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Februar 1921.

Meine Heeresgruppe rang weiter noch in härtestem Abwehrkampf, als ich von der endgültigen Ernennung des Prinzen Max von Baden erfuhr. Es war eine neue Regierung geschaffen, in die die Sozialdemokraten mehrere Mitglieder gestellt hatten. Diese Neuerung bedeutete also vor den Augen der Welt eine Umstellung der inneren Politik des Reiches, einen Systemwechsel zur Demokratisierung und Parlamentarisierung der Regierungsform. Ob das, was so zum Teil unter dem Druck der tief ernsten auswärtigen Lage geschaffen war, sich wirklich als tragfähig für ein Zueinanderkommen erweisen würde, mußte abgewartet werden.

Am 4. Oktober stand meine Heeresgruppe wieder in schwerstem Abwehrkampfe gegen den an der ganzen Westfront vorgebrochenen Generalsturm der feindlichen Heere. Auf dem Rücken und den Hängen des Chemin des Dames zwischen Aillette und Aisne, in der Champagne, beiderseits der von Somme-Py nach Norden führenden Straße, zwischen den Argonnen und der Maas, östlich der Aisne und beiderseits der Straße Montfaucon-Banthéville wurde erbittert gekämpft. Nicht weniger als siebenunddreißig Angriffsdivisionen hatten wir bisher seit dem 26. September drüben festgestellt. Dazu kamen Artillerie-, Tank- und Fliegermassen, die unerschöpflich schienen. Unsere alten Leute schlugen sich vielfach immer noch prachtvoll und mit ungebrochener Zähigkeit. Und doch gab es daneben bei uns jetzt oft Verluste an Menschen und Material, wie wir sie früher nicht gekannt hatten. Mehr und mehr versagten einzelne Divisionen, teils aus Erschöpfung, teils aber auch – und das war das Bedenklichste – durch die mit internationalen, pazifistischen Ideen verseuchte Stimmung der Truppe. Tapfer vorgehenden Truppenteilen schallten die Worte »Kriegsverlängerer« und »Streikbrecher« nach. Mißtrauen auf die Verläßlichkeit der Kameraden zersetzte die einheitliche Kraft des Widerstandes, es kam durch das Versagen einzelner angefaulter Verbände zu Umgehungen und Gefangennahmen ehrlich kämpfender Gruppen, und häufig schon mußten jetzt solche unzuverlässig gewordenen Truppen herausgezogen werden, und die schon überanstrengten zuverlässigen Divisionen mußten die Lücken schließen. So mußte ich sehenden Auges mein bestes Kapital verwirtschaften. Und dennoch könnte ich jetzt noch das Heulen kriegen im Gedanken an die ungebrochene Opferwilligkeit der treuen, tapferen, alterprobten Verbände, die bis zuletzt ihre schwere Pflicht taten. Sie haben unsere beste Friedensüberlieferung durch all dies Elend durchgehalten! – Ich fuhr an diesem 4. Oktober zunächst zu einer Besprechung mit dem Generalobersten von Boehn und seinem Generalstabschef, General von Loßberg, nach Avesnes und von da nach Mons zum Kronprinzen von Bayern, mit dem und dessen Generalstabschef, Exzellenz von Kuhl, ich mich länger über die militärische Lage besprach. Wir kamen hierbei übereinstimmend zu der Ansicht, daß die Abwehr der überlegenen feindlichen Angriffe gegen unsere abgekämpften Fronten im Ringen um die umstrittenen Stellungen unter den augenblicklichen Bedingungen nicht durchgehalten werden könne. Es fehlte uns an Truppen, um Gegenstöße durchzuführen, um unseren Kämpfern die notwendige Ausspannung zu geben. So erschien es uns erforderlich, unter Aufgabe weiteren Geländes in Rückzugskämpfen tiefer liegende Stellungen aufzusuchen und durch diese Frontverkürzung die notwendigen Reserven für eine Weiterführung der in Bezug auf die Möglichkeiten ihrer Dauer noch nicht übersehbaren Schlacht zu gewinnen.

