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4. Jack, der riesige Bernhardinerhund

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»Ein Hund für einen armen Missionar; bitte, stehlt ihn nicht.«

Diese Worte waren in die an seinem Halsband befestigte Platte eingegraben. Es war ein prachtvoller Bernhardinerhund und hieß Jack. Mehr als einen Monat war er unterwegs gewesen und in verschiedenen Fahrgelegenheiten wohl 5000 Kilometer gereist. Mit ihm kam ein schöner Vollblut-Neufundländer, und die beiden waren das Geschenk des Senators Sanford in Hamilton.

Die Eskimohunde waren mir so entleidet, daß ich einigen Freunden in der zivilisierten Welt schrieb, sie möchten mir doch helfen und mir einige von den großen, wertvollen Hunden schicken, die die Leute sich oft nur zum Vergnügen halten und die mir, der ich jeden Winter mehrere tausend Kilometer mit dem Hundeschlitten reisen mußte, so nützlich wären. Die eigenartige Bitte machte den Leuten großen Spaß; aber ein paar gute Freunde begriffen die Lage und sorgten so freigebig für mich, daß ich bald die schönsten Hunde in diesem weiten Lande besaß.

Es war eine Freude, mit ihnen zu reisen, denn sie hatten alle guten Eigenschaften der Eskimohunde, ohne deren Neigung zum Stehlen. Ich konnte mich in allen Fällen auf sie verlassen, denn ich wußte, daß sie unfehlbar alles tun würden, was man vernünftigerweise von Hunden erwarten konnte. Die jungen Tiere eingerechnet, hatte ich oft 30 Hunde zugleich in meinem Besitz. Ich brauchte nämlich auf meinen Reisen vier Gespanne und außerdem gab es für die Hunde auch daheim allerlei zu tun.

Meine Frau besaß auch ein prächtiges Gespann, das von einem guten Treiber gelenkt war, und das sie benützte, wenn sie die Armen und Kranken in ihren Wigwams besuchte. In manchen Wintern mußte man alles Holz, das zum Heizen der Kirche, der Schule und der Wohnung gebraucht wurde, auf dem Hundeschlitten im Wald holen. Als ich einige Jahre in dem Land gewesen war, hielt ich mir ein paar Kühe und drei Jahre hindurch versuchte ich sogar in diesem kalten Klima Pferde zu halten. Man brauchte also sehr viel Heu. Dies mußte man während des kurzen Sommers an sumpfigen Stellen und ausgetrockneten Biberwiesen mähen und trocknen und dann mußten es die Hunde in besonders dazu gebauten Schlitten heimfahren. So brauchte ich also gute Hunde recht nötig und empfing Jack und Kuffy mit großer Freude. Sie haben auch nie mein Vertrauen getäuscht.

Als Jack ausgewachsen war, hatte er nahezu einen Meter Schulterhöhe. Er wog 80 bis 90 Kilo, und zwar – wie es auch bei den anderen Hunden war – wog er am wenigsten, wenn er von einer anstrengenden Reise heimkam. Ich hatte gar keine Mühe, ihn ans Geschirr und die Arbeit zu gewöhnen. Ein paar freundliche Worte und ein bißchen Geduld genügten, und dann war er der beste Zughund, den man sich denken konnte. Nur wegen seiner Gefährtin Kuffy hatte ich einmal einen Streit mit ihm; doch davon später.

Jack war der zweite Hund im Gespann. Er war auch ein ausgezeichneter Leithund und folgte jedem Ruf so schnell wie ein gut geschultes Pferd, und doch konnte ich ihn nicht gut als Vorderhund brauchen. Er hatte nämlich ein so liebevolles Herz und wir waren so gute Freunde, daß er manchmal plötzlich Angst bekam, sein geliebter Herr sei in Gefahr. Dann wirbelte er oft an den schlimmsten Stellen das ganze Gespann herum, kam an den Schlitten, wo ich saß, schob seinen großen Kopf neben den meinen und sagte so gut ein Hund das sagen kann: »Herr, da ist's gefährlich; ich komme nur geschwind, um zu sehen, wie dir's geht.«

Das war ja sehr gut gemeint, aber da Jack eben doch nur ein Hund war, konnte man ihm nicht klar machen, daß er dadurch die Gefahr sehr erhöhte. So mußte er nach einigen lustigen und ein paar sehr gefährlichen Abenteuern in die zweite Stelle einrücken. Hinter ihm kam Kuffy, und ein sehr starker und gut geschulter Hund hatte die verantwortliche und gefährliche Stelle des Schlittenhundes. Dieser kann viel leichter einen Unfall haben als die anderen Hunde. Sein schneller Blick und seine raschen Bewegungen nach rechts und links müssen den Schlitten auf der engen, krummen Wegspur davor bewahren, an Bäume zu rennen, die so oft im Wege sind. Wenn die drei Hunde vor ihm so ungeschickt waren, zwischen zwei Bäume zu fahren, die so nah beieinander stehen, daß der Schlitten kaum ohne Schaden durchkommen kann, dann muß der letzte Hund plötzlich anhalten und sich zurückwerfen, so daß die drei Vorderhunde augenblicklich stehen bleiben. Diese Schlittenhunde sind so geschickt und gut abgerichtet, daß sie auf ein paar Zentimeter hin schätzen können, ob der Durchgang weit genug ist für den Schlitten, für den sie, wie sie ganz gut wissen, verantwortlich sind. – Der Leithund meines Gespanns war Voyageur, von dem ich später erzählen werde.

