von den Pflichten ihres Amtes nicht viel mehr verstanden als ich selbst. Besonders schlimm war das, wenn gerade eine Krankheit unter meinen Hunden geherrscht hatte, so daß einige gestorben und andere so angestrengt und überarbeitet waren, daß es Tierquälerei gewesen wäre, sie schon wieder anzuspannen. Dann hatte ich zu den untüchtigen Führern auch noch einheimische Hunde, die meine Geduld oft sehr auf die Probe stellten.

Da kam einmal eine Gesandtschaft von Indianern von der Nordwestseite des Winnipeg-Sees, die mich baten, doch zu ihnen zu kommen und sie wegen eines Vertrags mit der Regierung zu beraten, wie ich es bei andern Indianern auch getan hatte.

Das Zuströmen weißer Ansiedler und Abenteurer nach Manitoba und in die nordwestlichen Gebiete Ende des letzten Jahrhunderts beunruhigte die Indianer sehr. Sie fürchteten, trotz der schönen Versprechungen, die man ihnen gegeben hatte, die Jagdgründe ihrer Väter zu verlieren. Dann kamen sie zu mir, damit ich ihnen die seltsamen, unverständlichen Taten der Blaßgesichter erkläre. Diese unruhig hin- und herreisenden Weißen ahnten wohl nicht, wie oft argwöhnische Augen sie beobachteten und daß der Besitzer solcher Augen ein Indianer mit einer guten Flinte war. Es gereicht den Indianern zur Ehre, daß sie, noch ehe Verträge mit ihnen geschlossen waren, sich angesichts der vielen habgierigen Abenteurer so ruhig verhielten.

»Da sehen wir, erzählte ein Indianer, »das Blaßgesicht mit seiner kleinen Pfanne, und er läuft an unsern Seen und Flüssen auf und ab, und er bleibt stehen und tut Sand in die Pfanne und er wirbelt sie so schnell herum, daß viel Sand mit dem Wasser hinausfliegt. Dann tut er, was übrig bleibt, auf weißes Papier und beguckt es durch kleine, runde Dinger, die er aus seiner Tasche nimmt. Dann wirft er's weg und versucht 's noch einmal und geht auch noch wo anders hin und versucht's, und wenn's Nacht wird, wirft er den letzten Sand weg und sagt böse Worte und geht weg in sein Lager; und an einem andern Tag kommen ein paar andere und machen ihre Zelte bei den großen Felsen, wo ein paar weiße Felsen darunter sind. Und da hämmern und klopfen sie und brechen Stücke von dem weißen Felsen (Quarz) weg und tun allerlei komische Sachen damit; und dann versuchen sie's auch an andern Orten, und dann werfen sie's weg und sagen böse Worte und gehen wo anders hin.«

Ich lauschte den Reden und versicherte die Leute, daß die Regierung der Königin durch den Generalstatthalter sorgen werde, daß der weiße Mann ihnen ihre Goldgruben, Fischplätze, Wälder und Wasserfälle nicht nehmen dürfe.

Meinen schon erwähnten Gästen lag daran, daß ich ihren Stamm gleich besuchte und an ihrem Ratsfeuer meine beruhigenden Versicherungen wiederholte. Mein Versprechen, sie zu besuchen, freute sie sehr und ich entließ sie mit einigen Geschenken.

Mein Arbeitsfeld war schon so groß wie ganz England und ich hatte eigentlich kein Verlangen, es noch weiter auszudehnen, aber mein Versprechen war einmal gegeben, und da ich damals westlich vom Winnipeg-See ein paar Außenstationen hatte, beschloß ich, eine größere Missionsreise zu machen und bei dieser Gelegenheit jene Leute zu besuchen. Da meine Hunde eben in traurigem Zustand waren, mietete ich außer drei mit dem Gebiet des Westens bekannten Indianern auch deren drei Gespanne. Weil wir in unbekannte Gegenden reisten, nahmen wir reichlich Lebensmittel mit. Die Indianer hatten diesen Winter viel Renntiere geschossen, so daß ich einen großen Sack mit gekochtem Renntierfleisch einpacken konnte. Dann hatten wir einen Sack voll fetter, nahrhafter Kuchen und andere kräftige Eßwaren, so daß unser Mundvorrat uns mit guter Zuversicht erfüllte.

Früh morgens fuhren wir ab und mit den frischen Hunden kamen wir trotz der schweren Ladungen schnell vorwärts. Nachts lagerten wir im Schnee am Ostufer des Sees, wo ein dichtes Wäldchen von Balsamföhren uns vor dem schneidend kalten Wind schützte.