In der Nacht, die nun folgte und in der meine tapferen Divisionen, zerfetzt, zerrissen, wie sie waren, sich in schrittweisem Ausweichen weiter wehrten – ist aus Berlin über die Schweiz das Angebot an den Präsidenten der Nordamerikanischen Republik abgegangen, das den »gerechten Frieden« im wesentlichen auf Grund der von Wilson aufgestellten Grundlagen suchte und mit der unheilvollen Bitte um Gewährung eines Waffenstillstandes verknüpft war.

Weiter ging das Ringen, und kein Ende der Schlacht war abzusehen. Die Truppen standen jetzt gegen ungeheuere Übermächte an Menschen und an Material. Sie hielten aus – sie fingen Stöße auf – und gaben Raum frei – schlossen sich zu neuer Front und stellten sich aufs neue. Beinahe täglich war ich wieder vorne und sah und sprach die Männer. Sie haben heldenhaft in dem ungleichen Ringen gestanden und ihre Pflicht getreu bis in den Tod erfüllt. Ein Lügner, wer behauptet, daß der Kampfgeist der Front versagt hätte. Stärker als die zerbrechenden und aufgeriebenen Körper dieser Männer ist er gewesen. Geschimpft haben die Leute, wenn sie halbwegs Zeit dazu hatten – wie jeder gute Deutsche schimpft – aber wenn's galt, dann waren sie wieder zu haben. Und ein merkwürdiges Ergebnis hatten diese ruhelosen Kämpfe: es kam zu einer Art von Selbstreinigung der Verbände. Was faul und angefressen war, schied in die Gefangenschaft des Gegners aus. Was uns verblieb, das war der gute Kern. Was diese durch tausend Tode gehetzten, abgezehrten, elend verpflegten und übermüdeten deutschen Kämpfer nur irgend geben konnten, das haben sie gegeben. Dankbar geht mein Erinnern zu ihnen allen – zu denen, die da draußen blieben, und zu denen, die nun zerstreut in deutschen Städten und in deutschen Dörfern am Pflug, am Amboß, vor dem Schreibtisch wieder friedlich schaffen.

Weiter rannten die Gegner an – Großangriffe brachte jeder Tag. Die Lüfte bebten im Feuer, ein dumpfes Schlagen, Brüllen, Rollen, das nicht wieder schwieg.

Die 1. Armee war in der Nacht zum 5. mit ihrem linken Flügel hinter Suippes zurückgegangen, sie mußte, um den Anschluß an die ausweichende 7. wieder zu gewinnen, die vorspringende Reims-Front lassen und auch mit ihrem rechten Flügel bis Condé zurück. Die 18. Armee, die in diesen Tagen gleichfalls der Heeresgruppe unterstellt wurde, ging am 10. Oktober in hartem Rückzugsringen in die kaum in ihren ersten Anlagen entworfene Hermannstellung. –

Und während all meine Gedanken dem Kampf und den mir anvertrauten deutschen Soldaten gehörten, drangen, wie etwas Fernes, Fremdes, Berichte aus der Heimat an mich heran: Der Wortlaut unserer Friedensnote an den Präsidenten Wilson – brüsk ablehnende Pressestimmen aus Paris – die Antwortnote, die sich um die Antwort drückte und vor dem Waffenstillstand unsere Zusage zur Räumung aller besetzten Gebiete forderte. Von Beratungen der leitenden Persönlichkeiten wurde gesprochen – von der Zusammenstellung einer Waffenstillstandskommission unter dem sachverständigen General von Gündell durch die O.H.L. Der Kriegsminister von Stein schied aus dem Amte, und General Scheüch trat an seine Stelle.