Seuchen wüteten oft unter meinen Hunden und manchmal starb der dritte Teil daran. Ich mußte deshalb immer für eine Nachzucht von jungen Hunden sorgen. Sie einzufahren war oft recht schwierig. Während einige, wie Jack und Kuffy, sich ganz von selbst an die Arbeit gewöhnten, gab es andere, die zuerst den hartnäckigsten Widerstand leisteten. Bei dem Geschäft des Einfahrens war Jack mein bester Gehilfe. Wenn ich einen großen, eigensinnigen Hund einfahren wollte, so spannte ich ihn gewöhnlich so an, daß er drei gut abgerichtete Hunde vor sich und Jack hinter sich hatte. Wenn ich dann das landesübliche »Marsch« rief und die vorderen Hunde anzogen, so suchte der vierte sich mit aller Kraft anzustemmen und den Zug anzuhalten. Jetzt aber kam die Reihe an Jack. »Pack an, Jack,« rief ich, und mit furchtbarem Geheul stürzte er sich auf den jungen Hund und jagte ihm mit mehr Lärm als Beißen einen solchen Schrecken ein, daß er rannte was er konnte, um aus dem Bereich des riesigen Hundes hinten zu kommen. Solange er geradeaus rannte, ließ ihn Jack in Ruhe, aber mancher Trotzkopf gab nicht aufs erstemal nach, sondern versuchte noch andere Streiche. So suchte er z. B. ganz vornehin zu kommen. Alsbald sprang Jack ihm nach, packte ihn am Hinterbein oder am Schwanz und zerrte ihn an seinen Platz; oder er warf sich so stark zurück, daß der Missetäter dadurch an die ihm gebührende Stelle gerissen wurde. Jack war allen Tücken und Streichen der jungen Hunde gewachsen und gab nicht nach, bis sie richtig erzogen und eingelernt waren.

Während dieser Zeit war er der grimmige, gefürchtete Lehrer, nachher aber zeigte er sich als väterlicher Freund, was oft recht komisch anzusehen war. Wenn die Hunde ausgespannt waren, leckte er ihnen die Gesichter und die Beulen, die sie etwa bekommen hatten. Manche wollten zuerst nichts von dieser Freundlichkeit wissen. Aber schließlich, besonders wenn Jack sie ein paarmal gegen einen Angriff verteidigt hatte, liebten sie ihn als ihren Freund, während er doch in ihren Augen stets der unbestrittene Herr der ganzen Meute blieb.

Jack war uns auch sehr nützlich an den kalten Wintermorgen, wenn wir im Freien genächtigt hatten und nun vor Tagesanbruch die Weiterreise antreten wollten. Meistens konnte man dann einige Hunde nirgends finden. Schlaue, weiße Hunde lagen unsichtbar im Schnee und kamen nicht, wenn man ihnen auch noch so zärtliche Namen gab. Andere, dunkelfarbige, die wohl wußten, daß man sie in ihren Schneelöchern bald entdecken würde, schlichen sich davon, sobald sie eine Bewegung im Lager merkten, verbargen sich in dem Dunkel unter den Balsambäumen und waren vollkommen taub gegen unsere Rufe, diese mochten nun schmeichelhaft oder das Gegenteil davon sein. Das war für uns sehr ärgerlich, weil wir dadurch so lange aufgehalten wurden. Aber als Jack einmal die Lage begriffen hatte, nützte er uns für das Auffinden und Herführen der Schelme so viel wie zwei Indianer.

Jack und Kuffy lagen gewöhnlich während der Nacht dicht neben mir auf meinen Decken. Sobald die Männer mit dem Suchen nicht zustande kamen, wandten sie sich an mich. Ich brauchte Jack nur ein leeres Halsband zu zeigen und ihn daran riechen zu lassen, dann wußte er schon, welchen Hund er suchen mußte. Er suchte den ganzen Umkreis des Lagers ab und bald zeigte ein fröhliches Bellen, daß er den Hund gefunden hatte. Er trieb ihn herein und durfte dann ein paar Minuten ausruhen, wurde auch gebührend gelobt. Dann zeigte man ihm wieder ein Halsband und so fort, bis alle Versteckten aufgestöbert waren. Manchmal wollte sich einer zur Wehr setzen, aber dann wurde er so kräftig geschüttelt, daß er es kein zweitesmal versuchte.