Am andern Morgen waren wir, lange ehe die Sterne erbleichten, wieder unterwegs. Wir kreuzten jetzt den großen See und wollten womöglich das andere Ufer vor der Nacht erreichen. Der See ist hier so breit, daß die Hunde in schnellem Lauf mehrere Stunden brauchen, um hinüberzukommen. Auf halbem Weg kamen wir an eine kleine Insel, wo wir etwas dürres Holz zum Feuer fanden. So kochten wir unser Mittagessen und machten uns dann neu gestärkt schnell wieder auf den Weg. Da kam auf einmal ein Nebel. Die Indianer verfehlten den Weg und wir kamen weit von dem Ort ab, wo wir ans Land gehen wollten. Es wurde Nacht, ehe der Indianer, der auf Schneeschuhen vorausging, uns verkünden konnte, daß wir am Land feien. Endlich erreichten wir es, aber an einer Stelle, wo das steile Ufer senkrecht aus dem Wasser oder vielmehr dem Eis aufstieg.

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Nachdem wir vergeblich nach einer Stelle gesucht hatten, wo wir mit unseren Hunden hinaufklettern konnten, um uns oben im Wald zu lagern, ergaben wir uns darein, auf dem Eis zu übernachten. Glücklicherweise waren viele Baumstämme heruntergefallen, die wir zum Feuer benützen konnten. Wenn man auf dem Eis ein Feuer haben will, das so lange brennt, bis das Essen gekocht ist und die gefrorenen Fische für die Hunde aufgetaut sind, muß man zu unterst eine Lage von möglichst grünen und darum schwer brennenden Scheitern haben, auf denen dann erst das eigentliche Feuer aufgebaut wird; denn sobald die unterste Lage verbrennt, löscht der Dampf des schmelzenden Eises das Feuer aus. Da die Stämme im Schnee begraben waren, hatten wir schwere Arbeit, bis ein genügender Vorrat von Holz gehauen war. Wir hatten auch nur das Licht der Sterne zu unserer Arbeit, und diese schienen wegen des Nebels nicht so hell wie sonst. Aber endlich brannte ein großes, helles Feuer und nun beeilten wir uns möglichst mit dem Kochen und Auftauen. Alles ging nach Wunsch und nach dem Essen holten die Indianer noch mehr Holz für ein zweites Feuer, bei dessen Schein wir unsere Lagerstatt für die so notwendige Ruhe bereiteten.

Aber wir hatten uns vergeblich auf den ersehnten Schlaf gefreut. Plötzlich erschienen in unserm Kreis, ohne irgendwelche Anmeldung, ein halbes Dutzend wild aussehender Indianer, von mehr als einem Dutzend bösartiger, halbverhungerter Hunde begleitet. Die Männer begrüßten uns mit wortreicher Höflichkeit – ein Beweis, daß sie ein tüchtiges Nachtessen von uns erwarteten. Die Hunde aber verschwendeten keine Zeit mit höflicher Begrüßung, sondern fielen meine gemieteten Hunde grimmig an, vertrieben sie vom Feuer und begannen dann, alles Eßbare, dessen sie habhaft werden konnten, zu verschlingen. Meine Indianer wurden zornig; sie nahmen Feuerbrände und Peitschen und trieben so die wolfartigen Bestien fort.

Während die Indianer so beschäftigt waren, sprach ich mit den Fremden. Sie waren aus dem Cumberland-Distrikt gekommen, um zu fischen und zu jagen, hatten aber wenig Glück gehabt und waren sehr hungrig. Ich gab ihnen reichlich Mundvorrat und ein Päckchen Tee und bat sie dann, in ihr Lager weiter oben am Ufer zurückzukehren, von wo aus sie unser Feuer gesehen hatten. Aber sie wollten nichts vom Weggehen hören, und daß wir müde und ruhebedürftig waren, kam ihnen nicht in den Sinn. Sie sagten: »Wir freuen uns so, daß wir einmal den ›Schwarzrock‹, den Freund des Indianers, gefunden haben und wollen möglichst lange bei ihm bleiben.«

So kochten sie in meinen Kesseln das Essen, das ich ihnen gegeben hatte, und ich beriet einstweilen mit meinen Leuten, wie wir unsere Vorräte vor den spitzbübischen Hunden schützen sollten. Diese saßen dicht beieinander auf dem Eis, mit der unschuldigsten Miene von der Welt und warteten, bis wir schlafen würden. Zwei von den Leuten stürzten die Schlitten um und schliefen dazwischen. So blieb die Ladung unversehrt, außer, daß die Hunde einige von den Packriemen durchbissen und ein paar Fische stahlen. – Ich unternahm es mit meinem Führer, den Sack voll gekochter Lebensmittel zu beschützen, und wir legten ihn unter unsere Bettdecken. Neben mir hatte ich, wie es bei solchen Gelegenheiten meine Gewohnheit war, die Peitsche und ein paar tüchtige Holzscheite.