Wir kämpften. Die Schlacht flaute jetzt am Ende der zweiten Woche ihres Rasens langsam ab. Zu Tod erschöpft war man auf beiden Seiten. Raum hatten wir unter dem ungeheueren Drucke aufgegeben, aber wir standen. Und nirgends war der Gegner durchgebrochen. Am zehnten stand die 3. Armee in der neuen Brunhildstellung von St. Germainmont am Nordufer der Aisne entlang über Rethel, östlich Vouziers, westlich Grandpré. Und Gallwitz schlug sich mit Amerikanern im Raume zwischen Sivry und dem Haumontwalde. Am zwölften hatte auch die 1. Armee die Gudrun-Brunhildstellung planmäßig bezogen, die 7. Armee den Rückzug in die Hundingstellung hinter den Abschnitt der Oise und Serre verlegt.

Wenn man das militärische Bild des Ganzen übersah, so konnte man erkennen, daß der drohende Zusammenbruch der Westfront durch die Verlegung des Widerstandes in stärkere, kürzere Abschnitte verhindert worden war. Bei allem Ernst der Lage standen wir zunächst doch wieder leidlich fest, konnten uns, während die Gegner zu neuen planmäßigen Aufmärschen und Angriffsvorbereitungen schreiten mochten, selbst kräftigen und abwehrfertig machen – und eine solche Atempause war bei der Übermüdung und Überspannung der Truppen mehr als nötig.

Blieb also nach meiner Ansicht die leise Hoffnung, daß die eingeleiteten Friedensbestrebungen zu einem für Deutschland ehrenvollen Abschlusse des Krieges durch einen Rechtsfrieden der Versöhnung noch vor dem Winter führen würden. Bei einem Versagen dieser Aussicht konnten wir – wieder: nach meiner persönlichen Ansicht – mit einer Widerstandsfähigkeit bis höchstens zum Frühjahre 1919 rechnen.

Am 12. Oktober wurde aus Berlin als Antwort auf die Anfrage des Präsidenten Wilson die bündige Annahme der von ihm aufgestellten Bedingungen erklärt und auch die Bereitschaft zur Räumung der besetzten Gebiete unter gewissen Bedingungen ausgesprochen.

Durch alles, was an Nachrichten von drüben kam, schien mir die Tatsache hindurchzuschimmern, daß dort zwei Auffassungen um die Vorherrschaft rangen: Wilson, der seine vierzehn Punkte landen wollte – und Foch, der nur ein Ziel kannte: Vernichtung. Wer siegen würde? Das Paar war ungleich: der Flieger Wilson und der Steher Foch. Gelang es, rasch zur Einigung zu kommen, so hatte Wilson jede Chance – gingen Verhandlungen ins Uferlose, so hatte Foch die Zeit für sich. Ein jeder Tag, der hinlief, ohne daß man der Verständigung näherkam, war für ihn Gewinn, ließ die Zersetzung in der Heimat weitergreifen, zermürbte und zerbröckelte die großenteils nur auf behelfsmäßige Widerstände und Abwehrstellungen gestützte Front.

Der dreizehnte brachte mir eine Nachricht, die mich um meines Vaters willen tief schmerzlich bewegte: Die weitere Entwicklung der innerpolitischen Lage hatte zum Rücktritte des ausgezeichnet bewährten Chefs des Zivilkabinettes des Kaisers, Exzellenz von Berg, geführt.

Damit war ein Mann aus der ständigen engeren Umgebung des Kaisers ausgeschieden, der ihm auf Grund alter Jugendfreundschaft und ohne höfische Rücksichten in treuer Geradheit und Schlichtheit die Dinge so zeigen konnte, wie sie waren.