Jack und Kuffy waren Glieder unseres Haushalts. Wenn sie nicht auf Reisen waren, schliefen sie als unsere Wächter im warmen Haus und waren deshalb etwas weniger abgehärtet als die andern Hunde. Deshalb bedurften sie auch auf den Reisen etwas mehr Pflege. Wenn abends mein Feldbett bereitet war und meine treuen Indianer sorgfältig die Decken um mich eingestopft hatten, dann streckte Jack seinen großen Körper neben meinem Rücken aus, während Kuffy sich zu meinen Füßen zusammenkauerte. Sie waren hier nahe bei einem großen Feuer und konnten dessen Wärme genießen, bis es heruntergebrannt war. Der Führer und die Treiber schliefen fest unter ihren Decken von Kaninchenfell, während ich in den grimmig kalten Nächten oft so entsetzlich fror, daß ich glaubte, es gelte mein Leben.

Unter den Dingen, die ich zu lernen hatte, war eins der schwersten mit bedecktem Kopf zu schlafen, da man nur so vor dem Erfrieren sicher ist. Ich brauchte Jahre dazu, das zu lernen. Das Gefühl des Erstickens war oft unerträglich; manchmal konnte ich es wirklich nicht aushalten und setzte mich, trotz der Bitten meiner wachsamen Indianer, der Gefahr aus, mir das Gesicht zu erfrieren.

In einer Nacht gelang es mir mit Aufbietung all meiner Willenskraft, mit bedecktem Kopf fest einzuschlafen. Etwas später muß ich in halbwachem Zustand mein Gesicht aufgedeckt haben, denn noch etwas später zerrte ich gewaltsam an etwas, was ich noch im Traume für den Stiel einer Axt hielt. Als ich mich vollends wach gezerrt hatte, machte ich die erstaunliche Entdeckung, daß ich an meiner Nase zog und daß diese fest gefroren war. Während der nächsten beiden Monate war ich mir immer schmerzhaft bewußt, daß ich eine Nase hatte, und es kostete mich viele Mühe, sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand zu bringen.

Einige von den jüngeren, gutartigen Hunden durften manchmal bei den Indianern schlafen, aber gewöhnlich gruben sie sich Löcher in den Schnee. Sonderbar war's, daß sie nicht nebeneinander schlafen wollten, wodurch sie sich warm gehalten hätten. Auch Jack und Kuffy taten es nicht, obgleich sie sich sehr liebten.

Während er an der Arbeit war, gab Jack nie ein Zeichen von Müdigkeit und Mutlosigkeit. Der Schneesturm mochte noch so heftig, die Wegspur noch so schlecht sein, er trug den Kopf hoch und hielt die Riemen stramm. Andere Hunde mußten oft durch Zuruf und Peitsche angetrieben werden, aber Jack blieb munter bis zum Ende der Reise. Wenn aber die Arbeit getan war und er sich wieder auf dem Wolfsfell in meiner Studierstube ausstrecken durfte, dann wußte er, daß er die Ruhe verdient hatte und er genoß sie gründlich. Drei oder vier Tage begehrte er nur, daß man ihn in Ruhe ließ; dann aber war er wieder der alte, muntere Bursche. Er spielte mit den Kindern, die er sehr liebte, oder er neckte das indianische Dienstmädchen, so daß sie fast außer sich kam, während es für uns andere ein köstlicher Spaß war. Zu Hause machte er sich auf allerlei Weise nützlich. Wenn ich müde und mit wunden Füßen heimkam, so brauchte ich nur zu rufen »Pantoffeln!« und alsbald begann Jack darnach zu suchen. Wenn man, um ihn auf die Probe zu stellen, die Pantoffeln versteckt hatte, so durchsuchte er jeden Raum im Haus, bis er sie hatte. Je länger er suchen mußte, um so stolzer war er nachher, wenn er sie brachte.

Einmal war er in einer Nebenstube, als ich laut: »Pantoffeln!« rief. Sogleich fing er an zu suchen. Er durchforschte alle Räume und quälte die Leute, bis sie ihm Schubladen und Schränke öffneten. Dann kam er nach vergeblichem Suchen zu mir, gleichsam um mir seinen Mißerfolg zu melden. Da entdeckte sein scharfes Auge die Pantoffeln an meinen Füßen. Er sah mich mit einem Blick an, der in einem menschlichen Angesicht Ärger und Verachtung bedeutet hätte, verließ stolz das Zimmer und kam den ganzen Tag nicht wieder herein. Wenn ich später wieder nach den Pantoffeln rief, kam er immer vorher herein (um ungehorsam zu sein, war er zu treu) und betrachtete meine Füße. Wenn ich die Pantoffeln anhatte, so blickte er mich an, als wollte er sagen: »Es ist doch traurig, daß mein Herr so zerstreut ist,« und an diesem Tag schenkte er keinem Ruf nach Pantoffeln die geringste Aufmerksamkeit.


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