Da unsere Gäste sahen, daß wir uns nach dem Schlaf sehnten, verließen sie uns endlich, die halbverhungerten Hunde folgten aber weder dem Ruf ihrer Herren, noch konnten unsere Leute sie durch Schläge und Schimpfen wegtreiben. Mitternacht war längst vorbei; die Feuer waren heruntergebrannt, der zischende Dampf von dem schmelzenden Eis löschte sie aus und die Dunkelheit senkte sich auf uns herab. Nun begann der Spektakel. Wir mochten noch so wachsam sein, die Eskimohunde waren uns über. Sie liefen auf uns herum, sie setzten sich auf uns, sie zankten sich auf uns. Wir warfen Scheite nach ihnen, wir peitschten sie, wir jagten sie weit auf den See hinaus – aber sie waren wieder da so schnell wie wir. Sie fraßen unser Wildbret und unsere Kuchen und noch vieles andere. Einer fraß ein langes Stück von einem schweren Peitschenriemen; ein anderer verschlang oder verschleppte ein Paar Mokassins, die ein Indianer zum Trocknen ans Feuer gestellt und dann vergessen hatte.

Wir waren eine recht heruntergekommene Gesellschaft, als der Morgen anbrach. Meine Leute riefen ihre verschüchterten Hunde aus der Ferne herbei; zum Glück war keiner gefressen worden. Wir spannten sie an, luden, was noch von unseren Vorräten übrig war, auf die Schlitten und machten uns auf den Weg mit dem festen Vorsatz, künftig wenn irgend möglich nur in einem Wald zu lagern, wo wir bei einem Angriff durch solche Hunde unsere Vorräte an Bäume hängen und im Notfall selbst hinaufklettern konnten.

Sehr schweigsam und gedemütigt verfolgten wir unsern Weg. Gegen Abend erreichten wir eine unserer abgelegenen Außenstationen, wo ich um einige Pfund Tee ein paar Fische und Kaninchen eintauschte, so daß wir für die nächsten Tage zu leben hatten. Nach ein paar Tagen reiste ich weiter. Ich hatte mit den gemieteten Hunden noch allerlei mehr ärgerliche als angenehme Erlebnisse, erreichte aber doch an dem bestimmten Tag glücklich das Indianerdorf, wo die Beratung stattfinden sollte.

Die Indianer, die mich besucht hatten, waren offenbar mit glänzenden Schilderungen ihrer Zusammenkunft von mir heimgekehrt. So fanden wir die Leute sehr aufgeregt und voll Begierde, zu hören, was der Schwarzrock ihnen zu sagen hatte. Sie begrüßten uns mit Flintenschüssen und reichten mir die Pfeife aus ihrem eigenen Munde. Da ich die Kunst des Rauchens nicht erlernt habe, mußte ich das Rohr an meine Leute weitergegeben, die jederzeit äußerst bereitwillig waren, an meiner Stelle zu rauchen.

Nachdem die lärmende Begrüßung vorüber war und die Pfeife die Runde gemacht hatte, war unser erstes Geschäft, unsere Schlitten mit ihrem Inhalt sicher unterzubringen. Meine Treiber banden ihre Hunde mittelst eines Stockes und zwei Riemen fest. Da das ganze Dorf voll von hungrig aussehenden Hunden war, hoben wir unsere Schlitten auf ein gerade nicht gebrauchtes hohes Gestell, das zum Trocknen der Fische diente. Hier waren unsere Vorräte sicher.

Die Ratsversammlung fand erst statt, nachdem alle in ihren Wigwams das Abendessen verzehrt hatten. Als Ratsaal diente ein langes Blockhaus, in dem mehrere Hundert Menschen Platz hatten. Das Innere bot einen äußerst malerischen Anblick. In der Mitte war ein erhöhter Platz aus Erde, auf dem das Ratsfeuer brannte. Um dieses versammelten sich die Häuptlinge und vornehmsten Männer der Gemeinde mit einigen vornehmen Gästen von anderen Orten, die sich über die wichtige Frage, die die Gemüter so vieler Indianerstämme bewegte, zu unterrichten wünschten. Alle hatten ihre schönsten Anzüge mitgebracht und manche waren wirklich prächtig gekleidet.