Am fünfzehnten setzten die starken Angriffe bei der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, bei mir und Gallwitz wieder ein. Der Gegner hatte sich an unsere neue Front herangeschoben und stieß los. Geländeverluste da und dort. Die Truppe war eben am Ende ihrer Kräfte. Am Tag darauf fiel Lille: da nebenan, beim Kronprinzen von Bayern, stand es wohl am schlimmsten. Einbußen, wo der Gegner stürmte. Als ob unsere Leute nun, da sie etwas von einem etwaigen Waffenstillstand und von kommenden Verhandlungen gehört hatten, die volle innere Kraft zum Kampfe nicht mehr finden konnten. Auch stellenweise so, als ob sie nicht mehr wollten. Aber wo lag in den von Hunger, Qualen und Entbehrungen verwirrten Köpfen dieser Männer, die tausendmal ihr Leben tapfer für das Vaterland eingesetzt hatten, jetzt die Grenze zwischen Können und Wollen? Macht das letzte einmalige Versagen den abgehetzten Mann, der sich zu hundert Malen als Held bewährte, zum Feigling? Nein! – Nur eines nimmt es ihm: den Preis, für den er hundertmal sein Leben bot.

Wiederum, während die neue Regierung im Eilzugstempo demokratisiert, das unterste der Reichsverfassung zu oberst kehrt – eine Note des Präsidenten Wilson: in einem neuen Tone. Hochfahrend, unversöhnlich stellt sie jetzt Bedingungen, die eine Einmengung in Deutschlands innere Verhältnisse sind. Deutlich spricht der Geist Fochs, der Wilson zu überwinden droht, aus ihr. Fochs, der zugleich auf die Kampfergebnisse der letzten Tage pocht, der Aufschub und Verschleppung erreichen will, damit indessen das Unheil, das sich über Volk und Heer der Deutschen geworfen hat, wilder wüte.

Ein Tagebuchblatt, das die Lage sachlich festhält, so wie sie mir auf Grund dessen, was ich damals übersehen konnte, erschien, soll wörtlich hierher:

»Es besteht zur Zeit scharfer Gegensatz Wilson-Foch. Wilson will den Rechtsfrieden der Versöhnung und Verständigung. Foch will völlige Demütigung Deutschlands und Befriedigung der französischen Eitelkeit.

Jede Festigkeit der deutschen Front und der deutschen diplomatischen Haltung stärkt die Stellung Wilsons; jedes Zeichen militärischer und politischer Schwäche stärkt Foch.

Wilson erstrebt nur Nachgeben in zwei Punkten:

1. U-Boot-Krieg; keine Passagierdampfer mehr versenken.

2. Demokratisierung Deutschlands. (Keine Absetzung des Kaisers, nur konstitutionelle Monarchie, Stellung der Krone wie in England.)

Eine militärische Demütigung Deutschlands erstrebt Wilson nicht. Foch dagegen will mit allen Mitteln volle militärische Kapitulation und Demütigung (Befriedigung französischen Rachegefühls) erreichen.

Wer von beiden die Oberhand gewinnt, hängt einzig und allein von der Haltung Deutschlands ab. Steht die Front und halten wir uns diplomatisch würdig, so siegt Wilson. Ein Nachgeben gegenüber Foch bedeutet die Vernichtung Deutschlands und das Scheitern jeder Aussicht auf einen erträglichen Frieden.

Englands Stellung ist mehr vermittelnd. Die Hauptschwierigkeit für die Friedensaktion liegt bei Frankreich.

Erreichung des Verständigungsfriedens ist Wilson sehr erschwert durch das Zusammenfallen der Demokratisierung und des Friedensschrittes. Dies wird als Schwäche ausgelegt und hat Fochs Stellung gestärkt. Wollen wir den Rechtsfrieden erreichen, so müssen wir in alles mehr Stop bringen – namentlich in unser Friedens- und Waffenstillstandsbedürfnis. Dazu müssen wir alles tun, die Front noch zu halten und die weitere Demokratisierung in ruhigere, sagen wir: glaubwürdige Bahnen zu leiten.« –

Was hier über Wilson gesagt ist, war für den Augenblick, für den es galt, vielleicht noch richtig – und war es doch schon bald darauf nicht mehr. Doch glaube ich heute noch, daß dieser selbstgefällige Doktrinär anfangs wirklich nach Recht und nach Gewissen schlichten wollte – bis ihn der Stärkere und Listigere einfing und mit ironischer Überlegenheit an seinen Wagen spannte. –

Am 17. Oktober waren bei der Heeresgruppe meines tapferen Vetters Rupprecht auch Ostende, Brügge und Tournai aufgegeben – am neunzehnten setzt der Feind sich beiderseits von Vouziers auf dem östlichen Aisneufer fest und trifft die Vorbereitungen zu weiteren Stürmen.

Aus der Heimat kommen in diesen Tagen Nachrichten über ein fieberhaft erregtes Wesen der Menschen. Gedrückt, verzweifelt die einen, voll Hoffnung auf ein leidliches Ende die anderen. Dazu Gerüchte über eine bevorstehende Abdankung des Kaisers – über eine Wahl des Hauses Wittelsbach an Stelle der Hohenzollern – über eine Regentschaft des Prinzen Max von Baden ...

Es wird weiter gekämpft, und man hält sich leidlich. Alles wird eingesetzt, was nur sich irgend auf den Beinen halten kann; denn es geht um die Möglichkeit des Waffenstillstandes, des Friedens. Mit Nachdruck weist die O.H.L. die Führer darauf hin, daß angesichts der laufenden diplomatischen Verhandlungen ein weiterer Rückzug von dem schlimmsten Einfluß auf den Erfolg werden könnte.

Also Festhalten an der Hermann-, an der Gudrunstellung! Du lieber Gott – was diese Stellungen, die unfertig und an vielen Stellen gerade nur markiert sind, schon bieten können!

Und doch – die Männer, die vier Jahre lang ihr Bestes hingegeben haben, erweisen sich auch jetzt, in diesen schwersten Tagen, als die herrlichsten, die treuesten Soldaten der Welt: sie halten diese Front!

Am einundzwanzigsten erfahren wir den Text der Antwortnote der Regierung an Wilson: Jedes Entgegenkommen ist gezeigt! Sicher, auf dieser Grundlage kann er Mittel und Wege zum Abschlusse des Waffenstillstandes finden und Friedensverhandlungen einleiten. Will er es auch? Will er es noch?

Wieder gehen Tage hin, in denen Tausende von deutschen Männern und von Männern aller Völker bluten müssen, indessen die Herren an den grünen Tischen sich Zeit lassen – in denen unsere Lage an der Front nicht besser wird. Was dann am vierundzwanzigsten aus Wilsons Note anmaßend und hochmütig sprach, war die Stimme des Marschalls Foch – oder die Stimme eines Wilson, der zur Marionette des französischen Drahtziehers herabgesunken war und nun das Räuspern und das Spucken des anderen so gut weg hatte wie sein Meister. –

Noch einmal in diesen grausam düstern Tagen, in denen ich meine armen zerschlagenen Divisionen ihr Letztes hingeben sah, sollte ich eine Herzstärkung durch meine braven Leute erleben!