Die Friedenspfeife wurde mit großer Feierlichkeit angezündet. Nachdem sie die Runde gemacht und jeder ein paar Züge getan hatte, gab man sie dem ersten Häuptling zurück und dieser reichte sie seinem Pfeifenträger. Dann begannen die Reden, die mehrere Stunden dauerten. Die Indianer sind geborene Redner. Sie haben eine merkwürdige Leichtigkeit und Geläufigkeit der Sprache, eine sehr lebhafte Einbildungskraft und einen großen Reichtum von Bildern und Beispielen. Gib einem Indianer einen Gegenstand, für den er Verständnis und Teilnahme hat, und laß ihm Zeit, sich zu besinnen, er hält dir eine Rede, um die ihn mancher Redner in der zivilisierten Welt beneiden könnte.

In der Besprechung sind die Indianer höflich und würdevoll. Niemals wird ein Redner unterbrochen. Seinen Bemerkungen schenkt man die ernsteste Aufmerksamkeit, wenn auch die Zuhörer ganz anderer Ansicht sind.

Sehr merkwürdig ist auch das ausgezeichnete Gedächtnis der Indianer und die Geschicklichkeit, mit der ein Redner seinem Gegner aus dem Stegreif antwortet. Notizen machen gibt's natürlich bei den Indianern nicht; sie müssen sich ganz auf ihr gutes Gedächtnis verlassen, und das läßt sie nicht leicht im Stich.

In der Ratsversammlung, der ich anwohnte, gingen die Ansichten über die Forderungen, die man der Regierung als Ersatz für die Übergabe des Landes stellen wollte, sehr auseinander. Eine der sonderbarsten, auf der sie zuerst bestehen wollten, war, jeder von ihnen sollte freie Fahrt auf den »Rauchkutschen« haben, die die Blaßgesichter mit der Zeit durch das Land der Indianer führen würden. Sie waren sehr enttäuscht, als ich ihnen sagte, davon könne keine Rede sein. Ich setzte ihnen auseinander, der Bau der Eisenbahnen koste die Weißen viel mehr als uns das Kaufen von Hunden und darum müsse jedermann, außer vielleicht die obersten Häuptlinge, wenn sie von Amts wegen zu dem großen Statthalter reisten, für das Vergnügen, in der Eisenbahn zu fahren, bezahlen. Diese Freifahrt lag den Leuten sehr am Herzen und sie gaben ungern nach.

Ich sagte ihnen nun, daß in keinem Land, wo es Eisenbahnen gäbe, die Leute freie Fahrt hätten. Ich suchte ihnen klar zu machen, daß es doch recht schlimm wäre, wenn sie z. B. zur Zeit des Kartoffelsteckens oder Kornsäens im Land umherreisten, anstatt auf dem Feld zu arbeiten. Dann würden sie bald nichts zu essen haben. Das und die Hoffnung, daß wenigstens ihre Häuptlinge Freikarten bekommen würden, machte sie zum Nachgeben geneigt und es folgten nun ein paar sehr belustigende Reden über das schreckliche Unglück, das entstände, wenn die Leute im Land herumführen, anstatt daheim nach ihrer Arbeit zu sehen.

Gegen Mitternacht endete die Beratung, nachdem die Pfeife noch einmal die Runde gemacht und man dem »weißen Bruder« gedankt hatte, »der so weit hergekommen sei, um sie zu beruhigen und dessen Herz so gut gegen sie sei.« Die Indianer entfernten sich und meine Leute machten mir mein Bett neben dem verglimmenden Feuer. Dann hüllten sie sich in ihre Decken von Kaninchenfell und bald schliefen wir alle fest. Am folgenden Tag brachen wir auf. Wir bereisten noch einige Plätze und kamen ohne weitere Abenteuer glücklich nach Hause.

Als im folgenden Jahr die Regierungsbeamten mit diesen Indianern wegen eines Vertrags verhandelten, waren sie sehr angenehm überrascht, weil die Rothäute so verständig die verschiedenen Punkte besprachen und nicht, wie sonst die Indianer, durchaus die freie Fahrt auf der Eisenbahn haben wollten. Ein paar von den Beamten konnten nicht umhin, nach dem Grund dieser Mäßigung zu fragen.

»O,« sagten die Leute, »wir sind ganz zufrieden. Wir haben's mit dem Schwarzrock besprochen, und da haben wir eingesehen, daß es nichts ist, wenn die Leute im Land herumfahren, statt daß sie ihre Geschäfte daheim besorgen.«


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