Das war am 25. Oktober, und ich fuhr nach vorne, um mich von dem Zustande einiger meiner im schweren Kampfe stehenden Divisionen zu überzeugen. Nachdem ich die Divisionsstäbe der 50. J.D. und der 4. G.D. besucht hatte, nahm ich den Weg nach einer Höhe, von der ich einen Einblick in die Kampffront zu bekommen hoffte. In einem Wiesental vor dem Dorfe Seraincourt traf ich auf die Abschnittsreserve, die im Begriffe stand, in das Gefecht zu marschieren. Es waren dies die Regimenter der 1. J.D., unter ihnen mein Regiment Kronprinz. Sowie die Truppen mein Auto erblickten, war ich von einer Menge fröhlich winkender und rufender Mannschaften umgeben. Allen waren die schweren Kämpfe der letzten Monate nur zu deutlich anzusehen. Die Uniformen zerrissen – kaum noch die Abzeichen zu erkennen – die Gesichter oft erschreckend mager: und dennoch leuchtende Augen und eine stolze, selbstbewußte Haltung. Sie wußten, daß ich ihnen vertraute und daß sie mich noch nie im Stich gelassen hatten. Der Stolz auf die Taten ihrer Division war in ihnen. Mit vielen sprach ich, viele Hände drückte ich, Männer, die sich in den jüngsten Kämpfen ausgezeichnet hatten, schmückte ich mit dem Kreuze. Dann verteilte ich meinen kleinen Vorrat an Schokolade und Zigaretten. So verging eine in all der Bitternis jener Tage unvergeßlich schöne Stunde im Kreise meiner bewährten Frontkämpfer. Indessen hatten die Franzosen das kurz vor uns liegende Dorf unter schweres Feuer genommen, und jetzt fingen sie an, ihr Feuer die Wiesenschlenke entlang vorzuverlegen. Ich befahl daher, die Bataillone auseinanderzuziehen. – Bei meiner Abfahrt schallte hinter mir das brausende Hurra meiner lieben feldgrauen Kinder – von allen Seiten winkten sie mit Mützen und Gewehren. Ich sage es ohne Scham, daß mir vor ihrem Grüßen, Rufen, Winken die Tränen in die Augen gestiegen sind – ich wußte ja, wie schwer, wie verzweifelt die Gesamtlage war. –

Mein Grenadierregiment Kronprinz bei Seraincourt – es war die letzte Truppe, die ich mit Hurra und mit leuchtenden Augen in den Kampf ziehen sah. Liebe, liebe, treue Jungens, deren jeden mein Erinnern von meiner Insel dankbar grüßt! –

Nur Stunden später, bei der Ankunft im Quartier der Heeresgruppe, stand ich wieder in jener anderen Welt voll Qual und Sorgen. Neue, schwer bedenkliche Nachrichten aus der Heimat lagen vor.

Und am nächsten Tage, am 26. Oktober, erhielt ich die telephonische Nachricht von Ludendorffs Abschied. Im Zusammenhang der bekannten Angelegenheit des Telegrammes der O.H.L. an die Truppen (vom 24. Oktober) war er das Opfer der vom Reichskanzler Prinzen Max von Baden gestellten Kabinettsfrage geworden. Damals wußte ich: das ist das Ende. Man meldete mir, es sei beabsichtigt, General Gröner zum Nachfolger zu ernennen. Ich ließ mich mit dem Generalfeldmarschall verbinden. Eindringlich und im klaren Erkennen dessen, worum es hier ging, beschwor ich ihn, diesen Gedanken aufzugeben, nicht diesen Mann zu wählen, dem nichts von jenem Geiste innewohnte, der jetzt allein noch retten konnte, was zu retten blieb. Der Generalfeldmarschall, der wohl glaubte, den Ideen der Reichsregierung nachgeben zu sollen, war anderer Ansicht, und am nächsten Tage war die Ernennung des Generals zum Ersten Generalquartiermeister erfolgt.

Am 28. Oktober kehrte mein Adjutant Müller von einer Dienstreise aus der Heimat zurück. Er brachte die ersten bösen Nachrichten über Matrosenmeutereien, und aus seinem Bericht ging hervor, daß in Deutschland die Revolution eigentlich bereits drohend im Anzuge sei – daß aber bisher anscheinend nichts zur Niederschlagung der aufflutenden Bewegung geschehe. Er schlug damals in klarer Beurteilung der Lage die rascheste Bereitstellung einiger guter Divisionen hinter der Heeresgruppe vor, damit man diese Truppen gleich zur Hand habe, wenn sich das etwa als notwendig erweisen sollte. Dieser Anregung ist leider nicht weiter gefolgt worden – unsere Aufmerksamkeit war allzusehr nach vorne gerichtet und pflichtmäßig den uns anvertrauten Verbänden zugewendet.

Meine vier Armeen standen seit dem 4. November in ihrer ganzen Front in schweren, aber durchweg planmäßig und geordnet verlaufenden Rückzugskämpfen mit Ziel auf die Antwerpen-Maas-Stellung.

In diesen Tagen besuchte uns der neue Erste Generalquartiermeister General Gröner. Die Chefs meiner vier Armeen gaben Bericht über die Lage an ihrer Front. Alle betonten die Überspannung ihrer Truppen und das Fehlen von jeglichen frischen Reserven. Sie waren aber in guter Zuversicht, daß sich der Rückzug in die Antwerpen- Maas-Stellung in fester Geschlossenheit vollziehen und daß diese Stellung gehalten werde.

Aus dem anschließenden Schlußvortrag meines Chefs sind mir zwei Forderungen erinnerlich, die mit scharfer Bestimmtheit gestellt wurden: Einmal, daß die Diskussion über die Kaiserfrage in der Heimat und Presse aufhören müsse; unsere Truppen seien nicht imstande, auch noch diese Belastung zu tragen. Ferner, daß die O.H.L. nicht Dinge befehlen dürfe, an deren Durchführung sie selbst kaum glauben könne. Wenn z. B. befohlen würde, daß eine Stellung zu halten sei, so müsse die Truppe auch in die Lage versetzt sein, diesen Befehl ausführen zu können. Das Vertrauen zur Führung wurde durch Befehle erschüttert, die die Front nicht befolgte, weil sie in der gegebenen Lage nicht mehr durchzuführen waren. –

Das Oberkommando der Heeresgruppe ging am 5. November von seinem bisherigen Quartier Charleville etwa fünfzig Kilometer weiter nördlich nach Waulsort, einer kleinen Ortschaft halbwegs zwischen Givet und Dinant an der Maas. In eine düstere, unfreundliche Stimmung eingesponnen lag der Ort, es war kalt, und ein dicker, klebriger Nebel füllte das von zerklüfteten Felsgeschieben gleichsam engbedrängte Tal. Ich wohnte bei einem belgischen Grafen de Jonghe, einem Kavalier von wohltuendem Takt. In einem langen Gespräche, in das wir des Abends kamen, faßte er seine Ansicht über die Ursachen unseres Niederbruches – der nun ja auch den Einwohnern des Landes offenbar war – dahin zusammen: Deutschland hat zwei schwere Fehler gemacht. Es hätte im Herbst 14 Frieden machen sollen; gelang das nicht, so mußte es einen Zivildiktator von unbedingter Macht und Energie ernennen, der dann die nötige Ordnung im Innern sicherte. – An diesem gleichen Abend erzählte mir der erste Generalstabsoffizier der Heeresgruppe, Major von Bock, daß er von einem Etappensoldaten, einem Landsturmmann, auf offener Straße beleidigt worden sei. Zwei Tage später bin ich dann selbst zum ersten Male mit der Revolution in direkte Fühlung gekommen.

Ich fuhr mit meinem Ordonnanzoffizier Zobeltitz von Waulsort die Maasstraße auf Givet, um noch einmal die Truppen zu besuchen, die nunmehr bei Charleville die Maaslinie halten sollten. Als wir, wenige Kilometer hinter Waulsort an einer Stelle, an der die Eisenbahn dicht neben der Chaussee entlangläuft, an einem auf offener Strecke haltenden Urlauberzug vorüberkamen, erblickte ich die erste rote Fahne. Und gleich darauf schallten mir auch schon aus den offenen oder zertrümmerten Wagenfenstern die albernen Rufe entgegen, die damals zu einer Art Losungswort und Feldgeschrei aller Radaubrüder und Unzufriedenen geworden waren: »Licht aus!« – »Messer 'raus!«

Ich ließ mein Auto sofort halten und ging, von Zobeltitz begleitet, auf den Zug los. Ich befahl den Leuten, auszusteigen, was auch sofort geschah.

Es mögen einige hundert Mann gewesen sein, eine ziemlich wüst aussehende Gesellschaft, zum größten Teile Bayern, die aus Flandern kamen. Vor mir stand ein baumlanger bayrischer Unteroffizier in herausfordernd lässiger Haltung, die Hände tief in den Hosentaschen, ein wahres Musterbild der Insubordination. Ich fuhr ihn an, er solle sofort eine anständige Haltung annehmen, wie es sich für einen deutschen Soldaten gehöre – und die gute Wirkung trat auf der Stelle ein. Ich hielt den herandrängenden Leuten dann eine kurze eindringliche Ansprache, mit der ich sie bei ihrem Ehrgefühl zu packen suchte. Damit hatte ich – und das wurde mir klar, während ich noch zu ihnen sprach – gewonnenes Spiel.

Schließlich trat ein ganz junges Kerlchen von etwa siebzehn Jahren mit dem Eisernen Kreuz und einem offenen Knabengesicht – ein Sachse – vor und sagte: »Herr Kronprinz, nehmen Sie es nicht übel, es sind nur dumme Redensarten, dabei denken wir uns garnichts, wir haben Sie ja alle sehr gern und wissen, daß Sie immer für Ihre Soldaten sorgen. Sehen Sie, wir fahren jetzt schon drei Tage Eisenbahn und sind überhaupt noch nicht verpflegt worden. Kein Mensch kümmert sich um uns, Offiziere sind garnicht mehr beim Transport. Seien Sie uns nicht böse.« – Allgemeines Beifallsgemurmel. Ich gab dem Jungen die Hand. Dann kam sogar ein komischer Ausklang. Der Sachse sagte: »Wir wissen, Sie haben immer Zigaretten für tüchtige Soldaten bei sich – zu rauchen haben wir auch nichts mehr.« Ich gab den Leuten, was ich an Zigaretten hatte, obwohl diese »tüchtigen Soldaten« die Aufmunterung wirklich nicht verdient hatten, einfach aus Verstehen für ihre Lage, die sicher mitschuldig an ihren abwegigen Dummheiten war. Deutlich hatte ich den Eindruck: wäre nicht in der Heimat und den Etappen alles aus den Fugen, diese Mannschaften wären auf gutem Weg geblieben.

Ich erzähle diese Episode vom 7. November nur, um zu zeigen, auf wie schwachen Füßen die Bewegung vielfach stand, die durch wüste Agitation zu scheinbar so bedrohlichen Formen ausgetrieben war, und wie ruhiges und entschlossenes Auftreten seine Wirkung auf die im Grunde ja keineswegs bösartigen Elemente nicht verfehlte. Leider hat jedes bestimmte Handeln bei den Heimatbehörden – sowohl bei den militärischen wie bei den zivilen Stellen – gefehlt. Durch das Schießverbot waren der Revolution die Wege geebnet.

Zur Haltung der Truppe in diesen Tagen ist zu sagen, daß sich der Rückmarsch der Divisionen trotz des monatelangen Ringens, das hinter ihnen lag, durchaus geordnet und in der Hauptsache ohne wesentliche Störung durch den nur zögernd folgenden Gegner vollzog. Die Aussicht auf die Aufnahme in die neue, durch natürliche Anlage und feldmäßige Behelfe starke Maasstellung schien die Truppen freier in die Zukunft sehen zu lassen.

Und nachzutragen bleibt noch eine Episode: Am sechsten haben die von der deutschen Regierung entsandten Unterhändler in dem Gebiet der 18. Armee auf der Straße von La Capelle nach Guise die Linie überschritten.


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